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<bookInfo>
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<title>Der Spieler</title>
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<lang>de</lang>
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<isTranslation>true</isTranslation>
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<totalChapters>17</totalChapters>
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<author>Fjodor Dostojewski</author>
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</bookInfo>
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<content>
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<chapter num="1" name="Erstes Kapitel">
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<sentence num="1"> Endlich bin ich nach vierzehntägiger Abwesenheit zurückgekehrt.</sentence>
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<sentence num="2">Die Unsrigen befinden sich schon seit drei Tagen in Roulettenburg.</sentence>
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<sentence num="3">Ich hatte geglaubt, sie warteten bereits auf mich mit der größten Ungeduld; indes ist dies meinerseits ein Irrtum gewesen.</sentence>
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<sentence num="4">Der General zeigte eine sehr stolze, selbstbewußte Miene, sprach mit mir ein paar Worte sehr von oben herab und schickte mich dann zu seiner Schwester.</sentence>
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<sentence num="5">Es kam mir sogar so vor, als sei es dem General einigermaßen peinlich, mich anzusehen.</sentence>
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<sentence num="6">Marja Filippowna hatte außerordentlich viel zu tun und redete nur flüchtig mit mir; das Geld nahm sie aber in Empfang, rechnete es nach und hörte meinen ganzen Bericht an.</sentence>
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<sentence num="7">Zum Mittagessen erwarteten sie Herrn Mesenzow, außerdem noch einen kleinen Franzosen und einen Engländer. Das ist bei ihnen einmal so Brauch: sobald Geld da ist, werden auch gleich Gäste zum Diner eingeladen, ganz nach Moskauer Art.</sentence>
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<sentence num="8">Als Polina Alexandrowna mich erblickte, fragte sie mich, was ich denn solange gemacht hätte; aber sie entfernte sich dann, ohne meine Antwort abzuwarten.</sentence>
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<sentence num="9">Selbstverständlich tat sie das mit Absicht.</sentence>
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<sentence num="10">Indessen müssen wir uns notwendigerweise miteinander aussprechen.</sentence>
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<sentence num="11">Es hat sich viel Stoff angesammelt. Es wurde mir ein kleines Zimmer im vierten Stock des Hotels angewiesen.</sentence>
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<sentence num="12">Hier ist bekannt, daß ich »zur Begleitung des Generals« gehöre.</sentence>
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<sentence num="13">Aus allem war zu entnehmen, daß sie es bereits verstanden hatten, sich ein Ansehen zu geben.</sentence>
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<sentence num="14">Den General hält hier jedermann für einen steinreichen russischen Großen.</sentence>
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<sentence num="15">Noch vor dem Diner gab er mir, außer anderen Kommissionen, auch den Auftrag, zwei Tausendfrancscheine, die er mir einhändigte, zu wechseln.</sentence>
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<sentence num="16">Ich bewerkstelligte das im Büro des Hotels. Nun werden wir, wenigstens eine ganze Woche lang, für Millionäre gehalten werden. Ich wollte mit Mischa und Nadja spazierengehen, wurde aber, als ich schon auf der Treppe war, zum General zurückgerufen; er hielt es für nötig, mich zu fragen, wohin ich mit den Kindern gehen wolle.</sentence>
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<sentence num="17">Dieser Mann ist schlechterdings nicht imstande, mir gerade in die Augen zu sehen; in dem Wunsch, es doch fertigzubringen, versucht er es öfters; aber ich antworte ihm jedesmal mit einem so unverwandten, respektlosen Blick, daß er ordentlich verlegen wird.</sentence>
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<sentence num="18">In sehr schwülstiger Redeweise, wobei er eine hohle Phrase an die andere reihte und schließlich völlig in Verwirrung geriet, gab er mir zu verstehen, ich möchte mit den Kindern irgendwo im Park spazierengehen, in möglichst weiter Entfernung vom Kurhaus.</sentence>
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<sentence num="19">Zum Schluß wurde er ganz ärgerlich und fügte in scharfem Ton hinzu: »Also bitte, führen Sie sie nicht ins Kurhaus zum Roulett.</sentence>
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<sentence num="20">Nehmen Sie es mir nicht übel; aber ich weiß, Sie sind noch ziemlich leichtsinnig und wären vielleicht imstande, sich am Spiel zu beteiligen.</sentence>
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<sentence num="21">Ich bin zwar nicht Ihr Mentor und hege auch gar nicht den Wunsch, eine solche Rolle zu übernehmen; aber jedenfalls habe ich wenigstens ein Recht darauf, mich von Ihnen nicht kompromittiert zu sehen, um mich so auszudrücken.« »Ich habe ja gar kein Geld«, antwortete ich ruhig. »Um Geld verspielen zu können, muß man doch welches besitzen.« »Geld sollen Sie sofort erhalten«, erwiderte der General, wühlte in seinem Schreibtisch umher, nahm ein kleines Buch heraus und sah darin nach; es ergab sich, daß er mir ungefähr hundertzwanzig Rubel schuldig war.</sentence>
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<sentence num="22">»Wie wollen wir also unsere Rechnung erledigen?« sagte er; »wir müssen es in Taler umrechnen.</sentence>
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<sentence num="23">Nehmen Sie da zunächst hundert Taler; das ist eine runde Summe; das übrige bleibt Ihnen natürlich sicher.« Ich nahm das Geld schweigend hin.</sentence>
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<sentence num="24">»Sie müssen sich durch meine Worte nicht gekränkt fühlen; Sie sind so empfindlich… Ich wollte Sie durch meine Bemerkung nur sozusagen warnen, und das zu tun habe ich doch natürlich ein gewisses Recht… « Als ich vor dem Mittagessen mit den Kindern nach Hause zurückkehrte, fand ich eine ganze Kavalkade vor.</sentence>
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<sentence num="25">Die Unsrigen machten einen Ausflug, um eine Ruine zu besuchen.</sentence>
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<sentence num="26">Eine schöne Equipage, mit prächtigen Pferden bespannt, hielt vor dem Hotel; darin saßen Mademoiselle Blanche, Marja Filippowna und Polina; der kleine Franzose, der Engländer und unser General waren zu Pferde.</sentence>
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<sentence num="27">Die Passanten blieben stehen und schauten; der Effekt war großartig, kam aber dem General verhältnismäßig teuer zu stehen. Ich rechnete mir aus: wenn man die viertausend Franc, die ich mitgebracht hatte, und das Geld, das sie inzwischen augenscheinlich erlangt hatten, zusammennahm, so mochten sie jetzt sieben- oder achttausend Franc haben.</sentence>
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<sentence num="28">Das war für Mademoiselle Blanche eine gar zu geringe Summe.</sentence>
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<sentence num="29">Mademoiselle Blanche wohnt gleichfalls in unserem Hotel, und zwar mit ihrer Mutter; desgleichen auch unser kleiner Franzose.</sentence>
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<sentence num="30">Die Hoteldienerschaft nennt ihn »Monsieur le comte«, und Mademoiselle Blanches Mutter wird »Madame la comtesse« betitelt; nun, vielleicht sind sie auch wirklich ein Graf und eine Gräfin. Ich wußte vorher, daß Monsieur le comte mich nicht erkennen werde, als wir uns nach dem Mittagessen zusammenfanden.</sentence>
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<sentence num="31">Dem General kam es natürlich nicht in den Sinn, uns miteinander bekannt zu machen oder auch nur mich ihm vorzustellen; Monsieur le comte aber hat sich selbst in Rußland aufgehalten und weiß, was für eine unbedeutende Person ein Hauslehrer in Rußland ist.</sentence>
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<sentence num="32">Er kennt mich übrigens recht gut. Aber, die Wahrheit zu gestehen, ich erschien beim Mittagessen, ohne überhaupt dazu aufgefordert zu sein; der General hatte wohl vergessen, eine Anordnung darüber zu treffen; sonst hätte er mich wahrscheinlich geheißen, an der Table d'hôte zu essen.</sentence>
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<sentence num="33">Ich stellte mich von selbst ein, so daß der General mir einen unzufriedenen Blick zuwarf.</sentence>
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<sentence num="34">Die gute Marja Filippowna wies mir sogleich einen Platz an; aber mein früheres Zusammentreffen mit Mister Astley half mir aus der Verlegenheit, und so wurde ich, wie wenn das selbstverständlich wäre, als berechtigtes Mitglied dieser Gesellschaft angesehen.</sentence>
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<sentence num="35">Mit diesem sonderbaren Engländer war ich zum erstenmal in Preußen zusammengetroffen, im Eisenbahnwagen, wo wir uns gegenübersaßen, als ich in Eile den Unsrigen nachreiste.</sentence>
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<sentence num="36">Dann war ich jetzt auf ihn gestoßen, als ich nach Frankreich hineinfuhr, und endlich in der Schweiz, also während dieser zwei Wochen zweimal.</sentence>
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<sentence num="37">Und nun kam ich mit ihm plötzlich hier in Roulettenburg zusammen.</sentence>
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<sentence num="38">Nie in meinem Leben habe ich einen Menschen gefunden, der schüchterner gewesen wäre; seine Schüchternheit streift schon an Dummheit, und er selbst weiß das natürlich, da er ganz und gar nicht dumm ist.</sentence>
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<sentence num="39">Im übrigen ist er ein sehr lieber, stiller Mensch. Gleich bei der ersten Begegnung in Preußen faßte er ein solches Zutrauen zu mir, daß er ganz gesprächig wurde.</sentence>
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<sentence num="40">Er teilte mir mit, er sei in diesem Sommer am Nordkap gewesen und habe große Lust, sich die Messe in Nischni-Nowgorod anzusehen.</sentence>
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<sentence num="41">Ich weiß nicht, wie er mit dem General bekannt wurde; mir scheint, daß er bis über die Ohren in Polina verliebt ist.</sentence>
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<sentence num="42">Als sie eintrat, wurde sein Gesicht rot wie der Himmel beim Aufgang der Sonne.</sentence>
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<sentence num="43">Er freute sich sehr darüber, daß ich bei Tisch neben ihm saß, und scheint mich schon als seinen Busenfreund zu betrachten.</sentence>
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<sentence num="44">Bei Tisch spielte sich der kleine Franzose stark auf und benahm sich gegen alle geringschätzig und hochmütig.</sentence>
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<sentence num="45">Und dabei weiß ich noch recht gut, wie knabenhaft er in Moskau zu reden pflegte.</sentence>
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<sentence num="46">Er sprach jetzt furchtbar viel über Finanzwesen und über die russische Politik.</sentence>
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<sentence num="47">Der General raffte sich mitunter dazu auf, ihm zu widersprechen, aber nur in bescheidener Weise und lediglich in der Absicht, auf seine Würde nicht völlig Verzicht zu leisten.</sentence>
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<sentence num="48">Ich befand mich in einer eigentümlichen Stimmung. Selbstverständlich legte ich mir, schon ehe noch die Mahlzeit halb zu Ende war, meine gewöhnliche, stete Frage vor: »Warum gebe ich mich mit diesem General ab und bin nicht schon längst von all diesen Menschen weggegangen?« Mitunter blickte ich zu Polina Alexandrowna hin; sie schenkte mir gar keine Beachtung.</sentence>
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<sentence num="49">Schließlich wurde ich ärgerlich und bekam Lust, grob zu werden.</sentence>
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<sentence num="50">Ich machte den Anfang damit, daß ich mich auf einmal ohne jede Veranlassung laut und ungefragt in ein fremdes Gespräch einmischte.</sentence>
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<sentence num="51">Namentlich hatte ich den Wunsch, mich mit dem kleinen Franzosen zu zanken.</sentence>
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<sentence num="52">Ich wandte mich an den General und bemerkte, indem ich ihn unterbrach, auf einmal sehr laut und in sehr bestimmtem Ton, es sei in diesem Sommer für Russen so gut wie unmöglich, in den Hotels an der Table d'hôte zu speisen.</sentence>
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<sentence num="53">Der General warf mir einen verwunderten Blick zu. »Wenn man einige Selbstachtung besitzt«, fuhr ich fort, »so gerät man unfehlbar in Streit und setzt sich argen Beleidigungen aus.</sentence>
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<sentence num="54">In Paris und am Rhein, sogar in der Schweiz sitzen an der Table d'hôte so viel Polen und so viel Franzosen, die mit ihnen sympathisieren, daß es unmöglich ist, ein Wort zu reden, wenn man bloß Russe ist.« Ich hatte das auf französisch gesagt.</sentence>
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<sentence num="55">Der General sah mich ganz verblüfft an und wußte nicht, sollte er sich darüber ärgern oder sich nur darüber wundern, daß ich mich so vergessen hatte.</sentence>
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<sentence num="56">»Es hat Ihnen gewiß irgendwo jemand eine Lektion erteilt«, sagte der kleine Franzose in nachlässigem, geringschätzigem Ton.</sentence>
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<sentence num="57">»In Paris stritt ich mich einmal zuerst mit einem Polen herum«, antwortete ich, »und dann mit einem französischen Offizier, der die Partei des Polen nahm.</sentence>
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<sentence num="58">Darauf aber ging ein Teil der Franzosen auf meine Seite über, als ich ihnen erzählte, daß ich einmal einem Monsignore hätte in den Kaffee spucken wollen.« »Spucken?« fragte der General mit würdevollem Erstaunen und blickte rings um sich.</sentence>
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<sentence num="59">Der kleine Franzose sah mich ungläubig an.</sentence>
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<sentence num="60">»Allerdings«, erwiderte ich. »Da ich ganze zwei Tage lang glaubte, daß ich in unserer geschäftlichen Angelegenheit möglicherweise würde für ein Weilchen nach Rom reisen müssen, so ging ich in die Kanzlei der Gesandtschaft des Heiligen Vaters in Paris, um meinen Paß visieren zu lassen.</sentence>
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<sentence num="61">Dort fand ich so einen kleinen Abbé, etwa fünfzig Jahre alt, ein dürres Männchen mit kalter Miene; der hörte mich zwar höflich, aber sehr gleichgültig an und ersuchte mich zu warten.</sentence>
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<sentence num="62">Obwohl ich es eilig hatte, setzte ich mich natürlich doch hin, um zu warten, zog die Opinion nationale aus der Tasche und begann eine furchtbare Schimpferei auf Rußland zu lesen.</sentence>
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<sentence num="63">Währenddessen hörte ich, wie jemand durch das anstoßende Zimmer zu dem Monsignore ging, und sah, wie mein Abbé ihn durch eine Verbeugung grüßte.</sentence>
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<sentence num="64">Ich wandte mich noch einmal an ihn mit meiner früheren Bitte; aber in noch trocknerem Ton ersuchte er mich wieder zu warten. Bald darauf trat noch jemand ein, kein Bekannter, sondern einer, der ein geschäftliches Anliegen hatte, ein Österreicher; er wurde angehört und sogleich nach oben geleitet. Da wurde ich nun aber sehr ärgerlich; ich stand auf, trat an den Abbé heran und sagte zu ihm in entschiedenem Ton, da der Monsignore empfange, so könne er auch mich abfertigen.</sentence>
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<sentence num="65">Mit einer Miene des äußersten Erstaunens wankte der Abbé vor mir zurück.</sentence>
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<sentence num="66">Es war ihm geradezu unfaßbar, wie so ein wertloser Russe es wagen könne, sich mit den andern Besuchern des Monsignore auf eine Stufe zu stellen.</sentence>
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<sentence num="67">Im unverschämtesten Ton, wie wenn er sich darüber freute, mich beleidigen zu können, rief er, indem er mich vom Kopf bis zu den Füßen mit seinen Blicken maß: ›Meinen Sie wirklich, daß Monsignore um Ihretwillen seinen Kaffee stehenlassen wird?‹ Nun fing ich gleichfalls an zu schreien, aber noch stärker als er: ›Spucken werde ich Ihrem Monsignore in seinen Kaffee; das mögen Sie nur wissen!</sentence>
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<sentence num="68">Wenn Sie meinen Paß nicht augenblicklich fertigmachen, so gehe ich zu ihm selbst hin.‹ ›Wie?</sentence>
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<sentence num="69">Während der Kardinal bei ihm ist?‹ rief der kleine Abbé, indem er erschrocken von mir wegtrat, zur Tür eilte, die Arme kreuzweis übereinanderlegte und dadurch zu verstehen gab, daß er eher sterben als mich durchlassen wolle.</sentence>
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<sentence num="70">Da antwortete ich ihm, ich sei ein Ketzer und ein Barbar, que je suis hérétique et barbare, und all diese Erzbischöfe, Kardinäle, Monsignori usw. seien mir absolut gleichgültig.</sentence>
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<sentence num="71">Kurz, ich machte Miene, meinen Willen durchzusetzen. Der Abbé blickte mich mit grenzenlosem Ingrimm an; dann riß er mir meinen Paß aus der Hand und ging mit ihm nach oben. Eine Minute darauf war er schon visiert.</sentence>
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<sentence num="72">»Da ist er; wollen Sie ihn sich ansehen?« Ich zog den Paß heraus und zeigte das römische Visum. »Aber da haben Sie denn doch… «, begann der General.</sentence>
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<sentence num="73">»Das hat Sie gerettet, daß Sie sich als einen Barbaren und Ketzer bezeichneten«, bemerkte der kleine Franzose lachend.</sentence>
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<sentence num="74">»Cela n'était pas si bête.« »Sollen wir Russen uns so behandeln lassen?</sentence>
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<sentence num="75">Aber unsere Landsleute sitzen hier, wagen nicht, sich zu mucken, und verleugnen wohl gar ihre russische Nationalität.</sentence>
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<sentence num="76">Aber wenigstens in Paris, in meinem Hotel, gingen die Leute mit mir weit respektvoller um, nachdem ich allen mein Renkontre mit dem Abbé erzählt hatte.</sentence>
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<sentence num="77">Ein dicker polnischer Pan, der an der Table d'hôte am feindseligsten gegen mich aufgetreten war, sah sich völlig in den Hintergrund gedrängt.</sentence>
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<sentence num="78">Die Franzosen nahmen es sogar geduldig hin, als ich erzählte, daß ich vor zwei Jahren einen Menschen gesehen hätte, auf den im Jahre 1812 ein französischer Chasseur geschossen habe, einzig und allein, um sein Gewehr zu entladen.</sentence>
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</chapter>
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<chapter num="2" name="Zweites Kapitel">
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<sentence num="1"> Ich muß gestehen: dieser Auftrag war mir nicht angenehm.</sentence>
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<sentence num="2">Ich hatte mir zwar vorgenommen gehabt, mich gleichfalls am Spiel zu beteiligen, dabei aber in keiner Weise angenommen, daß ich damit anfangen würde, es für andere zu tun.</sentence>
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<sentence num="3">Das stieß mir gewissermaßen meine Pläne über den Haufen, und so betrat ich denn die Spielsäle in einer recht verdrießlichen Stimmung.</sentence>
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<sentence num="4">Unausstehlich ist mir die Lakaienhaftigkeit in den Feuilletons der Zeitungen der ganzen Welt und namentlich unserer russischen Zeitungen, wo fast in jedem Frühjahr unsere Feuilletonisten von zwei Dingen erzählen: erstens von der prachtvollen, luxuriösen Einrichtung der Spielsäle in den Roulettstädten am Rhein, und zweitens von den Haufen Goldes, die angeblich auf den Tischen liegen.</sentence>
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<sentence num="5">Bezahlt werden ja die Schriftsteller dafür nicht; sie erzählen das aus eigenem Antrieb, aus uneigennütziger Dienstfertigkeit.</sentence>
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<sentence num="6">Von Pracht ist in diesen dürftigen Sälen nicht die Rede, und Gold bekommt man überhaupt kaum zu sehen, geschweige denn, daß es in Haufen auf den Tischen läge.</sentence>
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<sentence num="7">Allerdings, manchmal erscheint im Laufe der Saison plötzlich irgendeine wunderliche Persönlichkeit, ein Engländer oder ein Asiat oder wie in diesem Sommer ein Türke, und verliert oder gewinnt auf einmal eine sehr große Summe; aber alle übrigen spielen um ein paar lumpige Gulden, und im großen und ganzen liegt auf den Tischen immer nur sehr wenig Geld.</sentence>
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<sentence num="8">Als ich in den Spielsaal trat (es war das erstemal in meinem Leben), konnte ich mich eine Zeitlang nicht dazu entschließen mitzuspielen.</sentence>
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<sentence num="9">Ich fühlte mich durch das dichte Gedränge abgestoßen.</sentence>
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<sentence num="10">Aber auch wenn ich allein dagewesen wäre, auch dann wäre ich wohl am liebsten bald wieder weggegangen und hätte nicht angefangen zu spielen.</sentence>
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<sentence num="11">Ich bekenne: das Herz klopfte mir stark, und ich war nicht kaltblütig; ich glaubte zuverlässig und sagte mir das schon lange mit aller Bestimmtheit, daß es mir nicht beschieden sein werde, aus Roulettenburg so ohne weiteres wieder fortzukommen, daß sich da mit Sicherheit etwas zutragen werde, was für mein Lebensschicksal von tiefgehender, entscheidender Bedeutung sei.</sentence>
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<sentence num="12">Das sei ein Ding der Notwendigkeit und werde so geschehen. Mag es auch lächerlich sein, daß ich vom Roulett soviel für mich erwarte, für noch lächerlicher halte ich die landläufige, beliebte Meinung, daß es töricht und sinnlos sei, vom Spiel überhaupt etwas zu erwarten.</sentence>
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<sentence num="13">Und warum soll denn das Spiel schlechter sein als irgendein anderes Mittel des Gelderwerbs, zum Beispiel schlechter als der Handel?</sentence>
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<sentence num="14">Das ist ja richtig, daß von hundert nur einer gewinnt.</sentence>
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<sentence num="15">Aber was geht mich das an?</sentence>
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<sentence num="16">Jedenfalls beschloß ich, zunächst nur zuzusehen und an diesem Abend nichts Ernstliches zu unternehmen.</sentence>
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<sentence num="17">Wenn an diesem Abend überhaupt etwas geschah, so sollte es nur zu- fällig und nebenbei geschehen; das war meine Absicht.</sentence>
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<sentence num="18">Überdies mußte ich doch auch das Spiel selbst erst lernen; denn trotz tausend Beschreibungen des Rouletts, die ich stets mit großer Gier gelesen hatte, verstand ich, ehe ich nicht seine Einrichtung selbst gesehen hatte, schlechterdings nichts davon.</sentence>
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<sentence num="19">Von vornherein erschien mir alles überaus schmutzig, ich meine im übertragenen Sinne garstig und schmutzig.</sentence>
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<sentence num="20">Ich rede nicht von jenen gierigen, unruhigen Gesichtern, die zu Dutzenden, ja zu Hunderten die Spieltische umgeben.</sentence>
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<sentence num="21">Ich sehe absolut nichts Schmutziges in dem Wunsch, möglichst schnell und möglichst viel Geld zu gewinnen; als sehr dumm ist mir immer der Gedanke eines behäbigen, wohlsituierten Moralphilosophen erschienen, der auf jemandes Entschuldigung: »Es wird ja nur niedrig gespielt«, antwortete: »Um so schlimmer, da dann der Eigennutz kleinlich ist.« Als ob kleinlicher Eigennutz und großartiger Eigennutz nicht auf dasselbe hinauskämen!</sentence>
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<sentence num="22">Das sind nur relative Begriffe.</sentence>
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<sentence num="23">Was für Rothschild eine Kleinigkeit ist, das ist für mich eine große Summe; aber was Gewinn und Profit anlangt, so geht das Streben der Menschen nicht etwa nur beim Roulett, sondern auf allen Gebieten nur darauf, einander etwas wegzunehmen oder abzugewinnen.</sentence>
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<sentence num="24">Ob Profitmachen und Gewinnen überhaupt etwas Garstiges ist, das ist eine andere Frage, auf deren Beantwortung ich mich jetzt nicht einlasse.</sentence>
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<sentence num="25">Da ich selbst im höchsten Grade von dem Wunsch, zu gewinnen, erfüllt war, so hatte all dieser Eigennutz und, wenn man es so ansehen will, all dieser Schmutz des Eigennutzes beim Eintritt in den Saal für mich sozusagen etwas Vertrautes und Verwandtes.</sentence>
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<sentence num="26">Das beste ist, wenn einer dem andern gegenüber keine gewundenen Redensarten macht, sondern offen und ehrlich verfährt; und nun gar sich selbst zu betrügen, was hat das für einen Zweck?</sentence>
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<sentence num="27">Eine ganz wertlose, unökonomische Tätigkeit!</sentence>
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<sentence num="28">Besonders häßlich erschien mir auf den ersten Blick bei dem unfeinen Teil der Roulettspieler die Wichtigkeit, die sie ihrer Tätigkeit beilegten, das ernste, sogar respektvolle Wesen, mit dem sie alle die Tische umringten.</sentence>
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<sentence num="29">Darum wird hier scharf unterschieden zwischen derjenigen Art zu spielen, die als »mauvais genre« bezeichnet wird, und derjenigen, die einem anständigen Menschen gestattet ist.</sentence>
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<sentence num="30">Es gibt eben zwei Arten zu spielen: eine gentlemanhafte und eine plebejische, selbstische, das ist die der unfeinen Menge, des Pöbels.</sentence>
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<sentence num="31">Hier wird dazwischen ein strenger Unterschied gemacht; und doch, wie wertlos ist in Wirklichkeit dieser Unterschied!</sentence>
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<sentence num="32">Ein Gentleman wird zum Beispiel fünf oder zehn Louisdor, selten mehr, setzen oder auch, wenn er sehr reich ist, tausend Franc; aber er darf das lediglich um des Spieles willen tun, nur zum Zeitvertreib, eigentlich nur um den Vorgang des Gewinnens oder Verlierens zu verfolgen; für den Gewinn selbst darf er durchaus kein Interesse zeigen.</sentence>
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<sentence num="33">Hat er gewonnen, so darf er zum Beispiel laut lachen, zu einem der Umstehenden eine Bemerkung machen; er darf sogar noch einmal setzen und dabei verdoppeln, aber einzig und allein aus Wißbegierde, um die Chancen zu beobachten und Berechnungen anzustellen, aber nicht in dem plebejischen Wunsch zu gewinnen.</sentence>
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<sentence num="34">Kurz, all diese Spieltische, Rouletts und Trente-et-quarante-Spiele darf er nur als einen Zeitvertreib betrachten, der lediglich zu seinem Amüsement eingerichtet ist.</sentence>
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<sentence num="35">Von der Gewinnsucht und den Fallstricken, die die Grundlage und Einrichtung der Spielbank bilden, darf er nicht einmal eine Ahnung haben.</sentence>
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<sentence num="36">Sehr gut wäre es sogar, wenn es ihm schiene, daß auch alle übrigen Spieler, dieser Pöbel, der um einen Gulden bangt und zittert, daß auch sie ebensolche reichen Leute und Gentlemen seien wie er selbst und nur zur Zerstreuung und zum Zeitvertreib spielten.</sentence>
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<sentence num="37">Eine solche völlige Unkenntnis der Wirklichkeit und harmlose Meinung von den Menschen wäre gewiß sehr aristokratisch.</sentence>
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<sentence num="38">Ich sah, daß viele Mütter ihre unschuldigen, hübschen, fünfzehn- oder sechzehnjährigen Töchter zum Spieltisch vorwärtsschoben, ihnen einige Goldstücke gaben und sie über das Spiel belehrten.</sentence>
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<sentence num="39">Die jungen Damen gewannen oder verloren, lächelten aber in jedem Falle und traten sehr zufrieden wieder zurück.</sentence>
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<sentence num="40">Unser General kam in gemessenem Schritt und würdevoller Haltung zum Spieltisch; ein Diener eilte herbei, um ihm einen Stuhl zu reichen; aber er bemerkte den Diener gar nicht.</sentence>
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<sentence num="41">Sehr langsam zog er seine Börse heraus, sehr langsam entnahm er ihr dreihundert Franc in Gold, setzte sie auf Schwarz und gewann.</sentence>
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<sentence num="42">Er nahm den Gewinn nicht, sondern ließ ihn auf dem Tisch.</sentence>
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<sentence num="43">Wieder kam Schwarz; auch diesmal nahm er nichts an sich, und als nun beim drittenmal Rot kam, verlor er mit einem Schlag zwölfhundert Franc.</sentence>
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<sentence num="44">Er ging lächelnd weg und fiel nicht aus der Rolle. Ich bin überzeugt, daß sein Herz sich krampfhaft zusammenzog, und daß, wäre der Einsatz zwei- oder dreimal so groß gewesen, er seiner Rolle nicht treu geblieben wäre, sondern seine Erregung verraten hätte.</sentence>
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<sentence num="45">Übrigens gewann in meiner Gegenwart ein Franzose bis zu dreißigtausend Franc und verlor dann diese Summe wieder, beides mit heiterer Miene und ohne jede sichtbare Erregung.</sentence>
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<sentence num="46">Ein wirklicher Gentleman darf, selbst wenn er sein ganzes Vermögen im Spiel verlöre, sich nicht darüber aufregen. Das Geld muß so tief unter der Würde eines Gentleman stehen, daß es kaum wert erscheint, daß man sich darum kümmere.</sentence>
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<sentence num="47">Gewiß, es würde sehr aristokratisch sein, die ganze moralische Unsauberkeit des gesamten Pöbels und der gesamten Umgebung überhaupt nicht zu bemerken.</sentence>
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<sentence num="48">Manchmal indessen ist das entgegengesetzte Verfahren nicht minder aristokratisch, nämlich dieses ganze Pack zu bemerken, das heißt, es zu betrachten, es etwa durch die Lorgnette in Augenschein zu nehmen, aber nur in der Weise, daß man diesen ganzen Schwarm und diesen ganzen Schmutz als eine Art von Zerstreuung auffaßt, gleichsam als eine zur Unterhaltung der Gentlemen arrangierte Vorstellung.</sentence>
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<sentence num="49">Man kann sich selbst in dieser Menge mit herumdrängen, muß dabei aber mit der festen Überzeugung um sich blicken, daß man eigentlich nur ein Beobachter ist und in keiner Weise zu dieser Gattung gehört.</sentence>
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<sentence num="50">Übrigens würde es auch wieder ungehörig sein, wenn man all dies sehr aufmerksam betrachten wollte; das wäre wieder nicht gentlemanhaft, weil dieses Schauspiel jedenfalls eine längere und besonders aufmerksame Betrachtung nicht verdient. Überhaupt gibt es wenige Schauspiele, die einer besonders aufmerksamen Betrachtung von seiten eines Gentleman würdig wären.</sentence>
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<sentence num="51">Persönlich war ich trotzdem der Meinung, daß all dies recht wohl einer sehr aufmerksamen Betrachtung wert sei, namentlich für denjenigen, der nicht allein um der Betrachtung willen gekommen ist, sondern sich selbst offen und ehrlich zu diesem ganzen Pack zählt.</sentence>
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<sentence num="52">Was aber meine innersten moralischen Überzeugungen anlangt, so ist für die natürlich in meinen jetzigen Überlegungen kein Platz vorhanden. Mag es meinetwegen so sein; ich rede, um mein Gewissen zu erleichtern.</sentence>
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</chapter>
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<chapter num="3" name="Drittes Kapitel">
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<sentence num="1"> Gestern aber sprach sie den ganzen Tag über mit mir nicht ein einziges Wort vom Spiel.</sentence>
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<sentence num="2">Und überhaupt vermied sie es gestern, mit mir zu reden.</sentence>
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<sentence num="3">Ihr früheres Benehmen gegen mich hatte keine Veränderung erfahren.</sentence>
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<sentence num="4">Dieselbe völlige Gleichgültigkeit im Verkehr und bei Begegnungen und sogar eine gewisse Geringschätzung und eine Art von Haß.</sentence>
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<sentence num="5">Überhaupt gibt sie sich keine Mühe, ihre Abneigung gegen mich zu verbergen; das sehe ich deutlich. Trotzdem verbirgt sie mir andrerseits auch nicht, daß sie mich zu irgendwelchem Zweck nötig hat und mich dazu aufspart.</sentence>
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<sentence num="6">Es hat sich zwischen uns ein sonderbares Verhältnis herausgebildet, das mir in vieler Hinsicht unverständlich ist, wenn ich ihren Stolz und Hochmut allen gegenüber in Betracht ziehe.</sentence>
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<sentence num="7">Sie weiß zum Beispiel, daß ich sie bis zur Raserei liebe, gestattet mir sogar, von meiner Leidenschaft zu sprechen, und sicherlich könnte sie mir ihre Geringschätzung durch nichts deutlicher ausdrücken, als eben durch diese Erlaubnis, frei und unbehindert zu ihr von meiner Liebe zu reden. Sie sagt damit gewissermaßen zu mir: »Ich schätze deine Gefühle so gering, daß es mir völlig gleichgültig ist, worüber du mit mir redest, und was du für mich empfindest.« Von ihren eigenen Angelegenheiten hat sie auch früher viel mit mir gesprochen, ist aber nie ganz offenherzig gewesen.</sentence>
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<sentence num="8">Und nicht genug damit, in ihrer Geringschätzung gegen mich liegen auch noch gewisse Feinheiten: weiß sie zum Beispiel, daß mir irgendein Umstand ihres Lebens oder etwas von ihren Gemütsbewegungen bekannt ist, so erzählt sie mir unaufgefordert etwas von sich, wenn sie meiner irgendwie für ihre Zwecke zu Sklaven- oder Laufburschendiensten bedarf; aber sie erzählt mir immer nur gerade so viel, als jemand zu wissen nötig hat, der zu solchen Diensten benutzt wird, so daß mir der ganze Zusammenhang der Dinge noch unbekannt bleibt.</sentence>
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<sentence num="9">Aber obgleich sie dann selbst sieht, welche Pein und Aufregung ich meinerseits über ihre Pein und Aufregung empfinde, so läßt sie sich doch nie dazu herab, mich durch freundschaftliche Offenherzigkeit zu beruhigen.</sentence>
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<sentence num="10">Und doch wäre sie meiner Ansicht nach dazu verpflichtet, offenherzig gegen mich zu sein, da sie mich nicht selten zu recht mühevollen, ja gefährlichen Aufträgen benutzt.</sentence>
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<sentence num="11">Ist es denn der Mühe wert, sich um meine Gefühle zu kümmern, sich darum zu kümmern, daß ich mich gleichfalls aufrege und mich vielleicht über ihre Sorgen und Nöte dreimal so sehr ängstige und quäle als sie selbst?</sentence>
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<sentence num="12">Ich wußte schon seit ungefähr drei Wochen von ihrer Absicht, am Roulett zu spielen.</sentence>
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<sentence num="13">Sie hatte mir sogar angekündigt, ich müsse mit ihr zusammen spielen, weil es für sie selbst nicht schicklich sei zu spielen.</sentence>
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<sentence num="14">An dem Ton, in dem sie sprach, hatte ich schon damals gemerkt, daß sie irgendeine ernste Sorge hatte und nicht etwa nur so einfach den Wunsch hegte, Geld zu gewinnen.</sentence>
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<sentence num="15">Was liegt ihr denn an dem Geld an und für sich! Da muß eine bestimmte Absicht dahinterstecken, irgendwelche Umstände, die ich vielleicht erraten kann, bis jetzt aber nicht kenne.</sentence>
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<sentence num="16">Natürlich könnte der Zustand der Erniedrigung und Sklaverei, in dem sie mich hält, mir die Möglichkeit geben (und er gibt sie mir wirklich sehr oft), sie dreist und geradezu selbst zu fragen.</sentence>
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<sentence num="17">Da ich für sie ein Sklave bin und in ihren Augen nicht die geringste Bedeutung habe, so hat sie keinen Anlaß, sich durch meine dreiste Neugier beleidigt zu fühlen.</sentence>
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<sentence num="18">Aber die Sache ist die, daß sie mir zwar erlaubt, Fragen zu stellen, sie aber nicht beantwortet.</sentence>
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<sentence num="19">Manchmal beachtet sie sie überhaupt nicht. So stehen wir zueinander.</sentence>
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<sentence num="20">Gestern wurde bei uns viel von einem Telegramm gesprochen, das schon vor vier Tagen nach Petersburg abgeschickt, auf das aber noch keine Antwort eingegangen war. Der General ist sichtlich aufgeregt und mit seinen Gedanken beschäftigt.</sentence>
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<sentence num="21">Es handelt sich natürlich um die alte Tante. Auch der Franzose ist in Aufregung.</sentence>
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<sentence num="22">So sprachen sie gestern nach dem Mittagessen lange und ernst miteinander.</sentence>
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<sentence num="23">Der Ton des Franzosen ist uns allen gegenüber sehr hochmütig und geringschätzig.</sentence>
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<sentence num="24">Es geht hier genau nach dem Sprichwort: »Wenn man ihn an den Tisch nimmt, so legt er gleich die Füße darauf.« Sogar gegen Polina benimmt er sich geringschätzig bis zur Ungezogenheit; jedoch nimmt er mit Vergnügen an den gemeinsamen Spaziergängen im Kurpark und an den Ausflügen zu Pferde und zu Wagen in die Umgegend teil.</sentence>
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<sentence num="25">Mir ist schon längst etwas von den Beziehungen bekannt, die zwischen dem Franzosen und dem General bestehen: in Rußland wollten sie zusammen eine Fabrik errichten; ich weiß nicht, ob das Projekt aufgegeben ist, oder ob sie noch immer davon sprechen.</sentence>
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<sentence num="26">Außerdem ist mir zufällig ein Teil eines Familiengeheimnisses bekanntgeworden: der Franzose hat im vorigen Jahr dem General wirklich aus einer bösen Klemme geholfen, indem er ihm dreißigtausend Rubel gab zur Deckung eines Defizits bei den Staatsgeldern, das sich herausstellte, als der General sein Amt abgab.</sentence>
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<sentence num="27">Und nun hat er natürlich den General im Schraubstock; jetzt aber, gerade jetzt spielt in allen diesen Dingen doch Mademoiselle Blanche die Hauptrolle, und ich bin überzeugt, daß ich auch hierin mich nicht irre.</sentence>
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<sentence num="28">Was ist diese Mademoiselle Blanche für eine Person? Hier bei uns wird gesagt, sie sei eine vornehme Französin, die mit ihrer Mutter zusammen lebe und ein kolossales Vermögen besitze.</sentence>
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<sentence num="29">Es ist auch bekannt, daß sie eine Verwandte unseres Marquis ist, aber eine sehr entfernte Verwandte, eine weitläufige Cousine.</sentence>
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<sentence num="30">Man sagt, vor meiner Abreise nach Paris hätten der Franzose und Mademoiselle Blanche sich gegeneinander weit förmlicher benommen und ihr Verkehr hätte sich in viel feinerer, gewählterer Form vollzogen; jetzt sähen ihre Bekanntschaft, Freundschaft und Verwandtschaft ungenierter und intimer aus.</sentence>
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<sentence num="31">Vielleicht erscheint ihnen unsere Lage schon als dermaßen schlecht, daß sie es nicht für nötig erachten, vor uns erst noch viele Umstände zu machen und sich zu verstellen. Ich bemerkte schon vorgestern, daß Mister Astley Mademoiselle Blanche und ihre Mutter aufmerksam betrachtete.</sentence>
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<sentence num="32">Es machte mir den Eindruck, als kenne er sie beide schon.</sentence>
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<sentence num="33">Es schien mir auch, daß unser Franzose bereits früher mit Mister Astley zusammengetroffen sei.</sentence>
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<sentence num="34">Indes ist Mister Astley so schüchtern, schwach und schweigsam, daß man sicher sein kann, er wird keine Indiskretion begehen.</sentence>
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<sentence num="35">Wenigstens grüßt ihn der Franzose kaum und sieht ihn beinah nicht an, wonach anzunehmen ist, daß er sich nicht vor ihm fürchtet.</sentence>
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<sentence num="36">Das kann man noch verstehen; aber warum sieht Mademoiselle Blanche ihn gleichfalls nicht an?</sentence>
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<sentence num="37">Sie tat es nicht einmal, als der Marquis sich gestern verplapperte: bei einem Gespräch, an dem sich alle beteiligten, sagte er auf einmal, ich weiß nicht mehr aus welchem Anlaß, Mister Astley sei kolossal reich, das wisse er; da jedenfalls hätte doch Mademoiselle Blanche Mister Astley ansehen müssen!</sentence>
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</chapter>
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<chapter num="4" name="Viertes Kapitel">
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<sentence num="1"> Heute war ein komischer, sinnloser, verrückter Tag.</sentence>
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<sentence num="2">Jetzt ist es elf Uhr nachts.</sentence>
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<sentence num="3">Ich sitze in meinem Zimmerchen und überdenke das Geschehene.</sentence>
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<sentence num="4">Es fing damit an, daß ich mich am Morgen genötigt sah, zum Roulett zu gehen, um für Polina Alexandrowna zu spielen.</sentence>
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<sentence num="5">Ich nahm zu diesem Zwecke ihre ganzen hundertsechzig Friedrichsdor von ihr in Empfang, aber unter zwei Bedingungen: erstens, ich wolle mit ihr nicht auf Halbpart spielen, das heißt, im Falle des Gewinnens wolle ich nichts für mich nehmen, und zweitens, Polina solle mir am Abend Aufklärung darüber geben, wozu sie es eigentlich so nötig habe, Geld zu gewinnen, und wieviel Geld sie haben müsse.</sentence>
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<sentence num="6">Ich konnte mir doch gar nicht vorstellen, daß dabei das Geld ihr letzter Zweck sein sollte.</sentence>
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<sentence num="7">Offenbar war da irgendein besonderer Zweck, zudem sie das Geld nötig hatte, und zwar mit solcher Eile.</sentence>
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<sentence num="8">Sie versprach, mir die verlangte Aufklärung zu geben, und ich ging hin.</sentence>
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<sentence num="9">In den Spielsälen herrschte ein furchtbares Gedränge.</sentence>
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<sentence num="10">Wie unverschämt und gierig all diese Leute aussahen!</sentence>
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<sentence num="11">Ich drängte mich nach der Mitte hindurch und kam dicht neben einen Croupier zu stehen. Dann probierte ich das Spielen schüchtern, indem ich jedesmal zwei oder drei Goldstücke setzte.</sentence>
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<sentence num="12">Währenddessen stellte ich meine Beobachtungen an und bemerkte dies und das; es schien mir, daß die Berechnungen eigentlich herzlich wenig zu bedeuten haben und ganz und gar nicht die Wichtigkeit besitzen, die ihnen viele Spieler beimessen.</sentence>
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<sentence num="13">Sie sitzen mit liniierten Papierblättern da, notieren die einzelnen Resultate, zählen, folgern daraus Chancen, rechnen, setzen endlich und – verlieren gerade ebenso wie wir gewöhnlichen Sterblichen, die wir ohne Berechnung spielen.</sentence>
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<sentence num="14">Dafür aber abstrahierte ich mir eine Regel, die ich für richtig halte: im Laufe der zufälligen Einzelresullate ergibt sich tatsächlich wenn auch nicht ein bestimmtes System, so doch eine gewisse Ordnung – was doch gewiß sehr seltsam ist.</sentence>
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<sentence num="15">Es kommt zum Beispiel vor, daß nach den zwölf mittleren Zahlen die zwölf letzten herankommen; es trifft, sagen wir, zweimal diese letzten zwölf und geht dann auf die zwölf ersten über.</sentence>
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<sentence num="16">Nachdem die zwölf ersten daran gewesen sind, geht es wieder auf die zwölf mittleren über, trifft drei-, viermal hintereinander auf die mittleren und geht wieder auf die zwölf letzten über, von wo es, wieder nach zwei Malen, zu den ersten übergeht; es trifft wieder einmal auf die ersten und geht wieder für drei Treffer zu den mittleren über, und so setzt sich das anderthalb oder zwei Stunden lang fort.</sentence>
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<sentence num="17">Eins, drei, zwei; eins, drei, zwei.</sentence>
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<sentence num="18">Das ist sehr interessant.</sentence>
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<sentence num="19">An manchem Tag oder an manchem Morgen geht es so, daß Rot und Schwarz fast ohne jede Ordnung alle Augenblicke miteinander abwechseln, so daß nie mehr als zwei oder drei Treffer hintereinander auf Rot oder auf Schwarz fallen.</sentence>
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<sentence num="20">An einem andern Tag oder an einem andern Abend kommt oftmals hintereinander, vielleicht bis zu zweiundzwanzig Malen, nur eine der beiden Farben, und dann erst wieder die andere, und so geht das unweigerlich längere Zeit hindurch, etwa einen ganzen Tag über.</sentence>
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<sentence num="21">Vieles auf diesem Gebiet erklärte mir Mister Astley, der den ganzen Vormittag über bei den Spieltischen stand, aber selbst nicht ein einziges Mal setzte.</sentence>
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<sentence num="22">Was mich betrifft, so verlor ich alles, alles, und zwar sehr schnell.</sentence>
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<sentence num="23">Ich setzte ohne weiteres mit einemmal zwanzig Friedrichsdor auf Paar und gewann; ich setzte wieder und gewann wieder, und so noch zwei- oder dreimal.</sentence>
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<sentence num="24">Ich glaube, es hatten sich in etwa fünf Minuten gegen vierhundert Friedrichsdor in meinen Händen angesammelt.</sentence>
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<sentence num="25">Nun hätte ich weggehen sollen; aber es war in mir eine seltsame Empfindung rege geworden, der Wunsch, gewissermaßen das Schicksal herauszufordern, ein Verlangen, ihm sozusagen einen Nasenstüber zu geben und die Zunge herauszustrecken.</sentence>
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<sentence num="26">Ich setzte den höchsten erlaubten Satz von viertausend Gulden und verlor.</sentence>
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<sentence num="27">Hitzig geworden, zog ich alles heraus, was mir geblieben war, setzte es auf dieselbe Stelle und verlor wieder, worauf ich wie betäubt vom Tisch zurücktrat.</sentence>
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<sentence num="28">Ich konnte gar nicht fassen, was mir widerfahren war, und machte Polina Alexandrowna von meinem Verlust erst kurz vor dem Mittagessen Mitteilung.</sentence>
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<sentence num="29">Bis dahin war ich im Park umhergeirrt.</sentence>
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<sentence num="30">Bei Tisch befand ich mich wieder in erregter Stimmung, ebenso wie zwei Tage vorher.</sentence>
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<sentence num="31">Der Franzose und Mademoiselle Blanche speisten wieder mit uns.</sentence>
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<sentence num="32">Es kam zur Sprache, daß Mademoiselle Blanche am Vormittag in den Spielsälen gewesen war und mein kühnes Spiel mitangesehen hatte.</sentence>
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<sentence num="33">Sie erwies mir diesmal im Gespräch etwas mehr Aufmerksamkeit.</sentence>
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<sentence num="34">Der Franzose schlug ein kürzeres Verfahren ein und fragte mich geradezu, ob das mein eigenes Geld gewesen sei, das ich verloren hätte.</sentence>
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<sentence num="35">Mir scheint, er hat Polina im Verdacht.</sentence>
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<sentence num="36">Kurz, da steckt etwas dahinter.</sentence>
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<sentence num="37">Ich log ohne Zaudern und sagte, es sei das meinige gewesen.</sentence>
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<sentence num="38">Der General wunderte sich sehr, woher ich so viel Geld gehabt hätte.</sentence>
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<sentence num="39">Ich sagte zur Erklärung, ich hätte mit zehn Friedrichsdor angefangen; sechs oder sieben glückliche Treffer nacheinander, bei jedesmaliger Verdoppelung des Einsatzes, hätten mich bis auf fünf- oder sechstausend Gulden gebracht, und dann hätte ich alles auf zwei Einsätze wieder eingebüßt.</sentence>
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<sentence num="40">All dies klang ja wahrscheinlich.</sentence>
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<sentence num="41">Während ich diese Erklärung vortrug, warf ich einen Blick nach Polina, konnte aber aus ihrem Gesicht keinen besonderen Ausdruck erkennen.</sentence>
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<sentence num="42">Aber sie ließ mich doch lügen, ohne mich zu korrigieren; daraus schloß ich, daß ich in ihrem Sinne gehandelt hatte, wenn ich log und es verheimlichte, daß ich für sie gespielt hatte.</sentence>
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<sentence num="43">In jedem Fall, dachte ich bei mir, ist sie verpflichtet, mir Aufklärung zu geben; sie hat mir ja vor kurzem versprochen, mir einiges zu enthüllen.</sentence>
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<sentence num="44">Ich dachte, der General würde mir irgendeine Bemerkung machen; indes er sehwieg. Wohl aber bemerkte ich auf seinem Gesicht eine gewisse Erregung und Unruhe.</sentence>
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<sentence num="45">Vielleicht war es ihm in seinen bedrängten Verhältnissen lediglich eine schmerzliche Empfindung, zu hören, daß ein so erklecklicher Haufe Gold innerhalb einer Viertelstunde einem so unpraktischen Dummkopf wie mir zugefallen und dann wieder entglitten war.</sentence>
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<sentence num="46">Ich vermute, daß er gestern abend mit dem Franzosen ein scharfes Renkontre gehabt hat.</sentence>
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<sentence num="47">Sie sprachen hinter verschlossenen Türen lange und hitzig miteinander über irgend etwas.</sentence>
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<sentence num="48">Der Franzose ging anscheinend in gereizter Stimmung weg, kam aber heute frühmorgens wieder zum General, wahrscheinlich um das gestrige Gespräch fortzusetzen.</sentence>
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<sentence num="49">Als der Franzose von meinem Spielverlust hörte, bemerkte er, zu mir gewendet, in scharfem und geradezu boshaftem Ton, ich hätte verständiger sein sollen.</sentence>
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<sentence num="50">Ich weiß nicht, weshalb er noch hinzufügte, es spielten zwar viele Russen, nach seiner Meinung verständen die Russen aber gar nicht zu spielen.</sentence>
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<sentence num="51">»Aber nach meiner Meinung«, sagte ich, »ist das Roulett geradezu für die Russen erfunden.« Und als der Franzose über meine Antwort geringschätzig lächelte, bemerkte ich ihm, die Wahrheit sei entschieden auf meiner Seite; denn wenn ich von der Neigung der Russen zum Spiel spräche, so sei das weit mehr ein Tadel als ein Lob, und deshalb könne man es mir glauben.</sentence>
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<sentence num="52">»Worauf gründen Sie denn Ihre Meinung?« fragte der Franzose.</sentence>
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<sentence num="53">»Meine Begründung ist folgende. In den Katechismus der Tugenden und Vorzüge, der im zivilisierten westlichen Europa gilt, hat infolge der historischen Entwicklung auch die Fähigkeit, Kapitalien zu erwerben, Aufnahme gefunden, ja sie bildet darin beinahe das wichtigste Hauptstück.</sentence>
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<sentence num="54">Aber der Russe ist nicht nur unfähig, Kapitalien zu erwerben, sondern er vergeudet sie auch, wenn er sie besitzt, in ganz sinnloser und unverständiger Weise.</sentence>
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<sentence num="55">Dennoch«, fuhr ich fort, »brauchen auch wir Russen Geld, und infolgedessen greifen wir mit freudiger Gier nach solchen Mitteln wie das Roulett, wo man in der Zeit von zwei Stunden, ohne sich anzustrengen, reich werden kann.</sentence>
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<sentence num="56">Das hat für uns einen großen Reiz; und da wir nun unbedachtsam und ohne rechte Bemühung spielen, so ruinieren wir uns durch das Spiel völlig.« »Daran ist etwas Wahres«, bemerkte der Franzose selbstzufrieden.</sentence>
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<sentence num="57">»Nein, das ist nicht wahr, und Sie sollten sich schämen, so über Ihr Vaterland zu reden«, sagte der General in strengem, nachdrücklichem Ton.</sentence>
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<sentence num="58">»Aber ich bitte Sie«, antwortete ich ihm, »es ist ja noch nicht ausgemacht, was garstiger ist: das russische wüste Wesen oder die deutsche Art, durch ehrliche Arbeit Geld zusammenzu- bringen.« »Was für ein sinnloser Gedanke!« rief der General.</sentence>
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<sentence num="59">»Ein echt russischer Gedanke!« rief der Franzose.</sentence>
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<sentence num="60">Ich lachte; ich hatte die größte Lust, sie beide ein bißchen zu reizen.</sentence>
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<sentence num="61">»Ich meinerseits«, sagte ich, »möchte lieber mein ganzes Leben lang mit den Kirgisen als Nomade umherziehen und mein Zelt mit mir führen, als das deutsche Idol anbeten.« »Was für ein Idol?« fragte der General, der schon anfing, ernstlich böse zu werden.</sentence>
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<sentence num="62">»Die deutsche Art, Reichtümer zusammenzuscharren. Ich bin noch nicht lange hier; aber was ich bemerkt und beobachtet habe, erregt mein tatarisches Blut.</sentence>
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<sentence num="63">Bei Gott, solche Tugenden wünsche ich mir nicht!</sentence>
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<sentence num="64">Ich bin hier gestern zehn Werst weil umhergegangen: es ist ganz ebenso wie in den moralischen deutschen Bilderbüchern.</sentence>
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<sentence num="65">Überall, in jedem Hause, gibt es hier einen Hausvater, der furchtbar tugendhaft und außerordentlich redlich ist, schon so redlich, daß man sich fürchten muß, ihm näherzutreten.</sentence>
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<sentence num="66">Ich kann solche redlichen Leute nicht ausstehen, denen näherzutreten man sich fürchten muß. Jeder derartige Hausvater hat eine Familie, und abends lesen alle einander laut belehrende Bücher vor.</sentence>
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<sentence num="67">Über dem Häuschen rauschen Ulmen und Kastanien. Sonnenuntergang, auf dem Dach ein Storch, alles höchst rührend und poetisch… Werden Sie nur nicht böse, General; lassen Sie mich nur von solchen rührsamen Dingen reden! Ich erinnere mich aus meiner eigenen Kindheit, wie mein seliger Vater ebenfalls unter den Lindenbäumen im Vorgärtchen abends mir und meiner Mutter solche Büchelchen vorlas; ich habe daher über dergleichen selbst ein richtiges Urteil.</sentence>
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<sentence num="68">Nun also, so lebt hier jede solche Familie beim Hausvater in vollständiger Knechtschaft und Untertänigkeit.</sentence>
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<sentence num="69">Alle arbeiten wie die Ochsen, und alle scharren Geld zusammen wie die Juden.</sentence>
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<sentence num="70">Gesetzt, ein Vater hat schon eine bestimmte Menge Gulden zusammengebracht und beabsichtigt, dem ältesten Sohn sein Geschäft oder sein Stückchen Land zu übergeben; dann erhält aus diesem Grunde die Tochter keine Mitgift und muß eine alte Jungfer werden, und den jüngeren Sohn verkaufen sie als Knecht oder als Soldaten und schlagen den Erlös zum Familienkapital.</sentence>
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</chapter>
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<chapter num="5" name="Fünftes Kapitel">
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<sentence num="1"> Sie war ungewöhnlich nachdenklich; aber unmittelbar nachdem wir vom Tisch aufgestanden waren, forderte sie mich auf, sie auf einem Spaziergang zu begleiten.</sentence>
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<sentence num="2">Wir nahmen die Kinder mit und begaben uns in den Park zur Fontäne.</sentence>
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<sentence num="3">Da ich mich in besonders erregter Stimmung befand, so platzte ich dumm und plump mit der Frage heraus, warum denn unser Marquis des Grieux, der kleine Franzose, sie jetzt auf ihren Ausgängen gar nicht mehr begleite, ja ganze Tage lang nicht mir ihr spreche.</sentence>
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<sentence num="4">»Weil er ein Lump ist«, war ihre sonderbare Antwort.</sentence>
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<sentence num="5">Ich hätte noch nie von ihr eine solche Äußerung über de Grieux gehört und schwieg dazu, weil ich mich davor fürchtete, den Grund dieser Gereiztheit zu erfahren.</sentence>
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<sentence num="6">»Haben Sie wohl bemerkt«, fragte ich, »daß er sich heute mit dem General nicht in gutem Einvernehmen befand?« »Sie möchten gern wissen, was vorliegt«, erwiderte sie in trockenem, gereiztem Ton.</sentence>
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<sentence num="7">»Sie wissen, daß der General bei ihm tief in Schulden steckt; das ganze Gut ist ihm verpfändet, und wenn die alte Tante nicht stirbt, so gelangt der Franzose in kürzester Zeit in den Besitz alles dessen, was ihm verpfändet ist.« »Also ist das wirklich wahr, daß alles verpfändet ist?</sentence>
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<sentence num="8">Ich hatte so etwas gehört, wußte aber nicht, daß es sich dabei um das ganze Besitztum handelt.« »Allerdings.« »Unter diesen Umständen ist es dann wohl mit Mademoiselle Blanche nichts«, bemerkte ich.</sentence>
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<sentence num="9">»Dann wird sie nicht Generalin werden.</sentence>
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<sentence num="10">Wissen Sie, ich glaube, der General ist so verliebt, daß er sich am Ende gar erschießt, wenn Mademoiselle Blanche ihm den Laufpaß gibt.</sentence>
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<sentence num="11">In seinen Jahren ist es gefährlich, sich so zu verlieben.« »Ich fürchte selbst, daß mit ihm noch etwas passiert«, erwiderte Polina Alexandrowna nachdenklich.</sentence>
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<sentence num="12">»Und eigentlich«, rief ich, »ist es doch prachtvoll: einen handgreiflicheren Beweis dafür kann es ja gar nicht geben, daß sie nur das Geld heiraten wollte!</sentence>
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<sentence num="13">Nicht einmal der Anstand ist hier gewahrt worden; alles ist ganz ungeniert vorgegangen.</sentence>
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<sentence num="14">Erstaunlich!</sentence>
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<sentence num="15">Aber was die Tante betrifft, was kann komischer und gemeiner sein als ein Telegramm nach dem anderen abzusenden und sich zu erkundigen: ›Ist sie gestorben, ist sie gestorben?‹ Wie gelallt Ihnen das, Polina Alexandrowna?« »Das ist ja alles dummes Zeug«, unterbrach sie mich verdrossen.</sentence>
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<sentence num="16">»Ich wundere mich im Gegenteil darüber, daß Sie in so heiterer Stimmung sind.</sentence>
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<sentence num="17">Worüber freuen Sie sich denn so?</sentence>
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<sentence num="18">Etwa darüber, daß Sie mein Geld verspielt haben?« »Warum haben Sie es mir zum Verspielen gegeben?</sentence>
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<sentence num="19">Ich habe Ihnen doch gesagt, daß ich für andere nicht spielen kann, und am allerwenigsten für Sie.</sentence>
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<sentence num="20">Ich gehorche jedem Befehl, den Sie mir erteilen; aber das Resultat hängt nicht von mir ab.</sentence>
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<sentence num="21">Ich habe Sie ja gewarnt und darauf hingewiesen, daß dabei nichts Gutes herauskommen werde.</sentence>
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<sentence num="22">Sagen Sie, sind Sie sehr niedergeschlagen, weil Sie soviel Geld verloren haben?</sentence>
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<sentence num="23">Wozu brauchen Sie denn so viel?« »Wozu diese Fragen?« »Aber Sie haben mir doch selbst versprochen, mir Aufklärung zu geben… Wissen Sie was: ich bin fest überzeugt, wenn ich für mich selbst zu spielen anfange (und ich habe zwölf Friedrichsdor), so werde ich gewinnen.</sentence>
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<sentence num="24">Dann, bitte, nehmen Sie von mir an, soviel Sie brauchen!« Sie machte eine verächtliche Miene.</sentence>
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<sentence num="25">»Nehmen Sie mir diesen Vorschlag nicht übel!« fuhr ich fort.</sentence>
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<sentence num="26">»Ich bin völlig durchdrungen von dem Bewußtsein, daß ich in Ihren Augen eine Null bin; daher können Sie ruhig von mir Geld annehmen.</sentence>
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<sentence num="27">Ein Geschenk von mir kann Sie nicht beleidigen.</sentence>
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<sentence num="28">Überdies habe ich Ihnen ja Ihr Geld ver- spielt.« Sie richtete einen schnellen Blick auf mich, und da sie meinen gereizten, sarkastischen Gesichtsausdruck bemerkte, brach sie das Gespräch über diesen Punkt wieder ab.</sentence>
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<sentence num="29">»An meinen Umständen kann Sie nichts interessieren.</sentence>
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<sentence num="30">Ich habe mir Geld geliehen und möchte es gern zurückgeben.</sentence>
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<sentence num="31">Da kam ich auf den seltsamen, sinnlosen Gedanken, ich würde hier am Spieltisch sicher gewinnen.</sentence>
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<sentence num="32">Woher ich das dachte, das begreife ich selbst nicht; aber ich glaubte es fest.</sentence>
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<sentence num="33">Wer weiß, vielleicht glaubte ich es deshalb, weil mir keine andere Chance blieb.« »Oder weil bei Ihnen das Bedürfnis zu gewinnen schon zu groß war.</sentence>
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<sentence num="34">Es ist dieselbe Geschichte wie mit dem Ertrinkenden, der nach einem Strohhalm greift.</sentence>
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<sentence num="35">Sie werden zugeben: wenn er nicht nahe am Ertrinken wäre, würde er den Strohhalm nicht für einen Baumast halten.« Polina war erstaunt. »Aber sie selbst setzen doch auch Ihre Hoffnung darauf?« fragte sie.</sentence>
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<sentence num="36">Aber ich erinnere mich, Sie sprachen so ernsthaft, daß es ganz unmöglich war, es für Scherz zu halten.« »Das ist wahr«, antwortete ich nachdenklich.</sentence>
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<sentence num="37">»Ich bin bis auf diesen Augenblick völlig davon überzeugt, daß ich gewinnen werde.</sentence>
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<sentence num="38">Ich will Ihnen sogar gestehen, Sie haben mich soeben veranlaßt, mir die Frage vorzulegen: wie geht es zu, daß mein heutiger sinnloser, häßlicher Verlust in mir keinen Zweifel hat rege werden lassen?</sentence>
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<sentence num="39">Denn trotz alledem bin ich vollständig überzeugt, daß, sowie ich anfange für mich selbst zu spielen, ich unfehlbar gewinnen werde.« »Warum sind Sie denn davon so fest überzeugt?« »Die Wahrheit zu sagen – ich weiß es nicht.</sentence>
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<sentence num="40">Ich weiß nur, daß ich gewinnen muß, daß dies auch für mich die einzige Rettung ist. Vielleicht ist das für mich der Grund zu glauben, daß mir ein guter Erfolg sicher ist.« »Also ist auch bei Ihnen die Notlage sehr arg, wenn Sie eine so fanatische Überzeugung hegen?« »Ich möchte wetten, Sie zweifeln daran, daß ich für eine ernstliche Notlage ein Empfindungsvermögen habe?« »Das ist mir ganz gleich«, antwortete Polina ruhig und in gleichgültigem Ton.</sentence>
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<sentence num="41">»Wenn Sie es hören wollen: ja, ich zweifle, daß sie jemals eine ernsthafte Not gequält hat.</sentence>
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<sentence num="42">Auch Sie mögen dies und das haben, was Sie quält, aber nicht ernsthaft.</sentence>
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<sentence num="43">Sie sind ein unordentlicher, haltloser Mensch.</sentence>
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<sentence num="44">Wozu haben Sie Geld nötig?</sentence>
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<sentence num="45">Unter all den Gründen, die Sie mir damals anführten, habe ich keinen einzigen ernsthaften gefunden.« »Apropos«, unterbrach ich sie, »Sie sagten, Sie müßten eine Schuld zurückzahlen.</sentence>
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<sentence num="46">Nun gut, also eine Schuld. Wem sind Sie denn schuldig?</sentence>
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<sentence num="47">Dem Franzosen?« »Was sind das für Fragen? Sie sind heute besonders dreist. Sie sind doch wohl nicht betrunken?« »Sie wissen, daß ich mir erlaube, alles zu sagen, was mir in den Sinn kommt, und mitunter sehr offenherzig frage.</sentence>
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<sentence num="48">Ich wiederhole es Ihnen, ich bin Ihr Sklave, und vor einem Sklaven schämt man sich nicht, und ein Sklave kann einen nicht beleidigen.« »Das ist lauter dummes Zeug!</sentence>
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<sentence num="49">Ihr Gerede vom Sklaven ist mir zuwider.« »Beachten Sie, daß ich von meiner Sklaverei nicht deshalb spreche, weil ich den Wunsch hätte, Ihr Sklave zu sein; sondern ich spreche ganz einfach von einer Tatsache, die gar nicht von meinem Willen abhängt.« »Sagen Sie doch geradezu: wozu brauchen Sie Geld?« »Wozu möchten Sie das wissen?« fragte ich zurück.</sentence>
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<sentence num="50">»Wie Sie wollen«, antwortete sie mit einer stolzen Kopfbewegung.</sentence>
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<sentence num="51">»Das Gerede vom Sklaven ist Ihnen zuwider; aber die Sklaverei verlangen Sie: ›Antworten, ohne zu räsonieren!‹ Nun gut, meinetwegen!</sentence>
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<sentence num="52">Wozu ich Geld brauche, fragen Sie? Wozu? Nun, für Geld ist doch alles zu haben.« »Das weiß ich recht wohl; aber wenn jemand es sich nur so ganz im allgemeinen wünscht, so wird er nicht in solchen Wahnsinn hineingeraten!</sentence>
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<sentence num="53">Sie sind ja ebenfalls schon bis zur Raserei gekommen, bis zum Fatalismus. Da steckt etwas dahinter, irgendein besonderer Zweck.</sentence>
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<sentence num="54">Sprechen Sie ohne Ausflüchte; ich verlange das von Ihnen!« Sie schien zornig zu werden, und ich war sehr zufrieden damit, daß sie mich in so erregter Art ausfragte.</sentence>
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<sentence num="55">»Natürlich habe ich dabei einen Zweck«, sagte ich, »aber ich weiß nicht näher zu erklären, worin er besteht.</sentence>
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<sentence num="56">Ich kann weiter nichts sagen, als daß ich mit Geld auch in Ihren Augen ein anderer Mensch werde und kein Sklave mehr bleibe.« »Wie können Sie das erreichen?« »Wie ich das erreichen kann?</sentence>
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<sentence num="57">Sie können sich nicht einmal vorstellen, daß ich das erreichen kann, von Ihnen für etwas anderes als für einen Sklaven angesehen zu werden?</sentence>
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<sentence num="58">Sehen Sie, eben das kann ich nicht leiden, diese Verwunderung und Verständnislosigkeit!« »Sie sagten, diese Sklaverei sei für Sie ein Genuß.</sentence>
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<sentence num="59">Und das habe ich auch selbst geglaubt.« »Sie haben das geglaubt!« rief ich mit einem eigenartigen Wonnegefühl. »Ach, wie hübsch ist diese Naivität von Ihrer Seite!</sentence>
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<sentence num="60">Ja, ja, Ihr Sklave zu sein, das ist mir ein Genuß.</sentence>
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<sentence num="61">Es liegt wirklich ein Genuß darin, auf der untersten Stufe der Erniedrigung und Herabwürdigung zu stehen!« fuhr ich in meiner aufgeregten Rederei fort.</sentence>
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<sentence num="62">»Wer weiß, vielleicht gewährt auch die Knute einen Genuß, wenn sie auf den Rücken niedersaust und das Fleisch in Fetzen reißt… Aber möglicherweise beabsichtige ich auch andere Genüsse kennenzulernen.</sentence>
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<sentence num="63">Eben erst hat mir der General für die siebenhundert Rubel jährlich, die ich vielleicht gar nicht von ihm bekommen werde, in Ihrer Gegenwart bei Tisch Vorhaltungen gemacht.</sentence>
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<sentence num="64">Der Marquis de Grieux starrt mich mit emporgezogenen Augenbrauen an und bemerkt mich gleichzeitig nicht einmal.</sentence>
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<sentence num="65">Vielleicht hege ich meinerseits den leidenschaftlichen Wunsch, den Marquis de Grieux in Ihrer Gegenwart bei der Nase zu nehmen!« »Das sind Reden eines unreifen jungen Menschen. In jeder Lebenslage kann man sich eine würdige Stellung schaffen.</sentence>
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<sentence num="66">Wenn das einen Kampf kostet, so erniedrigt ein solcher Kampf den Menschen nicht, sondern er dient sogar dazu, ihn zu erhöhen.« »Ganz wie die Vorschriften im Schreibheft!</sentence>
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<sentence num="67">Sie nehmen an.</sentence>
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<sentence num="68">ich verstände vielleicht nur nicht, mir eine würdige Stellung zu schaffen, das heißt, es möge ja immerhin sein, daß ich ein Mensch sei, der eine gewisse Würde besitze; aber mir eine würdige Stellung zu schaffen, das verstände ich nicht.</sentence>
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<sentence num="69">Sie sehen ein, daß es so sein kann? Aber alle Russen sind von dieser Art, und wissen Sie, warum? Weil die Russen zu reich und vielseitig begabt sind, um für ihr Benehmen schnell die anständige Form zu finden.</sentence>
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<sentence num="70">Hier kommt alles auf die Form an.</sentence>
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<sentence num="71">Wir Russen sind größtenteils so reich begabt, daß wir, um die anständige Form zu treffen, Genialität nötig hätten.</sentence>
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<sentence num="72">Aber an Genialität fehlt es bei uns freilich sehr oft, weil die überhaupt nur selten vorkommt.</sentence>
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<sentence num="73">Nur bei den Franzosen und vielleicht auch bei einigen anderen europäischen Völkern hat sich die Form so bestimmt herausgebildet, daß man höchst würdig aussehen und dabei der unwürdigste Mensch sein kann.</sentence>
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<sentence num="74">Deshalb wird bei ihnen auf die Form auch so viel Wert gelegt. Der Franzose erträgt eine Beleidigung, eine wirkliche, ernste Beleidigung, ohne die Stirn kraus zu ziehen; aber einen Nasenstüber läßt er sich um keinen Preis gefallen, weil das eine Verletzung der konventionellen, für alle Zeit festgesetzten Form des Auslands ist.</sentence>
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<sentence num="75">Daher sind auch unsere Damen in die Franzosen so vernarrt, weil diese so gute Formen haben.</sentence>
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<sentence num="76">Oder richtiger: zu haben scheinen; denn meiner Ansicht nach besitzt der Franzose eigentlich gar keine Form, sondern ist lediglich ein Hahn, le coq gaulois. Indessen verstehe ich davon nichts; ich bin kein Frauenzimmer.</sentence>
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<sentence num="77">Vielleicht sind die Hähne wirklich schön.</sentence>
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<sentence num="78">Aber ich bin da in ein törichtes Schwatzen hineingeraten, und Sie unterbrechen mich auch nicht.</sentence>
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<sentence num="79">Unterbrechen Sie mich nur öfter, wenn ich mit Ihnen rede; denn ich neige dazu, alles herauszusagen, alles, alles.</sentence>
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<sentence num="80">Es kommt mir dabei all und jede Form abhanden. Ich gebe sogar zu, daß ich nicht nur keine Form besitze, sondern auch keinerlei wertvolle Eigenschaften. Das spreche ich Ihnen gegenüber offen aus.</sentence>
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<sentence num="81">Es ist mir an derartigen Eigenschaften auch gar nichts gelegen. Jetzt ist in meinem Innern alles ins Stocken geraten.</sentence>
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<sentence num="82">Sie wissen selbst, woher. Ich habe keinen einzigen verständigen Gedanken im Kopf.</sentence>
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<sentence num="83">Ich weiß schon seit langer Zeit nicht mehr, was in der Welt passiert, in Rußland oder hier.</sentence>
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<sentence num="84">Ich bin durch Dresden hindurchgefahren und kann mich nicht erinnern, wie diese Stadt aussieht. Sie wissen selbst, was mich so vollständig absorbiert hat.</sentence>
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<sentence num="85">Da ich gar keine Hoffnung habe und in Ihren Augen eine Null bin, so rede ich offen: ich sehe überall nur Sie, und alles übrige ist mir gleichgültig.</sentence>
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<sentence num="86">Warum ich Sie liebe, und wie das so gekommen ist – ich weiß es nicht.</sentence>
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<sentence num="87">Wissen Sie wohl, daß Sie vielleicht überhaupt nicht gut sind? Denken Sie nur an: ich weiß gar nicht, so Sie gut sind oder nicht, nicht einmal, ob Sie schön von Gesicht sind.</sentence>
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<sentence num="88">Ihr Herz ist wahrscheinlich nicht gut und Ihre Denkweise nicht edel; das ist gut möglich.« »Vielleicht spekulieren Sie eben deswegen darauf, mich mit Geld zu erkaufen«, sagte sie, »weil Sie bei mir keine edle Gesinnung voraussetzen.« »Wann habe ich darauf spekuliert, Sie mit Geld zu erkaufen?« rief ich.</sentence>
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<sentence num="89">»Sie sind aus dem Konzept gefallen und haben mehr gesagt, als Sie eigentlich sagen wollten.</sentence>
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<sentence num="90">Wenn Sie nicht mich selbst zu erkaufen hofften, so dachten Sie doch, meine Achtung sich durch Geld zu erwerben.« »Nicht doch, es ist ganz und gar nicht so.</sentence>
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<sentence num="91">Ich habe Ihnen gesagt, daß es mir schwerfällt, mich klar auszudrücken. Ihre Anwesenheit nimmt mir die Denkkraft.</sentence>
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<sentence num="92">Seien Sie über mein Geschwätz nicht böse! Sie sehen ja wohl, warum man mir nicht zürnen kann: ich bin eben ein Wahnsinniger. Übrigens ist mir alles gleich; meinetwegen mögen Sie mir auch zürnen.</sentence>
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<sentence num="93">Wenn ich bei mir oben m meinem Zimmerchen bin und mich nur an das Rascheln Ihres Kleides erinnere und mir das vorstelle, dann möchte ich mir die Hände zerbeißen.</sentence>
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<sentence num="94">Und warum wollen Sie mir böse sein? Weil ich mich als Ihren Sklaven bezeichne? Nutzen Sie meine Dienste aus; ja, tun Sie das! Wissen Sie auch, daß ich Sie später einmal töten werde?</sentence>
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<sentence num="95">Ich werde Sie töten, nicht etwa weil meine Liebe zu Ihnen ein Ende genommen hätte oder ich eifersüchtig wäre, sondern ohne solchen Grund, einfach weil ich manchmal einen Drang verspüre, Sie aufzufressen.</sentence>
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<sentence num="96">Sie lachen… « »Ich lache durchaus nicht«, sagte sie zornig.</sentence>
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<sentence num="97">»Ich befehle Ihnen zu schweigen.« Sie hielt inne, da sie vor Zorn kaum Atem holen konnte. Wahrhaftig, ich weiß nicht, ob sie schön von Gestalt war; aber ich sah sie zu gern, wenn sie so vor mir stand und ihr die Sprache versagte, und darum machte ich mir auch oft die Freude, sie zum Zorn zu reizen.</sentence>
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<sentence num="98">Vielleicht hatte sie das bemerkt und stellte sich absichtlich zornig. Ich sprach ihr diese Vermutung aus.</sentence>
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<sentence num="99">»Was für ein garstiges Gerede!« rief sie mit dem Ausdruck des Widerwillens.</sentence>
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<sentence num="100">»Mir ist alles gleich«, fuhr ich fort. »Aber noch eins: wissen Sie, daß es gefährlich ist, wenn wir beide allein zusammen gehen?</sentence>
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<sentence num="101">Es ist in mir oft ein unwiderstehliches Verlangen aufgestiegen, Sie zu prügeln, zu verstümmeln, zu erwürgen. Und was glauben Sie, wird es nicht dahin kommen? Sie versetzen mich in eine fieberhafte Raserei.</sentence>
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<sentence num="102">Meinen Sie, daß ich mich vor einem öffentlichen Skandal fürchte?</sentence>
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<sentence num="103">Oder vor Ihrem Zorn?</sentence>
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<sentence num="104">Was kümmert mich Ihr Zorn?</sentence>
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<sentence num="105">Ich liebe Sie ohne Hoffnung und weiß, daß ich Sie nach einer solchen Tat noch tausendmal mehr lieben werde.</sentence>
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<sentence num="106">Wenn ich Sie einmal töte, so werde ich ja auch mich selbst töten müssen; aber ich werde den Selbstmord möglichst lange hinausschieben, um den unerträglichen Schmerz, daß Sie nicht mehr da sind, auszukosten.</sentence>
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<sentence num="107">Ich will Ihnen etwas sagen, was kaum zu glauben ist: ich liebe Sie mit jedem Tag mehr, und doch ist das beinah unmöglich. Und bei alledem soll ich nicht Fatalist sein? Erinnern Sie sich doch, vorgestern auf dem Schlangenberg flüsterte ich, von Ihnen herausgefordert, Ihnen zu: >Sagen Sie ein Wort, und ich springe in diesen Abgrund!< Hätten Sie dieses Wort gesprochen, so wäre ich damals hinuntergesprungen.</sentence>
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<sentence num="108">Glauben Sie etwa nicht, daß ich hinuntergesprungen wäre?« »Was für ein törichtes Geschwätz!« rief sie.</sentence>
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<sentence num="109">»Ob es töricht oder klug ist, das ist mir ganz gleich!« rief ich.</sentence>
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<sentence num="110">»Ich weiß, daß ich in Ihrer Gegenwart reden muß, immer reden und reden, und so rede ich denn.</sentence>
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<sentence num="111">In Ihrer Gegenwart verliere ich allen Ehrgeiz, und alles wird mir gleichgültig.« »Weshalb hätte ich Sie veranlassen sollen, vom Schlangenberg hinunterzuspringen?« fragte sie in einem trockenen Ton, der besonders beleidigend klang.</sentence>
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<sentence num="112">»Davon hätte ich doch nicht den geringsten Nutzen gehabt.« »Vorzüglich!« rief ich.</sentence>
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<sentence num="113">»Sie bedienen sich absichtlich dieses vorzüglichen Ausdrucks ›nicht den geringsten Nutzen‹, um mich zu demütigen.</sentence>
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<sentence num="114">Ich durchschaue Sie vollständig. ›Nicht den geringsten Nutzen‹, sagen Sie?</sentence>
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<sentence num="115">Aber ein Vergnügen hat immer einen Nutzen, und die Ausübung einer wilden, unbegrenzten Gewalt (und wär's auch nur über eine Fliege), das ist in seiner Art doch auch ein Genuß. Der Mensch ist von Natur ein Despot und liebt es, andere Wesen zu quälen.</sentence>
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<sentence num="116">Sie lieben es im höchsten Grade.« Ich erinnere mich, sie sah mich lange und unverwandt an.</sentence>
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<sentence num="117">Wahrscheinlich drückte mein Gesicht in diesem Augenblick alle meine törichten, unsinnigen Gedanken aus. Mein Gedächtnis sagt mir jetzt, daß unser Gespräch damals tatsächlich fast Wort für Wort so stattfand, wie ich es hier aufgezeichnet habe.</sentence>
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<sentence num="118">Meine Augen waren mit Blut unterlaufen. An den Rändern meiner Lippen hatte sich Schaum gebildet.</sentence>
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<sentence num="119">Was den Schlangenberg betrifft, so schwöre ich auf meine Ehre, auch jetzt noch: wenn sie mir damals befohlen hätte, mich hinabzustürzen, so hätte ich es getan!</sentence>
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<sentence num="120">Auch wenn sie es nur im Scherz gesagt hätte oder aus Geringschätzung und Verachtung, auch dann wäre ich hinuntergesprungen!</sentence>
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<sentence num="121">»Nein, was hätte es für Zweck gehabt? Daß Sie es getan hätten, glaube ich Ihnen«, sagte sie, aber in einer Art, wie nur sie manchmal zu sprechen versteht, mit solcher Verachtung und Bosheit und mit solchem Hochmut, daß ich, bei Gott, sie in diesem Augenblick hätte totschlagen können.</sentence>
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<sentence num="122">Sie schwebte in Gefahr.</sentence>
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<sentence num="123">Auch hierin hatte ich sie nicht belogen, als ich es ihr sagte.</sentence>
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<sentence num="124">»Sie sind kein Feigling?« fragte sie mich plötzlich. »Ich weiß es nicht, vielleicht bin ich einer.</sentence>
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<sentence num="125">Ich weiß es nicht… ich habe lange nicht darüber nachgedacht.« »Wenn ich zu Ihnen sagte: ›Töten Sie diesen Menschen!‹ – würden Sie ihn töten?« »Wen?« »Denjenigen, den ich getötet sehen möchte.« »Den Franzosen?« »Fragen Sie nicht, sondern antworten Sie!</sentence>
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</chapter>
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<chapter num="6" name="Sechstes Kapitel">
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<sentence num="1"> Nun sind schon zwei Tage nach jenem dummen Streich vergangen.</sentence>
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<sentence num="2">Und wieviel Geschrei und Lärm und Gerede und Skandal ist die Folge davon gewesen!</sentence>
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<sentence num="3">Und wie häßlich war auch die ganze Geschichte, wie konfus, wie dumm und wie gemein; und ich bin an allem schuld.</sentence>
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<sentence num="4">Manchmal kommt einem übrigens die Sache lächerlich vor, mir wenigstens.</sentence>
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<sentence num="5">Ich weiß mir nicht Rechenschaft darüber zu geben, was mit mir eigentlich vorgegangen ist: ob ich mich wirklich in einem Zustand der Raserei befinde, oder ob ich nur aus dem Geleise geraten bin und Tollheiten treibe, bis man mir das Handwerk legt und mich bindet.</sentence>
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<sentence num="6">Manchmal scheint es mir, daß ich irrsinnig bin; zu andern Zeiten habe ich die Vorstellung, ich sei dem Kindesalter und der Schulbank noch nicht lange entwachsen und beginge nur Schülerungezogenheiten.</sentence>
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<sentence num="7">Und das bewirkt alles Polina, alles sie! Wenn sie nicht wäre, würde ich mich wohl nicht so schülerhaft benehmen.</sentence>
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<sentence num="8">Wer weiß, vielleicht habe ich das alles aus Verzweiflung getan (mag auch diese Anschauung noch so dumm sein).</sentence>
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<sentence num="9">Und ich begreife nicht, begreife schlechterdings nicht, was an ihr Gutes ist!</sentence>
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<sentence num="10">Schön ist sie übrigens, schön ist sie; schön muß sie wohl sein.</sentence>
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<sentence num="11">Sie bringt ja auch andere Leute als mich um den Verstand.</sentence>
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<sentence num="12">Nur sehr schlank.</sentence>
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<sentence num="13">Es kommt mir vor, als könnte man ihre ganze Gestalt zusammcnknoten oder doppelt zusammenlegen.</sentence>
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<sentence num="14">Ihre Fußspur ist schmal und lang und hat für mich etwas Peinigendes.</sentence>
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<sentence num="15">Ihr Haar hat einen rötlichen Schimmer.</sentence>
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<sentence num="16">Ihre Augen sind richtige Katzenaugen; aber wie stolz und hochmütig versteht sie mit ihnen zu blicken!</sentence>
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<sentence num="17">Vor vier Monaten, als ich eben meine Stelle angetreten hatte, führte sie einmal abends im Saal mit de Grieux ein langes, hitzig werdendes Gespräch.</sentence>
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<sentence num="18">Und dabei sah sie ihn mit einem solchen Blick an, mit einem solchen Blick, daß ich nachher, als ich auf mein Zimmer gegangen war, um mich schlafen zu legen, mir einbildete, sie hätte ihm eine Ohrfeige gegeben und stände nun vor ihm und sähe ihn an. Von diesem Abend an bin ich in sie verliebt gewesen.</sentence>
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<sentence num="19">Aber zur Sache!</sentence>
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<sentence num="20">Ich ging auf einem schmalen Sieig nach der Allee, stellte mich mitten in der Allee hin und erwartete die Baronin und den Baron.</sentence>
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<sentence num="21">Als sie noch fünf Schritte von mir entfernt waren, nahm ich den Hut ab und verbeugte mich.</sentence>
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<sentence num="22">Die Baronin trug, wie ich mich erinnere, ein seidenes Kleid von gewaltigem Umfang und hellgrauer Farbe, mit Falbeln, Krinoline und Schleppe.</sentence>
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<sentence num="23">Sie war klein von Gestalt, aber außerordentlich dick und hatte ein furchtbar dickes, herabhängendes Kinn, so daß der Hals gar nicht zu sehen war.</sentence>
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<sentence num="24">Ihr Gesicht war dunkelrot, die Augen klein, mit einem boshaften, impertinenten Ausdruck.</sentence>
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<sentence num="25">Sie ging einher, als ob sie allen damit eine Ehre antäte.</sentence>
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<sentence num="26">Sein Gesicht war schief, wie das bei den Deutschen oft der Fall ist, und mit tausend kleinen Runzeln bedeckt; er trug eine Brille und mochte fünfundvierzig Jahre alt sein.</sentence>
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<sentence num="27">Die Beine fingen bei ihm fast unmittelbar an der Brust an; das liegt in der Rasse.</sentence>
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<sentence num="28">Er ging stolz wie ein Pfau, aber etwas schwerfällig.</sentence>
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<sentence num="29">Der hammelartige Ausdruck seines Gesichtes vertrat in seiner Weise den Ausdruck ernster Denkarbeit.</sentence>
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<sentence num="30">All diese Wahrnehmungen drängten sich für mich in einen Zeitraum von drei Sekunden zusammen.</sentence>
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<sentence num="31">Meine Verbeugung und der Hut, den ich in der Hand hielt, zogen anfangs kaum ihre Aufmerksamkeit auf sich.</sentence>
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<sentence num="32">Nur zog der Baron die Augenbrauen ein wenig zusammen.</sentence>
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<sentence num="33">Die Baronin segelte gerade auf mich zu.</sentence>
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<sentence num="34">»Madame la baronne«, sagte ich absichtlich sehr laut, indem ich jedes Wort besonders deutlich aussprach, »j'ai l'honneur d'être votre esclave.« Darauf verbeugte ich mich, setzte den Hut wieder auf und ging an dem Baron vorüber, wobei ich höflich das Gesicht zu ihm hinwandte und lächelte.</sentence>
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<sentence num="35">Den Hut abzunehmen hatte sie mir befohlen; aber mich zu verbeugen und mich schülermäßig zu benehmen, das war mein eigener Einfall.</sentence>
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<sentence num="36">Weiß der Himmel, was mich dazu trieb.</sentence>
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<sentence num="37">Mir war, als flöge ich von einem Berg hinab.</sentence>
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<sentence num="38">»Nanu!« rief oder, richtiger gesagt, krächzte der Baron, indem er sich mit zorniger Verwunderung nach mir umdrehte.</sentence>
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<sentence num="39">Ich wandte mich ebenfalls um und blieb in respektvoll wartender Haltung stehen, indem ich ihn fortwährend anblickte und lächelte.</sentence>
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<sentence num="40">Er war offenbar völlig perplex und zog die Augenbrauen so hoch hinauf, wie es nur irgend ging.</sentence>
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<sentence num="41">Sein Gesicht wurde immer grimmiger.</sentence>
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<sentence num="42">Auch die Baronin drehte sich nach mir um und musterte mich ebenfalls mit zornigem Erstaunen.</sentence>
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<sentence num="43">Manche Passanten blickten nach uns hin; einige blieben sogar stehen. »Nanu!« krächzte der Baron noch einmal mit verdoppelter Energie und verdoppeltem Zorn.</sentence>
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<sentence num="44">»Jawohl!« sagte ich auf deutsch.</sentence>
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<sentence num="45">Ich sprach die beiden Silben sehr gedehnt und blickte ihm dabei gerade in die Augen.</sentence>
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<sentence num="46">»Sind Sie rasend?« rief er. Er schwang seinen Stock, schien jedoch gleichzeitig ein wenig den Mut zu verlieren.</sentence>
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<sentence num="47">Vielleicht verwirrte ihn mein Kostüm.</sentence>
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<sentence num="48">Ich war sehr anständig, sogar elegant gekleidet, wie jemand, der durchaus zur besten Gesellschaft gehört.</sentence>
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<sentence num="49">»Jawo-o-ohl!« schrie ich plötzlich aus voller Kehle, indem ich das o langzog, wie es die Berliner tun, die im Gespräch alle Augenblicke den Ausdruck »jawohl« gebrauchen und dabei den Vokal o zum Ausdruck verschiedener Nuancen der Gedanken und Empfindungen mehr oder weniger in die Länge, ziehen.</sentence>
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<sentence num="50">Der Baron und die Baronin wandten sich schnell um und entfernten sich, vor Schreck beinahe laufend, von mir.</sentence>
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<sentence num="51">Einige aus dem Publikum sprachen miteinander über den Vorfall; andere sahen mich erstaunt an.</sentence>
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<sentence num="52">Aber ich erinnere mich nicht genau daran. Ich machte kehrt und ging in meinem gewöhnlichen Schritt auf Polina Alexandrowna zu.</sentence>
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<sentence num="53">Aber als ich noch ungefähr hundert Schritte von ihrer Bank entfernt war, sah ich, daß sie aufstand und mit den Kindern die Richtung nach dem Hotel einschlug.</sentence>
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<sentence num="54">Ich holte sie an den Stufen beim Portal ein.</sentence>
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<sentence num="55">»Ich habe es getan… ich habe die Dummheit begangen«, sagte ich, sobald ich mich neben ihr befand. »Nun schön!</sentence>
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<sentence num="56">Sehen Sie jetzt zu, wie Sie aus der Geschichte herauskommen!« antwortete sie, ohne mich auch nur anzusehen, ging hinein und die Treppe hinauf.</sentence>
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<sentence num="57">Diesen ganzen Abend wanderte ich im Park umher.</sentence>
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<sentence num="58">Den Park und dann einen Wald durchschreitend, gelangte ich sogar in ein anderes Fürstentum.</sentence>
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<sentence num="59">In einem Bauernhaus aß ich einen Eierkuchen und trank Wein dazu; für dieses idyllische Mahl nahm man mir ganze anderthalb Taler ab.</sentence>
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<sentence num="60">Erst um elf Uhr kehrte ich nach Hause zurück. Ich wurde sogleich zum General gerufen. Die Unsrigen haben im Hotel vier Zimmer belegt.</sentence>
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<sentence num="61">Das erste, große, dient als Salon, und es steht ein Flügel darin.</sentence>
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<sentence num="62">Daneben liegt ein gleichfalls großes Zimmer, das Wohnzimmer des Generals.</sentence>
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<sentence num="63">Hier erwartete er mich; er stand in sehr großartiger Pose mitten im Zimmer. De Grieux saß, halb liegend, auf dem Sofa.</sentence>
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<sentence num="64">»Mein Herr, gestatten Sie die Frage, was Sie da angerichtet haben«, begann der General, zu mir gewendet.</sentence>
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<sentence num="65">»Es wäre mir lieb, General, wenn Sie gleich zur Sache kämen«, antwortete ich.</sentence>
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<sentence num="66">»Sie wollen wahrscheinlich von meinem heutigen Renkontre mit einem Deutsehen sprechen?« »Mit einem Deutschen?!</sentence>
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<sentence num="67">Dieser Deutsche ist der Baron Wurmerhelm und eine hochangesehene Persönlichkeit! Sie haben sich gegen ihn und die Baronin ungezogen benommen.« »Ganz und gar nicht.« »Sie haben die Herrschaften brüskiert, mein Herr!« rief der General.</sentence>
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<sentence num="68">»Keineswegs. Schon in Berlin ärgerte mich der Ausdruck ›Jawohl‹, den die Leute dort unaufhörlich einem jeden gegenüber wiederholen und in einer widerwärtigen Weise in die Länge ziehen.</sentence>
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<sentence num="69">Als ich dem Baron und der Baronin in der Allee begegnete, kam mir (ich weiß nicht, woher) auf einmal dieses ›Jawohl‹ ins Gedächtnis und wirkte auf mich aufreizend… Und außerdem hat die Baronin (das ist schon dreimal vorgekommen), wenn sie mir begegnet, die Gewohnheit, gerade auf mich lozugehen, als wäre ich ein Wurm, den sie mit dem Fuß zertreten könnte.</sentence>
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<sentence num="70">Auch ich darf mein Selbstgefühl haben, das werden Sie selbst zugeben müssen. Ich nahm den Hut ab und sagte höflich (ich versichere Sie, daß ich es ganz höflich sagte): ›Madame, j'ai l'honneur d'être votre esclave‹. Als der Baron sich umwandte und ›Nanu!‹ sagte, spürte ich einen unwiderstehlichen Drang, ihm ›Jawohl‹ zu erwidern. Und so sagte ich das zweimal, das erstemal in gewöhnlicher Weise, das zweitemal sehr laut und langgezogen.</sentence>
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<sentence num="71">Das ist die ganze Geschichte.« Ich muß gestehen, daß mir diese meine knabenhafte Darstellung das größte Vergnügen bereitete. Es reizte mich außerordentlich, den ganzen Hergang in möglichst absurder Weise auszumalen. Und je länger ich sprach, um so mehr kam ich auf den Geschmack. »Sie wollen sich wohl über mich lustig machen?« rief der General.</sentence>
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<sentence num="72">Er wandte sich zu dem Franzosen und teilte ihm auf französisch mit, ich hätte es entschieden auf einen Skandal angelegt gehabt.</sentence>
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<sentence num="73">De Grieux lächelte geringschätzig und zuckte die Achseln. »Denken Sie das nicht; das ist durchaus nicht richtig!« rief ich dem General zu.</sentence>
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<sentence num="74">»Mein Benehmen war allerdings nicht schön; das gebe ich Ihnen mit größter Offenherzigkeit zu.</sentence>
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<sentence num="75">Man kann das, was ich getan habe, sogar einen dummen, unpassenden Schülerstreich nennen, mehr aber auch nicht.</sentence>
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<sentence num="76">Und wissen Sie, General, ich bereue das Getane tief. Aber es ist da noch ein Umstand, der mich in meinen Augen beinah sogar der Verpflichtung zu bereuen enthebt.</sentence>
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<sentence num="77">In der letzten Zeit, in den letzten zwei, drei Wochen, fühle ich mich nicht wohl: ich bin krank, nervös, reizbar, phantastisch und verliere manchmal vollständig die Gewalt über mich.</sentence>
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<sentence num="78">Wirklich, es überkam mich mehrmals plötzlich ein heftiges Verlangen, mich zu dem Marquis de Grieux zu wenden und… Aber ich will den Satz nicht zu Ende sprechen; es könnte für ihn beleidigend sein.</sentence>
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<sentence num="79">Mit einem Wort, das sind Krankheitssymptome. Ich weiß nicht, ob die Baronin Wurmerhelm diesen Umstand mit in Betracht ziehen wird, wenn ich sie um Entschuldigung bitte; denn das beabsichtige ich zu tun. Ich fürchte, daß sie es nicht tun wird, namentlich auch da, soweit mir bekannt, man in letzter Zeit in juristischen Kreisen angefangen hat, mit der Verwertung dieses Umstandes Mißbrauch zu treiben: die Advokaten verteidigen jetzt in Kriminalprozessen sehr oft ihre Klienten, die Verbrecher, mit der Behauptung, diese hätten im Augenblick des Verbrechens keine Besinnung gehabt, und das sei gewissermaßen eine Krankheit.</sentence>
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<sentence num="80">›Er hat zugeschlagen‹ sagen sie, ›und hat keine Erinnerung dafür.‹ Und denken Sie sich, General: die medizinische Wissenschaft stimmt ihnen bei, sie behauptet tatsächlich, es gebe eine solche Krankheit, eine solche zeitweilige Geistesstörung, wo der Mensch beinah keine Erinnerung hat oder nur eine halbe oder viertel Erinnerung.</sentence>
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<sentence num="81">Aber der Baron und die Baronin sind Leute alten Schlages und gehören überdies noch zum preußischen Junker- und Gutsbesitzerstande.</sentence>
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<sentence num="82">Ihnen ist dieser Fortschritt in der gerichtlichen Medizin wahrscheinlich noch unbekannt, und daher werden sie meine entschuldigende Erklärung nicht annehmen.</sentence>
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<sentence num="83">Was meinen Sie darüber, General?« »Genug, mein Herr!« sagte der General in scharfem Ton, mühsam seinen Grimm unterdrückend, »genug! Ich werde bemüht sein, mich ein für allemal von jeder Beziehung zu Ihren törichten Streichen freizumachen.</sentence>
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<sentence num="84">Bei der Baronin und dem Baron werden Sie sich nicht entschuldigen. Jeder Verkehr mit Ihnen, auch wenn dieser nur in Ihrer Bitte um Verzeihung bestände, würde unter ihrer Würde sein.</sentence>
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<sentence num="85">Der Baron, der erfahren hatte, daß Sie zu meinem Haus gehören, hat sich bereits mit mir im Kurhaus ausgesprochen, und ich muß Ihnen bekennen, es fehlte nicht viel daran, daß er von mir Genugtuung verlangt hätte.</sentence>
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<sentence num="86">Begreifen Sie wohl, mein Herr, in was für eine unangenehme Situation Sie mich gebracht haben?</sentence>
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<sentence num="87">Ich, ich sah mich genötigt, den Baron um Entschuldigung zu bitten, und gab ihm mein Wort, daß Sie unverzüglich, noch heute, aus meinem Haus ausscheiden würden.« »Erlauben Sie, erlauben Sie, General, er hat also selbst entschieden verlangt, daß ich, wie Sie sich auszudrücken belieben, aus Ihrem Haus ausscheiden solle?« »Nein, aber ich erachtete mich selbst für verpflichtet, ihm diese Genugtuung zu geben, und der Baron erklärte sich natürlich dadurch für befriedigt.</sentence>
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<sentence num="88">Wir scheiden also hiermit voneinander, mein Herr.</sentence>
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<sentence num="89">Sie haben von mir diese vier Friedrichsdor hier und drei Gulden nach hiesigem Geld zu erhalten. Hier ist das Geld, und hier ist auch ein Zettel mit der Berechnung; Sie können sie nachprüfen. Leben Sie wohl! Von jetzt an kennen wir einander nicht mehr.</sentence>
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<sentence num="90">Ich habe von Ihnen nichts gehabt als Mühe und Unannehmlichkeiten.</sentence>
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<sentence num="91">Ich werde sogleich den Kellner rufen und ihm mitteilen, daß ich vom morgigen Tage an für Ihre Ausgaben im Hotel nicht mehr aufkomme.</sentence>
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<sentence num="92">Ergebenster Diener!« Ich nahm das Geld und den Zettel, auf dem mit Bleistift eine Berechnung geschrieben stand, machte dem General eine Verbeugung und sagte zu ihm in durchaus ernstem Ton: »General, die Sache kann damit nicht erledigt sein. Es tut mir sehr leid, daß Sie von seiten des Barons Unannehmlichkeiten gehabt haben; aber (nehmen Sie es mir nicht übel!)</sentence>
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<sentence num="93">daran sind Sie selbst schuld. Warum übernahmen Sie es, dem Baron gegenüber für meine Handlungsweise einzustehen?</sentence>
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<sentence num="94">Was bedeutet der Ausdruck, daß ich zu Ihrem Haus gehöre? Ich bin einfach bei Ihnen Hauslehrer, nichts weiter.</sentence>
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<sentence num="95">Ich bin nicht Ihr leiblicher Sohn, stehe auch nicht unter Ihrer Vormundschaft; für das, was ich tue, tragen Sie keine Verantwortung. Ich bin im juristischen Sinne eine selbständige Persönlichkeit.</sentence>
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<sentence num="96">Ich bin fünfundzwanzig Jahre alt, habe die Universität besucht und als Kandidat verlassen, gehöre zum Adelsstande und stehe Ihnen ganz fremd gegenüber.</sentence>
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<sentence num="97">Nur meine unbegrenzte Hochachtung vor Ihren vortrefflichen Eigenschaften hält mich davon ab, von Ihnen jetzt Genugtuung zu verlangen, sowie auch weitere Rechenschaft darüber, daß Sie sich das Recht beigelegt haben, an meiner Statt zu antworten.« Der General war dermaßen erstaunt, daß er die Arme auseinanderbreitete; dann wandte er sich plötzlich zu dem Franzosen und erzählte ihm eilig, ich hätte ihn soeben beinahe zum Duell gefordert.</sentence>
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<sentence num="98">Der Franzose schlug ein lautes Gelächter auf. »Aber den Baron beabsichtige ich das nicht so leicht hingehen zu lassen«, fuhr ich höchst kaltblütig fort, ohne mich im geringsten durch das Lachen dieses Monsieur de Grieux beirren zu lassen, »und da Sie, General, sich heute dazu verstanden haben, die Beschwerde des Barons anzuhören, auf seine Seite getreten sind und sich dadurch gewissermaßen zum Mitgenossen bei dieser ganzen Angelegenheit gemacht haben, so habe ich die Ehre, Ihnen zu vermelden, daß ich gleich morgen früh in meinem eigenen Namen von dem Baron eine förmliche Angabe der Gründe verlangen werde, aus denen er, obwohl er es mit mir zu tun hatte, sich über meinen Kopf hinweg an eine andere Person gewandt hat, als ob ich nicht imstande oder nicht würdig wäre, mich ihm gegen- über selbst zu verantworten.« Was ich vorhergesehen hatte, trat ein.</sentence>
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<sentence num="99">Als der General diese neue Dummheit hörte, bekam er es heftig mit der Angst. »Was?</sentence>
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<sentence num="100">Haben Sie wirklich vor, diese verfluchte Geschichte noch weiter fortzusetzen?« schrie er. »Was schüren Sie mir da an, gerechter Gott!</sentence>
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<sentence num="101">Wagen Sie es nicht, wagen Sie es nicht, mein Herr, oder ich schwöre Ihnen… Auch hier gibt es eine Obrigkeit, und ich… ich… mit einem Wort, bei meinem Rang… und der Baron gleichfalls… mit einem Wort, Sie werden arretiert und unter polizeilicher Bewachung von hier entfernt werden, damit Sie hier keine Gewalttätigkeiten verüben.</sentence>
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<sentence num="102">Das lassen Sie sich gesagt sein!« Er war so zornig, daß er kaum Luft bekam; aber trotzdem hatte er schreckliche Angst. »General«, erwiderte ich mit einer Ruhe, die er gar nicht ertragen konnte, »für Gewalttätigkeiten kann man nicht eher arretiert werden, ehe man sie nicht verübt hat. Ich habe meine Aussprache mit dem Baron noch nicht begonnen, und es ist Ihnen noch vollständig unbekannt, in welchem Sinne und mit welcher Begründung ich in dieser Angelegenheit vorzugehen beabsichtige.</sentence>
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<sentence num="103">Ich wünsche nur die für mich beleidigende Annahme richtigzustellen, daß ich mich unter der Vormundschaft einer andern Person befände, die gewissermaßen Gewalt über meinen freien Willen hätte.</sentence>
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<sentence num="104">Sie erregen und beunruhigen sich ohne jeden Grund.« »Um Gottes willen, um Gottes willen, Alexej Iwanowitsch, stehen Sie von diesem unsinnigen Vorhaben ab!« murmelte der General, indem er seinen zornigen Ton plötzlich mit einem flehenden vertauschte und mich sogar bei den Händen ergriff.</sentence>
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<sentence num="105">Ȇberlegen Sie doch nur, was die Folge davon sein wird!</sentence>
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<sentence num="106">Eine neue Unannehmlichkeit! Sie müssen doch selbst einsehen, daß ich hier ganz besonders darauf bedacht sein muß, meine Stellung zu wahren, namentlich jetzt!</sentence>
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<sentence num="107">Namentlich jetzt!… Ach, Sie kennen meine ganze Lage nicht; Sie kennen sie nicht!… Wenn wir von hier wegreisen, bin ich gern bereit, Ihnen Ihre bisherige Stellung wieder zu übertragen. Ich muß nur jetzt so… nun, mit einem Wort, Sie verstehen ja doch meine Gründe!« rief er ganz verzweifelt.</sentence>
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<sentence num="108">»Alexej Iwanowitsch, Alexej Iwanowitsch!« Mich zur Tür zurückziehend, bat ich ihn nochmals dringend, sich nicht zu beunruhigen; ich versprach, es solle alles einen guten, anständigen Verlauf nehmen, und beeilte mich hinauszukommen.</sentence>
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<sentence num="109">Mitunter sind die Russen im Ausland gar zu feige und haben eine schreckliche Angst davor, was die Leute von ihnen sagen könnten, und wofür man sie ansehen werde, und ob auch dies und das anständig sei.</sentence>
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<sentence num="110">Mit einem Wort, sie benehmen sich, als ob sie ein Korsett trügen, namentlich diejenigen, die den Anspruch erheben, etwas vorzustellen.</sentence>
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<sentence num="111">Am liebsten befolgen sie sklavisch irgendein vorgeschriebenes, ein für allemal festgesetztes Schema: in den Hotels, auf den Spaziergängen, in den Gesellschaften, auf der Reise… Aber der General hatte sich verplappert, wenn er sagte, es lägen für ihn noch außerdem besondere Umstände vor, und er habe besondern Anlaß, seine Stellung zu wahren.</sentence>
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</chapter>
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<chapter num="7" name="Siebentes Kapitel">
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<sentence num="1"> Am Morgen rief ich den Kellner und teilte ihm mit, meine Rechnung solle von nun an gesondert geschrieben werden.</sentence>
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<sentence num="2">Mein Zimmer war nicht so teuer, daß der Preis mich erschreckt und veranlaßt hätte, ganz aus dem Hotel auszuziehen.</sentence>
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<sentence num="3">Ich besaß sechzehn Friedrichsdor, und dort… dort fielen mir vielleicht Reichtümer zu!</sentence>
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<sentence num="4">Sonderbar: ich habe noch nicht gewonnen; aber ich benehme mich in meinen Gefühlen und Gedanken wie ein reicher Mann und kann mir gar nicht vorstellen, daß ich das nicht wäre.</sentence>
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<sentence num="5">Ich gedachte, trotz der frühen Stunde mich sogleich zu Mister Astley in das Hotel d'Angleterre zu begeben, das ganz in der Nähe des unsrigen liegt, als plötzlich de Grieux bei mir eintrat.</sentence>
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<sentence num="6">Das war noch nie vorgekommen, und überdies hatte ich mit diesem Herrn in der ganzen letzten Zeit in einem sehr kühlen und gespannten Verhältnis gestanden.</sentence>
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<sentence num="7">Er hatte aus seiner Geringschätzung gegen mich in keiner Weise ein Hehl gemacht, sondern im Gegenteil sie offen an den Tag zu legen gesucht; und ich meinerseits hatte meine besonderen Gründe, weshalb ich ihm nicht gewogen war.</sentence>
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<sentence num="8">Kurz, ich haßte diesen Menschen.</sentence>
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<sentence num="9">Sein Kommen setzte mich in großes Erstaunen.</sentence>
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<sentence num="10">Ich sagte mir sofort, da müsse etwas Besonderes im Gange sein.</sentence>
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<sentence num="11">Er benahm sich bei seinem Eintritt sehr liebenswürdig und sagte mir ein Kompliment über mein Zimmer.</sentence>
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<sentence num="12">Da er sah, daß ich den Hut in der Hand hatte, so erkundigte er sich, ob ich denn schon so früh spazierengehen wolle.</sentence>
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<sentence num="13">Als er hörte, ich wolle zu Mister Astley gehen, um mit ihm zu reden, dachte er einen Augenblick nach und legte sich das zurecht; dabei nahm sein Gesicht einen sehr ernsten Ausdruck an.</sentence>
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<sentence num="14">De Grieux war wie alle Franzosen, das heißt heiter und liebenswürdig, wenn dies nötig und vorteilhaft war, aber unerträglich langweilig, wenn die Nötigung, heiter und liebenswürdig zu sein, wegfiel.</sentence>
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<sentence num="15">Der Franzose ist selten aus eigener Natur liebenswürdig, sondern immer wie auf Befehl, aus Berechnung.</sentence>
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<sentence num="16">Erkennt er es etwa als notwendig, sich phantasievoll und originell zu zeigen, so sind die Produkte seiner Phantasie von der dümmsten und unnatürlichsten Art und setzen sich aus altkonventionellen, längst schon vulgär gewordenen Formen zusammen. Der Franzose, wie er wirklich von Natur ist, besteht aus durchaus kleinbürgerlichem, geringwertigem, gewöhnlichem Stoff; kurz gesagt, er ist das langweiligste Wesen von der Welt.</sentence>
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<sentence num="17">Nach meiner Meinung können nur Neulinge und namentlich junge russische Damen sich von den Franzosen blenden lassen. Jeder vernünftige Mensch wird diese ein für allemal festgesetzten Formen der salonmäßigen Liebenswürdigkeit, Gewandtheit und Heiterkeit, eine Art von Nationaleigentum, sofort erkennen und unerträglich finden.</sentence>
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<sentence num="18">»Ich komme aus besonderem Anlaß zu Ihnen«, begann er sehr ungezwungen, wiewohl durchaus höflich, »und ich verberge Ihnen nicht, daß ich in der Eigenschaft eines Abgesandten oder, richtiger ausgedrückt, eines Vermittlers vom General zu Ihnen komme.</sentence>
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<sentence num="19">Da ich nur sehr schlecht Russisch kann, so habe ich gestern so gut wie nichts verstanden; aber der General hat mir nachher eingehende Mitteilungen gemacht, und ich muß gestehen… « »Aber hören Sie einmal, Monsieur de Grieux«, unterbrach ich ihn, »Sie haben also auch in dieser Angelegenheit die Rolle eines Vermittlers übernommen.</sentence>
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<sentence num="20">Ich bin ja allerdings nur ein Hauslehrer und habe auf die Ehre, ein naher Freund dieses Hauses zu sein, und auf irgendwelche intimeren Beziehungen zu demselben niemals Anspruch erhoben und bin daher auch nicht mit allen Verhältnissen vertraut; aber erklären Sie mir doch eines: Gehören Sie denn jetzt vollständig zu den Mitgliedern dieser Familie?</sentence>
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<sentence num="21">Weil Sie doch an allem solchen Anteil nehmen und bei allem sofort unfehlbar als Vermittler auftreten… « Meine Frage gefiel ihm nicht.</sentence>
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<sentence num="22">Sie war ihm zu unverfroren, und er hatte keine Lust, mir zuviel mitzuteilen. »Es verbinden mich mit dem General sowohl geschäftliche Beziehungen als auch gewisse besondere Umstände«, erwiderte er trocken. »Der General hat mich hergeschickt, um Sie zu bitten, Sie möchten die gestern von Ihnen ausgesprochene Absicht unausgeführt lassen.</sentence>
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<sentence num="23">Alles, was Sie vortrugen, ist ohne Zweifel sehr scharfsinnig; aber er ersuchte mich namentlich, Ihnen vorzustellen, daß Ihnen die Ausführung Ihrer Absicht schlechterdings nicht gelingen wird; ja, der Baron wird Sie gar nicht empfangen, und schließlich stehen ihm ja jedenfalls alle erforderlichen Mittel zur Verfügung, um weiterer Unannehmlichkeiten von Ihrer Seite überhoben zu sein. Das müssen Sie doch selbst einsehen.</sentence>
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<sentence num="24">Ich bitte Sie, was für einen Zweck hat es, der Sache noch eine Fortsetzung zu geben? Der General gibt Ihnen das bestimmte Versprechen, Sie wieder in sein Haus zu nehmen, sobald die Verhältnisse es nur irgend gestatten, und Ihr Gehalt, vos appointements, bis dahin weiterlaufen zu lassen.</sentence>
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<sentence num="25">Das ist doch für Sie ein recht vorteilhaftes Anerbieten, nicht wahr?« Ich erwiderte ihm sehr ruhig, daß er sich da doch einigermaßen irre und der Baron mich vielleicht doch nicht werde fortjagen lassen, sondern mich anhören werde, und bat ihn einzugestehen, daß er (was ich für wahrscheinlich hielte) gekommen sei, um in Erfahrung zu bringen, wie ich eigentlich in der ganzen Sache zu verfahren vorhätte.</sentence>
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<sentence num="26">»Aber, mein Gott, da der General bei der Angelegenheit so interessiert ist, so wird es ihm selbstverständlich angenehm sein zu erfahren, was Sie tun wollen, und wie.</sentence>
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<sentence num="27">Das ist ja so natürlich!« Ich begann meine Auseinandersetzung, und er hörte zu; er hatte sich sehr bequem hingesetzt und beugte den Kopf ein wenig zur Seite nach mir hin; auf seinem Gesicht lag offen und unverhohlen ein leiser Ausdruck von Ironie.</sentence>
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<sentence num="28">Überhaupt benahm er sich sehr von oben herab.</sentence>
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<sentence num="29">Ich suchte mir aus allen Kräften den Anschein zu geben, als sähe ich die Sache im allerernstesten Licht.</sentence>
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<sentence num="30">Ich erklärte ihm, indem der Baron sich mit einer Beschwerde über mich an den General gewandt habe, als ob ich ein Diener des Generals wäre, habe er mich erstens um meine Stelle gebracht und mich zweitens wie jemanden behandelt, der nicht imstande sei, für sich selbst einzustehen, und mit dem zu reden nicht der Mühe verlohne.</sentence>
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<sentence num="31">Insofern hätte ich allerdings ein Recht, mich für beleidigt zu erachten; indes in Anbetracht des Unterschiedes der Jahre und der gesellschaftlichen Stellung usw. usw. (an dieser Stelle konnte ich kaum das Lachen zurückhalten) wolle ich nicht noch eine neue Unbesonnenheit begehen, das heißt vom Baron geradezu Genugtuung verlangen oder ihm diesen Weg auch nur vorschlagen.</sentence>
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<sentence num="32">Nichtsdestoweniger hielte ich mich für völlig berechtigt, ihm und besonders der Baronin meine Bitte um Entschuldigung anzubieten, um so mehr, da ich mich tatsächlich in der letzten Zeit unwohl gefühlt und Spuren geistiger Zerrüttung sowie eine Neigung zu Exzentrizitäten an mir wahrgenommen hätte usw. usw.</sentence>
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<sentence num="33">Jedoch habe der Baron selbst durch seine gestrige für mich beleidigende Beschwerde beim General und durch die Forderung, daß der General mich aus meiner Stelle wegschicken solle, mich in eine solche Lage gebracht, daß ich jetzt ihm und der Baronin meine Bitte um Entschuldigung nicht mehr aussprechen könne, da er und die Baronin und alle Leute dann sicher denken würden, es bewege mich zu der Abbitte nur der Wunsch, meine Stelle wiederzubekommen.</sentence>
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<sentence num="34">Das Resultat all dieser Erwägungen sei dieses: ich hielte mich jetzt für genötigt, den Baron zu bitten, er möge sich vor allen Dingen selbst bei mir entschuldigen; dabei würden mir die maßvollsten Ausdrücke genügen; er brauche zum Beispiel nur zu sagen, daß er keineswegs die Absicht gehabt habe, mich zu beleidigen. Wenn der Baron das ausspreche, dann würden mir dadurch die Hände frei gemacht sein, und ich würde offen und ehrlich ihm auch meinerseits meine Bitte um Entschuldigung vorlegen.</sentence>
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<sentence num="35">»Kurz«, schloß ich, »um was ich bitte, ist nur dies, daß der Baron mir die Hände frei macht.« »Ach, was für Pedanterie und was für Spitzfindigkeiten! Und wozu brauchen Sie sich zu entschuldigen?</sentence>
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<sentence num="36">Nun, geben Sie es nur zu, Monsieur… Monsieur… , daß Sie diese ganze Geschichte absichtlich ins Werk gesetzt haben, um den General zu ärgern… aber vielleicht hatten Sie noch irgendwelche besonderen Absichten… mon cher monsieur… pardon, j'ai oublié votre nom, monsieur Alexis?… N'est-ce pas?« »Aber erlauben Sie, mon cher marquis, was geht Sie das an?« »Mais le général… « »Und was geht es den General an?</sentence>
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<sentence num="37">Er redete gestern so etwas, er müsse seine Stellung wahren… und dabei war er so ängstlich… aber ich habe nichts davon begriffen.« »Es ist da… es liegt da gerade ein besonderer Umstand vor«, fiel de Grieux in bittendem Ton ein, dem aber immer mehr der Ärger anzuhören war.</sentence>
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<sentence num="38">»Sie kennen Mademoiselle de Cominges?… « »Sie meinen Mademoiselle Blanche?« »Nun ja, Mademoiselle Blanche de Cominges… et madame sa mère… Sie müssen selbst zugeben, der General… mit einem Wort, der General ist verliebt, und es wird hier vielleicht sogar… sogar zur Eheschließung kommen.</sentence>
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<sentence num="39">Und nun stellen Sie sich vor, wenn dabei allerlei Skandalgeschichten und häßliche Vorfälle… « »Ich weiß von keinen Skandalgeschichten und häßlichen Vorfällen, die mit dieser Eheschließung etwas zu tun hätten« »Aber le baron est si irascible, un caractère prussien, vous savez, enfin il fera une querelle d'Allemand.« »Das wird sich dann doch gegen mich richten und nicht gegen Sie, da ich nicht mehr zum Hause gehöre… « (Ich bemühte mich absichtlich, möglichst sinnlos zu reden.)</sentence>
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<sentence num="40">»Aber erlauben Sie, ist denn das schon entschieden, daß Mademoiselle Blanche den General heiraten wird? Warum warten sie denn noch damit?</sentence>
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<sentence num="41">Ich meine, warum halten Sie die Sache geheim und machen nicht wenigstens uns, den Angehörigen des Hauses, Mitteilung davon?« »Ich kann Ihnen nicht… übrigens ist das noch nicht ganz… indessen… Sie wissen wohl, der General erwartet Nachrichten aus Rußland; er muß seine Angelegenheiten ordnen… « »Ach so, die liebe, alte Tante!« De Grieux warf mir einen haßerfüllten Blick zu.</sentence>
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<sentence num="42">»Kurz«, unterbrach er mich, »ich verlasse mich vollständig auf Ihre angeborene Liebenswürdigkeit, auf Ihre Klugheit, auf Ihr Taktgefühl… Sie werden das gewiß für eine Familie tun, in der Sie wie ein Sohn aufgenommen und geliebt und geehrt wurden… « »Aber ich bitte Sie!</sentence>
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<sentence num="43">Weggejagt hat man mich!</sentence>
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<sentence num="44">Sie versichern jetzt freilich, das sei nur so zum Schein geschehen; aber sagen Sie selbst, wenn einer zu Ihnen sagt: ›Ich will dich nicht an den Ohren ziehen; aber erlaube, daß ich es zum Schein tue‹, so kommt das beinah auf dasselbe heraus!« »Wenn es so steht und Bitten auf Sie nichts vermögen«, begann er in strengem, hochmütigem Ton, »so gestatten Sie mir, Sie zu benachrichtigen, daß die erforderlichen Maßregeln gegen Sie werden ergriffen werden.</sentence>
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<sentence num="45">Es gibt hier eine Obrigkeit; Sie werden noch heute von hier weggeschafft werden, que diable!</sentence>
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<sentence num="46">Un blanc bec comme vous will eine solche Persönlichkeit wie den Baron zum Duell herausfordern!</sentence>
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</chapter>
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<chapter num="8" name="Achtes Kapitel">
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<sentence num="1"> Auf der »Promenade«, wie man das hier nennt, das heißt in der Kastanienallee, traf ich meinen Engländer.</sentence>
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<sentence num="2">»Oh, oh!« begann er, als er mich erblickte, »ich wollte zu Ihnen, und Sie zu mir.</sentence>
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<sentence num="3">Also Sie haben sich von den Ihrigen schon getrennt?« »Sagen Sie mir zuerst, woher Sie das alles wissen«, fragte ich erstaunt.</sentence>
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<sentence num="4">»Ist das denn schon so allgemein bekannt?« »O nein, allgemein bekannt ist es nicht.</sentence>
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<sentence num="5">Es hat ja auch keiner ein Interesse daran, daß es bekannt würde; und daher redet niemand davon.« »Also woher wissen Sie es denn?« »Ich habe es so zufällig erfahren.</sentence>
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<sentence num="6">Wo werden Sie denn nun von hier hinfahren? Ich meine es gut mit Ihnen und wollte deshalb zu Ihnen gehen.« »Sie sind ein prächtiger Mensch, Mister Astlcy«, sagte ich (ich war übrigens ganz verblüfft: woher wußte er es?</sentence>
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<sentence num="7">), »und da ich noch nicht Kaffee getrunken habe und Sie wahrscheinlich nur schlechten, so kommen Sie mit in das Café im Kurhaus; da wollen wir uns hinsetzen und rauchen, und ich werde Ihnen alles erzählen… und Sie mir auch… « Das Café war nur hundert Schritt entfernt.</sentence>
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<sentence num="8">Wir setzten uns; es wurde uns Kaffee gebracht, und ich zündete mir eine Zigarette an. Mister Astley rauchte nicht; mich unverwandt ansehend, machte er sich bereit zuzuhören.</sentence>
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<sentence num="9">»Ich fahre nirgend hin; ich bleibe hier«, begann ich.</sentence>
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<sentence num="10">»Ich war davon überzeugt, daß Sie hierbleiben würden«, äußerte Mister Astley beifällig.</sentence>
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<sentence num="11">Als ich mich auf den Weg zu Mister Astley machte, hatte ich nicht die Absicht gehabt, ihm etwas von meiner Liebe zu Polina zu sagen; ja, ich wollte es sogar absichtlich vermeiden.</sentence>
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<sentence num="12">All diese Tage her hatte ich mit ihm kein Wort darüber gesprochen.</sentence>
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<sentence num="13">Überdies war er sehr zartfühlend; ich hatte gleich von Anfang an bemerkt, daß Polina auf ihn außerordentlichen Eindruck gemacht hatte; aber er hatte nie ihren Namen ausgesprochen.</sentence>
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<sentence num="14">Jedoch es ging mir seltsam: jetzt, sowie er sich nur hingesetzt und seine starren, zinnernen Augen auf mich gerichtet hatte, jetzt bekam ich (ich weiß nicht warum) plötzlich die größte Lust, ihm alles zu erzählen, die ganze Geschichte meiner Liebe mit all ihren Einzelheiten und Schattierungen.</sentence>
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<sentence num="15">Nur eines bereue ich: daß ich über den Franzosen vielleicht etwas mehr gesagt habe, als gut war… Während Mister Astley zuhörte, saß er mir gegenüber, ohne sich zu regen und ohne ein Wort zu sprechen oder einen Laut von sich zu geben, und blickte mir in die Augen; aber als ich von dem Franzosen zu sprechen anfing, fiel er mir plötzlich ins Wort und fragte in strengem Ton, ob ich ein Recht hätte, diesen nicht zur Sache gehörigen Umstand zu erwähnen.</sentence>
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<sentence num="16">Mister Astley stellte seine Fragen immer in so sonderbarer Weise.</sentence>
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<sentence num="17">»Sie haben recht; ich fürchte, nein«, antwortete ich.</sentence>
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<sentence num="18">»Sie können über diesen Marquis und über Miß Polina nur bloße Vermutungen vorbringen, nichts Zuverlässiges?« Wieder wunderte ich mich über eine so energische Frage von seiten eines so schüchternen Menschen wie Mister Astley.</sentence>
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<sentence num="19">»Nein, Zuverlässiges nicht«, erwiderte ich, »das freilich nicht.« »Wenn dem so ist, so haben Sie schlecht gehandelt, nicht nur insofern, als Sie mit mir davon zu sprechen anfingen, sondern sogar schon insofern, als Sie bei sich dergleichen gedacht haben.« »Nun ja, nun ja, ich will es zugeben; aber darum handelt es sich jetzt nicht«, unterbrach ich ihn, im stillen sehr verwundert.</sentence>
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<sentence num="20">Hierauf erzählte ich ihm den ganzen gestrigen Vorfall mit allen Einzelheiten: Polinas tollen Einfall, meine Affäre mit dem Baron, meine Entlassung, die auffallende Ängstlichkeit des Generals, und endlich berichtete ich ihm eingehend von de Grieux' heutigem Besuch in allen seinen Phasen; zum Schluß zeigte ich ihm das Briefchen.</sentence>
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<sentence num="21">»Was schließen Sie nun daraus?« fragte ich.</sentence>
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<sentence num="22">»Ich ging eben deswegen zu Ihnen, um Ihre Meinung zu hören.</sentence>
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<sentence num="23">Was mich betrifft, so möchte ich diesen nichtswürdigen Franzosen am liebsten totschlagen, und vielleicht tue ich es auch noch.« »Ich auch«, erwiderte Mister Astley.</sentence>
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<sentence num="24">»Was Miß Polina betrifft, so… Sie wissen, wir treten mitunter auch zu Leuten, die uns verhaßt sind, in Beziehung, wenn uns die Notwendigkeit dazu zwingt.</sentence>
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<sentence num="25">Hier können Beziehungen vorliegen, die Ihnen unbekannt sind, Beziehungen, die von andersartigen Umständen abhängen.</sentence>
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<sentence num="26">Ich glaube, daß Sie sich beruhigen dürfen, wenigstens zum Teil, selbstverständlich.</sentence>
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<sentence num="27">Was ihr gestriges Benehmen anlangt, so ist es allerdings sonderbar, nicht deswegen, weil sie Sie lozuwerden wünschte und Sie der Gefahr aussetzte, mit dem Stock des Barons Bekanntschaft zu machen (ich begreife übrigens nicht, warum er von seinem Stock keinen Gebrauch machte, da er ihn doch in der Hand hatte), sondern weil ein derartiger toller Streich für eine so… für eine so vortreffliche junge Dame sich nicht schickt.</sentence>
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<sentence num="28">Natürlich konnte sie nicht voraussehen, daß Sie ihren komischen Wunsch buchstäblich ausführen würden… « »Wissen Sie was?« rief ich plötzlich und sah dabei Mister Astley unverwandt an.</sentence>
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<sentence num="29">»Mir scheint, Sie haben das alles bereits gehört, wissen Sie von wem? Von Miß Polina selbst!« Mister Astley blickte mich verwundert an.</sentence>
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<sentence num="30">»Ihre Augen funkeln ja nur so, und ich lese in ihnen einen Argwohn«, sagte er, seine Ruhe sofort wiedergewinnend. »Aber Sie haben nicht das geringste Recht, Ihren Argwohn zu äußern.</sentence>
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<sentence num="31">Ich kann ein solches Recht nicht anerkennen und lehne es durchaus ab, Ihre Frage zu beantworten.« »Nun, lassen Sie es gut sein!</sentence>
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<sentence num="32">Es ist ja auch nicht nötig!« rief ich in starker Aufregung; ich begriff nicht, woher mir das hatte in den Sinn kommen können!</sentence>
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<sentence num="33">Wann, wo und auf welche Weise hätte Mister Astley von Polina zum Vertrauten erwählt sein können?</sentence>
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<sentence num="34">In der letzten Zeit hatte ich allerdings Mister Astley zum Teil aus den Augen verloren gehabt, und Polina war immer für mich ein Rätsel gewesen, dergestalt ein Rätsel, daß ich zum Beispiel jetzt, wo ich es unternommen hatte, Mister Astley die ganze Geschichte meiner Liebe zu erzählen, während des Erzählens davon überrascht war, daß ich über meine Beziehungen zu ihr fast nichts Bestimmtes und Positives sagen konnte.</sentence>
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<sentence num="35">Im Gegenteil, alles war phantastisch, sonderbar, haltlos und geradezu unerhört.</sentence>
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<sentence num="36">»Nun gut, gut«, antwortete ich; ich konnte vor Erregung kaum Luft bekommen. »Ich bin ganz in Verwirrung geraten und kann mir jetzt vieles noch nicht zurechtlegen.</sentence>
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<sentence num="37">Aber Sie sind ein guter Mensch.</sentence>
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<sentence num="38">Jetzt handelt es sich um etwas andres, und ich bitte Sie nicht um Ihren Rat, sondern um Ihre Ansicht.« Ich schwieg einen Augenblick und begann dann: »Wie denken Sie darüber: warum wurde der General so ängstlich?</sentence>
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<sentence num="39">Warum haben sie aus meinem törichten Narrenstreich alle eine so große Geschichte gemacht? Eine so große Geschichte, daß sogar de Grieux selbst für nötig fand sich einzumischen (und er mischt sich nur bei den wichtigsten Angelegenheiten ein), mich besuchte (was noch nie dagewesen ist!</sentence>
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<sentence num="40">), mich bat, anflehte, er, de Grieux, mich!</sentence>
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<sentence num="41">Beachten Sie endlich auch dies: er kam, ehe es noch neun Uhr war, und doch befand sich Miß Polinas Brief bereits in seinen Händen.</sentence>
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<sentence num="42">Wann, frage ich, war er denn geschrieben worden?</sentence>
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<sentence num="43">Vielleicht ist Miß Polina dazu erst aufgeweckt worden?</sentence>
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<sentence num="44">Ich ersehe daraus, daß Miß Polina seine Sklavin ist, da sie sogar mich um Verzeihung bittet; aber außerdem: was geht diese ganze Sache denn sie, sie persönlich an?</sentence>
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<sentence num="45">Warum interessiert sie sich so dafür?</sentence>
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<sentence num="46">Weshalb haben sie vor so einem beliebigen Baron Angst bekommen?</sentence>
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<sentence num="47">Und was ist das für eine Geschichte, daß der General Mademoiselle Blanche de Cominges heiraten wird?</sentence>
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<sentence num="48">Sie sagen, infolge dieses Umstandes müßten sie ganz besonders darauf achten, ihre Stellung zu wahren; aber das ist doch gar zu eigentümlich, sagen Sie selbst!</sentence>
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<sentence num="49">Wie denken Sie darüber? Ich sehe es Ihnen an den Augen an, daß Sie auch hiervon mehr wissen als ich!« Mister Astley lächelte und nickte mit dem Kopf. »In der Tat weiß ich, wie es scheint, auch hiervon wesentlich mehr als Sie«, erwiderte er.</sentence>
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<sentence num="50">»Bei dieser ganzen Geschichte handelt es sich einzig und allein um Mademoiselle Blanche; daß das die volle Wahrheit ist, davon bin ich überzeugt.« »Nun, was ist denn mit Mademoiselle Blanche?« rief ich ungeduldig; es erwachte auf einmal in meinem Herzen die Hoffnung, ich würde jetzt eine Enthüllung über Mademoiselle Polina zu hören bekommen.</sentence>
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<sentence num="51">»Es scheint mir, daß Mademoiselle Blanche im gegenwärtigen Augenblick ein besonderes Interesse daran hat, unter allen Umständen eine Begegnung mit dem Baron und der Baronin zu vermeiden, und namentlich eine unangenehme Begegnung und nun gar eine, die mit häßlichem Aufsehen verbunden wäre.« »So, so!« »Mademoiselle Blanche war schon einmal, vor zwei Jahren während der Saison, hier in Roulettenburg.</sentence>
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<sentence num="52">Ich befand mich zu jener Zeit gleichfalls hier. Mademoiselle Blanche nannte sich damals nicht Mademoiselle de Cominges; auch existierte ihre Mutter, Madame veuve Cominges, damals nicht; wenigstens wurde nie von ihr gesprochen.</sentence>
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<sentence num="53">Einen de Grieux, de Grieux gab es hier gleichfalls nicht.</sentence>
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<sentence num="54">Ich hege die feste Überzeugung, daß die beiden miteinander gar nicht verwandt sind, ja sich sogar erst seit kurzer Zeit kennen.</sentence>
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<sentence num="55">Marquis ist dieser de Grieux auch erst ganz kürzlich geworden; davon bin ich überzeugt, aus einem triftigen Grunde.</sentence>
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<sentence num="56">Man kann sogar vermuten, daß er erst neuerdings angefangen hat, sich de Grieux zu nennen.</sentence>
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<sentence num="57">Ich kenne hier jemand, der ihm früher unter einem andern Namen begegnet ist.« »Aber er besitzt doch tatsächlich einen soliden Bekanntenkreis.« »Oh, das kann schon sein.</sentence>
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<sentence num="58">Selbst Mademoiselle Blanche besitzt möglicherweise einen solchen. Aber vor zwei Jahren erhielt Mademoiselle Blanche infolge einer Beschwerde eben dieser Baronin von der hiesigen Polizei die Aufforderung, die Stadt zu verlassen, und verließ sie denn auch.« »Wie kam das?« »Sie erschien damals hier zuerst mit einem Italiener, irgendeinem Fürsten mit einem historischen Namen, so etwas wie Barberini oder so ähnlich.</sentence>
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<sentence num="59">Dieser Mensch trug eine Unmenge von Ringen und Brillanten an seinem Leibe, und sie waren nicht einmal falsch. Sie fuhren immer in einer wundervollen Equipage.</sentence>
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<sentence num="60">Mademoiselle Blanche spielte beim Trente-et-quarante anfangs mit gutem Erfolg; dann aber trat bei ihr ein starker Glückswechsel ein; ich erinnere mich dessen recht wohl.</sentence>
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<sentence num="61">Ich weiß noch, eines Abends verspielte sie eine außerordentlich hohe Summe. Aber noch schlimmer war es, daß un beau matin ihr Fürst verschwunden war, ohne daß man gewußt hätte, wo er geblieben war, und auch die Pferde waren verschwunden und die Equipage, mit einem Wort, alles.</sentence>
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<sentence num="62">Die Schuld im Hotel war erschreckend hoch. Mademoiselle Selma (aus einer Barberini hatte sie sich plötzlich in eine Mademoiselle Selma verwandelt) befand sich in größter Verzweiflung.</sentence>
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<sentence num="63">Sie heulte und kreischte, daß man es durch das ganze Hotel hörte, und zerriß in einem Anfall von Raserei ihr Kleid.</sentence>
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<sentence num="64">In demselben Hotel logierte ein polnischer Graf (alle reisenden Polen sind Grafen), und Mademoiselle Selma, die sich ihre Kleider zerrissen und sich ihr Gesicht mit ihren schönen, in Parfüm gewaschenen Händen wie eine Katze zerkratzt hatte, machte auf ihn einen starken Eindruck.</sentence>
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<sentence num="65">Sie verhandelten miteinander, und beim Diner hatte sie sich bereits getröstet. Am Abend erschien er mit ihr Arm in Arm im Kurhaus.</sentence>
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<sentence num="66">Mademoiselle Selma lachte nach ihrer Gewohnheit sehr laut und benahm sich noch ungenierter als sonst.</sentence>
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<sentence num="67">Sie trat nun geradezu in die Klasse jener roulettspielenden Damen ein, die, wenn sie an den Spieltisch treten, durch einen kräftigen Stoß mit der Schulter einen Spieler beiseite drängen, um sich einen Platz frei zu machen.</sentence>
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<sentence num="68">Das ist bei ihnen ein besonderer Kunstgriff. Sie haben diese Damen gewiß auch schon bemerkt?« »O ja.« »Sie sind nicht wert, daß man sie beachtet. Zum Ärger des anständigen Publikums lassen sie sich hier nicht vertreiben, wenigstens nicht diejenigen von ihnen, die täglich am Spieltisch Tausendfrancnoten wechseln. Allerdings, sobald sie aufhören, solche Banknoten zu wechseln, ersucht man sie sogleich, sich zu entfernen.</sentence>
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<sentence num="69">Mademoiselle Selma wechselte noch immer Banknoten; aber sie hatte im Spiel immer mehr Unglück.</sentence>
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<sentence num="70">Sie können die Beobachtung machen, daß diese Damen sehr oft mit Glück spielen; denn sie besitzen eine erstaunliche Selbstbeherrschung.</sentence>
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<sentence num="71">Übrigens nähert sich meine Geschichte damit dem Ende.</sentence>
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<sentence num="72">Ebenso, wie vorher der Fürst, verschwand nun auch der Graf. Mademoiselle Selma erschien an diesem Abend bereits ohne Begleitung beim Spiel; diesmal war niemand da, der ihr den Arm geboten hätte.</sentence>
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<sentence num="73">In zwei Tagen hatte sie alles verloren, was sie besaß.</sentence>
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<sentence num="74">Nachdem sie den letzten Louisdor gesetzt und verloren hatte, sah sie sich rings um und erblickte neben sich den Baron Wurmerhelm, der sie sehr aufmerksam und mit starkem Mißfallen betrachtete.</sentence>
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<sentence num="75">Aber Mademoiselle Selma bemerkte dieses Mißfallen nicht, wandte sich mit ihrem bekannten Lächeln an den Baron und bat ihn, für sie auf Rot zehn Louisdor zu setzen.</sentence>
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<sentence num="76">Infolgedessen erhielt sie auf eine Beschwerde der Baronin hin am Abend die Weisung, nicht mehr im Kurhaus zu erscheinen.</sentence>
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<sentence num="77">Wenn Sie sich darüber wundern, daß mir all diese kleinen, wenig anständigen Einzelheiten bekannt sind, so erklärt sich das daher, daß ich sie als sicher von Mister Feader, einem Verwandten von mir, gehört habe, der an demselben Abend Mademoiselle Selma in seinem Wagen von Roulettenburg nach Spaa mitnahm.</sentence>
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<sentence num="78">Nun werden Sie verstehen: Mademoiselle Blanche möchte Frau Generalin werden, wahrscheinlich um in Zukunft nicht wieder von der Polizei eines Kurortes solche Weisungen zu erhalten wie vor zwei Jahren. Jetzt beteiligt sie sich nicht mehr am Spiel; aber das hat seinen Grund darin, daß sie jetzt, nach allen Anzeichen zu urteilen, ein Kapital besitzt, das sie hiesigen Spielern gegen Prozente vorstreckt.</sentence>
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<sentence num="79">Das ist ein weit vorsichtigeres finanzielles Verfahren. Ich vermute sogar, daß sich auch der unglückliche General unter ihren Schuldnern befindet.</sentence>
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<sentence num="80">Vielleicht ist auch de Grieux ihr Schuldner.</sentence>
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<sentence num="81">Es kann aber auch sein, daß de Grieux mit ihr ein Kompaniegeschäft hat.</sentence>
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<sentence num="82">Da werden Sie sich selbst sagen können, daß sie wenigstens bis zur Hochzeit nicht wünschen kann, die Aufmerksamkeit der Baronin und des Barons auf irgendwelche Weise auf sich zu lenken.</sentence>
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<sentence num="83">Kurz, in ihrer Lage müßte ihr ein öffentlicher Skandal äußerst nachteilig sein.</sentence>
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<sentence num="84">Sie aber stehen in enger Beziehung zu der Familie des Generals, und Ihre Handlungen können einen solchen Skandal für sie hervorrufen, um so mehr, da sie täglich Arm in Arm mit dem General oder mit Miß Polina in der Öffentlichkeit erscheint.</sentence>
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<sentence num="85">Verstehen Sie jetzt?« »Nein, ich verstehe es nicht!« rief ich und schlug dabei mit aller Kraft auf den Tisch, so daß der Kellner erschrocken herbeigelaufen kam.</sentence>
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<sentence num="86">»Sagen Sie, Mister Astley«, fuhr ich wütend fort, »wenn Ihnen diese ganze Geschichte schon bekannt war und Sie somit genau wußten, wes Geistes Kind diese Mademoiselle Blanche de Cominges ist, warum haben Sie dann nicht wenigstens mir davon Mitteilung gemacht, oder dem General selbst, oder endlich, was das Wichtigste, das Allerwichtigste gewesen wäre, Miß Polina, die sich hier im Kurhaus in aller Öffentlichkeit Arm in Arm mit Mademoiselle Blanche zeigt?</sentence>
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<sentence num="87">Wie konnten Sie denn da schweigen?« »Ihnen etwas davon mitzuteilen hatte keinen Zweck, weil Sie doch nichts bei der Sache tun konnten«, antwortete Mister Astley ruhig.</sentence>
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<sentence num="88">»Und dann: wovon hätte ich denn Mitteilung machen sollen? Der General weiß über Mademoiselle Blanche vielleicht noch mehr als ich und geht trotzdem mit ihr und mit Miß Polina spazieren.</sentence>
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<sentence num="89">Der General ist ein unglücklicher Mensch.</sentence>
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<sentence num="90">Ich sah gestern, wie Mademoiselle Blanche auf einem schönen Pferd mit Monsieur de Grieux und diesem kleinen russischen Fürsten dahingaloppierte, und hinter ihnen her jagte auf einem Fuchs der General.</sentence>
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<sentence num="91">Er hatte am Morgen gesagt, er habe Schmerzen in den Beinen; aber sein Sitz war gut. Und sehen Sie, in diesem Augenblick schoß mir auf einmal der Gedanke durch den Kopf, daß er ein vollständig verlorener Mensch ist.</sentence>
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<sentence num="92">Außerdem geht mich das alles eigentlich nichts an, und daß ich die Ehre hatte, Miß Polina kennenzulernen, ist noch nicht lange her.</sentence>
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<sentence num="93">Übrigens«, unterbrach sich Mister Astley plötzlich, »habe ich Ihnen bereits gesagt, daß ich Ihnen keine Berechtigung zuerkennen kann, mir irgendwelche Fragen zu stellen, obwohl ich Sie von Herzen gern habe… « »Genug«, sagte ich, indem ich aufstand.</sentence>
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<sentence num="94">»Jetzt ist es mir sonnenklar, daß auch Miß Polina über Mademoiselle Blanche vollkommen Bescheid weiß, sich aber von ihrem Franzosen nicht trennen kann und sich deshalb dazu versteht, mit Mademoiselle Blanche spazierenzugehen.</sentence>
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</chapter>
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<chapter num="9" name="Neuntes Kapitel">
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<sentence num="1"> Oben auf der breiten Plattform vor dem Portal des Hotels saß in einem Lehnstuhl, auf dem sie die Stufen hinangetragen war, umgeben von ihrer Dienerschaft und dem zahlreichen, diensteifrigen Hotelpersonal mit Einschluß des Oberkellners selbst, der herausgekommen war, um die hohe Besucherin zu begrüßen, die mit so viel Lärm und Geräusch, mit eigener Dienerschaft und mit einer solchen Unmenge von Koffern und Schachteln angereist kam – ja, wer saß da?</sentence>
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<sentence num="2">Die alte Tante!</sentence>
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<sentence num="3">Ja, sie war es selbst, die gebieterische, reiche, fünfundsiebzigjährige Antonida Wassiljewna Tarassewitschewa, Gutsbesitzerin und Moskauer Hausbesitzerin, die Tante, um derentwillen so viele Telegramme abgeschickt und eingelaufen waren, die Tante, die immer im Sterben gelegen hatte und doch nicht gestorben war, und die nun auf einmal selbst in höchsteigener Person wie ein Blitz aus heiterem Himmel bei uns erschien.</sentence>
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<sentence num="4">Sie war erschienen, obgleich sie nicht gehen konnte; sie ließ sich eben, wie stets während der letzten fünf Jahre, im Sessel tragen; aber sie war wie immer: energisch, kampflustig, selbstzufrieden, saß gerade, redete laut und herrisch, schimpfte auf alle Menschen, kurz, sie war genau ebenso, wie ich sie bei zwei, drei Gelegenheiten zu sehen die Ehre gehabt hatte, seit ich in das Haus des Generals als Hauslehrer eingetreten war.</sentence>
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<sentence num="5">Sehr natürlich, daß ich vor ihr ganz starr vor Verwunderung dastand.</sentence>
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<sentence num="6">Sie hatte mich mit ihren Luchsaugen schon auf hundert Schritt Entfernung erblickt, als sie auf ihrem Stuhl ins Hotel getragen wurde, hatte mich erkannt und bei meinem Vornamen und Vatersnamen gerufen, wie sie denn solche Namen, wenn sie sie einmal gehört hatte, für immer im Gedächtnis zu behalten pflegte.</sentence>
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<sentence num="7">»Und von einer solchen Frau haben sie gehofft, sie würden sie im Sarg und beerdigt sehen und ihre Erbschaft antreten!« Das war der Gedanke, der mir durch den Kopf schoß.</sentence>
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<sentence num="8">»Die wird uns alle und die ganze Bewohnerschaft des Hotels überleben!</sentence>
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<sentence num="9">Aber, um Gottes willen, was wird nun aus den Unsrigen, was wird aus dem General! Sie wird nun das ganze Hotel auf den Kopf stellen!« »Nun, lieber Freund, warum stehst du denn so vor mir da und reißt die Augen auf?« schrie mich die alte Dame an.</sentence>
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<sentence num="10">»Eine Verbeugung zu machen und guten Tag zu sagen, das verstehst du wohl nicht, he?</sentence>
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<sentence num="11">Oder bist du stolz geworden und willst es nicht tun?</sentence>
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<sentence num="12">Oder hast du mich vielleicht nicht wiedererkannt?</sentence>
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<sentence num="13">Hörst du wohl, Potapytsch«, wandte sie sich an einen grauhaarigen Alten in Frack und weißer Krawatte und mit einer rosenfarbenen Glatze, ihren Haushofmeister, der sie auf der Reise begleitete, »hörst du wohl, er erkennt mich nicht wieder!</sentence>
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<sentence num="14">Sie haben mich schon begraben!</sentence>
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<sentence num="15">Ein Telegramm schickten sie über das andere: ›Ist sie gestorben oder nicht?‹ Ja, ja, ich weiß alles!</sentence>
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<sentence num="16">Aber siehst du wohl, ich bin noch fuchsmunter.« »Aber ich bitte Sie, Antonida Wassiljewna, wie sollte es mir in den Sinn kommen, Ihnen Übles zu wünschen?« erwiderte ich in heiterem Ton, sobald ich meine Gedanken wieder gesammelt hatte.</sentence>
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<sentence num="17">»Ich war nur zu erstaunt… Und wie sollte man sich auch da nicht wundern, wenn Sie so unerwartet… « »Was ist dir dabei verwunderlich?</sentence>
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<sentence num="18">Ich habe mich auf die Bahn gesetzt und bin hergefahren. Im Waggon fährt es sich ruhig; der stößt nicht wie ein Wagen. Du bist wohl spazierengegangen, wie?« »Ja, ich war nach dem Kurhaus gegangen.« »Hier ist es hübsch«, sagte die Tante, sich umschauend.</sentence>
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<sentence num="19">»Es ist warm, und da sind herrliche Bäume.</sentence>
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<sentence num="20">Das habe ich gern! Sind unsere Leute zu Hause?</sentence>
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<sentence num="21">Auch der General?« »Oh, gewiß werden sie zu Hause sein; zu dieser Stunde sind sie sicher alle zu Hause.« »Haben sie etwa auch hier Empfangsstunden eingeführt und alle möglichen andern Zeremonien?</sentence>
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<sentence num="22">Sie geben ja wohl den Ton in der Gesellschaft an. Ich habe gehört, sie halten sich Equipage, les seigneurs russes! Wenn sie sich in Rußland durch ihre Verschwendung ruiniert haben, dann heißt's: nun ins Ausland!</sentence>
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<sentence num="23">Ist auch Praskowja[R1] bei ihnen?« »Ja, Polina Alexandrowna ist auch hier.« »Auch der kleine Franzose? Na, ich werde sie ja bald alle selbst sehen.</sentence>
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<sentence num="24">Alexej Iwanowitsch, zeige mir den Weg direkt zu ihm.</sentence>
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<sentence num="25">Geht es dir hier gut?« »Es macht sich ja, Antonida Wassiljewna.« »Und du, Potapytsch, sage diesem Tölpel von Kellner, er solle mir ein bequemes Logis anweisen, ein hübsches Logis, nicht zu hoch gelegen; und dahin laß auch gleich die Sachen bringen!</sentence>
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<sentence num="26">Aber warum drängen sich denn alle dazu, mich zu tragen?</sentence>
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<sentence num="27">Warum sind sie so aufdringlich?</sentence>
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<sentence num="28">So ein Sklavenpack! Wen hast du da bei dir?« wandte sie sich wieder zu mir.</sentence>
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<sentence num="29">»Das ist Mister Astley«, erwiderte ich.</sentence>
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<sentence num="30">[F1: Ein vulgärer Name, wohl Polinas Taufname, der in der Familie des Generals durch den ausländischen Polina ersetzt worden war.</sentence>
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<sentence num="31">(A. d. Ü.)] »Was für ein Mister Astley?« »Ein vielgereister Marnn und ein guter Bekannter von mir; er ist auch mit dem General bekannt.« »Ein Engländer.</sentence>
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<sentence num="32">Na ja, darum glotzt er mich auch so an und bringt die Zähne nicht auseinander.</sentence>
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<sentence num="33">Übrigens mag ich die Engländer gern.</sentence>
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<sentence num="34">Na also, dann tragt mich nach oben, geradeswegs zu ihnen in ihre Wohnung; wo wohnen sie denn hier?« Die Tante wurde weitergetragen; ich ging auf der breiten Hoteltreppe voran.</sentence>
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<sentence num="35">Unser Zug machte einen großartigen Effekt. Alle, auf die wir trafen, blieben stehen und betrachteten uns mit weit geöffneten Augen.</sentence>
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<sentence num="36">Unser Hotel gilt als das beste, teuerste und aristokratischste dieses Badeortes. Auf der Treppe und den Korridoren begegnet man stets sehr elegant gekleideten Damen und vornehmen Engländern.</sentence>
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<sentence num="37">Viele erkundigten sich unten beim Oberkellner, der seinerseits einen außerordentlichen tiefen Eindruck empfangen hatte.</sentence>
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<sentence num="38">Er antwortete selbstverständlich allen Fragern, es sei eine sehr vornehme Ausländerin, une russe, une comtesse, grande dame, und sie nehme dasselbe Quartier, das eine Woche vorher la grande-duchessc de N. innegehabt habe.</sentence>
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<sentence num="39">Den Haupteffekt machte das herrische und gebieterische äußere Wesen, das die Tante zeigte, während sie auf ihrem Stuhl nach oben getragen wurde.</sentence>
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<sentence num="40">Bei der Begegnung mit jeder neuen Person maß sie diese sofort mit einem neugierigen Blick und befragte mich laut nach allen.</sentence>
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<sentence num="41">Die Tante war aus einer Familie von stämmigem Körperbau, und obgleich sie von ihrem Stuhl nicht aufstand, so merkte man doch, wenn man sie ansah, daß sie sehr hochgewachsen war.</sentence>
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<sentence num="42">Den Rücken hielt sie gerade wie ein Brett und lehnte sich nicht im Stuhl hinten an. Den grauhaarigen, großen Kopf mit den derben, scharfen Gesichtszügen trug sie hoch aufgerichtet; ihre Miene hatte dabei sogar etwas Hochmütiges und Herausforderndes.</sentence>
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<sentence num="43">Es war deutlich, daß ihr Blick und ihre Bewegungen vollkommen natürlich waren.</sentence>
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<sentence num="44">Trotz ihrer fünfundsiebzig Jahre sah ihr Gesicht noch ziemlich frisch aus, und selbst die Zähne hatten nicht allzuviel gelitten.</sentence>
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<sentence num="45">Ihr Anzug bestand aus einem schwarzen Seidenkleid und einer weißen Haube.</sentence>
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<sentence num="46">»Sie interessiert mich außerordentlich«, flüsterte mir Mister Astley zu, der neben mir die Treppe hinaufstieg.</sentence>
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<sentence num="47">»Von den Telegrammen weiß sie«, dachte ich bei mir; »de Grieux ist ihr ebenfalls bekannt; aber von Mademoiselle Blanche weiß sie anscheinend noch wenig.« Ich teilte dies sogleich Mister Astley mit.</sentence>
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<sentence num="48">Ich bin doch ein recht schändlicher Mensch!</sentence>
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<sentence num="49">Kaum hatte sich mein erstes Erstaunen gelegt, da freute ich mich furchtbar über den Donnerschlag, der unser Erscheinen im nächsten Augenblick für den General sein mußte.</sentence>
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<sentence num="50">Ich hatte ein Gefühl, als ob mich innerlich etwas aufstachelte, und ging in sehr heiterer Stimmung voran.</sentence>
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<sentence num="51">Die Unsrigen wohnten in der dritten Etage; ich ließ uns nicht anmelden und klopfte nicht einmal an der Tür an, sondern schlug einfach die Flügel weit zurück, und die Tante wurde im Triumph hereingetragen. Alle befanden sich, wie durch eine besondere Fügung, im Zimmer des Generals beisammen.</sentence>
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<sentence num="52">Es war zwölf Uhr, und sie besprachen, wie es schien, gerade einen geplanten Ausflug teils zu Wagen, teils zu Pferde; es sollte daran die ganze Gesellschaft teilnehmen, und es waren außerdem noch einige Bekannte aufgefordert.</sentence>
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<sentence num="53">Außer dem General, Polina, den Kindern und ihrer Kinderfrau waren im Zimmer anwesend: de Grieux, Mademoiselle Blanche, wieder im Reitkleid, ihre Mutter, Madame veuve Cominges, der kleine Fürst und endlich ein gelehrter Reisender, ein Deutscher, den ich bei ihnen zum erstenmal sah.</sentence>
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<sentence num="54">Die Träger setzten den Stuhl mit der Tante gerade in der Mitte des Zimmers, drei Schritte vom General entfernt, nieder. Gott im Himmel, nie werde ich den Eindruck vergessen, den das hervorbrachte!</sentence>
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<sentence num="55">Vor unserm Eintritt hatte der General etwas erzählt und de Grieux es berichtigt.</sentence>
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<sentence num="56">Es muß bemerkt werden, daß Mademoiselle Blanche und de Grieux schon seit zwei, drei Tagen aus irgendwelchem Grunde dem kleinen Fürsten stark den Hof machten, worüber sich der arme General ärgerte.</sentence>
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<sentence num="57">Die ganze Gesellschaft befand sich, wenn das auch vielleicht nur gekünstelt war, in der heitersten Stimmung, und das Gespräch wurde in munterem, familiärem Ton geführt.</sentence>
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<sentence num="58">Beim Anblick der Tante wurde der General plötzlich starr, riß den Mund auf und verstummte mitten in einem Wort.</sentence>
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<sentence num="59">Die Augen traten ihm ordentlich aus dem Kopf, und er schaute sie an, als wäre er durch den Blick eines Basilisken bezaubert.</sentence>
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<sentence num="60">Die Tante schaute ihn ebenfalls schweigend und ohne sich zu rühren an; aber was war das für ein triumphierender, herausfordernder, spöttischer Blick!</sentence>
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<sentence num="61">So sahen sie einander wohl zehn volle Sekunden lang an, unter tiefem Schweigen aller Anwesenden.</sentence>
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<sentence num="62">De Grieux war zunächst wie versteinert gewesen; aber sehr bald kam auf seinem Gesicht eine heftige Unruhe zum Ausbruch.</sentence>
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<sentence num="63">Mademoiselle Blanche zog die Augenbrauen in die Höhe, machte den Mund auf und richtete ihre verstörten Blicke auf die Tante.</sentence>
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<sentence num="64">Der Fürst und der Gelehrte betrachteten mit verständnislosem Staunen dieses ganze Bild, das sich ihnen darbot.</sentence>
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<sentence num="65">In Polinas Blick drückte sich eine grenzenlose Verwunderung aus; aber auf einmal wurde sie bleich wie Leinwand; einen Augenblick darauf schlug ihr das Blut schnell ins Gesicht zurück, so daß ihre Wangen dunkelrot wurden.</sentence>
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<sentence num="66">Ja, das war für sie alle eine Katastrophe!</sentence>
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<sentence num="67">Ich ließ meine Augen fortwährend zwischen der Tante und der ganzen Gesellschaft hin und her wandern.</sentence>
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<sentence num="68">Mister Astley stand etwas beiseite, wie gewöhnlich in ruhiger, wohlanständiger Haltung.</sentence>
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<sentence num="69">»Na, da bin ich also: Persönlich, statt eines Telegramms!« Mit diesen Worten unterbrach die Tante endlich das Schweigen.</sentence>
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<sentence num="70">»Nicht wahr, das hattet ihr wohl nicht erwartet?« »Antonida Wassiljewna… Liebe Tante… Aber wie geht es nur zu… «, murmelte der unglückliche General.</sentence>
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<sentence num="71">Hätte die Tante noch ein paar Sekunden länger geschwiegen, so würde ihn vielleicht der Schlag gerührt haben.</sentence>
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<sentence num="72">»Wie es zugeht? Ich habe mich auf die Eisenbahn gesetzt und bin hergefahren. Wozu wäre denn die Eisenbahn sonst da?</sentence>
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<sentence num="73">Und ihr habt alle gedacht, ich hätte schon die Augen für immer zugemacht und euch meine Erbschaft hinterlassen?</sentence>
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<sentence num="74">Siehst du, ich weiß, daß du von hier eine Menge Telegramme abgeschickt hast. Du wirst einen tüchtigen Batzen Geld dafür bezahlt haben, denke ich mir.</sentence>
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<sentence num="75">Von so weit her ist das nicht billig. Aber ich habe mich aufgemacht und bin hierhergefahren. Ist das der Franzose von früher?</sentence>
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<sentence num="76">Monsieur de Grieux, wenn mir recht ist?« »Oui, madame«, erwiderte de Grieux, »et croyez, je suis si enchanté… votre santé… c'est un miracle… vous voir ici… une surprise charmante… « »So, so, charmante; ich kenne dich, du Heuchler; ich glaube dir auch nicht so viel!« Dabei zeigte sie es ihm an ihrem kleinen Finger.</sentence>
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<sentence num="77">»Was ist denn das für eine?« fragte sie, indem sie sich umwandte und auf Mademoiselle Blanche wies.</sentence>
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<sentence num="78">Die hübsche Französin, im Reitkleid, die Reitpeitsche in der Hand, erregte offenbar ihr lebhaftes Interesse.</sentence>
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<sentence num="79">»Wohl eine von hier, wie?« »Das ist Mademoiselle Blanche de Cominges, und dort ist auch ihre Mutter, Madame de Cominges; sie wohnen ebenfalls hier im Hotel«, berichtete ich.</sentence>
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<sentence num="80">»Ist die Tochter verheiratet?« erkundigte sich die Tante ganz ungeniert.</sentence>
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<sentence num="81">»Mademoiselle de Cominges ist ledig«, antwortete ich möglichst respektvoll und absichtlich nur halblaut.</sentence>
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<sentence num="82">»Ist sie eine lustige Person?« Der Sinn dieser Frage war mir nicht sofort klar.</sentence>
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</chapter>
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<chapter num="10" name="Zehntes Kapitel">
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<sentence num="1"> In den Badeorten (und, wie es scheint, auch im ganzen übrigen westlichen Europa) lassen sich die Hoteliers und Oberkellner, wenn sie den Gästen ihr Logis anweisen, nicht sowohl von deren Forderungen und Wünschen leiten, als vielmehr von ihrem eigenen persönlichen Urteil über sie, und man muß zugeben, daß sie dabei nur selten Irrtümer begehen. Aber der Tante war (warum eigentlich?)</sentence>
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<sentence num="2">ein so großartiges Quartier angewiesen, daß sie denn doch überschätzt war: vier prachtvoll möblierte Zimmer, nebst einem Badezimmer, den erforderlichen Räumlichkeiten für die Dienerschaft, einem besonderen Zimmerchen für die Zofe usw. usw. In diesen Zimmern hatte tatsächlich eine Woche vorher eine Großherzogin logiert, was denn auch natürlich den neuen Bewohnern sofort mitgeteilt wurde, um damit eine weitere Erhöhung des an sich schon hohen Wohnungspreises zu rechtfertigen.</sentence>
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<sentence num="3">Die Tante wurde in allen Zimmern umhergetragen oder, richtiger gesagt, in ihrem Rollstuhl umhergefahren und unterzog sie einer aufmerksamen, strengen Musterung. Der Oberkellner, ein schon bejahrter Mann mit kahlem Kopf, begleitete sie respektvoll bei dieser ersten Besichtigung.</sentence>
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<sentence num="4">Wofür eigentlich alle die Tante hielten, weiß ich nicht genau; aber anscheinend taxierte man sie für eine sehr vornehme Persönlichkeit und, was die Hauptsache war, für außerordentlich reich.</sentence>
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<sentence num="5">In das Fremdenbuch wurde sogleich eingetragen: Madame la générale princesse de Tarassevitcheva, obwohl die Tante ganz und gar keine Fürstin war.</sentence>
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<sentence num="6">Die eigene Dienerschaft, das besondere Abteil auf der Eisenbahn, die Unmenge unnötiger Koffer, Schachteln und Kisten, die sie mit sich führte, hatten für diese Wertschätzung wahrscheinlich den Grund gelegt; und der Lehnstuhl, der entschiedene Ton, die scharfe Stimme der alten Dame und die absonderlichen Fragen, die sie in der ungeniertesten, keinen Widerspruch duldenden Weise stellte, kurz, ihr ganzes Wesen, rücksichtslos, scharf, gebieterisch, steigerte die allgemeine Hochachtung vor ihr noch um ein Beträchtliches.</sentence>
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<sentence num="7">Bei der Besichtigung ließ die Tante ein paarmal den Rollstuhl plötzlich anhalten, zeigte auf ein oder das andere Stück des Meublements und wandte sich mit unerwarteten Fragen an den respektvoll lächelnden, aber bereits etwas ängstlich werdenden Oberkellner.</sentence>
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<sentence num="8">Sie stellte ihre Fragen auf französisch, das sie aber ziemlich schlecht sprach, so daß ich es meistens erst noch übersetzen mußte.</sentence>
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<sentence num="9">Die Antworten des Oberkellners mißfielen ihr größtenteils und schienen ihr unbefriedigend.</sentence>
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<sentence num="10">Aber sie fragte auch fortwährend nach Gott weiß was für Dingen.</sentence>
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<sentence num="11">So machte sie zum Beispiel auf einmal vor einem Gemälde halt, einer ziemlich schwachen Kopie irgendeines bekannten Originals, das ein Wesen der Mythologie darstellte.</sentence>
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<sentence num="12">»Wessen Porträt ist das?« Der Oberkellner erwiderte, es werde wohl eine Gräfin sein.</sentence>
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<sentence num="13">»Wie kommt es, daß du das nicht weißt? Wohnst hier und weißt das nicht!</sentence>
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<sentence num="14">Wozu ist das Bild überhaupt hier?</sentence>
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<sentence num="15">Und warum schielen auf ihm die Augen so?« Auf all diese Fragen war der Oberkellner nicht imstande, befriedigend zu antworten und wurde ganz verlegen.</sentence>
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<sentence num="16">»So ein Tölpel!« rief die alte Tante auf russisch. Sie wurde weitergefahren. Dieselbe Geschichte wiederholte sich bei einer kleinen Meißner Porzellanfigur, die die Alte lange betrachtete und dann (niemand wußte, warum) fortzuschaffen befahl. Endlich brachte sie den Oberkellner mit der Frage in Bedrängnis, was die Teppiche im Schlafzimmer gekostet hätten, und wo sie gewebt seien.</sentence>
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<sentence num="17">Der Oberkellner versprach, sich danach zu erkundigen. »Was sind das hier für Esel!« brummte die Tante und richtete nun ihre ganze Aufmerksamkeit auf das Bett. »So ein luxuriöser Baldachin! Schlagt mal den Vorhang zurück!« Der Bettvorhang wurde zurückgeschlagen.</sentence>
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<sentence num="18">»Noch weiter, noch weiter, schlagt ihn ganz zurück!</sentence>
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<sentence num="19">Nehmt die Kissen weg, das Laken; hebt das Federbett in die Höhe!« Alles wurde umgewälzt.</sentence>
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<sentence num="20">Die Tante schaute aufmerksam hin. »Gut, daß keine Wanzen da sind. Weg mit der ganzen Bettwäsche! Das Bett soll mit meinen eigenen Kissen und mit meiner eigenen Bettwäsche zurechtgemacht werden.</sentence>
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<sentence num="21">Aber all das ist viel zu luxuriös; wozu brauche ich alte Frau eine solche Wohnung? Da langweile ich mich nur darin, wenn ich allein bin.</sentence>
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<sentence num="22">Alexej Iwanowitsch, komm recht oft zu mir, wenn du mit dem Unterricht der Kinder fertig bist!« »Ich bin seit gestern nicht mehr in Stellung beim General«, antwortete ich. »Ich wohne im Hotel als ganz selbständiger Gast.« »Woher ist denn das gekommen?« »Es ist hier neulich ein vornehmer deutscher Baron mit seiner Gemahlin, der Baronin, aus Berlin angekommen.</sentence>
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<sentence num="23">Ich redete die beiden gestern auf der Promenade deutsch an, ohne mich an die Berliner Aussprache zu halten.« »Nun, und was weiter?« »Er hielt das für eine Frechheit und beschwerte sich beim General, und der General entließ mich gestern aus meiner Stellung.« »Du hast ihn wohl beschimpft, den Baron, nicht wahr?</sentence>
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<sentence num="24">Aber wenn du das auch getan hättest, so schadete es nichts!« »O nein, das habe ich nicht getan.</sentence>
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<sentence num="25">Im Gegenteil, der Baron hat den Stock gegen mich erhoben.« »Und du, schlapper Kerl, hast es geduldet, daß jemand deinen Hauslehrer so behandelt?« wandte sie sich brüsk an den General, »und hast ihn obendrein aus dem Dienst gejagt?</sentence>
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<sentence num="26">Schlafmützen seid ihr hier, lauter Schlafmützen, das sehe ich schon.« »Regen Sie sich nicht auf, liebe Tante«, erwiderte der General mit einer halb hochmütigen, halb familiären Tonfärbung; »ich weiß schon allein in meinen Angelegenheiten das Richtige zu treffen.</sentence>
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<sentence num="27">Potapytsch, sorge dafür, daß immer zwei Dienstmänner bereit sind; engagiere sie und mache mit ihnen alles ab!</sentence>
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<sentence num="28">Mehr als zwei sind nicht nötig.</sentence>
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<sentence num="29">Zu tragen brauchen sie mich nur auf den Treppen; wo es eben ist, auf der Straße, müssen sie mich schieben; das setze ihnen auseinander! Und bezahle ihnen ihr Geld im voraus; dann sind solche Leute respektvoller.</sentence>
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<sentence num="30">Du selbst bleibe immer um mich, und du, Alexej Iwanowitsch, zeige mir doch diesen Baron auf der Promenade; ich möchte mir diesen ›Herrn Baron von‹ doch wenigstens einmal ansehen.</sentence>
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<sentence num="31">Nun also, wo ist denn dieses Roulett?« Ich berichtete ihr, das Roulett sei im Kurhaus untergebracht, in den dortigen Sälen.</sentence>
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<sentence num="32">Nun folgten weitere Fragen: ob viele Roulettspiele da seien, ob viele Leute spielten, ob den ganzen Tag über gespielt werde, wie das Spiel eingerichtet sei.</sentence>
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<sentence num="33">Ich antwortete schließlich, das beste wäre, es mit eigenen Augen anzusehen; denn es bloß so zu beschreiben sei eine recht schwere Aufgabe. »Na gut, dann schafft mich geradewegs dorthin! Geh voran, Alexej Iwanowitsch!« »Wie, liebe Tante!</sentence>
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<sentence num="34">Wollen Sie sich denn wirklich nicht einmal erst von der Reise erholen?« fragte der General sorglich.</sentence>
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<sentence num="35">Er war in eine gewisse Unruhe geraten, und auch die andern waren alle einigermaßen verlegen geworden und wechselten Blicke miteinander.</sentence>
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<sentence num="36">Wahrscheinlich genierten sie sich ein bißchen oder schämten sich sogar, die alte Tante geradeswegs nach dem Kurhaus zu begleiten, wo sie selbstverständlich irgendwelche Wunderlichkeiten begehen konnte, und zwar, was das Schlimmste war, in aller Öffentlichkeit.</sentence>
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<sentence num="37">Indes erboten sich trotzdem alle, sie dorthin zu begleiten. »Wozu brauche ich mich erst noch zu erholen? Ich bin nicht müde; ich habe ohnehin fünf Tage lang gesessen. Und dann wollen wir uns ansehen, was es hier für Brunnen und Heilquellen gibt, und wo sie sind.</sentence>
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<sentence num="38">Und dann… dann wollen wir nach dem Aussichtspunkt, von dem du sagtest, Praskowja, Und was gibt es hier sonst noch zu sehen?« »Da ist noch vielerlei, Großmütterchen«, erwiderte Polina, die sich nicht gleich zu helfen wußte.</sentence>
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<sentence num="39">»Na, du weißt es wohl selbst nicht. Maria, du kommst auch mit mir mit«, sagte sie zu ihrer Zofe. »Aber wozu soll denn die mitkommen, liebe Tante?« wandte der General beunruhigt ein.</sentence>
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<sentence num="40">»Es wird auch gar nicht gehen; auch Potapytsch wird schwerlich in das Kurhaus hereingelassen werden.« »Ach, dummes Zeug! Bloß weil sie eine Dienerin ist, sollte ich mich nicht um sie kümmern?</sentence>
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<sentence num="41">Sie ist ja doch auch ein lebendiger Mensch; nun haben wir schon eine Woche auf der Bahn gesessen, da wird sie auch Lust haben, etwas zu sehen.</sentence>
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<sentence num="42">Und mit wem soll sie ausgehen als mit mir?</sentence>
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<sentence num="43">Allein würde sie ja nicht wagen, auch nur die Nase auf die Straße zu stecken.« »Aber, Großmütterchen… « »Schämst du dich etwa, mit mir zu gehen?</sentence>
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<sentence num="44">Dann bleib doch zu Hause; es bittet dich ja niemand mitzukommen.</sentence>
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<sentence num="45">Nun seh einer so einen vornehmen General! Aber ich bin ja auch selbst eine Frau Generalin.</sentence>
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<sentence num="46">Und was hat das überhaupt für einen Zweck, wenn ihr alle hinter mir herzieht? Das ist ja eine ordentliche Schleppe!</sentence>
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<sentence num="47">Ich kann mir auch mit Alexej Iwanowitsch allein alles besehen… « Aber de Grieux bestand energisch darauf, daß alle sie begleiten müßten, und erging sich in den liebenswürdigsten Redewendungen über das Vergnügen, mit ihr gehen zu dürfen usw. So setzten sich denn alle in Bewegung.</sentence>
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<sentence num="48">»Elle est tombée en enfance«, sagte de Grieux noch einmal, wie vorher zu mir, so jetzt leise zum General; »seule, elle fera des bêtises… « Was er weiter sagte, konnte ich nicht verstehen; aber offenbar hatte er irgendwelche Absichten, und vielleicht waren bei ihm auch schon wieder Hoffnungen rege geworden.</sentence>
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<sentence num="49">Bis zum Kurhaus waren etwa neunhundert Schritt. Unser Weg ging durch die Kastanienallee zu einem viereckigen Platz mit Anlagen; um diesen mußte man herumgehen und trat dann unmittelbar ins Kurhaus.</sentence>
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<sentence num="50">Und es war ja auch nichts Verwunderliches an dem Umstand, daß eine kranke, schwache Person, die nicht gehen konnte, sich in diesem Kurort eingefunden hatte.</sentence>
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<sentence num="51">Aber augenscheinlich fürchtete der General den Eindruck, den unser Erscheinen in den Spielsälen machen mußte. Was hat ein kranker Mensch, der nicht gehen kann, und noch dazu eine alte Dame, beim Roulett zu suchen? Polina und Mademoiselle Blanche gingen jede an einer Seite des Rollstuhls.</sentence>
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<sentence num="52">Mademoiselle Blanche lachte, zeigte eine bescheidene Heiterkeit und scherzte sogar mitunter in liebenswürdigster Weise mit der Tante, so daß diese sie schließlich lobte.</sentence>
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<sentence num="53">Polina, die auf der andern Seite ging, mußte auf die zahllosen Fragen antworten, die die Tante alle Augenblicke an sie richtete, Fragen von dieser Art: »Wer war das, der da eben vorbeiging? Was fuhr da für eine Dame? Ist die Stadt groß?</sentence>
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<sentence num="54">Ist der Park groß? Was sind das für Bäume? Was sind das für Berge? Fliegen da Adler?</sentence>
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<sentence num="55">Was ist das für ein komisches Dach?« Mister Astley ging neben mir und flüsterte mir zu, er erwarte von diesem Vormittag vieles.</sentence>
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<sentence num="56">Potapytsch und Marfa gingen unmittelbar hinter dem Rollstuhl, Potapytsch in seinem Frack und mit seiner weißen Krawatte, aber jetzt mit einer Schirmmütze, Marfa, ein etwa vierzigjähriges Mädchen mit frischem Teint, aber bereits ergrauendem Haar, in einem Kattunkleid, mit einem Häubchen und mit derbledernen, knarrenden Schuhen.</sentence>
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<sentence num="57">Die Tante drehte sich sehr häufig zu ihnen um und sprach mit ihnen. De Grieux, der mit dem General redete, zeigte eine energische Miene; vielleicht sprach er ihm Mut zu, und augenscheinlich erteilte er ihm Ratschläge. Aber die Tante hatte vorhin bereits das fatale Wort gesprochen: »Geld werde ich dir nicht geben.« Möglicherweise meinte de Grieux, diese Ankündigung sei wohl nicht so ernst gemeint; aber der General kannte sein liebes Tantchen.</sentence>
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<sentence num="58">Ich beobachtete, daß de Grieux und Mademoiselle Blanche fortfuhren, miteinander verstohlene Blicke zu wechseln.</sentence>
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<sentence num="59">Den Fürsten und den deutschen Reisenden bemerkte ich ganz hinten am Ende der Allee; sie waren zurückgeblieben und bogen nun, um sich von uns zu trennen, seitwärts ab.</sentence>
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<sentence num="60">Das Kurhaus betraten wir wie ein Triumphzug. Der Portier und die Diener legten dieselbe respektvolle Ehrerbietung an den Tag wie die Hoteldienerschaft, betrachteten uns aber dabei doch mit einer gewissen Neugier.</sentence>
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<sentence num="61">Die Tante ließ sich zunächst durch alle Säle fahren; manches lobte sie, gegen andres blieb sie völlig gleichgültig; nach allem fragte sie.</sentence>
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<sentence num="62">Endlich gelangten wir auch zu den Spielsälen. Der Diener, der als Schildwache an der geschlossenen Tür stand, schlug, höchlichst überrascht, schnell beide Türflügel weit zurück. Das Erscheinen der Tante beim Roulett machte einen starken Eindruck auf das Publikum.</sentence>
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<sentence num="63">Um die Roulettische und den Tisch mit Trente-et-quarante, der am anderen Ende des Saales aufgestellt war, drängten sich vielleicht hundertfünfzig bis zweihundert Spieler in mehreren Reihen hintereinander.</sentence>
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<sentence num="64">Diejenigen, denen es gelungen war, sich bis unmittelbar an einen Tisch durchzudrängen, behaupteten ihre Plätze wie gewöhnlich mit zäher Energie und gaben sie nicht früher auf, als bis sie alles verspielt hatten; denn nur so als bloße Zuschauer dazustehen und nutzlos einen Platz innezuhaben, an dem gespielt werden konnte, war nicht gestattet.</sentence>
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<sentence num="65">Wiewohl um den Tisch herum Stühle aufgestellt sind, setzen sich doch nur wenige Spieler hin, besonders bei starkem Andrang des Publikums. Denn im Stehen nimmt man weniger Raum ein und kann darum leichter einen Platz ergattern; auch seine Einsätze macht man mit mehr Bequemlichkeit, wenn man steht.</sentence>
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<sentence num="66">Gegen die erste Reihe drückte von hinten eine zweite und dritte, in der die Menschen darauf lauerten, wann sie selbst darankommen würden; aber mitunter schob sich aus der zweiten Reihe ungeduldig eine Hand durch die erste hindurch, um einen Einsatz zu machen.</sentence>
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<sentence num="67">Sogar aus der dritten Reihe praktizierte ein oder der andere auf diese Weise mit besonderer Geschicklichkeit seinen Einsatz auf den Tisch; die Folge davon war, daß keine zehn oder auch nur fünf Minuten vergingen, ohne daß es an einem der Tische zu Skandalszenen wegen strittiger Einsätze gekommen wäre.</sentence>
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<sentence num="68">Übrigens ist die Polizei des Kurhauses recht gut.</sentence>
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<sentence num="69">Gegen das Gedränge läßt sich natürlich nichts tun; im Gegenteil freut man sich über den Andrang des Publikums wegen des damit verbundenen Vorteils; aber die acht Croupiers, die an den Tischen sitzen, passen mit angestrengter Aufmerksamkeit auf die Einsätze auf; sie sind es auch, die die Gewinne auszahlen und, falls Streitigkeiten entstehen, diese entscheiden.</sentence>
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<sentence num="70">Schlimmstenfalls rufen sie die Polizei herbei, und dann wird die Sache im Umsehen erledigt. Die Polizisten sind dauernd im Saal stationiert und befinden sich in Zivilkleidung unter den Zuschauern, so daß man sie nicht erkennen kann. Sie passen besonders auf Diebe und Gauner auf, deren es wegen der außerordentlich bequemen Ausübung dieses Gewerbes beim Roulett sehr viele gibt.</sentence>
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<sentence num="71">Und in der Tat, überall sonst muß man aus Taschen und verschlossenen Behältnissen stehlen, und das endet im Falle des Mißlingens sehr unangenehm. Hier aber braucht man es nur ganz einfach folgendermaßen zu machen: man geht zum Roulett, fängt an zu spielen, nimmt sich auf einmal offen und vor aller Augen einen fremden Gewinn und steckt ihn in seine Tasche; entsteht ein Streit, so behauptet der Gauner laut und mit aller Bestimmtheit, der Einsatz sei der seinige.</sentence>
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<sentence num="72">Wenn das geschickt gemacht wird und die Zeugen sich ihrer Sache nicht ganz sicher sind, so gelingt es dem Dieb oft, sich das Geld anzueignen, selbstverständlich nur dann, wenn die Summe nicht sehr beträchtlich ist. Im letzteren Fall pflegt sie schon vorher die Aufmerksamkeit des Croupiers oder eines der Mitspieler erregt zu haben.</sentence>
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<sentence num="73">Ist aber die Summe nicht so bedeutend, so verzichtet der wirkliche Eigentümer mitunter sogar aus Scheu vor einem Skandal auf eine Fortsetzung des Streites und geht davon. Gelingt es dagegen, einen Dieb zu überführen, so wird er sogleich unter großem Aufsehen abgeführt.</sentence>
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<sentence num="74">Alles das sah sich die Tante von weitem und mit scheuer Neugier an. Es gefiel ihr sehr, daß ein paar Diebe hinaustransportiert wurden. Das Trente-et-quarante erweckte ihr Interesse nur in geringem Grade; besser gefiel ihr das Roulett mit dem herumlaufenden Kügelchen. Endlich bekam sie Lust, das Spiel aus größerer Nähe mit anzusehen.</sentence>
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<sentence num="75">Ich begreife nicht, wie es möglich war, aber die Saaldiener und einige eifrige Kommissionäre (es sind dies vorzugsweise Polen, die ihr ganzes Geld verspielt haben und nun glücklicheren Spielern sowie allen Ausländern ihre Dienste aufdrängen) fanden trotz des argen Gedränges einen Platz, den sie für die Tante frei machten, gerade in der Mitte des Tisches neben dem Obercroupier, und rollten ihren Stuhl dorthin.</sentence>
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<sentence num="76">Eine Menge von Besuchern, die nicht selbst spielten, sondern nur aus einiger Entfernung dem Spiel zuschauten (in der Hauptsache Engländer mit ihren Familien), drängte sich sogleich zu diesem Tisch, um hinter den Spielern stehend die alte Dame zu beobachten.</sentence>
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<sentence num="77">Viele Lorgnetten richteten sich auf sie. Die Croupiers gaben sich besonderen Hoffnungen hin: von einem so originellen Spieler konnte man allerdings etwas Ungewöhnliches erwarten.</sentence>
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<sentence num="78">Eine fünfundsiebzigjährige Dame, die nicht gehen konnte und spielen wollte, das war freilich ein Fall, wie er nicht alle Tage vorkam.</sentence>
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<sentence num="79">Ich drängte mich gleichfalls zum Tisch durch und stellte mich neben die Tante.</sentence>
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<sentence num="80">Potapytsch und Marfa hatten in weiter Entfernung zurückbleiben müssen und standen dort irgendwo mitten im Menschenschwarm. Der General, Polina, de Grieux und Mademoiselle Blanche standen gleichfalls ziemlich weit entfernt von uns unter den Zuschauern.</sentence>
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<sentence num="81">Die Tante betrachtete zunächst die Spieler und flüsterte mir in ihrem scharfen Ton kurze Fragen zu: »Was ist das für einer?</sentence>
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<sentence num="82">Wer ist diese Dame?« Besonders gefiel ihr an einem Ende des Tisches ein noch sehr junger Mensch, der hoch spielte, Tausende mit einem Male setzte und, wie unter den Umstehenden geflüstert wurde, bereits gegen vierzigtausend Franc gewonnen hatte, die in einem Häufchen vor ihm lagen, Gold und Banknoten.</sentence>
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<sentence num="83">Er sah blaß aus; seine Augen glänzten, die Hände zitterten ihm; er setzte bereits, ohne überhaupt zu zählen, soviel er mit der Hand gerade erfaßte, und dabei gewann er fortwährend und häufte immer mehr Geld zusammen. Die Saaldiener waren eifrig um ihn beschäftigt; sie rückten ihm von hinten einen Sessel heran und hielten um ihn herum etwas Raum frei, damit er sich besser bewegen könne und von den andern nicht so gedrängt werde – alles in Erwartung eines reichen Trinkgeldes.</sentence>
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<sentence num="84">Denn manche Spieler geben von ihrem Gewinn den Dienern, ohne zu zählen, in der Freude ihres Herzens, soviel sie mit der Hand in der Tasche zu fassen bekommen.</sentence>
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<sentence num="85">Neben dem jungen Mann hatte bereits ein Pole Aufstellung genommen, der sich aus allen Kräften um ihn bemühte und ihm respektvoll, aber ohne Unterlaß etwas zuflüsterte, Anweisungen, wie er setzen solle, Ratschläge und Belehrungen das Spiel betreffend – natürlich erwartete er ebenfalls nachher ein Geldgeschenk!</sentence>
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<sentence num="86">Aber der Spieler sah fast gar nicht nach ihm hin, setzte, wie es sich gerade traf, und strich immer neue Gewinne ein.</sentence>
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<sentence num="87">Er wußte offenbar gar nicht mehr, was er tat. Die Alte beobachtete ihn ein paar Minuten lang.</sentence>
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<sentence num="88">»Sage ihm doch«, wandte sie sich plötzlich voller Eifer an mich, indem sie mich anstieß, »sage ihm doch, er möchte aufhören, er möchte schleunigst sein Geld nehmen und davongehen.</sentence>
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<sentence num="89">Er wird verlieren, im nächsten Augenblick wird er alles verlieren!« Sie konnte vor Aufregung kaum atmen. »Wo ist Potapytsch? Schicke doch Potapytsch zu ihm hin!</sentence>
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<sentence num="90">Sage es ihm doch, sage es ihm doch!« wiederholte sie, mich wieder anstoßend.</sentence>
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<sentence num="91">»Aber wo in aller Welt ist denn Potapytsch? Sortez, sortez!« begann sie selbst dem jungen Mann zuzurufen.</sentence>
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<sentence num="92">Ich beugte mich zu ihr herunter und flüsterte ihr nachdrücklich zu, so zu rufen sei hier nicht gestattet, nicht einmal laut zu reden, da das die Berechnungen störe; es sei zu befürchten, daß wir sofort hinausgewiesen würden.</sentence>
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<sentence num="93">»So ein Ärger! Der Mensch ist verloren! Na, es ist sein eigener Wille… ich mag gar nicht nach ihm hinsehen; mir wird ganz übel davon. So ein Dummkopf!« Bei diesen Worten drehte sich die Tante schnell nach der anderen Seite.</sentence>
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<sentence num="94">Dort, zur Linken, an der andern Hälfte des Tisches, zog unter den Spielern eine junge Dame, neben der ein Zwerg stand, die Aufmerksamkeit auf sich.</sentence>
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<sentence num="95">Wer dieser Zwerg war, weiß ich nicht; ob es ein Verwandter von ihr war, oder ob sie ihn nur so um Aufsehen zu erregen, mitnahm. Diese Dame hatte ich schon früher bemerkt; sie erschien am Spieltisch täglich um ein Uhr mittags und ging pünktlich um zwei.</sentence>
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<sentence num="96">Sie war schon allgemein bekannt, und es wurde ihr bei ihrem Erscheinen sofort ein Sessel hingestellt.</sentence>
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<sentence num="97">Sie zog ein paar Goldstücke oder ein paar Tausendfrancscheine aus der Tasche und begann zu setzen, ruhig, kaltblütig, mit Überlegung; auf einem Blatt Papier notierte sie mit Bleistift die Zahlen, die herausgekommen waren, und suchte die systematische Ordnung zu erkennen, in der sich diese gruppierten. Ihre Einsätze waren von ansehnlicher Höhe.</sentence>
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<sentence num="98">Sie gewann täglich ein-, zwei-, höchstens dreitausend Franc, nicht mehr, und ging, sobald sie die gewonnen hatte, sofort weg.</sentence>
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<sentence num="99">Die Tante beobachtete sie längere Zeit. »Na, die da wird nicht verlieren! Die wird nicht verlieren! Was ist das für eine?</sentence>
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<sentence num="100">Kennst du sie nicht? Wer ist sie?« »Es ist eine Französin, wahrscheinlich so eine«, flüsterte ich.</sentence>
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<sentence num="101">»Ah, man erkennt den Vogel am Fluge. Die hat offenbar scharfe Krallen.</sentence>
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<sentence num="102">Jetzt erkläre mir, was jeder Umlauf der Kugel bedeutet, und wie man setzen muß!« Ich setzte der Tante nach Möglichkeit auseinander, was es mit den zahlreichen Arten des Setzens für eine Bewandtnis hat: mit rouge et noir, pair et impair, manque et passe, sowie endlich mit den verschiedenen Variationen beim Setzen auf Zahlen.</sentence>
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<sentence num="103">Die Tante hörte aufmerksam zu, merkte sich, was ich sagte, fragte, wo sie etwas nicht verstand, und gewann so einen guten Einblick.</sentence>
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<sentence num="104">Für jede Gattung von Einsätzen konnte ich ihr sofort Beispiele vor Augen führen, so daß sie vieles sehr leicht und schnell begriff und sich einprägte.</sentence>
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<sentence num="105">Die Tante war sehr befriedigt. »Aber was bedeutet zéro? Dieser Croupier da, der krausköpfige, der oberste von ihnen, hat eben gerufen: >zéro »Zéro, Großmütterchen, das ist der Vorteil für die Bank. Wenn die Kugel auf zéro fällt, so gehören alle Einsätze auf dem Tisch der Bank, ohne weitere Berechnung.</sentence>
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<sentence num="106">Allerdings hat man noch die Möglichkeit des Quittspiels; aber dann zahlt im Falle des Gewinnes die Bank nichts.« »Na, so etwas!</sentence>
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<sentence num="107">Und ich bekomme gar nichts?« »Nicht doch, Großmütterchen; wenn Sie vorher auf zéro gesetzt haben und zéro dann herauskommt, so wird Ihnen das Fünfunddreißigfache bezahlt.« »Was?</sentence>
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<sentence num="108">Das Fünfunddreißigfache? Und kommt das oft heraus? Warum setzen sie denn nicht darauf, die Dummköpfe?« »Es sind sechsunddreißig Chancen dagegen, Großmütterchen.« »Ach was, Unsinn!</sentence>
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<sentence num="109">Potapytsch, Potapytsch! Warte mal, ich habe selbst Geld bei mir – da!« Sie zog eine wohlgespickte Geldbörse aus der Tasche und entnahm ihr einen Friedrichsdor.</sentence>
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<sentence num="110">»Da! Setz das gleich mal auf zéro!« »Großmütterchen, zéro ist eben herausgekommen«, sagte ich, »also wird es jetzt lange Zeit nicht herauskommen.</sentence>
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<sentence num="111">Sie werden viel verlieren, wenn Sie bis dahin immer auf zéro setzen wollen.</sentence>
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<sentence num="112">Warten Sie lieber noch ein Weilchen!« »Rede nicht dummes Zeug!</sentence>
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<sentence num="113">Setze nur!« »Wie Sie wünschen; aber es kommt vielleicht bis zum Abend nicht wieder heraus; Sie können Tausende von Francs verlieren; das ist alles schon vorgekommen.« »Ach, Unsinn, Unsinn!</sentence>
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<sentence num="114">Wer sich vor dem Wolf fürchtet, der muß nicht in den Wald gehen.</sentence>
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<sentence num="115">Was? Ich habe verloren? Setz noch einmal!« Auch der zweite Friedrichsdor ging verloren: wir setzten den dritten. Die Tante konnte kaum stillsitzen; mit heißen Augen folgte sie der Kugel, die an den Zacken des sich drehenden Rades hinsprang.</sentence>
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<sentence num="116">Auch der dritte ging verloren. Die Tante war außer sich; sie rückte auf ihrem Sitz fortwährend hin und her und schlug sogar mit der Faust auf den Tisch, als der Croupier »trente-six« rief, statt des erwarteten zéro.</sentence>
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<sentence num="117">»Na so ein Kerl!« ereiferte sich die Tante.</sentence>
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<sentence num="118">»Wird denn dieses verdammte zéro nicht bald herauskommen?</sentence>
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<sentence num="119">Ich will des Todes sein, wenn ich nicht sitzenbleibe, bis es herauskommt! Das macht alles dieser verdammte krausköpfige Croupier da; bei dem kommt es nie heraus!</sentence>
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<sentence num="120">Alexej Iwanowitsch, setze zwei Goldstücke mit einemmal!</sentence>
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<sentence num="121">Du setzt ja so wenig, daß, auch wenn zéro wirklich kommt, wir nichts Ordentliches einnehmen.« »Großmütterchen!« »Setze, setze!</sentence>
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<sentence num="122">Es ist nicht dein Geld!« Ich setzte zwei Friedrichsdor.</sentence>
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<sentence num="123">Die Kugel flog lange im Rad herum; endlich begann sie an den Zacken zu springen.</sentence>
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<sentence num="124">Die alte Dame war ganz starr und preßte meine Hand zusammen. Und auf einmal kam's: »Zéro!« rief der Croupier.</sentence>
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<sentence num="125">»Siehst du, siehst du?« wandte sich die Tante schnell zu mir; sie strahlte über das ganze Gesicht und war selig. »Ich habe es dir ja gesagt! Das hat mir Gott selbst eingegeben, gleich zwei Goldstücke zu setzen! Na, wieviel bekomme ich nun?</sentence>
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<sentence num="126">Warum zahlen sie mir denn das Geld nicht aus? Potapytsch. Marfa! Wo sind sie denn?</sentence>
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<sentence num="127">Wo sind die Unsrigen alle geblieben? Potapytsch, Potapytsch!« »Großmütterchen, alles nachher, nachher!« flüsterte ich ihr zu.</sentence>
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<sentence num="128">»Potapytsch steht an der Tür, man läßt ihn nicht bis hierher.</sentence>
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<sentence num="129">Sehen Sie, Großmütterchen, da zahlen sie Ihnen das Geld aus; nehmen Sie es in Empfang!« Man warf ihr eine schwere, versiegelte Rolle in blauem Papier, die fünfzig Friedrichsdor enthielt, hin und zählte ihr noch zwanzig lose Friedrichsdor auf.</sentence>
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<sentence num="130">Dieses ganze Geld zog ich mit einer Krücke zu der Tante heran. »Faites le jeu, messieurs!</sentence>
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<sentence num="131">Faites le jeu, messieurs! Rien ne va plus?« rief der Croupier, zum Setzen auffordernd, und schickte sich an, das Roulett zu drehen.</sentence>
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<sentence num="132">»Mein Gott! Wir kommen zu spät! Er dreht gleich los! Setze, setze!« rief die Tante eifrig.</sentence>
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<sentence num="133">Das Rad drehte sich lange.</sentence>
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<sentence num="134">Die Tante, die das Rad gespannt beobachtete, zitterte am ganzen Leib.</sentence>
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<sentence num="135">»Kann sie wirklich glauben, daß zéro wieder gewinnen wird?« dachte ich, während ich sie erstaunt anblickte.</sentence>
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<sentence num="136">Auf ihrem strahlenden Gesicht lag der Ausdruck der festen Überzeugung, daß sie gewinnen werde, der bestimmten Erwartung, es werde im nächsten Augenblick gerufen werden: »Zéro!« Die Kugel sprang in ein Fach.</sentence>
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<sentence num="137">»Zéro!« rief der Croupier.</sentence>
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<sentence num="138">»Na also!« wandte sich die Tante mit einer Miene wilden Triumphes zu mir.</sentence>
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<chapter num="11" name="Elftes Kapitel">
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<sentence num="1"> Der Stuhl wurde zur Tür nach dem andern Ende des Saales hingerollt.</sentence>
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<sentence num="2">Die Tante strahlte.</sentence>
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<sentence num="3">Die Unsrigen umdrängten sie sogleich alle mit Glückwünschen.</sentence>
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<sentence num="4">Mochte auch das Benehmen der Tante sehr exzentrisch sein, ihr Triumph deckte vieles zu, und der General fürchtete jetzt nicht mehr, sich in der Öffentlichkeit durch seine verwandtschaftlichen Beziehungen zu einer so sonderbaren Dame zu kompromittieren.</sentence>
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<sentence num="5">Mit einem leutseligen, vertraulichheiteren Lächeln, wie wenn er mit einem Kind Scherz triebe, beglückwünschte er seine Tante.</sentence>
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<sentence num="6">Übrigens war er augenscheinlich im höchsten Grade überrascht, wie auch alle andern Zuschauer.</sentence>
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<sentence num="7">Ringsherum sprach man von der Tante und wies auf sie hin.</sentence>
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<sentence num="8">Viele gingen absichtlich an ihr vorbei, um sie aus der Nähe anzusehen.</sentence>
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<sentence num="9">Mister Astley redete in einiger Entfernung mit zwei seiner englischen Bekannten über sie.</sentence>
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<sentence num="10">Einige stolze Damen betrachteten sie mit hochmütiger Verwunderung, wie wenn sie eine Art Wundertier wäre… De Grieux leistete Unglaubliches in Komplimenten und stetem Lächeln.</sentence>
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<sentence num="11">»Quelle victoire!« sagte er. »Mais, madame, c'etait du feu!« fügte Mademoiselle Blanche mit einem scherzhaften Lächeln hinzu.</sentence>
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<sentence num="12">»Na ja, ich bin einfach hierhergekommen und habe zwölftausend Gulden gewonnen!</sentence>
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<sentence num="13">Was sage ich, zwölftausend; da ist ja noch das Gold!</sentence>
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<sentence num="14">Mit dem Gold kommen beinah dreizehntausend heraus. Wieviel ist das nach unserem Geld?</sentence>
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<sentence num="15">Es werden etwa sechstausend Rubel sein, nicht wahr?« Ich bemerkte, daß es sogar siebentausend Rubel übersteige und nach dem jetzigen Kurs vielleicht an achttausend herankommen möge.</sentence>
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<sentence num="16">»Ein schöner Spaß, achttausend Rubel!</sentence>
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<sentence num="17">Und ihr sitzt hier still, ihr Schlafmützen, und tut nichts!</sentence>
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<sentence num="18">Potapytsch, Marfa, habt ihr es gesehen?« »Mütterchen, wie haben Sie das nur angefangen?</sentence>
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<sentence num="19">Achttausend Rubel!« rief Marfa und krümmte sich dabei ganz zusammen.</sentence>
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<sentence num="20">»Da! Hier hat jeder von euch fünf Goldstücke! Da, nehmt!« Potapytsch und Marfa griffen nach den Händen der Tante, um sie stürmisch zu küssen. »Auch die Dienstmänner sollen jeder einen Friedrichsdor haben.</sentence>
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<sentence num="21">Gib jedem von ihnen ein Goldstück, Alexej Iwanowitsch!</sentence>
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<sentence num="22">Warum verbeugt sich dieser Saaldiener, und der andre auch? Sie gratulieren?</sentence>
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<sentence num="23">Gib ihnen auch jedem einen Friedrichsdor!« »Madame la princesse… un pauvre expatrié… malheur continuel… les princes russes sont si généreux… « Mit diesen Worten scharwenzelte um den Rollstuhl herum ein schnurrbärtiges Subjekt in abgetragenem Oberrock und bunter Weste, die Mütze in der Hand, das Gesicht zu einem kriecherischen Lächeln verziehend.</sentence>
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<sentence num="24">»Gib ihm auch einen Friedrichsdor!… Nein, gib ihm zwei!</sentence>
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<sentence num="25">Nun aber soll's genug sein; sonst nimmt das mit diesen Menschen kein Ende. Hebt an und tragt mich weiter! Praskowja«, wandte sie sich an Polina Alexandrowna, »ich werde dir morgen Stoff zu einem Kleid kaufen, und der hier auch, dieser Mademoisdelle, wie heißt sie doch? Mademoiselle Blanche, gut, der werde ich auch Stoff zu einem Kleid kaufen.</sentence>
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<sentence num="26">Übersetze es ihr, Praskowja!« »Merci, madame«, erwiderte Mademoiselle Blanche mit einem graziösen Knicks und tauschte dann spöttisch lächelnd mit de Grieux und dem General einen Blick aus. Der General wurde einigermaßen verlegen und war sehr froh, als wir endlich die Allee erreicht hatten.</sentence>
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<sentence num="27">»Da fällt mir Fedosja ein, wie die sich jetzt wundern wird«, sagte die Tante, die gerade an die ihr wohlbekannte Kinderfrau im Haushalt des Generals dachte.</sentence>
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<sentence num="28">»Der muß ich auch Zeug zu einem Kleid schenken. Höre, Alexej Iwanowitsch, Alexej Iwanowitsch, gib diesem Bettler etwas!« Ein zerlumpter Mensch mit gekrümmtem Rücken ging auf dem Weg an uns vorbei und sah uns an.</sentence>
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<sentence num="29">»Aber das ist vielleicht gar kein Bettler, Großmütterchen, sondern irgendein Vagabund.« »Gib nur, gib!</sentence>
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<sentence num="30">Gib ihm einen Gulden!« Ich trat an ihn heran und gab ihm das Geld. Er sah mich mit scheuer Verwunderung an, nahm aber schweigend den Gulden hin.</sentence>
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<sentence num="31">Er roch stark nach Branntwein.</sentence>
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<sentence num="32">»Hast du denn noch nicht dein Glück probiert, Alexej Iwanowitsch?« »Nein, Großmütterchen.« »Aber die Augen brannten dir am Spieltisch nur so; ich habe es wohl gesehen.« »Ich werde schon noch mein Glück versuchen, Großmütterchen, ganz bestimmt, ein andermal.« »Und setze nur geradezu auf zéro! Dann wirst du schon sehen! Wieviel Geld hast du denn?« »Ich habe im ganzen nur zwanzig Friedrichsdor, Großmütterchen.« »Das ist wenig.</sentence>
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<sentence num="33">Ich will dir fünfzig Friedrichsdor borgen, wenn du willst.</sentence>
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<sentence num="34">Hier, du kannst gleich diese Rolle nehmen. – Aber du, lieber Freund«, wandte sie sich auf einmal an den General, »mach dir keine Hoffnungen; dir gebe ich nichts!« Der General zuckte zusammen; aber er schwieg. De Grieux machte ein finsteres Gesicht.</sentence>
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<sentence num="35">»Que diable, c'est une terrible vieille!« flüsterte er durch die Zähne dem General zu.</sentence>
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<sentence num="36">»Ein Bettler, ein Bettler, wieder ein Bettler!« rief die Tante.</sentence>
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<sentence num="37">»Alexej Iwanowitsch, gib dem auch einen Gulden!« Diesmal war derjenige, der uns begegnete, ein grauköpfiger alter Mann mit einem Stelzfuß; er trug einen blauen Rock mit langen Schößen und hatte einen langen Rohrstock in der Hand.</sentence>
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<sentence num="38">Er sah aus wie ein alter Soldat.</sentence>
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<sentence num="39">Aber als ich ihm den Gulden hinhielt, trat er einen Schritt zurück und blickte mich grimmig an.</sentence>
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<sentence num="40">»Zum Teufel, was soll das vorstellen?« schrie er und fügte dem noch eine Reihe von Schimpfworten hinzu.</sentence>
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<sentence num="41">»Na, so ein Dummkopf!« rief die Tante.</sentence>
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<sentence num="42">»Dann läßt er's bleiben! Fahrt mich weiter! Ich bin ganz hungrig geworden! Nun wollen wir gleich zu Mittag essen; dann will ich mich ein Weilchen hinlegen und mich dann wieder dorthin begeben.« »Sie wollen wieder spielen, Großmütterchen?« rief ich.</sentence>
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<sentence num="43">»Was hast du dir denn gedacht?</sentence>
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<sentence num="44">Weil ihr alle hier still sitzt und die Hände in den Schoß legt, soll ich es euch wohl nachmachen!« »Mais, madame«, bemerkte nähertretend de Grieux, »les chances peuvent tourner, une seule mauvaise chance et vous perdrez tout… surtout avec votre jeu… c'était horrible!« »Vous perdrez absolument«, zwitscherte Mademoiselle Blanche.</sentence>
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<sentence num="45">»Was geht denn das euch alle an? Wenn ich verliere, verliere ich ja nicht euer Geld, sondern meins! Aber wo ist denn dieser Mister Astley?« fragte sie mich. »Er ist im Kurhaus geblieben, Großmütterchen.« »Schade; das ist ein sehr netter Mensch.« Als wir nach Hause gekommen waren, begegneten wir auf der Treppe dem Oberkellner, und die Tante rief ihn sogleich heran und rühmte sich ihres Spielgewinns; darauf ließ sie Fedosja rufen, schenkte ihr drei Friedrichsdor und befahl, das Mittagessen aufzutragen.</sentence>
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<sentence num="46">Fedosja und Marfa zerrissen sich bei Tisch fast vor Dienstfertigkeit gegen sie.</sentence>
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<sentence num="47">»Ich sah so nach Ihnen hin, Mütterchen«, schwatzte Marfa, »und da sagte ich zu Potapytsch: ›Was will unser Mütterchen nur da machen?‹ Und auf dem Tisch lag Geld, eine Unmenge Geld, o Gott, o Gott!</sentence>
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<sentence num="48">In meinem ganzen Leben habe ich noch nicht so viel Geld gesehen. Und darum herum saßen Herrschaften, lauter vornehme Herrschaften.</sentence>
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<sentence num="49">Und ich sagte: ›Wo mögen bloß all diese vielen Herrschaften hier herkommen, Potapytsch?‹ Ich dachte bei mir: ›Möge ihr die Mutter Gottes selbst beistehen!‹ Und ich betete für Sie, Mütterchen; aber mein Herz war mir so beklommen, ganz beklommen war es mir, und ich zitterte nur so, am ganzen Leibe zitterte ich.</sentence>
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<sentence num="50">›Gott gebe ihr alles Gute!‹ dachte ich; na, und sehen Sie, da hat Gott Ihnen denn auch seinen Segen geschickt.</sentence>
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<sentence num="51">Bis diesen Augenblick zittere ich noch, Mütterchen; sehen Sie nur, wie ich am ganzen Leibe zittre!« »Alexej Iwanowitsch, nach Tisch, so um vier Uhr, dann mach dich fertig; dann wollen wir wieder hin.</sentence>
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<sentence num="52">Jetzt aber, für die Zwischenzeit, adieu! Und vergiß auch nicht, mir so einen Doktor herzuschicken; ich muß doch auch Brunnen trinken.</sentence>
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<sentence num="53">Tu's nur bald, sonst vergißt du es am Ende noch!« Als ich von der Tante herauskam, war ich wie betäubt.</sentence>
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<sentence num="54">Ich suchte mir eine Vorstellung davon zu machen: was wird jetzt aus den Unsrigen allen werden, und welche Wendung werden die Dinge nehmen?</sentence>
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<sentence num="55">Ich sah klar, daß die Unsrigen, und ganz besonders der General, noch nicht einmal von der ersten Überraschung wieder recht zur Besinnung gekommen waren.</sentence>
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<sentence num="56">Die Tatsache, daß die alte Tante in Person eingetroffen war, statt der von Stunde zu Stunde erwarteten Nachricht von ihrem Tod und damit auch der Nachricht von der Erbschaft, diese Tatsache hatte den ganzen Aufbau ihrer Absichten und Pläne so gründlich zerstört, daß sie nun den Großtaten der Tante am Roulettisch völlig verblüfft, ja gewissermaßen wie von einem Starrkrampf befallen gegenüberstanden. Und doch fiel diese zweite Tatsache, das Glücksspiel der Tante, fast noch schwerer in die Waagschale als die erste. Denn wenn auch die Alte zweimal erklärt hatte, sie werde dem General kein Geld geben – nun, wer weiß, man brauchte darum doch nicht alle Hoffnungen aufzugeben.</sentence>
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<sentence num="57">So gab denn auch de Grieux, der an allen Angelegenheiten des Generals stark beteiligt war, die Hoffnung nicht auf.</sentence>
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<sentence num="58">Und ich war überzeugt, daß auch Mademoiselle Blanche, die gleichfalls bei der Sache höchst interessiert war (na, und ob! wo sie Frau Generalin zu werden und in den Besitz einer bedeutenden Erbschaft zu gelangen hoffte!</sentence>
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<sentence num="59">), daß auch sie die Hoffnung nicht verlieren, sondern der Tante gegenüber alle Künste der Koketterie zur Anwendung bringen würde – ganz im Gegensatz zu der stolzen Polina, die zu ungelehrig war und nicht verstand, sich einzuschmeicheln.</sentence>
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<sentence num="60">Aber jetzt, jetzt, wo die Tante so großartige Erfolge beim Roulett aufzuweisen hatte, jetzt, wo sich deren ganzes Wesen ihnen allen in voller Klarheit und Deutlichkeit als der Typus eines eigensinnigen, herrschsüchtigen, kindisch gewordenen alten Weibes enthüllt hatte, jetzt war vielleicht alles verloren. Sie freute sich ja über ihren Gewinn wie ein kleines Kind, und so war zu erwarten, daß sie, wie das so zu gehen pflegt, alles verspielen werde.</sentence>
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<sentence num="61">»Mein Gott«, dachte ich, und Gott verzeihe mir, daß ich dabei recht schadenfroh lachte, »mein Gott, jeder Friedrichsdor, den die Alte vorhin setzte, hat gewiß dem General einen Stich ins Herz gegeben und diesen Monsieur de Grieux schwer geärgert und Mademoiselle de Cominges in Wut versetzt; dieser letzteren mag zumute gewesen sein, als ob man den vollen Löffel ihr erst gezeigt und dann an dem begehrlich geöffneten Mund vorbeigeführt hätte.</sentence>
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<sentence num="62">Und dann war da noch eine bedenkliche Tatsache: sogar als die Tante den großen Spielgewinn gemacht hatte und voll Freude darüber war und an alle möglichen Leute Geld verteilte und jeden Passanten für einen unterstützungswürdigen Armen ansah, selbst da hatte sie zu dem General schroff gesagt: ›Dir werde ich trotzdem nichts geben!‹ Das hieß doch: ›Ich habe mich auf diesen Gedanken versteift, es mir fest vorgenommen, mir selbst das Wort darauf gegeben.‹ Eine böse, böse Sache!« Alle diese Gedanken gingen mir durch den Kopf, während ich von dem Logis der Tante die breite Treppe nach der obersten Etage hinanstieg, in der mein Zimmerchen lag.</sentence>
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<sentence num="63">All diese Vorgänge erregten mein lebhaftes Interesse.</sentence>
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<sentence num="64">Zwar hatte ich schon früher die wichtigsten, stärksten Fäden erraten können, durch die die Akteure des vor meinen Augen sich abspielenden Dramas miteinander verknüpft waren; aber alle Hilfsmittel und Geheimnisses dieses Spieles kannte ich trotzdem noch nicht.</sentence>
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<sentence num="65">Ich befand mich in einer sonderbaren Gemütsverfassung: in der Tasche hatte ich nur zwanzig Friedrichsdor; ich befand mich fern von der Heimat in fremdem Lande, ohne Stellung und ohne Existenzmittel, ohne Hoffnung und ohne Pläne – und machte mir darüber keine Sorgen!</sentence>
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<sentence num="66">Wäre nicht der Gedanke an Polina gewesen, so hätte ich einfach mein ganzes Interesse auf die Komik der bevorstehenden Lösung gerichtet und aus vollem Halse gelacht. Aber der Gedanke an sie regte mich auf; ihr Schicksal mußte sich jetzt entscheiden, das ahnte ich; aber, ich bekenne es, ihr Schicksal beunruhigte mich gar nicht.</sentence>
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<sentence num="67">Ich wünschte, in ihre Geheimnisse einzudringen; ich hätte gewünscht, daß sie zu mir gekommen wäre und gesagt hätte: »Ich liebe dich ja«, und wenn das nicht geschah, wenn das eine undenkbare Verrücktheit war, dann… ja, was hätte ich dann gewünscht?</sentence>
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<sentence num="68">Wußte ich denn etwa, was ich wünschte? Ich war selbst ganz wirr im Kopf: nur bei ihr sein, in ihrem Strahlenkreis, in dem Glanzschimmer, der sie umgibt, immer, unaufhörlich, das ganze Leben lang! Von weiteren Wünschen wußte ich nichts! War ich denn überhaupt imstande, von ihr fortzugehen?</sentence>
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<sentence num="69">Als ich in der dritten Etage auf dem Korridor war, an dem die Zimmer der Unsrigen liegen, hatte ich eine Empfindung, als ob mich jemand anstieße.</sentence>
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<sentence num="70">Ich drehte mich um und erblickte in einer Entfernung von zwanzig oder noch mehr Schritten Polina, die aus einer Tür herauskam.</sentence>
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<sentence num="71">Sie schien auf mich gewartet und nach mir Ausschau gehalten zu haben und winkte mich sogleich zu sich heran.</sentence>
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<sentence num="72">»Polina Alexandrowna… « »Leiser, leiser«, sagte sie in gedämpftem Ton.</sentence>
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<sentence num="73">»Können Sie sich das vorstellen«, flüsterte ich, »es war mir soeben, als stieße mich jemand von der Seite an; ich drehte mich um – und da stehen Sie!</sentence>
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<sentence num="74">Gerade als wenn eine Art Elektrizität von Ihnen ausginge!« »Nehmen Sie diesen Brief«, sagte Polina, die eine sorgenvolle düstere Miene zeigte; das, was ich gesagt hatte, hatte sie wahrscheinlich gar nicht ordentlich gehört, »und übergeben Sie ihn persönlich Mister Astley, aber sogleich!</sentence>
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<sentence num="75">So schnell wie irgend möglich; ich bitte Sie darum. Eine Antwort ist nicht nötig. Er wird schon selbst… « Sie sprach den begonnenen Satz nicht zu Ende. »Mister Astley?« fragte ich erstaunt.</sentence>
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<sentence num="76">Aber Polina war schon hinter der Tür verschwunden.</sentence>
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<sentence num="77">»Aha! Also sie haben eine Korrespondenz miteinander!« Selbstverständlich machte ich mich eiligst auf, um Mister Astley aufzusuchen, zuerst in seinem Hotel, wo ich ihn nicht antraf, dann im Kurhaus, wo ich durch alle Säle lief; als ich endlich ärgerlich und beinahe in Verzweiflung nach Hause zurückging, begegnete ich ihm zufällig: er ritt mit einer Kavalkade von Engländern und Engländerinnen spazieren.</sentence>
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<sentence num="78">Durch Winken mit der Hand veranlagte ich ihn anzuhalten und übergab ihm den Brief.</sentence>
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<sentence num="79">Wir hatten kaum Zeit, einander ordentlich anzusehen; aber ich kann mich des Verdachtes nicht erwehren, daß Mister Astley mit Absicht sein Pferd schnell wieder in Bewegung setzte.</sentence>
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<sentence num="80">Quälte mich Eifersucht? Ich weiß nicht, ob das der Fall war, aber jedenfalls befand ich mich in sehr gedrückter Stimmung. Es lag mir nicht einmal daran, zu erfahren, worüber sie eigentlich korrespondierten. Also das war ihr Vertrauensmann.</sentence>
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<sentence num="81">»Er ist ihr Freund, ihr Freund«, dachte ich; »das ist klar (nur: wann hat er Zeit gefunden, ihr Freund zu werden?</sentence>
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<sentence num="82">); aber liegt hier auch Liebe vor?« »Nein, gewiß nicht«, flüsterte mir die Vernunft zu.</sentence>
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<sentence num="83">Aber die Vernunft allein vermag in solchen Fällen wenig. Jedenfalls mußte ich auch diesen Punkt klarstellen.</sentence>
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<sentence num="84">Die Angelegenheit komplizierte sich in einer unangenehmen Weise.</sentence>
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<sentence num="85">Kaum hatte ich das Hotel wieder betreten, als mir der Portier sowie der Oberkellner, der aus seinem Büro herauskam, mitteilten, die Herrschaften wünschten mich zu sprechen, ließen mich suchen und hätten sich schon dreimal erkundigen lassen, wo ich sei; ich würde gebeten, so schnell wie möglich in das Logis des Generals zu kommen.</sentence>
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<sentence num="86">Ich war in der garstigsten Gemütsverfassung. Im Zimmer des Generals fand ich außer dem General selbst Monsieur de Grieux und Madernoiselle Blanche, letztere allein, ohne ihre Mutter.</sentence>
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<sentence num="87">Die Mutter war zweifellos eine erkaufte Person, die nur zu Paradezwecken diente; sobald ernste Angelegenheiten materieller Art vorlagen, handelte Mademoiselle Blanche allein.</sentence>
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<sentence num="88">Und jene hatte von solchen Angelegenheiten ihrer angenommenen Tochter auch kaum irgendwelche Kenntnis.</sentence>
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<sentence num="89">Sie waren in hitziger Beratung über irgend etwas begriffen und hatten sogar die Zimmertür zugeschlossen, was sonst noch nie geschehen war. Als ich mich der Tür näherte, hörte ich laute Stimmen und unterschied de Grieux' dreiste, boshafte Redeweise, Mademoiselle Blanches zorniges Kreischen und freches Schimpfen und die klägliche Stimme des Generals, der sich offenbar über etwas, was ihm zum Vorwurf gemacht wurde, rechtfertigte.</sentence>
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<sentence num="90">Bei meinem Eintritt suchten alle zu einem maßvollen Benehmen zurückzukehren und ihre Mienen und ihre äußere Erscheinung wieder in Ordnung zu bringen.</sentence>
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<sentence num="91">De Grieux strich sich die Haare zurecht und verwandelte sein Gesicht aus einem zornigen in ein lächelndes; es war jenes widerwärtige, konventionellhöfliche französische Lächeln, das mir so verhaßt ist. Der General, der den Eindruck starker Bedrücktheit und Niedergeschlagenheit gemacht hatte, bemühte sich, sein würdevolles Aussehen wiederzugewinnen, wiewohl nur in mechanischer Weise, als ob er mit seinen Gedanken nicht dabei wäre.</sentence>
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<sentence num="92">Nur Mademoiselle Blanche änderte ihren wütenden Gesichtsausdruck mit den zornig funkelnden Augen fast gar nicht und beschränkte sich darauf, zu verstummen, wobei sie auf mich einen Blick ungeduldiger Erwartung richtete. Beiläufig bemerkt: sie hatte mich bisher mit einer unglaublichen Geringschätzung behandelt, nicht einmal meine Verbeugungen erwidert und mich überhaupt völlig ignoriert.</sentence>
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<sentence num="93">»Alexej Iwanowitsch«, begann der General im Ton milden Vorwurfs, »gestatten Sie mir die Bemerkung, daß ich Ihr Verhalten gegen mich und meine Familie… mit einem Wort, ich finde es sonderbar, im höchsten Grade sonderbar, daß Sie… mit einem Wort… « »Eh!</sentence>
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<sentence num="94">ce n'est pas ça«, unterbrach ihn de Grieux ärgerlich und geringschätzig; es war klar, daß er hier das Kommando führte.</sentence>
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<sentence num="95">»Mon cher monsieur, notre cher général« (aber ich will seine Worte auf russisch wiedergeben) »hat sich im Ton vergriffen; aber er wollte Ihnen sagen… daß heißt Sie davor warnen oder, richtiger gesagt, Sie inständig bitten, ihn nicht zugrunde zu richten – nun ja, ihn nicht zugrunde zu richten!</sentence>
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<sentence num="96">Ich bediene mich absichtlich dieses Ausdrucks… « »Aber wodurch tue ich denn das? Wodurch?« unterbrach ich ihn. »Ich bitte Sie, Sie haben das Amt eines Mentors (oder wie soll ich mich ausdrücken?)</sentence>
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<sentence num="97">bei dieser alten Dame, cette pauvre terrible vieille, übernommen« (hier geriet de Grieux selbst in Verwirrung); »aber sie wird ja alles verspielen; sie wird alles verspielen bis auf den letzten Groschen! Sie haben selbst gesehen. Sie waren selbst Zeuge, in welcher Art sie spielte! Wenn sie erst einmal ins Verlieren kommt, wird sie aus Hartnäckigkeit und Ingrimm nicht mehr vom Spieltisch weggehen, und wird immerzu spielen und spielen; aber auf die Art bringt man Spielverluste nie wieder ein, und dann… dann… « »Und dann«, fiel der General ein, »dann richten Sie die ganze Familie zugrunde!</sentence>
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<sentence num="98">Ich und meine Familie, wir sind ihre Erben; nähere Verwandte als uns hat sie nicht.</sentence>
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<sentence num="99">Ich will Ihnen offen sagen: meine Vermögensverhältnisse sind zerrüttet, völlig zerrüttet. Zum Teil werden Sie das selbst schon gewußt haben… Wenn sie nun eine bedeutende Summe verspielt oder vielleicht am Ende gar ihr ganzes Vermögen (mein Gott, mein Gott!</sentence>
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<sentence num="100">), was soll dann aus… aus meinen Kindern werden?« (Der General wendete sich nach de Grieux um.)</sentence>
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<sentence num="101">»Und aus mir selbst?« (Er blickte zu Mademoiselle Blanche, die sich aber mit verächtlicher Miene von ihm abwandte.)</sentence>
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<sentence num="102">»Alexej Iwanowitsch, retten Sie uns, retten Sie uns!« »Aber wodurch denn? Sagen Sie selbst, General, wodurch kann ich denn… Was habe ich denn dabei zu sagen?« »Weigern Sie sich, ihr weiter beim Spiel behilflich zu sein; machen Sie sich von ihr los… !« »Dann wird sich ein anderer finden!« rief ich.</sentence>
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<sentence num="103">»Ce n'est pas ça, ce n'est pas ça«, mischte sich wieder de Grieux hinein, »que diable! Nein, machen Sie sich nicht von ihr los; aber versuchen sie wenigstens, ihr Rat zu geben, sie zu überreden, sie zurückzuhalten… Kurz gesagt, lassen Sie sie nicht allzuviel verspielen; halten Sie sie auf irgendeine Weise zurück!« »Aber wie soll ich das anfangen?</sentence>
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<sentence num="104">Vielleicht wäre es das beste, wenn Sie es selbst übernähmen, Monsieur de Grieux«, fügte ich hinzu, mich möglichst naiv stellend. In diesem Augenblick bemerkte ich, daß Mademoiselle Blanche dem Franzosen einen raschen, funkelnden, fragenden Blick zuwarf.</sentence>
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<sentence num="105">Über dessen eigenes Gesicht huschte ein eigentümlicher Ausdruck, als ob unwillkürlich seine wahre Gesinnung zum Vorschein käme.</sentence>
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<sentence num="106">»Das ist es ja eben, daß sie mich jetzt nicht an sich herankommen läßt!« rief er, mißmutig den Arm schwenkend.</sentence>
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<sentence num="107">»Ja, wenn… dann… « Er blickte Mademoiselle Blanche schnell und bedeutsam an. »Oh, mon cher monsieur Alexis, soyez si bon!« sagte nun Mademoiselle Blanche selbst, mit einem bezaubernden Lächeln auf mich zutretend, ergriff meine beiden Hände und drückte sie kräftig.</sentence>
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<sentence num="108">Hol's der Teufel! Dieses diabolische Gesicht verstand es, sich in einem Augenblick vollständig zu verändern.</sentence>
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<sentence num="109">Jetzt hatte ich auf einmal ein so inständig bittendes, ein so liebenswürdiges, kindlich lächelndes und sogar schelmisches Gesicht vor mir; und am Ende dieses Satzes zwinkerte sie mir, geheim vor den anderen, in einer ganz spitzbübischen Weise zu: sie legte es darauf an, mich mit einem Schlag zu gewinnen!</sentence>
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<sentence num="110">Und es kam nicht übel heraus, nur allerdings zu derb, gar zu derb.</sentence>
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<sentence num="111">Nach ihr eilte der General auf mich zu: »Alexej Iwanowitsch, verzeihen Sie, daß ich zu Ihnen vorhin zuerst nicht in der richtigen Art redete; ich meinte es aber ganz und gar nicht schlimm… Ich bitte Sie, ich flehe Sie an, ich verbeuge mich vor Ihnen bis zum Gürtel, wie wir Russen sagen – Sie sind der einzige, der uns retten kann, Sie allein!</sentence>
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<sentence num="112">Er bot einen überaus kläglichen Anblick.</sentence>
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<sentence num="113">In diesem Augenblick wurde dreimal leise und respektvoll an die Tür geklopft, und als geöffnet wurde, stand ein Kellner da und einige Schritte hinter ihm Potapytsch. Sie waren von der Tante geschickt und hatten den Auftrag, mich zu suchen und unverzüglich zu ihr zu bringen.</sentence>
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<sentence num="114">»Die gnädige Frau sind schon ärgerlich«, berichtete Potapytsch.</sentence>
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<sentence num="115">»Aber es ist ja erst halb vier«, sagte ich. »Die gnädige Frau konnten gar nicht einschlafen, sondern wälzten sich immer umher, standen dann auf einmal auf, verlangten den Rollstuhl und schickten nach Ihnen.</sentence>
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<sentence num="116">Die gnädige Frau sind jetzt schon vor dem Portal… « »Quelle mégère!« rief de Grieux. In der Tat fand ich die Tante bereits vor dem Portal, außer sich vor Ungeduld darüber, daß ich nicht da war.</sentence>
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<sentence num="117">Sie hatte es nicht bis vier Uhr aushalten können.</sentence>
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<sentence num="118">»Na, dann schafft mich hin!« rief sie, und wir begaben uns wieder zum Roulett.</sentence>
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</chapter>
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<chapter num="12" name="Zwölftes Kapitel">
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<sentence num="1"> Die Tante befand sich in sehr ungeduldiger, reizbarer Stimmung; es war deutlich, daß sie an weiter nichts dachte als an das Roulett.</sentence>
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<sentence num="2">Für alles andere hatte sie keine Aufmerksamkeit übrig und war überhaupt im höchsten Grade zerstreut.</sentence>
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<sentence num="3">So zum Beispiel fragte sie unterwegs nach nichts mit dem Interesse wie am Vormittag.</sentence>
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<sentence num="4">Als sie eine prächtige Equipage sah, die an uns vorbeisauste, hob sie wohl die Hand ein wenig auf und sagte: »Was war das?</sentence>
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<sentence num="5">Wem gehörte die?« schien aber dann meine Antwort gar nicht zu verstehen. Sie saß in Gedanken versunken da, unterbrach aber diese Versunkenheit fortwährend durch heftige, ungeduldige Körperbewegungen und scharfe Worte.</sentence>
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<sentence num="6">Als ich ihr (wir waren nicht mehr weit vom Kurhaus) in einiger Entfernung den Baron und die Baronin Wurmerhelm zeigte, sagte sie zerstreut und in ganz gleichgültigem Ton: »Ah!«, drehte sich dann hastig zu Potapytsch und Marfa um, die hinter ihr gingen, und herrschte sie an: »Na, wozu kommt ihr denn wieder mitgelaufen? Jedesmal kann ich euch nicht mitnehmen! Macht, daß ihr nach Hause kommt!</sentence>
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<sentence num="7">Ich habe an dir genug«, fügte sie, zu mir gewendet, hinzu, während jene beiden sich eilig verbeugten und nach Hause umkehrten.</sentence>
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<sentence num="8">Im Spielsaal erwartete man die Tante bereits.</sentence>
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<sentence num="9">Es wurde ihr sofort wieder derselbe Platz neben dem Croupier freigemacht.</sentence>
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<sentence num="10">Es will mir scheinen, daß diese Croupiers, die sich immer so wohlanständig benehmen und sich als gewöhnliche Beamte geben, denen es so gut wie gleichgültig sei, ob die Bank gewinne oder verliere, es will mir scheinen, daß diese Leute gegen Verluste der Bank durchaus nicht gleichgültig sind, sondern ihre besonderen Instruktionen zur Anlockung von Spielern und zur Erhöhung der Einnahmen der Bank haben und als Lohn für besondere Erfolge besondere Prämien erhalten. Wenigstens betrachteten sie die Tante bereits als ihr Schlachtopfer. Nunmehr geschah, was die Unsrigen vorausgesagt hatten.</sentence>
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<sentence num="11">Die Sache trug sich folgendermaßen zu. Die Tante stürzte sich ohne weiteres wieder auf Zéro und befahl mir sogleich, jedesmal zwölf Friedrichsdor darauf zu setzen.</sentence>
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<sentence num="12">Wir setzten einmal, ein zweites Mal, ein drittes Mal – Zéro kam nicht.</sentence>
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<sentence num="13">»Setze nur, setze!« sagte die Tante und stieß mich ungeduldig an.</sentence>
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<sentence num="14">Ich gehorchte. »Wieviel haben wir schon gesetzt?« fragte sie endlich, mit den Zähnen vor Ungeduld knirschend. »Ich habe schon zwölfmal gesetzt, Großmütterchen.</sentence>
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<sentence num="15">Hundertvierundvierzig Friedrichsdor haben wir verloren.</sentence>
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<sentence num="16">Ich sage Ihnen, Großmütterchen, es dauert vielleicht bis zum Abend… « »Schweig!« unterbrach mich die Tante.</sentence>
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<sentence num="17">»Setze auf Zéro, und setze gleich auch auf Rot tausend Gulden! Hier ist eine Banknote.« Rot kam, aber Zéro wieder nicht. Wir erhielten tausend Gulden ausgezahlt.</sentence>
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<sentence num="18">»Siehst du, siehst du?« flüsterte die Tante. »Wir haben beinahe alles, was wir verloren hatten, wieder eingebracht.</sentence>
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<sentence num="19">Setze wieder auf Zéro; noch ein dutzendmal wollen wir darauf setzen, dann wollen wir es aufgeben.« Aber beim fünften Mal hatte sie es bereits ganz und gar satt bekommen.</sentence>
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<sentence num="20">»Hol dieses nichtswürdige Zéro der Teufel; ich will nichts mehr davon wissen.</sentence>
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<sentence num="21">Da, setze diese ganzen viertausend Gulden auf Rot!« befahl sie.</sentence>
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<sentence num="22">Das Rad drehte sich.</sentence>
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<sentence num="23">Die Tante saß gerade aufgerichtet mit ruhiger, stolzer Miene da, ohne im geringsten an dem bevorstehenden Gewinn zu zweifeln.</sentence>
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<sentence num="24">»Zéro!« rief der Croupier. Zuerst begriff sie nicht, was es damit auf sich hatte; aber als sie sah, daß der Croupier, zusammen mit allem, was sonst noch auf dem Tisch lag, auch ihre viertausend Gulden zu sich heranharkte, und als sie zu der Erkenntnis gelangte, daß dieses Zéro, das so lange nicht gekommen war, und auf das wir über zweihundert Friedrichsdor verloren hatten, wie mit Absicht nun gerade in dem Augenblick erschienen war, wo sie eben darauf geschimpft und es nicht mehr besetzt hatte, da stöhnte sie laut auf und schlug die Hände zusammen, so daß man es durch den ganzen Saal hörte.</sentence>
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<sentence num="25">Die Leute um sie herum lachten. »Ach herrje, ach herrje, gerade jetzt ist nun dieses nichtswürdige Ding gekommen!« jammerte sie.</sentence>
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<sentence num="26">»So ein verfluchtes Ding! Daran bist du schuld!</sentence>
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<sentence num="27">Nur du bist daran schuld!« fuhr sie grimmig auf mich los und versetzte mir Stöße in die Seite.</sentence>
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<sentence num="28">»Du hast mir abgeredet.« »Großmütterchen, was ich gesagt habe, war ganz vernünftig; aber wie kann ich für alle Chancen einstehen?« »Ich werde dich lehren, Chancen!« flüsterte sie wütend.</sentence>
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<sentence num="29">»Scher dich weg von mir!« »Adieu, Großmütterchen!« Ich drehte mich um und wollte weggehen.</sentence>
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<sentence num="30">»Alexej Iwanowitsch, Alexej Iwanowitsch, bleib doch hier!</sentence>
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<sentence num="31">Wo willst du hin?</sentence>
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<sentence num="32">Na, was ist denn?</sentence>
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<sentence num="33">Was ist denn?</sentence>
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<sentence num="34">Ist der Mensch gleich ärgerlich geworden!</sentence>
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<sentence num="35">Du Dummkopf! Na, bleib nur hier, bleib nur noch, ärgere dich nicht, ich bin selbst ein Dummkopf!</sentence>
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<sentence num="36">Na, nun sage, was ich jetzt tun soll!« »Nein, Großmütterchen, ich lasse mich nicht mehr darauf ein, Ihnen Rat zu geben; denn Sie würden mir nachher doch wieder die Schuld beimessen.</sentence>
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<sentence num="37">Spielen Sie selbst! Geben Sie mir Ihre Anweisungen, und ich werde setzen.« »Nun gut, gut!</sentence>
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<sentence num="38">Na, dann setze noch viertausend Gulden auf Rot!</sentence>
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<sentence num="39">Hier ist meine Brieftasche, nimm!« Sie zog sie aus der Tasche und reichte sie mir.</sentence>
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<sentence num="40">»Na, nimm nur schnell hin; es sind Zwölftausend Gulden Bargeld darin.« »Großmütterchen«, wandte ich stockend ein, »so große Einsätze… « »Ich will nicht am Leben bleiben, wenn ich es nicht wiedergewinne… Setze!« Wir setzten und verloren.</sentence>
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<sentence num="41">»Setze, setze; setze gleich alle achttausend Gulden!« »Das geht nicht, Großmütterchen; der höchste Einsatz ist viertausend!« »Na, dann setz viertausend!« Dieses Mal gewannen wir.</sentence>
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<sentence num="42">Die Alte faßte wieder Mut.</sentence>
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<sentence num="43">»Siehst du wohl, siehst du wohl«, sagte sie wieder mit einem Puff in meine Seite.</sentence>
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<sentence num="44">»Großmütterchen, die ganzen zwölftausend Gulden sind hin«, meldete ich ihr.</sentence>
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<sentence num="45">»Das sehe ich, daß sie alle hin sind«, erwiderte sie mit einer Art von ruhiger Wut, wenn man sich so ausdrücken kann. »Das sehe ich, mein Lieber, das sehe ich«, murmelte sie vor sich hin, ohne sich zu rühren und wie in Gedanken versunken.</sentence>
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<sentence num="46">»Ach was, ich will nicht am Leben bleiben… setze noch einmal viertausend Gulden!« »Aber ist es kein Geld mehr da, Großmütterchen. Hier in der Brieftasche sind nur noch russische fünfprozentige Staatsschuldscheine und außerdem einige Dokumente; Geld ist nicht mehr da.« »Und in der Börse?« »Es ist nur noch Kleingeld darin übrig, Großmütterchen.« »Gibt es hier ein Wechselgeschäft?</sentence>
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<sentence num="47">Ich habe mir sagen lassen, hier könne ich alle unsere Papiere umwechseln«, fragte die Tante in entschlossenem Ton.</sentence>
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<sentence num="48">»Oh, Papiere können Sie hier umwechseln, so viele Sie nur wollen!</sentence>
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<sentence num="49">Aber was Sie beim Umwechseln verlieren werden… da würde selbst ein Jude einen Schreck bekommen.« »Unsinn! Das gewinne ich alles wieder!</sentence>
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<sentence num="50">Bring mich hin!</sentence>
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<sentence num="51">Rufe diese Tölpel, die Dienstmänner, her!« Ich rollte ihren Stuhl vom Tisch weg; die Dienstmänner erschienen, und wir verließen das Kurhaus.</sentence>
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<sentence num="52">»Schneller, schneller, schneller!« befahl die Alte.</sentence>
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<sentence num="53">»Zeige den Weg, Alexej Iwanowitsch, aber nimm den nächsten Weg… ist es weit?« »Nur ein paar Schritte, Großmütterchen.« Aber in dem Augenblick, als wir von dem Schmuckplatz in die Allee einbogen, begegnete uns unsere ganze Gesellschaft: der General, de Grieux und Mademoiselle Blanche mit ihrer Mama.</sentence>
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<sentence num="54">Polina Alexandrowna war nicht bei ihnen, auch Mister Astley nicht.</sentence>
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<sentence num="55">»Zu, zu! Nicht stehenbleiben!« rief die Tante.</sentence>
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<sentence num="56">»Was wollt ihr denn?</sentence>
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<sentence num="57">Ich habe jetzt für euch keine Zeit!« Ich ging hinter dem Rollstuhl; de Grieux trat hastig auf mich zu.</sentence>
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<sentence num="58">»Den ganzen vorigen Gewinn hat sie verspielt und dazu noch zwölftausend Gulden eigenes Geld.</sentence>
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<sentence num="59">Jetzt gehen wir, Staatsschuldscheine umwechseln«, flüsterte ich ihm schnell zu.</sentence>
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<sentence num="60">De Grieux stampfte mit dem Fuß und beeilte sich, es dem General mitzuteilen.</sentence>
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<sentence num="61">Wir setzten unsern Weg mit der Tante fort.</sentence>
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<sentence num="62">»Halten Sie sie zurück, halten Sie sie zurück!« flüsterte mir der General ganz außer sich zu.</sentence>
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<sentence num="63">»Versuchen Sie es einmal, sie zurückzuhalten«, erwiderte ich gleichfalls leise.</sentence>
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<sentence num="64">»Liebe Tante«, sagte der General, zu ihr herantretend, »liebe Tante… wir sind gerade im Begriff… wir sind gerade im Begriff… « Die Stimme fing ihm an zu zittern und versagte… »Wir wollen uns einen Wagen nehmen und eine Spazierfahrt in der Umgegend des Ortes machen… Ein entzückender Blick… ein Aussichtspunkt… wir kamen, um Sie dazu aufzufordern.« »Ach, laß mich in Ruhe mit deinem Aussichtspunkt!« antwortete die Alte gereizt mit einer wegwerfenden Handbewegung.</sentence>
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<sentence num="65">»Es ist dort ein Dorf… da wollen wir Tee trinken… « fuhr der General in heller Verzweiflung fort.</sentence>
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<sentence num="66">»Nous boirons du lait, sur l'herbe fraîche«, fügte de Grieux mit schändlicher Bosheit hinzu.</sentence>
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<sentence num="67">Du lait, de l'herbe fraîche, aus diesen beiden Stücken setzt sich für den Pariser Bourgeois das Ideal einer Idylle zusammen; daraus besteht bekanntlich seine ganze Vorstellung von dem, was er la nature et la vérité nennt!</sentence>
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<sentence num="68">»Du mit deiner Milch! Labbere du sie allein; ich bekomme davon Bauchschmerzen. Aber warum belästigt ihr mich denn?« schrie die Tante.</sentence>
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<sentence num="69">»Ich habe doch schon gesagt, daß ich keine Zeit habe!« »Wir sind schon da, Großmütterchen!« sagte ich. »Hier ist es!« Wir waren bei einem Haus angelangt, in dem sich ein Bankgeschäft befand.</sentence>
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<sentence num="70">Ich ging hinein, um das Umwechseln zu erledigen; die Tante blieb draußen auf der Straße und wartete; der General, de Grieux und Blanche standen in einiger Entfernung von ihr und wußten nicht, was sie tun sollten.</sentence>
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<sentence num="71">Die Alte warf ihnen zornige Blicke zu; so gingen sie denn fort und schlugen den Weg nach dem Kurhaus ein.</sentence>
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<sentence num="72">Was man mir in dem Bankgeschäft für die Wertpapiere bot, war so erschreckend wenig, daß ich nicht glaubte, auf eigene Hand den Verkauf abschließen zu sollen, sondern zur Tante zurückkehrte, um mir von ihr Instruktion zu erbitten.</sentence>
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<sentence num="73">»Ach, diese Räuber!« rief sie und schlug die Hände zusammen. »Na, aber es hilft nichts! Verkaufe sie!« fuhr sie kurz entschlossen fort. »Warte mal, rufe doch mal den Bankier zu mir her!« »Wohl einen von den Kontoristen, Großmütterchen?« »Na, also einen Kontoristen, ganz gleich!</sentence>
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<sentence num="74">Ach, diese Räuber!« Der Kontorist fand sich bereit mit hinauszukommen, als er hörte, es lasse ihn eine alte Gräfin bitten, die körperlich leidend sei und nicht gehen könne.</sentence>
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<sentence num="75">Lange Zeit machte ihm die Tante mit lauter Stimme zornige Vorwürfe wegen solcher Gaunerei und suchte mit ihm zu handeln; sie redete dabei einen Mischmasch von Russisch, Französisch und Deutsch, bei dem ich als Dolmetscher half.</sentence>
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<sentence num="76">Der ernste Kontorist sah uns beide an und schüttelte schweigend den Kopf. Die Tante betrachtete er sogar mit einer so beharrlichen Neugier, daß es ordentlich unhöflich herauskam; schließlich fing er an zu lächeln.</sentence>
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<sentence num="77">»Na, nun pack dich!« schrie die Alte.</sentence>
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<sentence num="78">»Mögest du an meinem Gelde ersticken! Wechsle es bei ihm um, Alexej Iwanowitsch! Wir haben keine Zeit; sonst könnten wir zu einem andern fahren… « »Der Kontorist sagt, bei andern würden wir noch weniger bekommen.« Genau besinne ich mich nicht mehr auf die Rechnung, die uns damals gemacht wurde; aber sie war schauderhaft. Ich erhielt etwa zwölftausend Gulden in Gold und Banknoten, nahm die Rechnung und trug alles der Tante hinaus.</sentence>
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<sentence num="79">»Schon gut, schon gut! Du brauchst es mir nicht erst vorzuzählen!« winkte sie ab. »Nur schnell, schnell, schnell!« »Nie mehr werde ich auf dieses verwünschte Zéro setzen, und auf Rot auch nicht«, sagte sie vor sich hin, als wir uns dem Kurhaus näherten.</sentence>
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<sentence num="80">Diesmal bemühte ich mich aus allen Kräften, sie dazu zu bewegen, nur möglichst kleine Einsätze zu machen, indem ich ihr vorstellte, daß sie bei einer günstigen Wendung der Chancen immer noch Zeit habe, größere Summen zu setzen.</sentence>
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<sentence num="81">Aber sie war für ein solches Verfahren zu ungeduldig; obwohl sie sich anfänglich damit einverstanden erklärt hatte, war es doch ein Ding der Unmöglichkeit, sie im Laufe des Spiels zurückzuhalten.</sentence>
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<sentence num="82">Kaum fing sie an, auf Einsätze von zehn, zwanzig Friedrichsdor zu gewinnen, so hieß es unter Puffen in meine Seite: »Na, siehst du wohl, siehst du wohl?</sentence>
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<sentence num="83">Gewonnen haben wir; wir hätten viertausend Gulden setzen sollen statt der zehn Friedrichsdor; dann hätten wir viertausend Gulden gewonnen; aber was haben wir jetzt?</sentence>
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<sentence num="84">Das ist nur deine Schuld, nur deine Schuld!« Und wie sehr ich mich auch ärgerte, wenn ich ihre Art zu spielen ansah, so entschied ich mich schließlich doch dafür zu schweigen und ihr keine weiteren Ratschläge mehr zu geben.</sentence>
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<sentence num="85">Auf einmal trat de Grieux eilig zu ihr heran.</sentence>
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<sentence num="86">Auch unsere übrige Gesellschaft war in der Nähe; ich bemerkte, daß Mademoiselle Blanche mit ihrer Mama etwas abseits stand und mit dem kleinen Fürsten kokettierte. Der General war in offenbarer Ungnade und so gut wie abgesetzt.</sentence>
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<sentence num="87">Blanche wollte ihn nicht einmal ansehen, obwohl er sich aus allen Kräften mit Liebenswürdigkeiten um sie zu schaffen machte. Der arme General! Er wurde abwechselnd blaß und rot, zitterte und verfolgte nicht einmal mehr das Spiel der Tante.</sentence>
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<sentence num="88">Schließlich gingen Blanche und der kleine Fürst hinaus; der General lief ihnen nach.</sentence>
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<sentence num="89">»Madame, madame«, flüsterte de Grieux der Tante zu, indem er sich ganz dicht an ihr Ohr hinabbeugte, »madame, so geht das nicht mit dem Setzen… nein, nein, das ist nicht möglich… « radebrechte er auf russisch, »… nein!« »Aber wie denn?</sentence>
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<sentence num="90">Na, dann belehre mich mal!« antwortete ihm die Tante. Nun begann de Grieux sehr schnell Französisch zu plappern und eifrig Ratschläge zu geben; er sagte, man müsse eine Chance abwarten, und führte irgendwelche Zahlen an – die Alte begriff nichts von alledem. Fortwährend wandte er sich dabei an mich, mit der Bitte, seine Worte zu übersetzen; er tippte mit dem Finger auf den Tisch und demonstrierte dies und das; zuletzt ergriff er einen Bleistift und begann auf einem Blatt Papier zu rechnen.</sentence>
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<sentence num="91">Schließlich verlor die Alte die Geduld.</sentence>
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<sentence num="92">»Na, nun scher dich weg! Du schwatzt ja doch nur dummes Zeuge! ›Madame, madame!‹ aber er selbst versteht von der Sache nichts.</sentence>
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<sentence num="93">Scher dich weg!« »Mais, madame«, schnatterte de Grieux wieder los und fing von neuem an zu schwadronieren und zu zeigen.</sentence>
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<sentence num="94">Er war in einen unhemmbaren Eifer hineingeraten. »Na, dann setze einmal so, wie er sagt!« befahl mir die Tante. »Wir wollen mal sehen; vielleicht glückt es wirklich.« De Grieux wollte sie nur von großen Einsätzen abbringen; er schlug ihr vor, auf Zahlen zu setzen, auf einzelne Zahlen und auf Zahlengruppen.</sentence>
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<sentence num="95">Ich setzte nach seiner Anweisung je einen Friedrichsdor auf die ungeraden Zahlen von eins bis zwölf und je fünf Friedrichsdor auf die Zahlengruppe von zwölf bis achtzehn und auf die Zahlengruppe von achtzehn bis vierundzwanzig; im ganzen hatten wir sechzehn Friedrichsdor gesetzt.</sentence>
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<sentence num="96">Das Rad drehte sich. »Zéro!« rief der Croupier. Wir hatten alles verloren. »So ein Esel!« rief die Alte, indem sie sich zu de Grieux umdrehte.</sentence>
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<sentence num="97">»So ein Jammerkerl von Franzose!</sentence>
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<sentence num="98">Der gibt noch Ratschläge, der Taugenichts! Scher dich weg, scher dich weg! Versteht nichts und tut hier wichtig!« Tief gekränkt zuckte de Grieux mit den Achseln, warf der Tante einen Blick voller Verachtung zu und entfernte sich.</sentence>
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<sentence num="99">Er schämte sich jetzt selbst, daß er sich mit ihr eingelassen hatte; länger hielt er es jedenfalls nicht aus.</sentence>
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<sentence num="100">Nach einer Stunde hatten wir, trotz allen Kämpfens und Ringens, alles verloren.</sentence>
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<sentence num="101">»Nach Hause!« schrie die Tante. Ehe wir die Allee erreicht hatten, sprach sie kein Wort.</sentence>
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<sentence num="102">Als wir in der Allee waren und uns schon dem Hotel näherten, da kamen bei ihr stoßweise die ersten Ausrufe: »So ein dummes Weib!</sentence>
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<sentence num="103">So ein verrücktes Weib!</sentence>
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<sentence num="104">Du altes, altes, verrücktes Weib du!« Sobald wir wieder in ihrem Logis waren, schrie sie: »Bringt mir Tee!</sentence>
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<sentence num="105">Und packt sofort ein! Wir reisen ab!« »Wohin belieben Sie zu reisen, Mütterchen?« fragte Marfa schüchtern. »Was geht dich das an? Kümmere dich um deine eigene Nase!</sentence>
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<sentence num="106">Potapytsch, pack alles zusammen, mach alles fertig! Wir fahren zurück, nach Moskau.</sentence>
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<sentence num="107">Ich habe fünfzehntausend Rubel verspielt!« »Fünfzehntausend Rubel, Mütterchen!</sentence>
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<sentence num="108">Mein Gott, mein Gott!« fing Potapytsch an und schlug, wie tief ergriffen, die Hände zusammen, wahrscheinlich in der Meinung, es damit der Alten recht zu machen.</sentence>
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<sentence num="109">»Na, na, du Schafskopf! Fang womöglich noch an zu heulen! Schweig still! Pack die Sachen!</sentence>
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<sentence num="110">Und schnell die Rechnung, schnell.« »Der nächste Zug geht um halb zehn, Großmütterchcn«, bemerkte ich in der Absicht, ihr Toben zu hemmen. »Und wieviel ist es jetzt?« »Halb acht.« »Das ist ärgerlich!</sentence>
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<sentence num="111">Na, ganz egal! Alexej Iwanowitsch, Geld habe ich auch nicht eine Kopeke mehr. Da hast du noch zwei Staatsschuldscheine; lauf und wechsle mir die auch noch um.</sentence>
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<sentence num="112">Sonst habe ich kein Geld zum Fahren.« Ich ging hin.</sentence>
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<sentence num="113">Als ich nach einer halben Stunde ins Hotel zurückkam, fand ich bei der Tante die sämtlichen Unsrigen vor. Anscheinend waren sie über die Mitteilung, daß die Tante nach Moskau zurückzufahren beabsichtige, noch mehr bestürzt als über deren Spielverlust.</sentence>
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<sentence num="114">Allerdings wurde durch diese Abreise das übrige Vermögen der alten Dame gerettet; aber auf der anderen Seite: was sollte jetzt aus dem General werden?</sentence>
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<sentence num="115">Wer würde de Grieux' Forderungen begleichen?</sentence>
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<sentence num="116">Mademoiselle Blanche würde selbstverständlich nicht warten mögen, bis die Alte stürbe, sondern wahrscheinlich gleich jetzt mit dem kleinen Fürsten oder sonst jemandem davongehen.</sentence>
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<sentence num="117">Sie standen alle vor der Tante, trösteten sie und redeten ihr freundlich zu. Polina war wieder nicht dabei.</sentence>
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<sentence num="118">Die Tante schrie ihnen grimmig zu: »Macht, daß ihr fortkommt, ihr Kanaillen! Was geht euch die ganze Geschichte an? Wozu drängt sich dieser Ziegen- bart« (das war Monsieur de Grieux) »mir immer auf?</sentence>
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<sentence num="119">Und du, kokette Person« (hier wandte sie sich an Mademoiselle Blanche), »was willst du von mir?</sentence>
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<sentence num="120">Warum scharwenzelst du um mich herum?« »Diantre!« murmelte Mademoiselle Blanche, in deren Augen die Wut funkelte; aber plötzlich lachte sie auf und ging hinaus.</sentence>
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<sentence num="121">»Elle vivra cent ans!« rief sie in der Tür dem General zu.</sentence>
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<sentence num="122">»So, so! Also du rechnest auf meinen Tod?« kreischte die Alte den General an.</sentence>
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<sentence num="123">»Mach, daß du fortkommst! Jage sie alle hinaus, Alexej Iwanowitsch! Was geht es euch an? Ich habe mein eigenes Geld verspielt und nicht eures!« Der General zuckte mit den Achseln und ging in gekrümmter Haltung hinaus.</sentence>
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<sentence num="124">De Grieux folgte ihm. »Rufe Praskowja her!« befahl die Tante ihrer Zofe Marfa.</sentence>
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<sentence num="125">Nach fünf Minuten kehrte Marfa mit Polina zurück. Polina hatte diese ganze Zeit über mit den Kindern in ihrem Zimmer gesessen und sich anscheinend vorgenommen, den ganzen Tag nicht auszugehen. Ihr Gesicht war ernst, traurig und sorgenvoll.</sentence>
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<sentence num="126">»Praskowja«, begann die Tante, »ist das wahr, was ich vor kurzem auf einem Umweg gehört habe, daß dieser Dummkopf, dein Stiefvater, diese dumme, flatterhafte Französin heiraten will? Sie ist ja wohl eine Schauspielerin, wenn nicht etwas noch Schlimmeres?</sentence>
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<sentence num="127">Sag, ist das wahr?« »Sicheres weiß ich darüber nicht, Großmütterchen«, antwortete Polina; »aber aus den eigenen Worten der Mademoiselle Blanche, die es nicht für nötig hält, ein Geheimnis daraus zu machen, schließe ich… « »Genug«, unterbrach die Alte sie energisch.</sentence>
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<sentence num="128">»Ich verstehe alles! Ich habe mir gleich gesagt, daß ihm das ganz ähnlich sehe, und habe ihn von jeher für einen ganz hohlen, leichtsinnigen Menschen gehalten. Er hat sich so einen Dünkel zugelegt, weil er General geworden ist (eigentlich war er nur Oberst und hat den Generalsrang erst beim Abschied bekommen); darauf ist er nun stolz.</sentence>
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<sentence num="129">Ich weiß alles, mein Kind, wie ihr ein Telegramm nach dem andern nach Moskau geschickt habt: ›Wird denn die Alte noch nicht bald die Augen zumachen?‹ Ihr wartetet auf die Erbschaft; wenn der General kein Geld hat, nimmt ihn diese gemeine Dirne (wie heißt sie doch?</sentence>
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<sentence num="130">de Cominges, nicht wahr?) nicht einmal als Lakaien zu sich, noch dazu mit seinen falschen Zähnen.</sentence>
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<sentence num="131">Sie hat, wie es heißt, selbst eine tüchtige Menge Geld und verleiht es auf Zinsen, ein netter Erwerbszweig!</sentence>
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<sentence num="132">Dir, Praskowja, mache ich keine Vorwürfe; du hast keine Telegramme abgeschickt, und an alte Geschichten will ich auch nicht weiter denken.</sentence>
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<sentence num="133">Ich weiß, daß du einen garstigen Charakter hast; du bist die reine Wespe! Wo du hinstichst, da gibt es eine Geschwulst.</sentence>
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<sentence num="134">Aber du tust mir leid; denn ich habe deine Mutter, die verstorbene Katerina, sehr gern gehabt.</sentence>
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<sentence num="135">Na, willst du? Laß hier alles stehn und liegen und fahr mit mir mit! Du weißt ja doch eigentlich nicht, wo du bleiben sollst, und hier bei denen zu sein paßt sich gar nicht einmal für dich.</sentence>
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<sentence num="136">Warte« (Polina hatte schon zu einer Antwort angesetzt; aber die Alte ließ sie nicht zu Wort kommen), »ich bin noch nicht fertig. Mein Haus in Moskau ist, wie du weißt, so groß wie ein Schloß.</sentence>
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<sentence num="137">Meinetwegen kannst du darin eine ganze Etage bewohnen und brauchst wochenlang nicht zu mir zu kommen, wenn mein Wesen dir nicht zusagt.</sentence>
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<sentence num="138">Nun, willst du oder willst du nicht?« »Gestatten Sie mir zunächst die Frage: wollen Sie wirklich jetzt gleich fahren?« »Du denkst wohl, ich mache nur Scherz, mein Kind?</sentence>
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<sentence num="139">Ich habe gesagt, daß ich fahre, und werde es auch tun. Ich habe heute fünfzehntausend Rubel bei eurem dreimal verfluchten Roulett verloren.</sentence>
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<sentence num="140">Auf meinem Gut bei Moskau habe ich vor fünf Jahren gelobt, eine hölzerne Kirche zu einer steinernen umzubauen, und statt dessen habe ich nun hier mein Geld vergeudet.</sentence>
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<sentence num="141">Jetzt fahre ich hin, mein Kind, um die Kirche zu bauen.« »Aber die Brunnenkur, Großmütterchen? Sie sind doch hergekommen, um Brunnen zu trinken?« »Ach, geh mir mit deinem Brunnen!</sentence>
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<sentence num="142">Mach mich nicht ärgerlich, Praskowja; oder war das gerade deine Absicht?</sentence>
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<sentence num="143">Sag, fährst du mit oder nicht?« »Ich bin Ihnen sehr, sehr dankbar, Großmütterchen«, erwiderte Polina mit warmer Empfindung, »für das Asyl, das Sie mit anbieten. Zum Teil haben Sie meine Lage richtig erraten.</sentence>
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<sentence num="144">Ich erkenne Ihr Güte aus vollem Herzen an und werde (seien Sie dessen versichert!)</sentence>
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<sentence num="145">zu Ihnen kommen, vielleicht sogar schon sehr bald; aber jetzt habe ich Gründe… wichtige Gründe… und ich kann mich so plötzlich, in diesem Augenblick, nicht dazu entschließen. Wenn Sie wenigstens noch ein paar Wochen hierblieben… « »Also du willst nicht?« »Ich kann es nicht. Außerdem kann ich jedenfalls meinen Bruder und meine Schwester nicht verlassen; denn… denn… denn es könnte sonst wirklich so kommen, daß sie niemand auf der Welt haben, der sich ihrer annimmt. Wenn Sie also mich mitsamt den Kleinen aufnehmen wollen, Großmütterchen, dann werde ich bestimmt zu Ihnen ziehen, und glauben Sie mir: ich werde Ihnen Ihre Güte lohnen!« fügte sie warm und herzlich hinzu.</sentence>
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<sentence num="146">»Aber ohne die Kinder kann ich es nicht, Großmütterchen.« »Na, heule nur nicht!« (Polina war vom Heulen weit entfernt, wie sie denn überhaupt niemals weinte.)</sentence>
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<sentence num="147">»Es wird sich auch für deine Küchlein schon noch ein Plätzchen finden; mein Hühnerstall ist ja geräumig.</sentence>
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<sentence num="148">Überdies ist's für sie bald Zeit, daß sie in die Schule kommen. Na, also du fährst jetzt nicht mit!</sentence>
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<sentence num="149">Nun, Praskowja, sei auf deiner Hut!</sentence>
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<sentence num="150">Ich meine es gut mit dir; aber ich weiß ja, warum du nicht mitfährst. Ich weiß alles.</sentence>
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<sentence num="151">Praskowja.</sentence>
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<sentence num="152">Dieser Franzose wird dir keinen Segen bringen.« Polina wurde dunkelrot.</sentence>
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<sentence num="153">Ich fuhr ordentlich zusammen.</sentence>
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<sentence num="154">(Alle wissen Bescheid! Nur ich weiß von nichts!)</sentence>
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<sentence num="155">»Nun, nun, du brauchst kein finsteres Gesicht zu machen. Ich will nicht weiter darüber reden.</sentence>
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<sentence num="156">Sei nur auf deiner Hut, daß nichts Schlimmes passiert, verstehst du?</sentence>
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<sentence num="157">Du bist ein verständiges Mädchen; es würde mir um dich leid tun. Na, nun genug!</sentence>
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<sentence num="158">Hätte ich euch alle nur gar nicht wiedergesehen!</sentence>
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<sentence num="159">Geh! Lebewohl!« »Ich begleite Sie noch auf den Bahnhof, Großmütterchen«, sagte Polina. »Nicht nötig; sei mir nicht im Wege: ich habe euch sowieso schon alle satt.« Polina wollte der Alten die Hand küssen; aber diese zog die Hand weg und küßte selbst Polina auf die Wange.</sentence>
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<sentence num="160">Als Polina an mir vorbeiging, sah sie mich mit einem schnellen Blick an und wendete sogleich die Augen wieder weg.</sentence>
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<sentence num="161">»Na, dann leb auch du wohl, Alexej Iwanowitsch; es ist nur noch eine Stunde bis zur Abfahrt des Zuges.</sentence>
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<sentence num="162">Und du wirst auch von dem Zusammensein mit mir müde geworden sein, denke ich mir.</sentence>
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<sentence num="163">Da, nimm für dich diese fünfzig Goldstücke!« »Ich danken Ihnen herzlich, Großmütterchen; aber es ist mir peinlich… « »Ach was!« schrie die Tante in so energischem, grimmigem Ton, daß ich mich nicht zu weigern wagte und das Geld annahm.</sentence>
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<sentence num="164">»Wenn du in Moskau bist und da ohne Stellung herumläufst, dann komm zu mir; ich werde dich irgendwohin empfehlen.</sentence>
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<sentence num="165">Na, nun mach, daß du wegkommst!« Ich ging auf mein Zimmer und legte mich auf das Bett.</sentence>
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<sentence num="166">Ich glaube, etwa eine halbe Stunde lang lag ich da, auf dem Rücken, die Hände unter dem Kopf.</sentence>
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<sentence num="167">Die Katastrophe brach bereits herein; da gab es vieles, worüber ich nachdenken mußte.</sentence>
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<sentence num="168">Ich nahm mir vor, am nächsten Tag mit Polina ein ernstes Wort zu reden.</sentence>
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<sentence num="169">Ah, dieser kleine Franzose!</sentence>
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<sentence num="170">Also war es wirklich wahr!</sentence>
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<sentence num="171">Aber dennoch: von welcher Art konnte denn dieses Verhältnis sein?</sentence>
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<sentence num="172">Polina und de Grieux! O Gott, was für eine Zusammenstellung!</sentence>
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<sentence num="173">Das alles war doch geradezu unglaublich.</sentence>
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<sentence num="174">Ich sprang plötzlich, ganz außer mir, vom Bett auf, um sofort wegzugehen und Mister Astley aufzusuchen und ihn um jeden Preis zum Reden zu bringen.</sentence>
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<sentence num="175">Er wußte sicherlich auch hiervon mehr als ich. Mister Astley?</sentence>
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<sentence num="176">Der war mir auch für seine eigene Person noch ein Rätsel!</sentence>
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<sentence num="177">Da hörte ich jemand an meine Tür köpfen.</sentence>
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<sentence num="178">Ich sah nach – es war Potapytsch.</sentence>
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<sentence num="179">»Alexej Iwanowitsch, die gnädige Frau lassen Sie zu sich bitten!« »Was gibt es denn?</sentence>
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<sentence num="180">Sie will wohl abfahren, nicht wahr?</sentence>
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<sentence num="181">Es sind noch zwanzig Minuten bis zur Abfahrt des Zuges.« »Die gnädige Frau sind so unruhig und können kaum stillsitzen.</sentence>
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<sentence num="182">›Schnell, schnell!‹ sagen die gnädige Frau, nämlich, daß ich Sie schnell holen soll. Um Christi willen, kommen Sie schnell!« Ich lief sogleich hinunter.</sentence>
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<sentence num="183">Die Tante hatte sich schon auf den Korridor hinaustragen lassen.</sentence>
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<sentence num="184">In der Hand hielt sie ihre Brieftasche.</sentence>
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<sentence num="185">»Alexej Iwanowitsch, geh voran; wir wollen hin!« »Wohin, Großmütterchcn?« »Ich will nicht am Leben bleiben, wenn ich es nicht wiedergewinne! Na, marsch, ohne weiter zu fragen!</sentence>
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<sentence num="186">Das Spiel dauert dort ja wohl bis Mitternacht?« Ich war starr, überlegte einen Augenblick, hatte dann aber sofort meinen Entschluß gefaßt.</sentence>
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<sentence num="187">»Nehmen Sie es mir nicht übel, Antonida Wassiljewna, ich komme nicht mit.« »Warum nicht?</sentence>
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<sentence num="188">Was soll das wieder heißen?</sentence>
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<sentence num="189">Ihr seid hier wohl alle nicht recht bei Trost?« »Nehmen Sie es mir nicht übel; aber ich würde mir nachher selbst Vorwürfe deswegen machen; ich will nicht.</sentence>
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<sentence num="190">Ich will weder Zeuge noch Teilnehmer sein; dispensieren Sie mich davon, Antonida Wassiljewna!</sentence>
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<sentence num="191">Da haben Sie ihre fünfzig Friedrichsdor zurück; leben Sie wohl!« Ich legte die Rolle mit den Friedrichsdor dort auf ein Tischchen, neben dem der Stuhl der Tante gerade vorbeikam, verbeugte mich und ging weg.</sentence>
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<sentence num="192">»So ein Unsinn!« rief sie mir nach.</sentence>
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<sentence num="193">»Dann laß es bleiben, meinetwegen; ich werde den Weg auch allein finden!</sentence>
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<sentence num="194">Potapytsch, komm du mit!</sentence>
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<sentence num="195">Na, hebt mich auf und tragt mich!« Mister Astley fand ich nicht und kehrte nach Hause zurück.</sentence>
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<sentence num="196">Erst spät, nach Mitternacht, erfuhr ich von Potapytsch, wie dieser Tag für die Alte geendet hatte.</sentence>
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<sentence num="197">Sie hatte alles verspielt, was ich ihr kurz vorher eingewechselt hatte, das heißt nach unserem Geld nochmal zehntausend Rubel.</sentence>
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<sentence num="198">Jener selbe Pole, dem sie unlängst zwei Friedrichsdor geschenkt hatte, hatte sich an sie herangemacht und während der ganzen Zeit ihr Spiel dirigiert.</sentence>
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<sentence num="199">Zuerst, ehe sich der Pole einfand, hatte sie den Versuch gemacht, ihre Einsätze durch Potapytsch bewerkstelligen zu lassen; aber den hatte sie bald weggejagt, und dann war der Pole eingetreten.</sentence>
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<sentence num="200">Das Unglück wollte, daß er Russisch verstand und sogar einigermaßen sprach, in einem Gemisch von drei Sprachen, so daß sie sich leidlich untereinander verständlich machen konnten.</sentence>
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<sentence num="201">Die Tante hatte ihm die ganze Zeit über die derbsten Schimpfworte an den Kopf geworfen, und »obgleich er«, erzählte Potapytsch, »sich fortwährend ›der gnädigen Frau zu Füßen legte‹, wurde er von ihr doch ganz anders behandelt wie Sie, Alexej Iwanowitsch; gar kein Vergleich.</sentence>
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</chapter>
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<chapter num="13" name="Dreizehntes Kapitel">
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<sentence num="1"> Beinah ein ganzer Monat ist schon vergangen, seit ich diese meine Aufzeichnungen nicht mehr angerührt habe, die ich damals im Bann unklarer, aber starker Affekte begann.</sentence>
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<sentence num="2">Die Katastrophe, deren Herannahen ich damals vorausfühlte, ist wirklich eingetreten, aber in sehr viel heftigerer Form und anderer Art, als ich es mir gedacht hatte.</sentence>
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<sentence num="3">All diese Vorgänge trugen einen sonderbaren, widerwärtigen, ja tragischen Charakter, wenigstens für mich.</sentence>
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<sentence num="4">Ich habe einzelnes erlebt, was an Wunder grenzt; so sehe ich wenigstens noch immer diese Dinge an, wiewohl sie von einem anderen Standpunkt aus, und namentlich wenn man erwägt, in welchem Wirbel ich damals herumgetrieben wurde, nur als Ereignisse von vielleicht nicht ganz gewöhnlicher Art erscheinen mögen.</sentence>
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<sentence num="5">Aber das Allerwunderbarste ist für mich die Art und Weise, wie ich mich selbst diesen Ereignissen gegenüber verhielt.</sentence>
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<sentence num="6">Und all das ist dahingeflogen wie ein Traum, sogar meine Leidenschaft, die doch stark und aufrichtig war; aber wo ist die jetzt geblieben?</sentence>
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<sentence num="7">Wirklich: manchmal huscht mir der Gedanke durch den Kopf: habe ich vielleicht damals den Verstand verloren und dann diese ganze Zeit über irgendwo in einem Irrenhaus gesessen, oder sitze ich vielleicht auch jetzt noch in einem solchen und all diese Dinge waren und sind nur Produkte meiner Einbildung?</sentence>
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<sentence num="8">Ich habe meine Blätter zusammengesucht und wieder durchgelesen; vielleicht habe ich es nur in der Absicht getan, mich zu überzeugen, ob ich sie nicht wirklich in einem Irrenhaus geschrieben habe.</sentence>
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<sentence num="9">Der Herbst rückt heran, das Laub wird gelb.</sentence>
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<sentence num="10">Ich sitze in diesem trostlosen Städtchen (oh, wie trostlos sind die kleinen deutschen Städte!</sentence>
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<sentence num="11">), und statt zu überlegen, was ich nun weiter tun soll, lebe ich in den Empfindungen der jüngsten Vergangenheit, in frischen Erinnerungen und überlasse mich dem Gedanken an jenen Wirbelsturm, der mich damals packte und umherschleuderte und mich nun wieder irgendwohin ausgeworfen hat.</sentence>
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<sentence num="12">Manchmal habe ich die Vorstellung, als drehte ich mich immer noch in diesem Wirbel herum, und als werde im nächsten Augenblick jener Sturm wieder heranbrausen und im Vorbeijagen mich mit seinem Flügel erfassen, und als werde ich wieder aus dem Geleise herausgerissen werden und alles gesunde Urteil verlieren und im Kreise herumgetrieben werden, immer im Kreise, im Kreise… Aber vielleicht komme ich von diesem Zustand des schwindelerregenden Umherkreisens los und gelange wieder zur Ruhe, wenn ich versuche, mir von allem, was in diesem Monat vorgefallen ist, genaue Rechenschaft zu geben.</sentence>
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<sentence num="13">Ich fühle wieder einen Drang, zur Feder zu greifen, und ich habe auch mitunter abends gar nichts zu tun.</sentence>
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<sentence num="14">Sonderbar: um wenigstens eine Beschäftigung zu haben, entnehme ich aus der hiesigen elenden Leihbibliothek als Lektüre Romane von Paul de Kock (in deutscher Übersetzung!</sentence>
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<sentence num="15">), obwohl ich sie nicht leiden kann; aber ich lese sie und wundere mich über mich selbst: es hat fast den Anschein, als fürchtete ich durch die Lektüre eines ernsten Buches oder irgendwelche andere ernste Beschäftigung den Zauberbann zu zerstören, in den mich die letzte Vergangenheit geschmiedet hat.</sentence>
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<sentence num="16">Als wäre mir dieser schreckliche Traum nebst allen von ihm zurückgebliebenen Empfindung so lieb und teuer, daß ich nicht einmal mit etwas Neuem an ihn rühren möchte, damit er nicht in Rauch verfliege!</sentence>
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<sentence num="17">Ist mir das alles so lieb und leuer, wie?</sentence>
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<sentence num="18">Ja, gewiß, es ist mir lieb und teuer; vielleicht werde ich noch nach vierzig Jahren mich wehmütig daran erinnern… Ich beginne also wieder zu schreiben.</sentence>
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<sentence num="19">Aber ich brauche das Folgende nicht mit der Ausführlichkeit zu erzählen wie das Frühere; waren doch auch meine Gefühle und Empfindungen dabei von ganz anderer Art.</sentence>
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<sentence num="20">Zuerst möchte ich das, was ich von der alten Tante berichtete, zum Abschluß bringen.</sentence>
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<sentence num="21">Am andern Tage verspielte sie alles, was sie mithatte, schlechthin alles. Es konnte nicht anders kommen: gerät ein Mensch von solchem Charakter auf diesen Weg, so ist es, als ob er im Schlitten einen Schneeberg hinabführe: es geht immer schneller und schneller hinunter.</sentence>
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<sentence num="22">Sie spielte den ganzen Tag bis acht Uhr abends. Ich war dabei nicht zugegen; ich weiß davon nur aus Erzählungen. Potapytsch hielt sich im Kurhaus den ganzen Tag über zu ihrer Verfügung. Die Polen, von denen die Tante sich beim Spiel beraten ließ, wechselten an diesem Tag mehrmals ab.</sentence>
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<sentence num="23">Sie begann damit, daß sie den Polen von gestern, den sie an den Haaren gerissen hatte, wegjagte und einen andern annahm; aber es stellte sich bald heraus, daß dieser andere womöglich noch schlimmer war.</sentence>
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<sentence num="24">Sie jagte also auch diesen weg und nahm den ersten wieder an, der nicht weggegangen war und während der ganzen Zeit, wo er sich in Ungnade befand, sich dicht dabei, hinter ihrem Stuhl, herumgedrückt und alle Augenblicke seinen Kopf zu ihr hindurchgeschoben hatte.</sentence>
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<sentence num="25">Durch all das geriet die Tante schließlich in einen Zustand völliger Verzweiflung. Der weggejagte zweite Pole wollte gleichfalls um keinen Preis weichen; der eine postierte sich rechts vom Stuhl der Tante, der andere links. Die ganze Zeit über stritten und schimpften sie untereinander wegen der Höhe der Einsätze und wegen der Auswahl, worauf zu setzen sei, und belegten einander mit dem Titel »Lajdak«, Strolch, und andern polnischen Schmeichelnamen; dann vertrugen sie sich wieder, warfen mit dem Geld ohne alle Ordnung umher und schalteten und walteten damit ganz leichtfertig.</sentence>
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<sentence num="26">Zu Zeiten, wo sie sich gezankt hatten, setzte ein jeder von ihnen auf seiner Seite, was ihm beliebte, zum Beispiel der eine auf Rot, der andere auf Schwarz.</sentence>
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<sentence num="27">Schließlich machte all dies die Tante ganz schwindlig und denkunfähig, so daß sie zuletzt, dem Weinen nahe, sich an den Obercroupier wandte, mit der Bitte, sie zu beschützen und die beiden Polen wegzujagen.</sentence>
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<sentence num="28">Diese wurden denn auch unverzüglich fortgewiesen, trotz ihres Geschreis und ihrer Proteste: sie schrien beide zugleich und behaupteten, die alte Dame sei vielmehr ihnen Geld schuldig, sie habe sie irgendwie betrogen und sich gegen sie unehrenhaft und gemein benommen.</sentence>
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<sentence num="29">Der unglückliche Potapytsch erzählte mir alles dies unter Tränen noch an demselben Abend, an dem der Spielverlust stattgefunden hatte, und klagte mir, die beiden hätten sich die Taschen voll Geld gestopft; er habe selbst gesehen, wie sie schamlos gestohlen und sich alle Augenblicke etwas in die Taschen gesteckt hätten.</sentence>
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<sentence num="30">Auch allerlei Kunstgriffe hätten sie angewandt.</sentence>
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<sentence num="31">So habe zum Beispiel der eine die Tante um fünf Friedrichsdor als Belohnung für seine Dienste gebeten und dieses Geld sogleich im Roulett gesetzt, neben den Einsätzen der Tante.</sentence>
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<sentence num="32">Habe nun die Tante gewonnen, so habe er geschrien, der Einsatz, der gewonnen habe, gehöre ihm, der der Tante habe verloren.</sentence>
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<sentence num="33">Als sie fortgewiesen wurden, war dann Potapytsch vorgetreten und hatte der Tante berichtet, daß sie die ganzen Taschen voller Geld hätten.</sentence>
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<sentence num="34">Die Tante hatte sofort den Croupier gebeten, sich der Sache anzunehmen, und obwohl die beiden Polen ein großes Geschrei vollführten (gerade wie zwei Hähne, die man mit den Händen greift), war die Polizei erschienen und hatte ihnen zum Vorteil der Tante die Taschen ausgeleert.</sentence>
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<sentence num="35">Solange die Tante nicht ihr ganzes Geld verspielt hatte, erfreute sie sich an diesem ganzen Tag bei den Croupiers und überhaupt bei allen Beamten des Kurhauses offenkundiger Hochachtung.</sentence>
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<sentence num="36">Allmählich hatte sich eine Kunde von ihr in der ganzen Stadt verbreitet.</sentence>
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<sentence num="37">Alle Kurgäste jeder Nationalität, vornehm und gering, strömten in den Spielsaal, um sieh da »une vieille russe, tombée en enfance« anzusehen, die bereits »einige Millionen« verspielt hatte.</sentence>
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<sentence num="38">Aber es nützte der Tante herzlich wenig, daß man sie von den beiden Polacken befreit hatte.</sentence>
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<sentence num="39">An Stelle derselben erschien sogleich dienstbereit ein dritter Pole; dieser sprach ein vollkommen reines Russisch, war wie ein Gentleman gekleidet, wiewohl er dabei doch wie ein Lakai aussah, trug einen gewaltigen Schnurrbart und kehrte ein großes Ehrgefühl heraus.</sentence>
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<sentence num="40">Er küßte gleichfalls, nach seinem Ausdruck, die Fußspuren der gnädigen Frau und legte sich ihr zu Füßen, benahm sich aber gegen alle, die er um sich hatte, hochmütig, maßte sich eine despotische Herrschaft an, kurz, er trat gleich von vornherein nicht als Diener der Tante, sondern als ihr Gebieter auf.</sentence>
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<sentence num="41">Alle Augenblicke, bei jedem Einsatz, wandte er sich zu ihr und schwor mit den fürchterlichsten Eiden, er sei ein Ehrenmann und nehme nicht eine Kopeke von ihrem Geld.</sentence>
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<sentence num="42">Er wiederholte diese Schwüre so oft, daß die Tante schließlich ganz eingeschüchtert wurde. Aber da dieser Herr tatsächlich anfangs einen günstigen Einfluß auf ihr Spiel auszuüben schien und Gewinne erzielte, so glaubte die Tante selbst, sich nicht von ihm losmachen zu sollen.</sentence>
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<sentence num="43">Eine Stunde später erschienen die beiden früheren Polen, die aus dem Spielsaal heraustransportiert worden waren, von neuem hinter dem Stuhl der Tante und boten ihr wieder ihre Dienste an, wenn auch nur zu Botengängen.</sentence>
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<sentence num="44">Potapytsch beteuerte eidlich, daß der Ehrenmann ihnen heimlich zugeblinzelt und ihnen sogar etwas in die Hand geschoben habe.</sentence>
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<sentence num="45">Da die Tante nichts zu Mittag gegessen hatte und fast gar nicht von ihrem Stuhl weggegangen war, so kam ihr der eine Pole mit seiner Dienstfertigkeit ganz gelegen: er mußte nach dem Restaurant des Kurhauses laufen und ihr eine Tasse Bouillon holen, dann auch eine Tasse Tee.</sentence>
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<sentence num="46">Übrigens liefen die Polen immer beide zugleich.</sentence>
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<sentence num="47">Aber am Ende des Tages, als es schon allen klar war, daß sie ihre letzte Banknote verspielen werde, standen hinter ihrem Stuhl schon ganze sechs Polen, von denen vorher nichts zu sehen und zu hören gewesen war.</sentence>
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<sentence num="48">Und als die Tante wirklich im Begriff stand, ihr letztes Geld zu verlieren, da gehorchte keiner von ihnen mehr ihren Weisungen, ja sie beachteten die Alte gar nicht mehr, drängten sich geradezu neben ihr vorbei an den Tisch, griffen selbst nach dem Geld, verfügten eigenmächtig darüber, setzten, stritten und schrien, wobei sie mit dem Ehrenmann auf dem Duzfuß verkehrten; der Ehrenmann selbst aber hatte die Existenz der Tante beinah überhaupt vergessen.</sentence>
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<sentence num="49">Sogar dann, als die Tante alles verspielt hatte und am Abend gegen acht Uhr ins Hotel zurückkehrte, selbst da konnten sich drei oder vier Polen immer noch nicht entschließen, von ihr abzulassen, sondern liefen rechts und links neben ihrem Stuhl her, schrien aus Leibeskräften und behaupteten in schneller Rede, die alte Dame habe sie irgendwie betrogen und müsse ihnen etwas herausgeben.</sentence>
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<sentence num="50">So kamen sie bis zum Hotel mit, von wo sie schließlich mit Püffen und Stößen weggetrieben wurden.</sentence>
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<sentence num="51">Nach Potapytschs Berechnung muß die Tante an diesem Tag im ganzen gegen neunzigtausend Rubel verspielt haben, abgesehen von dem Geld, das sie tags zuvor verloren halte.</sentence>
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<sentence num="52">Alle fünfprozentigen Staatsschuldscheine in inländischen Anleihen, alle Aktien, die sie mithatte, ließ sie, ein Stück nach dem ändern, umwechseln.</sentence>
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<sentence num="53">Ich drückte mein Erstaunen darüber aus, wie sie es diese ganzen sieben oder acht Stunden lang habe aushalten können, auf ihrem Stuhl zu sitzen, beinahe ohne jemals vom Tisch fortzugehen; aber Potapytsch erzählte mir, sie habe etwa dreimal wirklich stark zu gewinnen angefangen; durch die wiedererwachte Hoffnung neu belebt, habe sie dann nicht von ihrem Platz weggekonnt.</sentence>
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<sentence num="54">Spieler haben ja Verständnis dafür, wie ein Mensch es fertigbringt, fast vierundzwanzig Stunden lang auf einem Fleck bei den Karten zu sitzen und weder rechts noch links zu blicken.</sentence>
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<sentence num="55">Unterdes waren im Laufe des Tages bei uns im Hotel gleichfalls sehr wichtige Dinge vorgegangen.</sentence>
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<sentence num="56">Schon am Vormittag, vor elf Uhr, als die Tante noch zu Hause war, entschlossen sich die Unsrigen, das heißt der General und de Grieux, zu einem letzten Schritt.</sentence>
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<sentence num="57">Da sie erfahren hatten, daß die Tante nicht mehr daran dachte, abzureisen, sondern vielmehr im Begriff war, sich nach dem Kurhaus aufzumachen, so begaben sie sich als vollständiges Konklave (mit Ausnahme von Polina) zu ihr, um mit ihr nachdrücklich und sogar offenherzig zu reden. Der General, der angesichts der schrecklichen Folgen, die die Spielwut der Tante für ihn haben mußte, vor Angst verging und am ganzen Leibe zitterte, griff aber dabei zu Mitteln, die gar zu kräftig waren: nachdem er eine halbe Stunde lang gebeten und gefleht und sogar alles offenherzig gestanden hatte, nämlich alle seine Schulden und selbst seine Leidenschaft für Mademoiselle Blanche (er war eben ganz kopflos geworden), schlug er auf einmal einen drohenden Ton an und begann sogar seine Tante anzuschreien und mit den Füßen zu stampfen; er schrie, sie verunehre seine und ihre Familie, verursache in der ganzen Stadt ein skandalöses Aufsehen, und schließlich… schließlich sagte er noch: »Sie bringen Schande über unser russisches Vaterland, gnädige Frau!« und deutete darauf hin, daß es dagegen noch eine Polizei gebe!</sentence>
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<sentence num="58">Die Alte jagte ihn endlich mit einem Stock hinaus, mit einem wirklichen Stock.</sentence>
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<sentence num="59">Der General und de Grieux berieten sich noch ein- oder zweimal im Laufe dieses Vormittags, wobei sie besonders die Frage beschäftigte, ob es denn wirklich ganz unmöglich sei, irgendwie ein Eingreifen der Polizei herbeizuführen.</sentence>
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<sentence num="60">Man könnte ja sagen, diese unglückliche, aber höchst achtungswerte Dame habe den Verstand verloren und sei jetzt dabei, ihr letztes Geld zu verspielen usw.</sentence>
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<sentence num="61">Kurz, ob es nicht möglich sei, eine Art von Aufsicht oder ein Spielverbot zu erwirken.</sentence>
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<sentence num="62">Aber de Grieux zuckte nur mit den Achseln und lachte dem General ins Gesicht, der ohne Aufhören in diesem Sinne redete und im Zimmer auf und ab ging. Endlich verließ de Grieux mit einer wegwerfenden Handbewegung nach dem General hin das Zimmer.</sentence>
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<sentence num="63">Am Abend wurde bekannt, daß er das Hotel mit seinem ganzen Gepäck verlassen habe, nachdem er vorher noch eine sehr ernste, geheimnisvolle Unterredung mit Mademoiselle Blanche gehabt habe. Was Mademoiselle Blanche anlangt, so hatte sie gleich am Vormittag entscheidende Maßregeln ergriffen: sie hatte den General vollständig abgehalftert und ließ ihn überhaupt nicht mehr vor ihre Augen kommen. Als der General ihr nach dem Kurhaus nachlief und sie dort Arm in Arm mit dem kleinen Fürsten traf, kannten Mademoiselle Blanche und Madame veuve Cominges ihn gar nicht mehr. Auch der kleine Fürst grüßte ihn nicht.</sentence>
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<sentence num="64">Diesen ganzen Tag über experimentierte Mademoiselle Blanche an dem Fürsten herum und bearbeitete ihn mit allen möglichen Mitteln, um ihn endlich zu einer entscheidenden Erklärung zu bringen.</sentence>
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<sentence num="65">Aber o weh! In ihren Spekulationen auf den Fürsten sah sie sich grausam getäuscht! Diese kleine Katastrophe trug sich erst gegen Abend zu: Es stellte sich nämlich auf einmal heraus, daß der Fürst kahl wie eine Kirchenmaus war und sogar seinerseits darauf gehofft hatte, von ihr Geld auf einen Wechsel zu bekommen, um dann Roulett spielen zu können.</sentence>
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<sentence num="66">Blanche gab ihm entrüstet den Laufpaß und schloß sich in ihr Zimmer ein.</sentence>
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<sentence num="67">Am Morgen dieses selben Tages ging ich zu Mister Astley, oder, richtiger gesagt, ich suchte Mister Astley den ganzen Vormittag über, konnte ihn aber nirgends finden. Er war weder bei sich zu Hause noch im Kurhaus oder im Park.</sentence>
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<sentence num="68">Auch am Diner nahm er diesmal in seinem Hotel nicht teil.</sentence>
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<sentence num="69">Zwischen vier und fünf Uhr erblickte ich ihn plötzlich, wie er vom Bahnhof geradewegs nach dem Hotel d'Angleterre ging.</sentence>
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<sentence num="70">Er hatte es eilig und schien seine Sorgen zu haben, wiewohl es schwer war, jemals auf seinem Gesicht einen Ausdruck von Sorge oder irgendwelcher Verlegenheit zu erkennen.</sentence>
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<sentence num="71">Er streckte mir freudig mit seinem gewöhnlichen Ausruf: »Ah!« die Hand entgegen, blieb aber nicht auf der Straße stehen, sondern setzte seinen Weg ziemlich schnellen Schrittes fort.</sentence>
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<sentence num="72">Ich schloß mich ihm an; aber er verstand es, mir solche Antworten zu geben, daß ich nicht dazu kam, ihn nach etwas Wichtigerem zu fragen.</sentence>
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<sentence num="73">Außerdem war es mir sehr peinlich, das Gespräch auf Polina zu bringen, und er selbst erwähnte sie mit keinem Wort.</sentence>
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<sentence num="74">Ich erzählte ihm von der Tante; er hörte aufmerksam und mit ernster Miene zu und zuckte mit den Achseln.</sentence>
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<sentence num="75">»Sie wird alles verspielen«, bemerkte ich.</sentence>
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<sentence num="76">»O ja«, erwiderte er. »Vorhin, als ich wegfahren wollte, traf ich sie auf dem Weg zum Spielsaal, und da sagte ich ihr mit Bestimmtheit, daß sie alles verlieren werde.</sentence>
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<sentence num="77">Wenn ich Zeit habe, will ich nach dem Spielsaal gehen, um zuzusehen; denn so etwas ist interessant.« »Wo waren Sie denn hingefahren?« fragte ich und wunderte mich selbst darüber, daß ich danach bisher noch nicht gefragt hatte.</sentence>
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<sentence num="78">»Ich war in Frankfurt.« »In geschäftlichen Angelegenheiten?« »Jawohl.« Wonach konnte ich ihn nun noch weiter fragen?</sentence>
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<sentence num="79">Ich ging immer noch neben ihm her; aber plötzlich bog er in das an unserem Weg stehende Hôtel des quatre saisons ein, nickte mir mit dem Kopf zu und war verschwunden.</sentence>
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<sentence num="80">Nach Hause zurückgekehrt, wurde ich mir allmählich darüber klar, daß ich, selbst wenn ich zwei Stunden lang mit ihm gesprochen hätte, doch schlechterdings nichts erfahren haben würde, weil… weil es gar nichts gab, wonach ich ihn hätte fragen können!</sentence>
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<sentence num="81">Ja, es war wirklich so! Ich war jetzt absolut nicht imstande, meine Frage zu formulieren.</sentence>
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<sentence num="82">Diesen ganzen Tag über ging Polina bald mit den Kindern und der Kinderfrau im Park spazieren, bald saß sie zu Hause.</sentence>
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<sentence num="83">Den General mied sie schon seit längerer Zeit und redete mit ihm fast gar nicht, wenigstens nicht über ernsthafte Dinge. Das hatte ich schon lange bemerkt.</sentence>
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<sentence num="84">Aber da ich wußte, in welcher Situation sich der General heute befand, so sagte ich mir, er würde wohl nicht umhin gekonnt haben mit ihr zu sprechen, das heißt, es müsse wohl mit Notwendigkeit zwischen ihnen zu einer ernsten Aussprache gekommen sein, wie sie bei so wichtigen Angelegenheiten zwischen Familienmitgliedern unerläßlich ist.</sentence>
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<sentence num="85">Als ich jedoch nach meinem Gespräch mit Mister Astley nach dem Hotel zurückging und unterwegs Polina mit den Kindern traf, da lag auf ihrem Gesicht ein Ausdruck ungetrübter Ruhe, als ob all die Stürme, unter denen die Familie litt, nur sie allein verschonten.</sentence>
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<sentence num="86">Meine Verbeugung erwiderte sie mit einem Kopfnicken. Ich ging wütend auf mein Zimmer.</sentence>
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<sentence num="87">Allerdings hatte ich es seit dem Vorfall mit dem Wurmerhelmschen Ehepaar vermieden, mit ihr zu sprechen, und war seitdem kein einziges Mal mit ihr zusammen gewesen.</sentence>
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<sentence num="88">Das war von mir zum Teil nur Getue und Gehabe gewesen; aber je länger es dauerte, um so heißer glühte in mir eine wirkliche Entrüstung auf.</sentence>
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<sentence num="89">Auch wenn sie mich nicht ein bißchen liebte, durfte sie meiner Ansicht nach dennoch nicht meine Gefühle in dieser Weise mit Füßen treten und meine Geständnisse mit solcher Geringschätzung aufnehmen.</sentence>
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<sentence num="90">Sie wußte ja doch, daß ich sie mit einer wahren, echten Liebe liebte, und hatte mir selbst gestattet und erlaubt, davon zu ihr zu reden!</sentence>
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<sentence num="91">Freilich, diese unsere Beziehungen hatten in eigentümlicher Weise ihren Anfang genommen.</sentence>
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<sentence num="92">Vor geraumer Zeit, schon vor zwei Monaten, hatte ich bemerkt, daß sie mich zu ihrem Freund und Vertrauten zu machen wünschte und mich gelegentlich auch schon als solchen behandelte.</sentence>
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</chapter>
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<chapter num="14" name="Vierzehntes Kapitel">
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<sentence num="1"> Ich konnte einen Schrei des Erstaunens nicht unterdrücken.</sentence>
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<sentence num="2">»Was ist denn?</sentence>
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<sentence num="3">Was ist denn?« fragte sie seltsamerweise.</sentence>
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<sentence num="4">Sie war blaß und hatte ein finsteres Gesicht.</sentence>
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<sentence num="5">»Wie können Sie so fragen!</sentence>
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<sentence num="6">Sie hier?</sentence>
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<sentence num="7">Hier bei mir?« »Wenn ich komme, so komme ich auch ganz.</sentence>
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<sentence num="8">Sie stand auf, trat an den Tisch und legte einen geöffneten Brief vor mich hin.</sentence>
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<sentence num="9">»Lesen Sie!« befahl sie.</sentence>
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<sentence num="10">»Das ist… das ist de Grieux' Handschrift!« rief ich, sobald ich den Brief in die Hand genommen hatte.</sentence>
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<sentence num="11">Die Hände zitterten mir, und die Buchstaben tanzten vor meinen Augen.</sentence>
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<sentence num="12">Ich habe den genaueren Wortlaut des Briefes vergessen; aber hier ist sein Inhalt, wenn auch nicht Wort für Wort, so doch nach der Reihenfolge der Gedanken.</sentence>
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<sentence num="13">»Mademoiselle«, schrieb de Grieux, »unangenehme Umstände zwingen mich zu sofortiger Abreise. Sie haben gewiß selbst bemerkt, daß ich eine endgültige Aussprache mit Ihnen absichtlich vermied, ehe sich nicht die ganze Lage geklärt haben würde.</sentence>
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<sentence num="14">Die Ankunft Ihrer alten Verwandtin (de la vieille dame) und deren unsinniges Benehmen haben all meinen Zweifeln ein Ende gemacht.</sentence>
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<sentence num="15">Die Zerrüttung meiner eigenen Vermögensverhältnisse verbietet es mir kategorisch, jene süßen Hoffnungen länger zu hegen, an denen ich mich eine Zeitlang so gern berauschte.</sentence>
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<sentence num="16">Ich bedauere das Zurückliegende; aber ich hoffe, daß Sie in meinem Verhalten nichts finden werden, was eines Edelmannes und eines Mannes von Ehre (gentilhomme et honnête homme) unwürdig wäre.</sentence>
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<sentence num="17">Da ich fast mein ganzes Geld Ihrem Stiefvater geliehen habe und jetzt fürchten muß, es zu verlieren, so sehe ich mich gezwungen, auf die verbliebenen Vermögensstücke die Hand zu legen; ich habe daher bereits meine Freunde in Petersburg angewiesen, den Verkauf der mir verpfändeten Besitztümer ungesäumt in die Wege zu leiten.</sentence>
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<sentence num="18">Da ich aber weiß, daß Ihr leichtsinniger Stiefvater auch Ihr eigenes Geld vergeudet hat, so habe ich mich entschlossen, ihm fünfzigtausend Franc zu erlassen, und gebe ihm einige seiner Pfandverschreibungen in diesem Betrag zurück, so daß Sie jetzt in den Stand gesetzt sind, alles, was Sie verloren haben, wieder einzubringen, wenn Sie Ihr Eigentum von ihm auf gerichtlichem Wege zurückfordern.</sentence>
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<sentence num="19">Ich hoffe, Mademoiselle, daß bei dem jetzigen Stand der Dinge mein Verfahren lür Sie sehr vorteilhaft sein wird.</sentence>
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<sentence num="20">Und weiter hoffe ich, daß ich durch dieses Verfahren die Pflicht eines anständigen, ehrenhaften Mannes in vollem Maße erfülle.</sentence>
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<sentence num="21">Seien Sie versichert, daß mein Herz die Erinnerung an Sie mein ganzes Leben lang bewahren wird.« »Nun, das ist ja alles deutlich«, sagte ich, mich zu Polina wendend.</sentence>
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<sentence num="22">»Haben Sie denn auch etwas anderes erwarten können?« fügte ich ingrimmig hinzu. »Ich habe nichts erwartet«, antwortete sie anscheinend ruhig, aber ihre Stimme klang doch, als ob es in ihrem Innern zuckte, »ich hatte schon längst meinen Entschluß gefaßt; ich las ihm seine Gedanken vom Gesicht ab und wußte, was er glaubte.</sentence>
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<sentence num="23">Er glaubte, mein Streben ginge danach… ich würde darauf bestehen… « Sie stockte, biß sich, ohne den Satz zu Ende zu bringen, auf die Lippe und schwieg.</sentence>
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<sentence num="24">»Ich habe ihm absichtlich in verstärktem Maße meine Verachtung bezeigt«, begann sie dann wieder; »ich wartete, wie er sich wohl benehmen werde. Wäre das Telegramm über die Erbschaft gekommen, so hätte ich ihm das Geld, das ihm dieser Idiot (der Stiefvater) schuldet, hingeworfen und ihn weggejagt!</sentence>
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<sentence num="25">Er war mir schon lange, schon lange verhaßt. Oh, er war früher ein anderer, ein ganz, ganz anderer; aber jetzt, aber jetzt… !</sentence>
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<sentence num="26">Oh, mit was für einem Wonnegefühl würde ich ihm jetzt die fünfzigtausend Franc in sein gemeines Gesicht schleudern und ihn anspeien… « »Aber dieses Schriftstück, diese von ihm zurückgegebene Pfandverschreibung im Betrag von fünfzigtausend Franc, hat doch wohl der General jetzt in Händen?</sentence>
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<sentence num="27">So lassen Sie sie sich doch von ihm geben, und stellen Sie sie diesem de Grieux wieder zu!« »Nein, nein, das geht nicht, das geht nicht!« »Sie haben recht, Sie haben recht, das geht nicht.</sentence>
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<sentence num="28">Der General ist ja auch jetzt zu allem unfähig.</sentence>
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<sentence num="29">Aber wie ist's mit der Tante?« rief ich plötzlich.</sentence>
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<sentence num="30">Polina sah mich zerstreut und ungeduldig an. »Was soll dabei die Tante?« fragte sie ärgerlich. »Ich kann nicht zu ihr gehen… Und ich mag auch niemanden um Verzeihung bitten«, lugte sie gereizt hinzu.</sentence>
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<sentence num="31">»Was ist dann zu machen?« rief ich. »Aber wie, wie in aller Welt war es nur möglich, daß Sie einen Menschen wie diesen de Grieux liebten! O der Schurke, der Schurke! Wenn Sie wollen, werde ich ihn im Duell töten!</sentence>
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<sentence num="32">Wo ist er jetzt?« »Er ist in Frankfurt und wird da drei Tage bleiben.« »Sie brauchen nur ein Wort zu sagen, so fahre ich hin, morgen, mit dem ersten Zug!« erbot ich mich in einer Art von törichtem Enthusiasmus. Sie lachte auf. »Nun ja, er wird dann vielleicht gar noch sagen: >Geben Sie mir zuerst die fünfzigtausend Franc wieder!< Und was hätte er für Anlaß sich zu schlagen?… Das ist ja Unsinn!« »Aber wo, wo sollen wir denn diese fünfzigtausend Franc hernehmen?« rief ich zähneknirschend.</sentence>
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<sentence num="33">»Von der Erde können wir sie nicht so ohne weiteres aufheben! Hören Sie mal: Mister Astley?« sagte ich in fragendem Ton zur ihr, da sich eine seltsame Idee in meinem Gehirn zu bilden begann.</sentence>
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<sentence num="34">Ihre Augen fingen an zu funkeln. »Wie? Du selbst verlangst, daß ich von dir zu diesem Engländer gehe?« sagte sie, indem sie mir mit einem durchdringenden Blick ins Gesicht sah und bitter lächelte.</sentence>
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<sentence num="35">Es war das erstemal im Leben, daß sie zu mir du sagte. Es schien sie in diesem Augenblick infolge der starken Aufregung ein Schwindel zu überkommen, und sie setzte sich schnell auf das Sofa, wie wenn ihr schwach würde.</sentence>
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<sentence num="36">Mir war, als hätte mich ein Blitz getroffen; ich stand da und traute meinen Augen nicht, traute meinen Ohren nicht! Also… also sie liebte mich! Zu mir war sie gekommen, nicht zu Mister Astley!</sentence>
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<sentence num="37">Sie, ein junges Mädchen, kam ganz allein zu mir auf mein Zimmer, in einem Hotel, kompromittierte sich also vor allen Leuten – und ich, ich stand vor ihr und begriff noch immer nicht!</sentence>
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<sentence num="38">Ein toller Gedanke blitzte in meinem Kopfe auf. »Polina, gib mir nur eine einzige Stunde Zeit! Warte hier nur eine Stunde, und… ich komme wieder! Das… das ist notwendig!</sentence>
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<sentence num="39">Du wirst sehen! Bleib hier, bleib hier!« Mit diesen Worten lief ich aus dem Zimmer, ohne auf ihren verwunderten, fragenden Blick zu antworten; sie rief mir etwas nach, aber ich wandte mich nicht mehr um.</sentence>
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<sentence num="40">Ja, mitunter setzt sich ein ganz toller, anscheinend ganz unmöglicher Gedanke derartig im Kopf fest, daß man ihn schließlich für etwas Wirkliches hält.</sentence>
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<sentence num="41">Und noch mehr: wenn eine solche Idee mit einem starken, leidenschaftlichen Wunsch verbunden ist, so betrachtet man sie manchmal am Ende sogar als etwas vom Schicksal Verhängtes, Unvermeidliches, Vorherbestimmtes, als etwas, was sich gar nicht anders zutragen kann!</sentence>
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<sentence num="42">Es mag sein, daß dabei noch irgend etwas anderes mitwirkt, eine Kombination von Ahnungen, eine außerordentliche Anspannung der Willenskraft, eine Selbstvergiftung durch die eigene Phantasie oder sonst noch etwas – ich weiß es nicht; aber mir begegnete an diesem Abend, den ich in meinem ganzen Leben nie vergessen werde, ein ganz wundersames Erlebnis.</sentence>
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<sentence num="43">Obgleich es sich durch die Regeln der Arithmetik vollständig erklären läßt, bleibt es dennoch für mich bis auf diesen Tag ein Wunder. Und woher kam es, woher kam es, daß diese Überzeugung damals in mir so tief, so fest wurzelte, und zwar schon seit so langer Zeit?</sentence>
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<sentence num="44">Ich wiederhole es: Ich betrachtete das von mir erwartete Ereignis nicht als einen Zufall, der unter der ganzen Menge der übrigen Zufälle eintreten konnte oder somit auch ausbleiben konnte, sondern als etwas, was mit unbedingter Notwendigkeit geschehen mußte.</sentence>
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<sentence num="45">Es war ein Viertel auf elf. Ich ging nach dem Kurhaus in einer so festen Hoffnung und zugleich in einer so starken Aufregung, wie ich sie noch nie empfunden hatte.</sentence>
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<sentence num="46">In den Spielsälen befanden sich noch ziemlich viel Menschen, wiewohl nur etwa halb so viel wie am Vormittag. Nach zehn Uhr bleiben an den Spieltischen nur die echten, passionierten Spieler zurück, für die an den Kurorten nichts weiter existiert als das Roulett, die nur um deswillen hingekommen sind, die kaum bemerken, was um sie herum vorgeht, sich während der ganzen Saison für weiter nichts interessieren, sondern nur vom Morgen bis in die Nacht hinein spielen und womöglich auch noch die ganze Nacht über bis zum Morgengrauen würden spielen wollen, wenn es gestattet wäre.</sentence>
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<sentence num="47">Nur ungern und unwillig gehen sie allabendlich weg, wenn um zwölf Uhr das Roulett geschlossen wird. Und wenn der Obercroupier vor dem Schluß des Roulett gegen Mitternacht ruft: »Les trois derniers coups, messieurs!« so setzen sie mitunter bei diesen drei letzten Malen alles, was sie in der Tasche haben, und pflegen tatsächlich gerade dann am meisten zu verlieren.</sentence>
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<sentence num="48">Ich ging zu demselben Tisch, an dem kurz vorher die Tante gesessen hatte. Es war kein übermäßiges Gedränge, so daß ich sehr bald einen Stehplatz erlangte. Gerade vor mir stand auf dem grünen Tuche das Wort passe geschrieben. Passe, das bedeutet die Gruppe der Zahlen von neunzehn bis sechsunddreißig.</sentence>
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<sentence num="49">Die erste Gruppe, von eins bis achtzehn, heißt manque; aber was kümmerte mich das?</sentence>
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<sentence num="50">Ich rechnete nicht: ich hatte nicht einmal gehört, welche Zahl zuletzt herausgekommen war, und erkundigte mich auch nicht danach, als ich zu spielen begann, wie es doch jeder auch nur ein wenig rechnende Spieler getan hätte.</sentence>
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<sentence num="51">Ich zog alle meine zwanzig Friedrichsdor aus der Tasche und warf sie auf das vor mir stehende passe.</sentence>
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<sentence num="52">»Vingt-deux!« rief der Croupier. Ich hatte gewonnen – und setzte wieder alles: was ich gehabt hatte, und was hinzugekommen war.</sentence>
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<sentence num="53">»Trente et un«, ertönte die Stimme des Croupiers.</sentence>
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<sentence num="54">Ein neuer Gewinn. Im ganzen besaß ich jetzt also achtzig Friedrichsdor.</sentence>
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<sentence num="55">Ich schob sie alle achtzig auf die Gruppe der zwölf mittleren Zahlen (man erhält zu seinem Einsatz das Doppelte als Gewinn hinzu, hat aber zwei Chancen gegen sich und nur eine für sich); das Rad drehte sich, und es kam Vierundzwanzig.</sentence>
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<sentence num="56">Man legte mir drei Rollen mit je fünfzig Friedrichsdor und zehn einzelne Goldstücke hin; mit dem Früheren zusammen hatte ich jetzt zweihundertvierzig Friedrichsdor.</sentence>
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<sentence num="57">Ich war wie im Fieber und schob diesen ganzen Haufen Geld auf Rot – und nun kam ich plötzlich zur Besinnung!</sentence>
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<sentence num="58">Nur dieses einzige Mal im Laufe des ganzen Abends, während meines ganzen Spiels, geschah es, daß mir vor Angst ein kalter Schauder über den Rücken lief und mir die Arme und Beine zitterten.</sentence>
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<sentence num="59">Mit Schrecken erkannte und fühlte ich für einen Moment, was es für mich bedeutete, wenn ich jetzt verlor! Mit diesem Einsatz stand mein ganzes Leben auf dem Spiel!</sentence>
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<sentence num="60">»Rouge!« rief der Croupier – und ich atmete tief auf; ein feuriges Kribbeln ging über meinen ganzen Leib. Die Auszahlung an mich erfolgte in Banknoten; im ganzen hatte ich also jetzt viertausend Gulden und achtzig Friedrichsdor. Ich war zu diesem Zeitpunkt noch imstande, die einzelnen Rechenexempel auszuführen.</sentence>
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<sentence num="61">Ich erinnere mich, daß ich dann zweitausend Gulden auf die zwölf mittleren Zahlen setzte und sie verlor; ich setzte mein ganzes Gold, die achtzig Friedrichsdor, und verlor es.</sentence>
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<sentence num="62">Da packte mich die Wut: ich nahm die letzten mir verbliebenen zweitausend Gulden und setzte sie auf die zwölf ersten Zahlen – gedankenlos, aufs Geratewohl, wie es sich gerade traf, ohne jede Berechnung!</sentence>
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<sentence num="63">Aber es trat doch für mich ein Augenblick der Erwartung ein, in welchem meine Empfindung eine gewisse Ähnlichkeit gehabt haben mag mit der Empfindung der Madame Blanchard, als sie in Paris vom Luftballon herabfiel und auf die Erde zustürzte.</sentence>
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<sentence num="64">»Quatre!« rief der Croupier. Nun hatte ich mit dem Einsatz wieder sechstausend Gulden. Jetzt fühlte ich mich bereits als Sieger; ich fürchtete nichts, schlechterdings nichts mehr und warf viertausend Gulden auf Schwarz.</sentence>
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<sentence num="65">Ein Dutzend Spieler beeilte sich, meinem Beispiel folgend, gleichfalls auf Schwarz zu setzen.</sentence>
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<sentence num="66">Die Croupiers warfen sich wechselseitig Blicke zu und besprachen sich miteinander.</sentence>
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<sentence num="67">Die Umstehenden redeten von diesem Einsatz und warteten gespannt auf den Ausgang. Es kam Schwarz.</sentence>
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<sentence num="68">Von da an besinne ich mich weder auf die Höhe noch auf die Reihenfolge meiner Einsätze.</sentence>
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<sentence num="69">Ich habe nur eine traumhafte Erinnerung, daß ich schon stark gewonnen hatte, etwas sechzehntauscnd Gulden, und auf einmal, durch drei unglückliche Spiele, zwölftausend davon wieder einbüßte; dann schob ich die übrigen viertausend auf passe (aber jetzt hatte ich dabei fast gar keine besondere Empfindung mehr; ich wartete nur sozusagen mechanisch, ohne Gedanken) und gewann wieder; darauf gewann ich noch viermal hintereinander.</sentence>
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<sentence num="70">Ich erinnere mich nur, daß ich das Geld zu Tausenden einheimste; auch besinne ich mich, daß besonders häufig die zwölf mittleren Zahlen herauskamen, an denen ich daher auch vorzugsweise festhielt.</sentence>
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<sentence num="71">Sie erschienen mit einer gewissen Regelmäßigkeit unfehlbar drei-, viermal hintereinander; dann verschwanden sie für zweimal und kehrten darauf wieder für drei- oder viermal nacheinander zurück.</sentence>
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<sentence num="72">Diese wunderbare Regelmäßigkeit kommt mitunter sozusagen strichweise vor – und das ist es gerade, was die eingefleischten Spieler aus dem Konzept bringt, die mit dem Bleistift in der Hand rechnen.</sentence>
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<sentence num="73">Und mit welchem schrecklichen Hohn und Spott behandelt das Schicksal hier nicht selten die Spieler!</sentence>
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<sentence num="74">Ich glaube, es war seit meiner Ankunft nicht mehr als eine halbe Stunde vergangen, da benachrichtigte mich der Croupier, ich hätte dreißigtausend Gulden gewonnen, und da die Bank bei so hohem einmaligen Verlust zur Fortsetzung des Spieles nicht verpflichtet sei, so werde das Roulett bis morgen früh geschlossen.</sentence>
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<sentence num="75">Ich nahm all mein Gold und schüttete es mir in die Taschen; ich nahm auch alle meine Banknoten und ging an einen anderen Tisch hinüber, in einen anderen Saal, wo sich ein anderes Roulett befand; hinter mir her strömte der ganze Spielerschwarm dorthin.</sentence>
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<sentence num="76">Hier wurde sogleich für mich ein Platz freigemacht, und ich begann wieder zu setzen, blindlings und ohne zu überlegen.</sentence>
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<sentence num="77">Ich begreife nicht, was mich rettete! Mitunter huschte mir allerdings der Gedanke durch den Kopf, ich müsse doch mit Berechnung setzen.</sentence>
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<sentence num="78">Ich hielt mich dann eine Weile an bestimmte Zahlen und bestimmte andere Arten des Einsatzes, hörte damit aber bald wieder auf und setzte von neuem fast ohne Bewußtsein.</sentence>
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<sentence num="79">Ich mußte wohl sehr zerstreut sein; denn ich erinnere mich, daß die Croupiers mein Spiel mehrfach korrigierten. Ich beging grobe Fehler. Meine Schläfen waren feucht von Schweiß, und die Hände zitterten mir. Auch die Polen wollten sich mir mit ihren Diensten aufdrängen; aber ich hatte für niemand Ohren.</sentence>
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<sentence num="80">Das Glück blieb mir fortwährend treu! Auf einmal erhob sich um mich herum Stimmengeschwirr und Lachen. »Bravo, bravo!« riefen alle, und manche klatschten sogar in die Hände.</sentence>
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<sentence num="81">Ich hatte auch hier dreißigtausend Gulden erbeutet, und auch diese Bank wurde bis zum nächsten Tag geschlossen.</sentence>
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<sentence num="82">»Gehen Sie fort, gehen Sie fort!« flüsterte mir eine Stimme von rechts zu.</sentence>
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<sentence num="83">Es war ein Frankfurter Jude; er halle die ganze Zeit über neben mir gestanden und mir wohl manchmal beim Spiel geholfen.</sentence>
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<sentence num="84">»Um Gottes willen, gehen Sie fort!« flüsterte eine andere Stimme an meinem linken Ohr. Ich blickte flüchtig hin.</sentence>
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<sentence num="85">Es war eine sehr bescheiden und anständig gekleidete Dame von etwa dreißig jahren, mit einem krankhaft blassen, müden Gesicht, das aber doch noch ihre frühere wundervolle Schönheit erkennen ließ.</sentence>
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<chapter num="15" name="Fünfzehntes Kapitel">
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<sentence num="1"> Ich erinnere mich, daß sie mir ganz starr ins Gesicht blickte, aber ohne sich vom Platz zu rühren und ohne auch nur ihre Körperhaltung zu ändern.</sentence>
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<sentence num="2">»Ich habe zweihunderttausend Franc gewonnen!« rief ich, indem ich die letzte Goldrolle aus der Tasche zog und hinwarf.</sentence>
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<sentence num="3">Der gewaltige Haufe von Banknoten und Goldrollen bedeckte den ganzen Tisch; ich vermochte meine Augen nicht mehr von ihm abzuwenden; in einzelnen Augenblicken hatte ich Polinas Anwesenheit völlig vergessen.</sentence>
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<sentence num="4">Bald begann ich diese Haufen von Banknoten in Ordnung zu bringen und zusammenzupacken, das Gold zu einem einzigen Haufen zusammenzuschieben; bald ließ ich alles stehn und liegen und ging in Gedanken versunken mit schnellen Schritten im Zimmer auf und ab; dann trat ich plötzlich wieder an den Tisch und fing wieder an, das Geld zu zählen.</sentence>
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<sentence num="5">Auf einmal stürzte ich, wie von einem plötzlichen Einfall erfaßt, nach der Tür und schloß sie schnell zu, wobei ich den Schlüssel zweimal umdrehte.</sentence>
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<sentence num="6">Darauf blieb ich, da mir wieder ein neuer Gedanke gekommen war, vor meinem kleinen Koffer stehen.</sentence>
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<sentence num="7">»Soll ich es nicht bis morgen in den Koffer legen?« fragte ich Polina; ich hatte mich erinnert, daß sie da war, und wandte mich nun hastig zu ihr.</sentence>
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<sentence num="8">Sie saß immer noch auf demselben Fleck da, ohne sich zu rühren, folgte aber unablässig mit den Augen meinen Bewegungen.</sentence>
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<sentence num="9">Auf ihrem Gesicht lag ein eigenartiger Ausdruck, ein Ausdruck, der mir nicht gefiel!</sentence>
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<sentence num="10">Ich irre mich nicht, wenn ich sage, daß es ein Ausdruck des Hasses war.</sentence>
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<sentence num="11">Ich trat schnell zu ihr hin.</sentence>
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<sentence num="12">»Polina, hier sind fünfundzwanzigtausend Gulden; das sind fünfzigtausend Franc, sogar mehr.</sentence>
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<sentence num="13">Nehmen Sie sie, und werfen Sie sie ihm morgen ins Gesicht!« Sie gab mir keine Antwort.</sentence>
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<sentence num="14">»Wenn Sie wollen, werde ich sie ihm selbst hinbringen, morgen früh.</sentence>
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<sentence num="15">Ja?« Sie lachte auf. Dieses Lachen dauerte lange.</sentence>
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<sentence num="16">Erstaunt und gekränkt sah ich sie an.</sentence>
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<sentence num="17">Dieses Lachen hatte die größte Ähnlichkeit mit jenem spöttischen Gelächter über mich, in das sie in letzter Zeit häufig ausgebrochen war, und zwar immer gerade, wenn ich ihr in leidenschaftlicher Weise meine Liebe erklärt hatte.</sentence>
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<sentence num="18">Endlich hörte sie auf und machte nun ein finsteres Gesicht; unter der gesenkten Stirn hervor warf sie mir einen ärgerlichen Blick zu.</sentence>
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<sentence num="19">»Ich nehme Ihr Geld nicht«, sagte sie verächtlich.</sentence>
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<sentence num="20">»Wie? Was bedeutet das?« rief ich. »Warum nicht, Polina?« »Ich lasse mir kein Geld schenken.« »Ich biete es Ihnen als Freund an; ich biete Ihnen mein Leben an.« Sie betrachtete mich mit einem langen, prüfenden Blick, als wollte sie mich durch und durch sehen.</sentence>
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<sentence num="21">»Sie geben einen zu hohen Preis«, sagte sie lächelnd. »De Grieux' Geliebte ist nicht fünfzigtausend Franc wert.« »Polina, wie können Sie so zu mir reden!« rief ich vorwurfsvoll.</sentence>
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<sentence num="22">»Bin ich denn ein de Grieux?« »Ich hasse Sie!</sentence>
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<sentence num="23">Ja… ja… Ich liebe Sie nicht mehr als de Grieux!« rief sie, und ihre Augen funkelten zornig auf.</sentence>
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<sentence num="24">In diesem Augenblick schlug sie plötzlich die Hände vor das Gesicht und brach in ein krampfhaftes Weinen aus.</sentence>
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<sentence num="25">Ich stürzte zu ihr hin. Es mußte während meiner Abwesenheit etwas mit ihr vorgegangen sein.</sentence>
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<sentence num="26">Sie war wie eine Irrsinnige. »Kaufe mich! Willst du?</sentence>
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<sentence num="27">Willst du?</sentence>
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<sentence num="28">Für fünfzigtausend Franc wie de Grieux?« stieß sie unter heftigem Schluchzen hervor.</sentence>
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<sentence num="29">Ich umarmte sie, küßte ihre Hände, ihre Füße, fiel vor ihr auf die Knie.</sentence>
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<sentence num="30">Der Weinkrampf war vorübergegangen.</sentence>
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<sentence num="31">Sie legte beide Hände auf meine Schultern und betrachtete mich unverwandt; sie schien auf meinem Gesicht etwas lesen zu wollen.</sentence>
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<sentence num="32">Sie hörte an, was ich sagte, aber offenbar ohne es zu verstehen.</sentence>
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<sentence num="33">Ein Ausdruck von sorgenvollem Nachdenken zeigte sich auf ihrem Gesicht.</sentence>
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<sentence num="34">Ich ängstigte mich um sie; ich hatte entschieden den Eindruck, daß sie von Irrsinn befallen wurde.</sentence>
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<sentence num="35">Ganz unerwartet begann sie, mich leise an sich zu ziehen, und ein vertrauensvolles Lächeln breitete sich schon über ihr Gesicht; dann aber stieß sie mich plötzlich von sich und betrachtete mich wieder mit finsterer Miene.</sentence>
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<sentence num="36">Auf einmal umarmte sie mich stürmisch.</sentence>
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<sentence num="37">»Du liebst mich doch, du liebst mich doch?« sagte sie. »Du wolltest… du wolltest dich ja um meinetwillen mit dem Baron duellieren!« Dann lachte sie auf, als hätte sie sich soeben an etwas Komisches und Hübsches erinnert.</sentence>
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<sentence num="38">Sie weinte und lachte, alles zu gleicher Zeit.</sentence>
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<sentence num="39">Was konnte ich tun!</sentence>
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<sentence num="40">Ich befand mich selbst in einem fieberhaften Zustand.</sentence>
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<sentence num="41">Ich erinnere mich, sie fing an, mir etwas zu sagen; aber ich konnte so gut wie nichts davon verstehen.</sentence>
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<sentence num="42">Es war eine Art von Irrereden, eine Art von Gestammel, als wenn sie mir recht schnell etwas erzählen wollte; und dieses Gerede wurde ab und zu von einem sehr heiteren Lachen unterbrochen, das mich erschreckte.</sentence>
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<sentence num="43">»Nein, nein, du Lieber, Guter!« sagte sie einmal über das andere.</sentence>
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<sentence num="44">»Du bist mir treu!« Und von neuem legte sie mir ihre Hände auf die Schultern, von neuem schaute sie mich prüfend an und sagte immer wieder: »Du liebst mich, nicht wahr?… Du liebst mich… Und du wirst mich immer lieben?« Ich konnte die Augen nicht von ihr abwenden; noch nie hatte ich sie in einem solchen Anfall von Zärtlichkeit und Liebe gesehen. Sie redete freilich wie im Fieber; aber als sie meinen leidenschaftlichen Blick bemerkte, lächelte sie schelmisch und fing ohne jeden äußeren Anlaß auf einmal an von Mister Astley zu sprechen.</sentence>
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<sentence num="45">Sie redete von ihm geraume Zeit ohne Unterbrechung und bemühte sich eine Weile besonders, mir etwas aus der jüngsten Vergangenheit zu erzählen; aber was es eigentlich war, das konnte ich nicht verstehen; sie schien sich sogar über ihn lustig zu machen; unaufhörlich wiederholte sie, daß er warte.</sentence>
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<sentence num="46">»Weißt du wohl«, sagte sie, »er steht gewiß in diesem Augenblick unten vor dem Fenster. Ja, ja, unten vor dem Fenster. Mach doch einmal das Fenster auf und sieh zu; er ist gewiß da, er ist gewiß da!« Sie wollte mich zum Fenster hindrängen; aber kaum machte ich eine Bewegung, um hinzugehen, als sie in ein Gelächter ausbrach.</sentence>
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<sentence num="47">Ich blieb bei ihr stehen, und sie umarmte mich wieder leidenschaftlich.</sentence>
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<sentence num="48">»Wir fahren doch fort? Wir fahren doch morgen fort?« fragte sie unruhig, da ihr dieser Gedanke plötzlich in den Kopf gekommen war.</sentence>
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<sentence num="49">»Ja… « (sie überlegte) »ja, ob wir wohl die Tante noch einholen?</sentence>
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<sentence num="50">Was meinst du? Ich denke mir, wir werden sie in Berlin einholen.</sentence>
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<sentence num="51">Was meinst du, was wird sie sagen, wenn wir sie einholen und sie uns sieht? Und was wird Mister Astley sagen… ?</sentence>
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<sentence num="52">Na, der wird nicht vom Schlangenberg hinabspringen, was meinst du?« (Sie kicherte.)</sentence>
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<sentence num="53">»Hör mal zu: weißt du, wohin er im nächsten Sommer reisen wird? Er will zum Zwecke wissenschaftlicher Untersuchungen nach dem Nordpol fahren und hat mich eingeladen mitzukommen, hahaha!</sentence>
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<sentence num="54">Er sagt, daß wir Russen ohne die Westeuropäer nichts verständen und nichts leisten könnten… Aber er ist ebenfalls ein guter Mensch!</sentence>
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<sentence num="55">Weißt du, er entschuldigt die Handlungsweise des Generals; er sagt, daß Blanche… daß die Leidenschaft… na, ich weiß nicht mehr… ich weiß nicht mehr«, sagte sie ein paarmal hintereinander, wie wenn sie wirr geredet und den Faden verloren hätte.</sentence>
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<sentence num="56">»Die Armen, wie leid sie mir tun; und auch die alte Tante tut mir leid… Na, hör mal, hör mal, wie willst du denn das anfangen, de Grieux zu töten?</sentence>
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<sentence num="57">Hast du denn wirklieh gedacht, daß es dazu kommen würde? Du Lieber, Dummer!</sentence>
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<sentence num="58">Hast du denn glauben können, ich würde es zugeben, daß du dich mit de Grieux duelliertest? Und auch den Baron wirst du nicht töten«, lugte sie auflachend hinzu.</sentence>
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<sentence num="59">»Ach, wie komisch du damals in der Szene mit dem Baron warst!</sentence>
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<sentence num="60">Ich beobachtete euch beide von der Bank aus. Und wie ungern du damals hingingst, als ich dich schickte!</sentence>
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<sentence num="61">Was habe ich damals gelacht, was habe ich damals gelacht!« fügte sie kichernd hinzu.</sentence>
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<sentence num="62">Und dann küßte und umarmte sie mich wieder und schmiegte wieder leidenschaftlich und zärtlich ihr Gesicht an das meinige.</sentence>
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<sentence num="63">Ich hatte jetzt keine Gedanken mehr und hörte nichts mehr; es war mir ganz schwindlig zumute.</sentence>
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<sentence num="64">Ich glaube, es war gegen sieben Uhr morgens, als ich erwachte; die Sonne schien ins Zimmer.</sentence>
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<sentence num="65">Polina saß neben mir und blickte in sonderbarer Art und Weise rings um sich, als wäre sie eben erst aus einer dunklen Bewußtlosigkeit zu sich gekommen und nun bemüht, in ihre Erinnerungen Klarheit zu bringen.</sentence>
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<sentence num="66">Sie war ebenfalls erst vor kurzem aufgewacht und blickte nun starr auf den Tisch und das Geld.</sentence>
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<sentence num="67">Der Kopf war mir schwer und tat mir weh. Ich wollte Polinas Hand ergreifen; aber sie stieß mich zurück und sprang vom Sofa auf. Der beginnende Tag war trübe; es hatte vor Sonnenaufgang geregnet.</sentence>
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<sentence num="68">Sie trat an das Fenster, öffnete es, bog den Kopf und den Oberkörper hinaus, stützte sich mit den Händen auf das Fensterbrett und lehnte die Ellbogen gegen den Rahmen; in dieser Stellung verharrte sie etwa drei Minuten lang, ohne sich zu mir umzuwenden und ohne zu hören, was ich zu ihr sagte.</sentence>
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<sentence num="69">Voll Angst mußte ich denken: was wird jetzt geschehen, und wie wird das enden?</sentence>
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<sentence num="70">Plötzlich richtete sie sich wieder auf und verließ das Fenster; sie trat an den Tisch, blickte mich mit einem Ausdruck grenzenlosen Hasses an und sagte mit Lippen, die vor Ingrimm bebten: »Nun, dann gib mir jetzt meine fünfzigtausend Franc!« »Polina, wie sprichst du wieder?« begann ich.</sentence>
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<sentence num="71">»Oder hast du dich anders besonnen? Hahaha! Es ist dir vielleicht schon wieder leid geworden?« Die fünfundzwanzigtausend Gulden, die ich schon gestern abgezählt hatte, lagen auf dem Tisch, ich nahm sie und reichte sie ihr hin.</sentence>
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<sentence num="72">»Also sie gehören jetzt mir? Es ist doch so?</sentence>
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<sentence num="73">Nicht wahr?« fragte sie mich ergrimmt, während sie das Geld in der Hand hielt.</sentence>
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<sentence num="74">»Sie haben dir schon immer gehört«, erwiderte ich.</sentence>
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<sentence num="75">»Nun dann also: da hast du deine fünfzigtausend Franc!« Sie holte aus und schleuderte sie mir ins Gesicht, so daß mich der Wurf schmerzte.</sentence>
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<sentence num="76">Dann fiel das Päckchen auseinanderblätternd auf den Fußboden.</sentence>
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<sentence num="77">Nachdem sie das vollführt hatte, lief sie aus dem Zimmer. Ich weiß, sie hatte in diesem Augenblick sicherlich nicht ihren vollen Verstand, obgleich ich mir diese zeitweilige Geistesstörung nicht recht erklären kann.</sentence>
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<sentence num="78">Allerdings ist sie auch jetzt noch, das heißt einen Monat nach jenem Ereignis, krank.</sentence>
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<sentence num="79">Aber was war die Ursache dieses Zustandes und namentlich eines so schroffen Benehmens? Beleidigter Stolz?</sentence>
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<sentence num="80">Verzweiflung darüber, daß sie sich dazu entschlossen hatte, zu mir zu kommen?</sentence>
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<sentence num="81">Machte ich ihr vielleicht den Eindruck, als triumphiere ich wegen meines Glückes und wolle mich im Grunde ebenso wie de Grieux durch ein Geschenk von fünfzigtausend Franc von ihr losmachen?</sentence>
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<sentence num="82">Aber das traf doch in keiner Weise zu; das kann ich auf mein Gewissen sagen.</sentence>
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<sentence num="83">Ich glaube, ihre Handlungsweise war zum Teil eine Folge ihres Hochmutes; ihr Hochmut veranlaßte sie, mir zu mißtrauen und mich zu beleidigen, obgleich sie sich über alles dies wohl selbst nicht ganz klar wurde.</sentence>
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<sentence num="84">Wenn dem so ist, so habe ich für de Grieux gebüßt und bin vielleicht bestraft worden, ohne daß ich selbst eine sehr große Schuld gehabt hätte.</sentence>
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<sentence num="85">Ich muß zugeben: sie befand sich bei diesem Besuch auf meinem Zimmer in einem fieberhaften Zustand, und ich erkannte diesen Zustand, berücksichtigte ihn aber nicht, wie ich gesollt hätte.</sentence>
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<sentence num="86">Vielleicht ist es das, was sie mir jetzt nicht verzeihen kann? Ja, für heute mag das richtig sein; aber damals, damals? So arg war schließlich ihr krankhafter Fieberzustand doch nicht, daß sie gar nicht mehr gewußt hätte, was sie tat, als sie mit de Grieux' Brief zu mir kam. Nein, sie wußte, was sie tat.</sentence>
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<sentence num="87">Eilig und ohne Sorgfalt legte ich meine Banknoten und meinen ganzen Haufen Gold in das Bett, deckte dieses wieder zu und ging hinaus, etwa zehn Minuten nach Polina.</sentence>
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<sentence num="88">Ich war überzeugt, daß sie nach ihrem Zimmer gelaufen sei, und wollte mich daher unauffällig nach dem Logis des Generals begeben und im Vorzimmer die Kinderfrau nach dem Befinden des Fräuleins fragen.</sentence>
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<sentence num="89">Wie groß war mein Erstaunen, als ich von der Kinderfrau, die mir auf der Treppe begegnete, erfuhr, daß Polina noch nicht in die Wohnung zurückgekehrt sei, und daß sie, die Kinderfrau, auf dem Weg zu mir gewesen sei, um sie zu suchen.</sentence>
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<sentence num="90">»Sie ist eben erst«, sagte ich zu ihr, »eben erst von mir weggegangen, vor etwa zehn Minuten. Wo kann sie denn nur geblieben sein?« Die Kinderfrau sah mich vorwurfsvoll an.</sentence>
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<sentence num="91">Unterdessen waren die einzelnen Tatsachen zu einer Skandalgeschichte zusammengefügt worden, die bereits im ganzen Hotel kursierte.</sentence>
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<sentence num="92">In der Loge des Portiers und im Büro des Oberkellners flüsterte man sich zu, das Fräulein sei am Morgen, um sechs Uhr, im Regen aus dem Hotel gelaufen und habe die Richtung nach dem Hotel d'Angleterre eingeschlagen.</sentence>
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<sentence num="93">Aus den Reden und Andeutungen des Hotelpersonals entnahm ich, daß bereits bekannt war, daß Polina die ganze Nacht in meinem Zimmer verbracht hatte. Auch über die ganze Familie des Generals wurde allerlei erzählt: man behauptete, der General habe am vorigen Tage den Verstand verloren und dermaßen geweint, daß man es durch das ganze Hotel habe hören können.</sentence>
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<sentence num="94">Dazu wurde noch erzählt, die alte Dame, die angereist gekommen sei, wäre seine Mutter und wäre expreß aus Rußland hergekommen, um ihrem Sohn die Heirat mit Mademoiselle Cominges zu verbieten und ihm im Falle des Ungehorsams die Erbschaft zu entziehen, und da er ihr nun wirklich nicht gehorcht habe, so hätte die Gräfin vor seinen Augen absichtlich all ihr Geld im Roulett verspielt, damit er auf diese Weise nichts bekäme.</sentence>
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<sentence num="95">»Diese Russen!« wiederholte der Oberkellner mehrmals mit verwundertem, tadelndem Kopfschütteln.</sentence>
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<sentence num="96">Die andern lachten. Der Oberkellner machte die Rechnung fertig. Auch mein Spielgewinn war schon allgemein bekannt; Karl, mein Zimmerkellner, war der erste, der mir Glück wünschte.</sentence>
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<sentence num="97">Aber ich war nicht in der Stimmung, mich mit diesen Menschen abzugeben. Ich eilte nach dem Hotel d'Angleterre.</sentence>
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<sentence num="98">Es war noch früh am Tag; man sagte mir, Mister Astley nehme jetzt keinen Besuch an; als er jedoch hörte, daß ich es sei, kam er zu mir auf den Korridor heraus, blieb vor mir stehen, richtete schweigend seine zinnernen Augen auf mich und wartete, was ich ihm sagen würde.</sentence>
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<sentence num="99">Ich fragte ihn nach Polina. »Sie ist krank«, antwortete Mister Astley und fuhr fort, mich starr und unverwandt anzusehen.</sentence>
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<sentence num="100">»Also ist sie wirklich bei Ihnen?« »O ja, sie ist bei mir.« »Aber wie können Sie denn… Beabsichtigen Sie, sie bei sich zu behalten?« »O ja, ich beabsichtige es.« »Mister Astley, das wird eine sehr häßliche Nachrede zur Folge haben; das geht nicht.</sentence>
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<sentence num="101">Außerdem ist sie ernstlich krank; Sie haben das vielleicht nicht bemerkt?« »O ja, ich habe es bemerkt und habe Ihnen ja schon selbst gesagt, daß sie krank ist.</sentence>
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<sentence num="102">Wenn sie nicht krank wäre, hätte sie nicht die Nacht bei Ihnen zugebracht.« »Also wissen Sie auch das?« »Ich weiß es.</sentence>
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<sentence num="103">Sie kam gestern hierher, und ich wollte sie zu einer Verwandten von mir bringen; aber da sie eben krank war, beging sie den Fehler, zu Ihnen zu gehen.« »Was Sie da sagen!</sentence>
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<sentence num="104">Nun, ich wünsche Ihnen Glück, Mister Astley.</sentence>
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<sentence num="105">Apropos, da bringen Sie mich auf einen Gedanken: haben Sie nicht die ganze Nacht bei uns unter dem Fenster gestanden?</sentence>
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<sentence num="106">Miß Polina verlangte in der Nacht fortwährend von mir, ich sollte das Fenster aufmachen und nachsehen, ob Sie unten ständen.</sentence>
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<sentence num="107">Sie hat gewaltig darüber gelacht.« »Wirklich? Nein, unter dem Fenster habe ich nicht gestanden; aber ich wartete auf dem Korridor und ging um das Hotel herum.« »Aber sie muß in ärztliche Behandlung kommen, Mister Astley.« »O ja, ich habe schon nach einem Arzt geschickt, und wenn sie sterben sollte, so werden Sie mir Rechenschaft für ihren Tod geben.« Ich war ganz erstaunt.</sentence>
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<sentence num="108">»Ich bitte Sie, Mister Astley«, sagte ich.</sentence>
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<sentence num="109">»Was meinen Sie damit?« »Ist das richtig, daß Sie gestern zweihunderttausend Taler im Spiel gewonnen haben?« »Im ganzen nur hunderttausend Gulden.« »Nun, sehen Sie!</sentence>
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<sentence num="110">Fahren Sie also heute vormittag nach Paris!« »Wozu?« »Alle Russen, die Geld haben, fahren nach Paris«, erwiderte Mister Astley in einem Ton, als ob er diesen Satz aus einem Buch vorläse.</sentence>
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<sentence num="111">»Was soll ich jetzt im Sommer in Paris anfangen?</sentence>
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<sentence num="112">Ich liebe sie, Mister Astley. Das wissen Sie selbst.« »Wirklich? Ich bin überzeugt, daß das nicht der Fall ist.</sentence>
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<sentence num="113">Außerdem werden Sie, wenn Sie hierbleiben, aller Wahrscheinlichkeit nach Ihren ganzen Gewinn wieder verlieren, und dann haben Sie kein Geld, um nach Paris zu fahren.</sentence>
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<sentence num="114">Nun, leben Sie wohl; ich bin der festen Überzeugung, daß Sie heute nach Paris fahren werden.« »Nun gut, leben Sie wohl; aber nach Paris werde ich nicht fahren.</sentence>
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<sentence num="115">Denken Sie doch nur daran, Mister Astley, welches Schicksal jetzt bei uns der ganzen Familie bevorsteht! Der General ist, kurz gesagt… Und jetzt dieser Vorfall mit Miß Polina; diese Geschichte wird ja durch die ganze Stadt die Runde machen.« »Ja, durch die ganze Stadt; aber der General kümmert sich meiner Ansicht nach nicht darum; der hat jetzt andere Gedanken.</sentence>
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<sentence num="116">Außerdem hat Miß Polina ein volles Recht zu leben, wo es ihr beliebt.</sentence>
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<sentence num="117">Diese Familie anlangend kann man wahrheitsgemäß sagen, daß sie nicht mehr existiert.« Ich ging und amüsierte mich über den seltsamen Glauben dieses Engländers, daß ich nach Paris fahren würde.</sentence>
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<sentence num="118">»Aber er will mich im Duell erschießen«, dachte ich, »wenn Mademoiselle Polina stirbt – das ist ja eine tolle Geschichte!« Ich schwöre es, Polina tat mir leid; aber sonderbar: von diesem Augenblick an, wo ich gestern an den Spieltisch getreten war und angefangen hatte, Haufen Geldes zusammenzuscharren, von diesem Augenblick an war meine Liebe sozusagen in die zweite Reihe zurückgerückt.</sentence>
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<sentence num="119">So spreche ich jetzt; aber damals hatte ich das alles noch nicht klar erkannt.</sentence>
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<sentence num="120">Bin ich denn wirklich eine Spielernatur?</sentence>
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<sentence num="121">Habe ich Polina wirklich nur in dieser sonderbaren Weise geliebt?</sentence>
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<sentence num="122">Nein, ich liebe sie bis auf den heutigen Tag, das weiß Gott! Damals aber, als ich Mister Astley verlassen hatte und wieder nach Hause ging, empfand ich den bittersten Schmerz und machte mir schwere Vorwürfe.</sentence>
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</chapter>
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<chapter num="16" name="Sechzehntes Kapitel">
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<sentence num="1"> Was soll ich von Paris sagen?</sentence>
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<sentence num="2">Mein ganzes Leben dort war einerseits ein fieberhafter Taumel, andrerseits eine große Narrheit.</sentence>
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<sentence num="3">Ich lebte in Paris im ganzen nur drei Wochen und einige Tage, und in diesem Zeitraum gingen meine hunderttausend Franc vollständig drauf.</sentence>
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<sentence num="4">Ich rede nur von einhunderttausend; denn die andern hunderttausend hatte ich Mademoiselle Blanche in barem Gelde gegeben: fünfzigtausend gab ich ihr in Frankfurt, und drei Tage darauf stellte ich ihr in Paris noch einen Wechsel über fünfzigtausend Franc aus, für den sie sich aber eine Woche darauf von mir das Geld geben ließ; »et les cent mille Francs, qui nous restent, tu les mangeras avec moi, mon outchitel«. Sie nannte mich beständig mit dieser Bezeichnung. Es ist schwer, sich in der Welt etwas Sparsameres, Geizigeres, Knauserigeres zu denken, als es die Gattung von Geschöpfen ist, zu der Mademoiselle Blanche gehörte. Aber das bezieht sich nur auf die Art, wie sie mit ihrem eigenen Geld umgehen.</sentence>
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<sentence num="5">Was die hunderttausend Franc betrifft, die eigentlich mir hätten verbleiben sollen, so erklärte sie mir nachher geradezu, die habe sie für ihre erste Einrichtung in Paris gebraucht, und fügte hinzu: »Jetzt habe ich aber auch ein für allemal in der besseren Gesellschaft Fuß gefaßt; nun wird so bald niemand meine Stellung erschüttern; wenigstens habe ich getan, was in meinen Kräften stand.« Übrigens hatte ich von diesen hunderttausend Franc, bis sie zu Ende waren, fast gar nichts mehr zu sehen bekommen; das Geld hielt sie die ganze Zeit über in ihrem eigenen Gewahrsam, und meine Börse, die sie selbst täglich revidierte, enthielt nie mehr als hundert Franc und meistens weniger.</sentence>
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<sentence num="6">»Wozu brauchst du Geld?« sagte sie manchmal mit der harmlosesten Miene, und ich ließ mich darüber in keinen Streit mit ihr ein. Sie dagegen richtete von diesem Geld ihre neue Wohnung außerordentlich hübsch ein, und als sie mich dann hindurchführte und mir alle Zimmer zeigte, sagte sie: »Da kannst du sehen, was sich mit den armseligsten Mitteln ausrichten läßt, wenn man nur ökonomisch ist und Geschmack besitzt.« Diese armseligen Mittel, das waren aber genau fünfzigtausend Franc. Für die übrigen fünfzigtausend schaffte sie sich eine Equipage und Pferde an; außerdem gaben wir zwei Bälle oder vielmehr kleine Soiréen, auf denen auch Hortense und Lisette und Cléopâtre erschienen, Damen, die in vielfacher Hinsicht interessant und ganz und gar nicht häßlich waren.</sentence>
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<sentence num="7">Sie erdreisteten sich sogar, sich über mich lustig zu machen; aber ich trank tüchtig Champagner und legte mich dann in der Hinterstube eine Weile aufs Sofa.</sentence>
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<sentence num="8">All das war mir im höchsten Grade widerlich.</sentence>
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<sentence num="9">»C'est un outchitel«, sagte Blanche von mir, »il a gagné deux cent mille francs und würde ohne mich nicht wissen, wie er sie ausgeben soll.</sentence>
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<sentence num="10">Nachher wird er wieder Lehrer werden; weiß keiner von Ihnen eine Stelle für ihn? Man muß etwas für ihn tun.« Zum Champagner nahm ich recht oft meine Zuflucht, weil ich beständig in sehr trüber Stimmung war und mich aufs äußerste langweilte.</sentence>
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<sentence num="11">Der Haushalt, in dem ich lebte, trug einen im höchsten Grade kleinbürgerlichen, krämerhaften Charakter: bei jedem Sou, der ausgegeben werden sollte, wurde gerechnet und überlegt. Blanche liebte mich in den ersten zwei Wochen sehr wenig; das merkte ich recht wohl. Allerdings sorgte sie dafür, daß ich elegant gekleidet ging, und band mir eigenhändig alle Tage die Krawatte; aber im Grunde ihrer Seele verachtete sie mich.</sentence>
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<sentence num="12">Ich meinerseits kümmerte mich darum nicht im geringsten.</sentence>
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<sentence num="13">Aus Langeweile und Trübsinn wurde ich ein regelmäßiger Besucher des Château des Fleurs, wo ich mich jeden Abend betrank und Cancan tanzen lernte (der dort in recht garstiger Manier getanzt wird) und schließlich auf diesem Gebiet sogar einige Berühmtheit erwarb.</sentence>
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<sentence num="14">Dann aber gewann Blanche doch etwas mehr Verständnis für mein Wesen. Aus irgendwelchem Grund hatte sie sich früher die Vorstellung gebildet, ich würde während der ganzen Dauer unseres Zusammenlebens mit dem Bleistift und dem Notizbuch in den Händen hinter ihr hergehen und alles berechnen, was sie mir gestohlen und ausgegeben habe, und was sie mir noch stehlen und ausgeben werde.</sentence>
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<sentence num="15">Und sie war fest überzeugt, daß es bei uns um eines jeden Zehnfrancstücks willen eine hitzige Schlacht setzen werde.</sentence>
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<sentence num="16">Auf jeden meiner Angriffe, die sie mit Sicherheit erwartete, hatte sie sich schon im voraus eine Erwiderung zurechtgelegt; aber da sie von meiner Seite keine Angriffe erfolgen sah, machte sie selbst mit ihren Erwiderungen den Anfang.</sentence>
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<sentence num="17">Manchmal begann sie sehr hitzig; wenn sie dann aber sah, daß ich schwieg (ich rekelte mich meist auf einer Chaiselongue und blickte, ohne mich zu rühren, nach der Zimmerdecke), da wunderte sie sich schließlich doch.</sentence>
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<sentence num="18">Anfangs dachte sie, ich sei einfach dumm, »un outchitel«, und brach einfach ihre Erklärungen ab, weil sie sich wahrscheinlich sagte: »Er ist ja dumm; es hat keinen Zweck, ihn erst auf etwas zu bringen, wenn er es nicht von selbst versteht.</sentence>
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<sentence num="19">«Es kam jedoch vor, daß sie aus dem Zimmer ging, aber nach zehn Minuten wieder zurückkehrte und ihr Thema wieder aufnahm. Das folgende Gespräch begab sich in einem solchen Fall zur Zeit ihrer sinnlosen Ausgaben, Ausgaben, die weit über unsere Mittel hinausgingen: so gab sie zum Beispiel unsere Pferde weg und kaufte für sechzehntausend Franc ein anderes Paar. »Na, also du bist nicht böse darüber, bibi?« fragte sie, zu mir herantretend.</sentence>
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<sentence num="20">»Nein, nein, wozu redest du noch?« antwortete ich gähnend und schob sie mit der Hand von mir weg.</sentence>
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<sentence num="21">Aber dieses Benehmen von meiner Seite war ihr so merkwürdig, daß sie sich sofort neben mich setzte. »Siehst du, wenn ich mich entschlossen habe, so viel dafür zu bezahlen, so habe ich es nur deswegen getan, weil es ein Gelegenheitskauf war. Wir können sie für zwanzigtausend Franc wieder verkaufen.« »Ich glaube es, ich glaube es; es sind schöne Pferde, und wenn du jetzt ausfährst, wird es sich sehr gut ausnehmen; das wird dir für deine weitere Karriere zustatten kommen.</sentence>
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<sentence num="22">Na, nun genug davon!« »Also du bist nicht böse?« »Warum sollte ich böse sein? Du handelst sehr verständig, wenn du dir einiges anschaffst, was du notwendig brauchst. All das wird dir später von Nutzen sein. Ich sehe ein, daß du dir in der Tat eine solche Stellung in der Gesellschaft schaffen mußt; sonst wirst du nie eine Million erwerben.</sentence>
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<sentence num="23">Da sind unsere hunderttausend Franc nur der Anfang, nur ein Tropfen im Meer.« Blanche, die von mir alles andere eher erwartet hatte als solche Anschauungen (sie hatte gemeint, ich würde ein großes Geschrei erheben und ihr Vorwürfe machen), fiel aus den Wolken. »Also so einer… also so einer bist du!</sentence>
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<sentence num="24">Mais tu as l'esprit pour comprendre. Sais-tu, mon garçon, du bist zwar ein outchitel, aber du hättest als Prinz auf die Welt kommen müssen!</sentence>
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<sentence num="25">Also es tut dir nicht leid, daß das Geld bei uns schnell davongeht?« »Laß es in Gottes Namen davongehen; so schnell wie es will!« »Mais… sais-tu… mais dis donc, bist du denn reich?</sentence>
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<sentence num="26">Mais sais-tu, du schätzt denn doch das Geld gar zu gering. Qu'est-ce que tu feras après, dis donc?« »Après? Ich werde nach Homburg fahren und wieder hunderttausend Franc gewinnen.« »Qui, oui, c'est ça, c'est magnifique! Und ich weiß, du wirst bestimmt gewinnen und mir das Geld herbringen.</sentence>
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<sentence num="27">Dis donc, du bringst es noch dahin, daß ich dich wirklich liebgewinne. Eh bien, zum Lohn dafür, daß du so bist, werde ich dich auch diese ganze Zeit über lieben und dir kein einziges Mal untreu werden.</sentence>
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<sentence num="28">Siehst du, diese ganze Zeit her habe ich dich allerdings nicht geliebt, parce que je croyais, que tu n'es qu'un outchitel (quelque chose comme un laquais, n'est-ce pas?</sentence>
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<sentence num="29">); aber ich bin dir trotzdem treu gewesen, parce que je suis bonne fille.« »Na, na, rede mir nichts vor!</sentence>
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<sentence num="30">Habe ich dich nicht das vorige Mal mit Albert, diesem kleinen, brünetten Offizier, zusammen gesehen?« »Oh, oh, mais tu es… « »Na, nur nicht schwindeln, nur nicht schwindeln! Aber denkst du denn, daß ich darüber böse bin? Mir ganz gleichgültig; il faut que jeunesse se passe. Du kannst ihn doch nicht wegjagen, wenn du ihn vor meiner Zeit gehabt hast und ihn liebst.</sentence>
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<sentence num="31">Nur gib ihm kein Geld, hörst du?« »Also auch darüber bist du nicht böse? Mais tu es un vrai philosophe, sais-tu? Un vrai philosophe!« rief sie ganz entzückt. »Eh bien, je t'aimerai, je t'aimerai – tu verras, tu seras content!« Und wirklich bewies sie mir seitdem eine Art von Anhänglichkeit, ja Freundschaft, und so vergingen unsere letzten zehn Tage.</sentence>
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<sentence num="32">Die ›Sterne‹, die sie versprochen hatte mir zu zeigen, habe ich freilich nicht gesehen; aber in mancher Beziehung hielt sie tatsächlich Wort.</sentence>
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<sentence num="33">Auch machte sie mich mit Hortense bekannt, die eine in ihrem Genre sehr bemerkenswerte Dame war und in unserm Kreis »Thérèse philosophe« genannt wurde… Aber es hat keinen Zweck, darüber ausführlicher zu handeln; alles dies könnte eine besondere Erzählung abgeben; eine Erzählung mit besonderem Kolorit, die ich in die hier vorliegende nicht einschieben will.</sentence>
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<sentence num="34">In summa: ich wünschte von ganzem Herzen, daß alles recht bald zu Ende sein möchte. Aber unsere hunderttausend Franc reichten, wie schon gesagt, fast einen Monat lang – worüber ich wirklich erstaunt war: denn für mindestens achtzigtausend Franc von diesem Geld hatte Blanche sich allerlei angeschafft, und wir hatten für unsern Lebensunterhalt nicht mehr als zwanzigtausend Franc verbraucht – und es hatte doch gereicht.</sentence>
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<sentence num="35">Blanche, die gegen Ende unseres Zusammenseins mir gegenüber beinah aufrichtig war (wenigstens in manchen Dingen belog sie mich nicht), rühmte sich, daß ich wenigstens nicht für die Schulden würde einzustehen haben, die sie genötigt gewesen sei zu machen.</sentence>
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<sentence num="36">»Ich habe«, sagte sie zu mir, »dich keine Rechnungen und Wechsel unterschreiben lassen, weil du mir leid tatest; eine andere hätte das unbedingt getan und dich ins Schuldgefängnis gebracht.</sentence>
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<sentence num="37">Da siehst du, wie ich dich geliebt habe, und wie gut ich bin! Was wird mich schon allein diese verwünschte Hochzeit kosten!« Es wurde bei uns wirklich Hochzeit gehalten.</sentence>
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<sentence num="38">Sie fiel bereits ganz an das Ende unseres Monats, und es war anzunehmen, daß für sie der letzte Rest meiner hunderttausend Franc draufgehen werde; damit war denn auch die Sache zum Abschluß gelangt, das heißt unser Monat war zu Ende, und ich trat nun in aller Form in den Ruhestand.</sentence>
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<sentence num="39">Das trug sich folgendermaßen zu. Eine Woche, nachdem wir uns in Paris niedergelassen hatten, kam der General angereist.</sentence>
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<sentence num="40">Er begab sich direkt zu Blanche und blieb von seinem ersten Besuch an fast dauernd bei uns. Allerdings hatte er irgendwo in der Nähe auch eine eigene Wohnung. Blanche begrüßte ihn freudig, mit Lachen und Ausrufen des Entzückens, und umarmte ihn sogar stürmisch; das Verhältnis gestaltete sich dann so, daß sie selbst ihn gar nicht mehr von sich fortlassen wollte und er sie überallhin begleiten mußte: auf den Boulevard, bei Spazierfahrten, ins Theater und zu Bekannten.</sentence>
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<sentence num="41">Für diese Verwendung war der General ganz wohl brauchbar; er war eine stattliche, vornehme Erscheinung von mehr als Mittelgröße, mit gefärbtem Backenbart und gefärbtem, gewaltigem Schnurrbart (er hatte seinerzeit bei den Kürassieren gedient) und mit einem angenehmen, wenn auch etwas aufgedunsenen Gesicht.</sentence>
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<sentence num="42">Er besaß vortreffliche Manieren und trug seinen Frack mit vielem Anstand. In Paris legte er auch seine Orden wieder an. Mit einem solchen Mann auf dem Boulevard zu gehen war nicht nur möglich, sondern, wenn ich mich so ausdrücken darf, sogar eine Empfehlung. Der gutmütige, einfältige General war mit alledem höchst zufrieden; er hatte darauf gar nicht gerechnet, als er nach seiner Ankunft in Paris zu uns kam.</sentence>
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<sentence num="43">Er hatte damals beinah gezittert vor Angst, er hatte gedacht, Blanche würde ihn anschreien und ihm die Tür weisen; da er nun einen so ganz anderen Empfang gefunden hatte, war er in das größte Entzücken geraten und befand sich nun diesen ganzen Monat über in dem Zustand eines sinnlosen Wonnerausches; in diesem Zustand verließ ich ihn auch.</sentence>
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<sentence num="44">Erst hier habe ich genauer erfahren, daß ihm damals nach unserer plötzlichen Abreise aus Roulettenburg an demselben Vormittag etwas in der Art eines Schlaganfalls zugestoßen war.</sentence>
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<sentence num="45">Er war besinnungslos niedergestürzt und war dann eine ganze Woche lang wie ein Wahnsinniger gewesen und hatte lauter törichtes Zeug geredet.</sentence>
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<sentence num="46">Er war ärztlich behandelt worden, hatte aber auf einmal alles stehen und liegen lassen, sich auf die Bahn gesetzt und war nach Paris gefahren.</sentence>
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<sentence num="47">Natürlich erwies sich der freundliche Empfang, den er bei Blanche fand, für ihn als das beste Heilmittel; aber Spuren seiner Krankheit blieben bei ihm noch lange Zeit zurück, trotz seiner frohen, seligen Gemütsstimmung.</sentence>
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<chapter num="17" name="Siebzehntes Kapitel">
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<sentence num="1"> Nun ist es schon ein Jahr und acht Monate, daß ich diese Aufzeichnungen nicht angesehen habe, und erst heute bin ich in meinem Kummer und Gram zufällig auf den Einfall gekommen, sie zu meiner Zerstreuung noch einmal durchzulesen.</sentence>
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<sentence num="2">Also ich blieb damals dabei stehen, daß ich nach Homburg fahren wollte.</sentence>
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<sentence num="3">Wie leicht (das heißt verhältnismäßig leicht) war mir damals zumute, als ich diese letzten Zeilen schrieb!</sentence>
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<sentence num="4">Ich will nicht sagen, daß mir so schlechthin leicht zumute gewesen wäre; aber was besaß ich für ein Selbstvertrauen, wie unerschütterlich glaubte ich an die Erfüllung meiner Hoffnungen!</sentence>
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<sentence num="5">Und nun ist nur wenig mehr als eine Zeit von anderthalb Jahren vergangen, und ich bin meiner Ansicht nach weit schlechter als ein Bettler!</sentence>
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<sentence num="6">Denn was hat ein Bettler groß zu klagen?</sentence>
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<sentence num="7">Armut ist kein Unglück.</sentence>
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<sentence num="8">Ich aber habe geradezu mich selbst, meine Persönlichkeit, zugrunde gerichtet! Übrigens gibt es eigentlich kaum etwas, was ich mit mir in Vergleich stellen könnte.</sentence>
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<sentence num="9">Und es hätte keinen Zweck, wenn ich mir jetzt selbst eine Moralpredigt halten wollte!</sentence>
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<sentence num="10">Nichts kann abgeschmackter sein als Moralpredigten in solcher Lage! O über die selbstzufriedenen Leute: mit welchem Stolz auf ihre eigenen Personen sind diese Schwätzer bereit, einem ihre Sentenzenweisheit vorzutragen!</sentence>
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<sentence num="11">Wenn sie wüßten, wie klar ich selbst die ganze Erbärmlichkeit meines jetzigen Zustandes erkenne, so würden sie sich die Mühe sparen, mich belehren zu wollen. In der Tat, was könnten sie mir Neues sagen, das ich nicht wüßte?</sentence>
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<sentence num="12">Aber hier handelt es sich nicht um Sagen und Wissen; hier handelt es sich darum, daß das Rad nur eine einzige Drehung zu machen braucht, und alles ändert sich, und diese selben Moralprediger werden dann (das ist meine feste Überzeugung) die ersten sein, die mit freundschaftlichen Scherzworten zu mir kommen, um mich zu beglückwünschen.</sentence>
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<sentence num="13">Dann werden alle sich nicht so von mir abwenden, wie sie es jetzt tun.</sentence>
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<sentence num="14">Hol sie alle der Teufel!</sentence>
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<sentence num="15">Was bin ich jetzt?</sentence>
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<sentence num="16">Zéro. Und was bin ich vielleicht morgen? Morgen erstehe ich vielleicht von den Toten und beginne ein neues Leben! Ich kann in mir den Menschen wiederfinden, solange er noch nicht ganz zugrunde gegangen ist.</sentence>
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<sentence num="17">Ja, ja, auch Diener bin ich gewesen, ganze fünf Monate lang!</sentence>
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<sentence num="18">Das war, gleich nachdem ich aus dem Schuldgefängnis gekommen war.</sentence>
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<sentence num="19">Ich habe nämlich auch im Schuldgefängnis gesessen, in Roulettenburg.</sentence>
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<sentence num="20">Ein Unbekannter kaufte mich los; wer mag es gewesen sein?</sentence>
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<sentence num="21">Mister Astley?</sentence>
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<sentence num="22">Polina?</sentence>
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<sentence num="23">Ich weiß es nicht; aber die Schuld wurde bezahlt, im ganzen zweihundert Taler, und so kam ich frei.</sentence>
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<sentence num="24">Wo sollte ich bleiben?</sentence>
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<sentence num="25">So trat ich bei diesem Hinze in Dienst.</sentence>
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<sentence num="26">Er war ein junger, leichtlebiger Mensch, der gern faulenzte; ich aber verstehe drei Sprachen zu sprechen und zu schreiben.</sentence>
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<sentence num="27">Ich war ursprünglich bei ihm als eine Art von Sekretär eingetreten, mit dreißig Gulden Monatsgehalt; aber ich wurde schließlich bei ihm ein bloßer Diener, da es auf die Dauer doch seine Mittel überstieg, sich einen Sekretär zu halten, und er mein Gehalt verringerte; ich aber wußte keine andere Stelle, die ich hätte annehmen können. So blieb ich denn bei ihm und wandelte mich auf diese Weise ganz von selbst in einen Diener um.</sentence>
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<sentence num="28">Ich gönnte mir in seinem Dienste weder Essen noch Trinken in auskömmlichem Maß, sparte mir aber dadurch in den fünf Monaten siebzig Gulden.</sentence>
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<sentence num="29">Und eines Abends in Baden machte ich ihm die Mitteilung, ich wolle aus seinem Dienst gehen, und noch an demselben Abend begab ich mich zum Roulett.</sentence>
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<sentence num="30">Oh, wie pochte mir das Herz!</sentence>
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<sentence num="31">Nein, nicht um das Geld war es mir zu tun!</sentence>
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<sentence num="32">Damals wünschte ich weiter nichts als dies: es möchten am folgenden Tage alle diese Hinzes, alle diese Oberkellner, alle diese eleganten Badener Damen, die möchten alle von mir reden, einander meinen gelungenen Streich erzählen, mich bewundern und loben und vor meinem neuen Spielgewinn eine Reverenz machen.</sentence>
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<sentence num="33">Das waren ja alles nur kindische Gedanken und Hoffnungen; aber… wer konnte es wissen: vielleicht würde ich Polina treffen und ihr alles erzählen, und sie würde sehen, daß mir all diese albernen Schicksalsschläge nichts hatten anhaben können… Oh, nicht um das Geld war es mir zu tun!</sentence>
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<sentence num="34">Ich war überzeugt, daß ich es wieder irgendeiner Blanche in den Schoß werfen und wieder in Paris drei Wochen lang mit einem Paar eigener Pferde für sechzehntausend Franc umherkutschieren würde.</sentence>
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<sentence num="35">Ich weiß ja recht gut, daß ich nicht geizig bin; ich halte mich sogar für einen Verschwender; aber trotzdem, mit welchem Zittern, mit welcher Herzbeklemmung höre ich jedesmal den Croupier rufen: trente et un, rouge, impair et passe, oder: quatre, noir, pair et manque!</sentence>
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<sentence num="36">Mit welcher Gier blicke ich auf den Spieltisch, auf dem die Louisdors und Friedrichsdors und Taler umherliegen, und auf die kleinen Stapel von Goldstücken, wenn sie unter der Krücke des Croupiers in Häufchen auseinanderfallen, die wie feurige Glut schimmern, oder auf die eine halbe Elle langen Silberrollen, die um das Rad herumliegen.</sentence>
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<sentence num="37">Schon wenn ich mich dem Spielsaal nähere und noch zwei Zimmer von ihm entfernt bin, bekomme ich fast Krämpfe, sobald ich das Klirren des hingeschütteten Geldes höre.</sentence>
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<sentence num="38">Oh, jener Abend, an dem ich meine siebzig Gulden zum Spieltisch trug, war für mich äußerst merkwürdig. Ich begann mit zehn Gulden, und zwar wieder auf passe. Für passe habe ich eine Vorliebe. Ich verlor.</sentence>
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<sentence num="39">Es blieben mir noch sechzig Gulden in Silbergeld; ich überlegte und wählte zéro.</sentence>
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<sentence num="40">Ich setzte auf zéro jedesmal fünf Gulden; beim dritten Einsatz kam plötzlich zéro; ich war halbtot vor Freude, als ich hundertfünfundsiebzig Gulden bekam; so sehr hatte ich mich nicht einmal damals gefreut, als ich die hunderttausend Gulden gewann.</sentence>
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<sentence num="41">Sofort setzte ich hundert Gulden auf rouge – ich gewann; alle zweihundert auf rouge – ich gewann; alle vierhundert auf noir – ich gewann; alle achthundert auf manque – ich gewann; mit dem Früheren zusammen waren es jetzt tausendsiebenhundert Gulden, und das in weniger als fünf Minuten!</sentence>
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<sentence num="42">Ja, in solchen Augenblicken vergißt man alles frühere Mißgeschick!</sentence>
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<sentence num="43">Ich hatte das erreicht dadurch, daß ich mehr als mein Leben gewagt hatte; ich hatte mich zu diesem Wagnis erkühnt, und siehe da, ich gehörte wieder zu den Menschen! Ich nahm mir in einem Hotel ein Zimmer, schloß mich ein und saß bis drei Uhr nachts und zählte mein Geld. Am Morgen erwachte ich mit dem Bewußtsein, daß ich nicht mehr Diener war. Ich beschloß, gleich an diesem Tag nach Homburg zu fahren: dort war ich nicht Diener gewesen und hatte nicht im Schuldgefängnis gesessen.</sentence>
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<sentence num="44">Eine halbe Stunde vor Abgang des Zuges ging ich nochmals zum Roulett, um zweimal zu setzen, nicht öfter, und verlor tausendfünfhundert Gulden. Indes ich fuhr trotzdem nach Homburg und bin jetzt schon einen Monat hier.</sentence>
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<sentence num="45">Ich lebe natürlich in beständiger Aufregung, spiele nur mit ganz kleinem Einsatz und warte immer auf etwas; ich rechne fortwährend und stehe ganze Tage lang am Spieltisch und beobachte das Spiel; sogar im Traum glaube ich immer das Spiel zu sehen.</sentence>
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<sentence num="46">Aber dabei habe ich eine Empfindung, als ob ich eine Holzpuppe geworden wäre, oder als sei ich in tiefem Schlamm steckengeblieben. Ich schließe das aus meinem Gefühl bei meinem Zusammentreffen mit Mister Astley.</sentence>
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<sentence num="47">Wir hatten uns seit jenem verhängnisvollen Tag nicht wieder gesehen und begegneten einander nun unerwartet.</sentence>
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<sentence num="48">Das ging folgendermaßen zu.</sentence>
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<sentence num="49">Ich ging im Park spazieren und überlegte, daß ich fast ganz abgebrannt war, da ich nur noch fünfzig Gulden besaß; im Hotel, wo ich ein geringes Kämmerchen bewohne, hatte ich meine Rechnung zwei Tage vorher vollständig beglichen.</sentence>
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<sentence num="50">Also blieb mir die Möglichkeit, jetzt noch einmal zum Roulett zu gehen; gewann ich, und wenn's auch nur wenig war, so konnte ich das Spiel fortsetzen; verlor ich, so mußte ich wieder Bedienter werden, falls es mir nicht gelang, schleunigst eine russische Familie zu finden, die einen Hauslehrer brauchte.</sentence>
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<sentence num="51">Mit diesem Gedanken beschäftigt, schritt ich auf meinem gewöhnlichen Spazierweg dahin, der mich täglich durch den Park und einen Wald nach dem benachbarten Fürstentum führte; manchmal machte ich auf diese Art eine vierstündige Wanderung und kehrte müde und hungrig nach Homburg zurück.</sentence>
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<sentence num="52">Diesmal war ich kaum aus dem Kurgarten in den Park gelangt, als ich plötzlich auf einer Bank Mister Astley erblickte.</sentence>
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<sentence num="53">Er hatte mich zuerst bemerkt und rief mich nun an. Ich setzte mich neben ihn. Da ich an ihm ein ungewöhnlich ernstes Wesen wahrnahm, so stimmte ich meine Freude sogleich herab; sonst hätte ich mich außerordentlich über das Wiedersehen gefreut.</sentence>
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<sentence num="54">»Also Sie sind hier! Das hatte ich mir wohl gedacht, daß ich Sie treffen würde«, sagte er zu mir. »Machen Sie sich nicht die Mühe zu erzählen, wie es Ihnen gegangen ist; ich weiß das, ich weiß das alles; Ihr ganzes Leben in diesen zwanzig Monaten ist mir bekannt.« »Ei, sehen Sie mal! Also so verfolgen Sie die Schicksale Ihrer alten Freunde!« antwortete ich.</sentence>
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<sentence num="55">»Das macht Ihnen Ehre, daß Sie sie nicht vergessen… Warten Sie mal, da bringen Sie mich auf einen Gedanken: sind nicht etwa Sie derjenige gewesen, der mich aus dem Roulettenburger Gefängnis losgekauft hat, wo ich wegen einer Schuld von zweihundert Talern saß?</sentence>
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<sentence num="56">Ein Unbekannter hat mich losgekauft.« »Nein, o nein; ich habe Sie nicht aus dem Roulettenburger Gefängnis losgekauft, wo Sie wegen einer Schuld von zweihundert Talern saßen; aber ich wußte, daß Sie wegen einer solchen Schuld im Gefängnis waren.« »Also wissen Sie doch, wer mich losgekauft hat?« »O nein, ich kann nicht sagen, daß ich weiß, wer Sie losgekauft hat.« »Sonderbar; von meinen russischen Landsleuten war ich niemandem bekannt, und die Russen lassen sich hier auch wohl kaum darauf ein, einen Landsmann aus dem Schuldgefängnis loszukaufen; das kommt wohl bei uns in Rußland vor; da erweist wohl ein Rechtgläubiger einem Glaubensgenossen eine solche Liebe.</sentence>
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<sentence num="57">Darum hatte ich mir gedacht, es hätte es irgend so ein Kauz von Engländer aus Lust am Sonderbaren getan.« Mister Astley hörte mich einigermaßen verwundert an.</sentence>
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<sentence num="58">Er hatte wohl gedacht, mich in trüber, niedergedrückter Stimmung zu finden.</sentence>
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<sentence num="59">»Nun, ich freue mich sehr zu sehen, daß Sie sich Ihre ganze seelische Festigkeit, ja Heiterkeit bewahrt haben«, sagte er mit ziemlich unzufriedener Miene. »Das heißt, innerlich knirschen Sie vor Ärger darüber, daß ich nicht geknickt und niedergeschlagen bin«, sagte ich lachend.</sentence>
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<sentence num="60">Er verstand nicht gleich; aber als er es dann verstanden hatte, lächelte er. »Ihre Bemerkung gefällt mir.</sentence>
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<sentence num="61">Ich erkenne in diesen Worten meinen früheren verständigen, idealgesinnten und dabei zugleich zynischen Freund wieder; nur die Russen bringen es fertig, solche Gegensätze in sich gleichzeitig zu vereinigen.</sentence>
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<sentence num="62">In der Tat, der Mensch sieht gern auch seinen besten Freund im Zustand der Erniedrigung vor sich; die Freundschaft basiert größtenteils auf der Erniedrigung des einen und der Überlegenheit des andern; das ist eine alte, allen klugen Leuten bekannte Wahrheit.</sentence>
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<sentence num="63">Aber im vorliegenden Falle kann ich Sie versichern, ich freue mich aufrichtig darüber, daß Sie nicht niedergeschlagen sind.</sentence>
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<sentence num="64">Sagen Sie, Sie beabsichtigen wohl nicht, das Spiel aufzugeben?« »Ach, hol das ganze Spiel der Teufel! Ich will es sofort aufgeben, ich möchte nur… .« »Sie möchten nur erst das Verlorene wiedergewinnen? Das habe ich mir wohl gedacht; Sie brauchen nicht weiterzureden, ich weiß schon; das kam Ihnen ganz unwillkürlich heraus, also ist es Ihre wahre Meinung.</sentence>
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<sentence num="65">Sagen Sie, außer dem Spiel beschäftigen Sie sich mit nichts?« »Nein, mit nichts.« Er fragte mich nach allerlei Dingen.</sentence>
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<sentence num="66">Ich wußte nichts; ich hatte fast gar nicht in die Zeitungen gesehen und faktisch die ganze Zeit über kein Buch aufgeschlagen.</sentence>
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<sentence num="67">»Sie sind gegen alles stumpf und gleichgültig geworden«, bemerkte er.</sentence>
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<sentence num="68">»Sie haben sich vom frisch pulsierenden Leben losgesagt, sich losgesagt von Ihren eigenen Interessen und von denen der Gesellschaft, von Ihrer Pflicht als Bürger und Mensch, von Ihren Freunden (und Sie hatten doch solche), von dem Streben nach irgendeinem Ziel mit Ausnahme des Gewinnes im Spiel; ja, was noch mehr ist.</sentence>
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<sentence num="69">Sie haben sich sogar von Ihren Erinnerungen losgesagt.</sentence>
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<sentence num="70">Sie stehen mir noch vor der Seele, wie Sie damals waren, als in Ihnen Glut und Kraft lebten; aber ich bin überzeugt, Sie haben all Ihre damaligen guten und schönen Empfindungen vergessen; Ihre Zukunftspläne, Ihre Wünsche für jeden Tag gehen jetzt nicht hinaus über pair, impair, rouge, noir, die zwölf mittleren Zahlen usw. usw.; das ist meine Überzeugung!« »Hören Sie auf, Mister Astley; bitte, erinnern Sie mich nicht daran!« rief ich ärgerlich und beinahe grimmig.</sentence>
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<sentence num="71">»Glauben Sie: ich habe nichts davon vergessen; nur zeitweilig habe ich das alles aus meinem Kopf verbannt, sogar die Erinnerungen, nur so lange bis ich meine Verhältnisse gründlich gebessert haben werde; dann… dann (das sollen Sie sehen!) werde ich von den Toten auferstehen!« »Sie werden noch nach zehn Jahren hier sein«, erwiderte er.</sentence>
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<sentence num="72">»Ich biete Ihnen eine Wette an, daß ich Sie daran erinnern werde, wenn ich solange lebe, hier auf dieser Bank.« »Na, nun hören Sie auf!« unterbrach ich ihn ungeduldig; »und um Ihnen zu beweisen, daß ich die Vergangenheit doch nicht so ganz vergessen habe, gestatten Sie mir die Frage: wo ist jetzt Miß Polina?</sentence>
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<sentence num="73">Wenn Sie es nicht gewesen sind, der mich damals loskaufte, dann war es wahrscheinlich sie. Seit unserer Trennung habe ich nicht das geringste von ihr gehört.« »Nein, o nein! Ich glaube nicht, daß sie Sie losgekauft hat. Sie ist jetzt in der Schweiz, und Sie werden mir einen großen Gefallen tun, wenn Sie mich nicht weiter nach Miß Polina fragen«, sagte er in energischem und sogar zornigem Ton.</sentence>
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<sentence num="74">»Danach scheint es, daß sie auch Ihrem Herzen bereits eine schwere Wunde beigebracht hat!« erwiderte ich und mußte unwillkürlich lachen.</sentence>
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<sentence num="75">»Miß Polina ist das beste, hochachtungswürdigste Wesen, das es auf der Welt gibt; aber ich wiederhole es Ihnen, Sie werden mir einen großen Gefallen tun, wenn Sie mich nicht weiter nach Miß Polina fragen.</sentence>
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<sentence num="76">Sie haben sie nie gekannt, und wenn Sie ihren Namen in den Mund nehmen, so empfinde ich das als eine Beleidigung meines sittlichen Gefühls.« »Nun sehen Sie mal!</sentence>
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<sentence num="77">Übrigens, was das Kennen betrifft, haben Sie unrecht. Und wovon könnte ich denn auch mit Ihnen reden, wenn nicht davon? Sagen Sie selbst! Eben darin bestehen ja unsere ganzen gemeinsamen Erinnerungen.</sentence>
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<sentence num="78">Aber seien sie unbesorgt: ich habe kein Verlangen, die Geheimnisse Ihres Seelenlebens zu erfahren. Ich interessiere mich nur für Miß Polinas äußere Lebenslage, für das Milieu, in dem sie sich jetzt befindet. Das läßt sich doch in wenigen Worten sagen.« »Meinetwegen, aber unter der Bedingung, daß mit diesen wenigen Worten die Sache abgetan ist.</sentence>
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<sentence num="79">Miß Polina war lange krank, und sie ist es auch jetzt noch; eine Zeitlang lebte sie bei meiner Mutter und meiner Schwester im nördlichen England.</sentence>
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<sentence num="80">Vor einem halben Jahr ist ihre Großtante gestorben (Sie erinnern sich wohl: jenes verrückte Weib) und hat ihr persönlich ein Vermögen von siebentausend Pfund hinterlassen.</sentence>
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<sentence num="81">Jetzt ist Miß Polina mit der Familie meiner verheirateten Schwester zusammen auf Reisen.</sentence>
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<sentence num="82">Ihr kleiner Bruder und ihre kleine Schwester sind gleichfalls durch das Testament der Großtante versorgt und besuchen in London die Schule. Der General, ihr Stiefvater, ist vor einem Monat in Paris an einem Schlaganfall gestorben.</sentence>
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<sentence num="83">Wenn nun so ein de Grieux in einer theatralischen Rolle, mit einer Maske vor seinem wahren Gesicht erscheint, so kann er mit größter Leichtigkeit ihr Herz erobern; er hat die elegante Form, Mister Astley, und die junge Dame hält diese Form für seine eigene Seele, für die natürliche Form seiner Seele und seines Herzens, und nicht für ein Gewand, das er durch Erbschaft erlangt hat.</sentence>
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<sentence num="84">Gewiß zu Ihrem größten Miß- vergnügen muß ich Ihnen gestehen, daß die Engländer größtenteils recht eckig und unelegant sind; die Russinnen aber besitzen ein sehr feines Urteil für Schönheit und fühlen sich zu ihr besonders hingezogen.</sentence>
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<sentence num="85">Um dagegen die Schönheit einer Seele und die Eigenart einer Persönlichkeit zu erkennen, dazu ist sehr viel mehr Selbständigkeit und Unbefangenheit des Urteils erforderlich, als unsere Frauen und nun gar unsere jungen Damen besitzen, und jedenfalls auch mehr Erfahrung.</sentence>
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<sentence num="86">Miß Polina – verzeihen Sie; aber das ausgesprochene Wort kann man nicht zurückholen – wird eine sehr, sehr lange Überlegung nötig haben, ehe sie sich dazu entschließt, Sie dem Schuft de Grieux vorzuziehen.</sentence>
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<sentence num="87">Sie wird Sie hochschätzen, Ihre Freundin sein, Ihnen ihr ganzes Herz aufschließen; aber in diesem Herzen wird doch der schändliche Schurke, der ekelhafte, armselige Wucherer de Grieux herrschen.</sentence>
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<sentence num="88">Und schon allein Eigensinn und Eitelkeit werden diesem Zustand Dauer verleihen, weil dieser selbe de Grieux ihr früher einmal mit der Aureole eines eleganten Marquis erschienen ist, eines enttäuschten liberalen Idealisten, eines Mannes, der ihrer Familie und dem leichtsinnigen General hilfreich war und sich dabei selbst zugrunde richtete (wenn's wahr wäre).</sentence>
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<sentence num="89">Alle diese Verkleidungen sind ja nachher als solche erkannt worden; aber das tut nichts; trotz alledem: wenn Sie ihr jetzt den früheren de Grieux wiedergeben könnten, so hätte sie alles, was sie haben möchte!</sentence>
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<sentence num="90">Und je mehr sie den jetzigen de Grieux haßt, um so mehr sehnt sie sich nach dem früheren, obgleich der frühere nur in ihrer Vorstellung existiert hat.</sentence>
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<sentence num="91">Sie sind Zuckerfabrikant, Mister Astley?« »Ja, ich bin jetzt bereits Kompagnon bei der bekannten Zuckerfirma Lowell und Comp.« »Nun, dann sehen Sie selbst, Mister Astley: auf der einen Seite ein Zuckerfabrikant, auf der andern Seite ein Apollo von Belvedere; das ist ein schroffer Gegensatz.</sentence>
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<sentence num="92">Und ich bin nicht einmal Zuckerfabrikant; ich bin weiter nichts als ein armseliger Roulettspieler und bin sogar Bedienter gewesen, was Miß Polina wahrscheinlich schon weiß, da sie ja, wie es scheint, von einer guten Geheimpolizei bedient wird.« »Sie sind verbittert, und deshalb reden Sie all diesen Unsinn«, erwiderte nach kurzem Nachdenken Mister Astley kaltblütig.</sentence>
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<sentence num="93">»Übrigens war in dem, was Sie sagten, nichts Neues und Originelles enthalten.« »Das gebe ich zu!</sentence>
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<sentence num="94">Aber gerade das ist das Schreckliche, mein verehrter Freund, daß alle diese meine Beschuldigungen, so alt und vulgär und possenhaft sie auch sein mögen, doch der Wahrheit entsprechen!</sentence>
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<sentence num="95">Jedenfalls haben wir beide, Sie und ich, bei Miß Polina nichts erreicht!« »Das ist abscheulicher Unsinn… denn… denn… nun, so mögen Sie es denn wissen!« rief Mister Astley mit zitternder Stimme und funkelnden Augen. »So mögen Sie denn wissen. Sie undankbarer und unwürdiger, armseliger und unglücklicher Mensch, daß ich mit Absicht nach Homburg gekommen bin, in ihrem Auftrag, um Sie wiederzusehen, eingehend und herzlich mit Ihnen zu reden und ihr dann alles zu berichten: welches Ihre Gefühle und Empfindungen seien, welche Gedanken und Pläne Sie hegten, was Sie von der Zukunft hofften, und… wie sie der Vergangenheit gedächten!« »Wirklich?</sentence>
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<sentence num="96">Ist das die Wahrheit?« rief ich, und die Tränen stürzten mir stromweise aus den Augen.</sentence>
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<sentence num="97">Ich konnte sie nicht zurückhalten; es war wohl das erstemal in meinem Leben.</sentence>
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<sentence num="98">»Ja, Sie unglücklicher Mensch, sie hat Sie geliebt, und ich kann Ihnen das jetzt mitteilen, weil Sie ein verlorener Mensch sind!</sentence>
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<sentence num="99">Noch mehr: selbst wenn ich Ihnen sage, daß sie Sie noch heutigen Tages liebt, so werden Sie trotzdem hierbleiben!</sentence>
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<sentence num="100">Ja, Sie haben sich selbst zugrunde gerichtet.</sentence>
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<sentence num="101">Sie besaßen einige Fähigkeiten und einen lebhaften Charakter und waren kein schlechter Mensch; Sie hätten sogar Ihrem Vaterland nützlich sein können, das an tüchtigen Männern wahrlich keinen Überfluß hat; aber – Sie werden hierbleiben, und Ihr Leben ist abgeschlossen.</sentence>
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<sentence num="102">Ich mache Ihnen keine Vorwürfe.</sentence>
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<sentence num="103">Meiner Ansicht nach sind alle Russen von dieser Art, oder sie neigen wenigstens dazu.</sentence>
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<sentence num="104">Ist es nicht das Roulett, so ist es etwas anderes, dem Ähnliches.</sentence>
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<sentence num="105">Ausnahmen sind nur sehr selten.</sentence>
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<sentence num="106">Sie sind nicht der erste, der kein Verständnis dafür hat, was Arbeit bedeutet. (Ich rede nicht von den unteren Volksschichten in Ihrem Lande.)</sentence>
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<sentence num="107">Das Roulett ist ein spezifisch russisches Spiel.</sentence>
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<sentence num="108">Bisher waren Sie noch ehrenhaft und entschlossen sich lieber dazu, Bedienter zu werden, als zu stehlen… Aber es ist mir ein furchtbarer Gedanke, was noch in Zukunft alles geschehen kann. Aber genug!</sentence>
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<sentence num="109">Leben Sie wohl! Sie sind gewiß in Geldnot?</sentence>
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<sentence num="110">Hier haben Sie zehn Louisdor; mehr werde ich Ihnen nicht geben, da Sie das Geld ja doch nur verspielen werden.</sentence>
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<sentence num="111">Nehmen Sie, und leben Sie wohl!</sentence>
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<sentence num="112">So nehmen Sie doch!« »Nein, Mister Astley, nach allem, was wir jetzt miteinander gesprochen haben… « Neh-men – Sie!« rief er.</sentence>
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<sentence num="113">»Ich bin überzeugt, daß Sie noch ein anständiger Mensch sind, und gebe es Ihnen so, wie ein Freund einem wahren Freunde etwas geben darf.</sentence>
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<sentence num="114">Könnte ich überzeugt sein, daß Sie unverzüglich das Spiel aufgeben, Homburg verlassen und in Ihr Vaterland zurückreisen würden, so wäre ich bereit, Ihnen sofort tausend Pfund zu geben, damit Sie eine neue Lebenslaufbahn beginnen könnten.</sentence>
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<sentence num="115">Aber eben deswegen gebe ich Ihnen nicht tausend Pfund, sondern nur zehn Louisdor, weil tausend Pfund und zehn Louisdor jetzt für Sie doch ein und dasselbe sind; Sie verspielen es doch nur. Nehmen Sie, und leben Sie wohl!« »Ich nehme es, wenn Sie mir erlauben, Sie zum Abschied zu umarmen.« »Oh, mit Vergnügen!« Wir umarmten uns herzlich, und Mister Astley ging weg.</sentence>
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<sentence num="116">Nein, er hat nicht recht!</sentence>
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<sentence num="117">Wenn ich törichterweise mich zu scharf über Polina und de Grieux aussprach, so hat er vorschnell ein zu scharfes Urteil über die Russen gefällt.</sentence>
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<sentence num="118">Von mir will ich nicht reden.</sentence>
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<sentence num="119">Übrigens… übrigens handelt es sich vorläufig um all das gar nicht: das sind alles nur Worte und wieder Worte, und hier sind Taten nötig!</sentence>
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<sentence num="120">Die Hauptsache ist für mich jetzt die Schweiz!</sentence>
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<sentence num="121">Morgen – o wenn ich gleich morgen hinfahren könnte!</sentence>
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<sentence num="122">Ich will von neuem geboren werden, ich will auferstehen.</sentence>
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<sentence num="123">Ich muß ihnen beweisen… Polina soll sehen, daß ich noch imstande bin ein Mensch zu sein.</sentence>
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<sentence num="124">Ich brauche ja nur… Jetzt ist es freilich schon zu spät, aber morgen… Oh, ich habe ein Vorgefühl, und es muß, es muß so kommen!</sentence>
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<sentence num="125">Ich habe jetzt zehn Louisdor und fünfzig Gulden, zusammen fünfzehn Louisdor, und ich habe früher schon mit fünfzehn Gulden angefangen zu spielen.</sentence>
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<sentence num="126">Wenn man am Anfang vorsichtig ist… Aber bin ich denn wirklich ein so kleines Kind? Begreife ich denn nicht, daß ich ein verlorener Mensch bin?</sentence>
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<sentence num="127">Aber doch… warum sollte ich nicht auferstehen können? Ja!</sentence>
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<sentence num="128">Ich brauche nur ein einziges Mal im Leben ein guter Rechner zu sein und Geduld zu haben; das ist alles!</sentence>
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<sentence num="129">Ich brauche mich nur ein einziges Mal charakterfest zu zeigen, und in einer Stunde kann ich mein Schicksal völlig umändern!</sentence>
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<sentence num="130">Die Hauptsache ist Charakterfestigkeit.</sentence>
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<sentence num="131">Ich brauche nur daran zu denken, wie es mir in dieser Hinsicht vor sieben Monaten in Roulettenburg ging, in der Zeit vor meinem völligen Zusammenbruch.</sentence>
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<sentence num="132">Oh, das war ein merkwürdiger Beweis von Entschlußfähigkeit! Ich hatte damals alles verspielt, alles. Ich verließ das Kurhaus, da merkte ich, daß in meiner Westentasche noch ein Gulden steckte. »Ah«, dachte ich, »da habe ich ja noch etwas, wofür ich Mittagbrot essen kann!« Aber nachdem ich hundert Schritte weitergegangen war, wurde ich anderen Sinnes und kehrte wieder um.</sentence>
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<sentence num="133">Ich setzte diesen Gulden auf manque (beim vorigen Mal war manque gekommen), und wirklich, es ist eine ganz besondere Empfindung, wenn man ganz allein, in fremdem Land, fern von der Heimat und allen Freunden, ohne zu wissen, was man an dem Tag essen soll, den letzten Gulden setzt, den allerletzten!</sentence>
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