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<book code="dost_under_ende">
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<bookInfo>
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<title>Aufzeichnungen aus dem Kellerloch</title>
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<lang>de</lang>
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<isTranslation>true</isTranslation>
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<totalChapters>21</totalChapters>
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<source>http://originalbook.ru/</source>
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<author>Fjodor Dostojewski</author>
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<author translator="true">Swetlana Geier</author>
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</bookInfo>
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<content>
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<chapter num="1" name="Erster Teil. Das Kellerloch - Kapitel I">
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<sentence num="1"> Ich bin ein kranker Mensch… Ich bin ein böser Mensch.</sentence>
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<sentence num="2">Ein abstoßender Mensch bin ich.</sentence>
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<sentence num="3">Ich glaube, meine Leber ist krank.</sentence>
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<sentence num="4">Übrigens habe ich keinen blassen Dunst von meiner Krankheit und weiß gar nicht mit Sicherheit, was an mir krank ist.</sentence>
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<sentence num="5">Für meine Gesundheit tue ich nichts und habe auch nie etwas dafür getan, obwohl ich vor der Medizin und den Ärzten alle Achtung habe.</sentence>
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<sentence num="6">Zudem bin ich noch äußerst abergläubisch, so weit z.B., daß ich vor der Medizin alle Achtung habe. (Ich bin gebildet genug, um nicht abergläubisch zu sein, aber ich bin abergläubisch.)</sentence>
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<sentence num="7">Nein, meine Herrschaften, wenn ich für meine Gesundheit nichts tue, so geschieht das nur aus Bosheit.</sentence>
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<sentence num="8">Sie werden sicher nicht geneigt sein, das zu verstehen.</sentence>
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<sentence num="9">Nun, meine Herrschaften, ich verstehe es aber. Ich kann Ihnen natürlich nicht klarmachen, wen ich mit meiner Bosheit ärgern will, ich weiß auch ganz genau, daß ich nicht einmal den Ärzten dadurch schaden kann, daß ich mich nicht von ihnen behandeln lasse; ich weiß am allerbesten, daß ich damit einzig und allein mir selbst schade und niemandem sonst.</sentence>
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<sentence num="10">Und dennoch, wenn ich nichts für meine Gesundheit tue, so geschieht es aus Bosheit, und ist die Leber krank, dann mag sie noch ärger krank werden!</sentence>
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<sentence num="11">Ich lebe schon lange so – fast zwanzig Jahre.</sentence>
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<sentence num="12">Jetzt bin ich vierzig.</sentence>
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<sentence num="13">Früher habe ich gedient, jetzt aber diene ich nicht mehr.</sentence>
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<sentence num="14">Ich war ein boshafter Beamter.</sentence>
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<sentence num="15">Ich war grob und machte mir daraus ein Vergnügen.</sentence>
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<sentence num="16">Ich war unbestechlich, folglich mußte ich mich wenigstens dadurch entschädigen.</sentence>
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<sentence num="17">(Ein fauler Witz; aber ich streiche ihn nicht aus.</sentence>
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<sentence num="18">Ich schrieb ihn hin in dem Glauben, er würde sich sehr geistreich ausnehmen; aber jetzt, da ich selbst sehe, daß ich mit diesem Witz nur erbärmlich angeben wollte – jetzt streiche ich ihn erst recht nicht aus!)</sentence>
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<sentence num="19">Wenn sich dem Pult, an dem ich saß, Bittsteller mit Anfragen näherten, fuhr ich sie an und empfand tiefste Genugtuung, wenn es mir gelang, jemanden einzuschüchtern. Und das gelang fast immer.</sentence>
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<sentence num="20">Meistens war das ein recht schüchternes Volk: eben Bittsteller.</sentence>
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<sentence num="21">Unter den Dreisteren gab es einen Offizier, den ich nicht ausstehen konnte.</sentence>
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<sentence num="22">Er wollte sich nicht ergeben und rasselte geradezu widerwärtig mit seinem Säbel.</sentence>
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<sentence num="23">Dieses Säbels wegen habe ich mit ihm anderthalb Jahre Krieg geführt.</sentence>
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<sentence num="24">Schließlich war der Sieg mein.</sentence>
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<sentence num="25">Er unterließ das Rasseln.</sentence>
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<sentence num="26">Aber das war noch in meiner Jugend.</sentence>
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<sentence num="27">Wissen Sie auch, meine Herrschaften, worin gerade der Hauptgrund meiner Bosheit lag?</sentence>
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<sentence num="28">Das war es ja, darin lag ja die größte Gemeinheit, daß ich in jeder Minute, selbst im Augenblick der galligsten Wut, mir schmählich eingestehen mußte, daß ich nicht nur kein böser, sondern nicht einmal ein boshafter Mensch bin, daß ich mit Kanonen auf Spatzen schieße und darin mein Vergnügen suche.</sentence>
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<sentence num="29">Schaum steht mir vor dem Munde, aber bringt mir irgendein Püppchen, gebt mir ein Täßchen Tee mit Zucker, und ich werde mich höchstwahrscheinlich besänftigen.</sentence>
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<sentence num="30">Ich werde gerührt sein, wenn ich mich auch nachher, wahrscheinlich, selbst zerfleischen und vor Scham monatelang an Schlaflosigkeit leiden werde.</sentence>
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<sentence num="31">Das ist nun einmal meine Art.</sentence>
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<sentence num="32">Übrigens habe ich mich vorhin verleumdet, als ich sagte, daß ich ein boshafter Beamter gewesen sei.</sentence>
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<sentence num="33">Ich habe nur Mutwillen getrieben, sowohl mit den Bittstellern als auch mit dem Offizier, in Wirklichkeit konnte ich niemals böse werden.</sentence>
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<sentence num="34">In jedem Augenblick war ich mir vieler widersprechender Regungen bewußt. Ich fühlte sie nur so wimmeln in mir, diese widersprechenden Regungen.</sentence>
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<sentence num="35">Ich wußte, daß sie ein ganzes Leben lang in mir wimmelten und aus mir heraus wollten, aber ich ließ sie nicht heraus.</sentence>
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<sentence num="36">Ich ließ sie nicht heraus, absichtlich ließ ich sie nicht heraus. Sie quälten mich bis zur Scham; sie brachten mich bis zu Krämpfen, und ich – ich wurde sie schließlich leid, maßlos leid!</sentence>
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<sentence num="37">Glauben Sie, meine Herrschaften, daß ich jetzt etwa irgend etwas bereue, vor Ihnen? Daß ich für irgend etwas Ihre Verzeihung erbitte?</sentence>
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<sentence num="38">Ich bin überzeugt, daß Sie das glauben… Doch übrigens, ich versichere Sie, mir ist es ganz gleich, was Sie da glauben… Nicht nur, daß ich es nicht fertigbrachte, böse zu werden, ich brachte es nicht einmal fertig, überhaupt etwas zu werden, weder böse noch gut, weder Schuft noch Ehrenmann, weder Held noch Insekt.</sentence>
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<sentence num="39">Jetzt friste ich die Tage in meinem Winkel, indem ich mich selbst mit dem böswilligen und zugleich sinnlosen Trost aufstachle, daß ein kluger Mensch ernsthaft überhaupt nie etwas werden kann und nur ein Dummkopf etwas wird.</sentence>
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<sentence num="40">Ja, der Mensch des neunzehnten Jahrhunderts muß, er ist dazu sogar moralisch verpflichtet, ein im großen und ganzen charakterloses Wesen sein; dagegen ist ein charakterfester Mensch, ein Tatmensch – ein im großen und ganzen beschränktes Wesen.</sentence>
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<sentence num="41">Ich bin jetzt vierzig Jahre alt, und vierzig Jahre – das ist doch das ganze Leben; das ist das äußerste Alter.</sentence>
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<sentence num="42">Länger als vierzig Jahre zu leben ist unanständig, trivial, unsittlich.</sentence>
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<sentence num="43">Wer lebt denn noch über vierzig Jahre?</sentence>
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<sentence num="44">Antworten Sie aufrichtig und ehrlich. Ich kann Ihnen sagen, wer über vierzig Jahre lebt: Dummköpfe und Spitzbuben.</sentence>
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<sentence num="45">Ich will das allen Greisen ins Gesicht sagen, all diesen ehrwürdigen Greisen, all diesen silberhaarigen und parfümierten Greisen!</sentence>
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<sentence num="46">Ich sage es der ganzen Welt ins Gesicht, ich habe das Recht, so zu sprechen, weil ich selbst bis sechzig leben werde!</sentence>
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<sentence num="47">Bis siebzig werde ich leben!</sentence>
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<sentence num="48">Bis achtzig werde ich leben! Warten Sie! Lassen Sie mich Atem holen… Sie glauben wahrscheinlich, meine Herrschaften, daß ich Sie zum Lachen bringen möchte, aber auch darin irren Sie sich.</sentence>
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<sentence num="49">Ich bin durchaus kein so lustiger Mensch, wie es Ihnen vorkommt, oder wie es Ihnen vielleicht vorkommt; sollten Sie aber, verärgert durch dieses Geschwätz (ich spüre ja, daß Sie verärgert sind), auf den Gedanken kommen, mich zu fragen, wer ich denn eigentlich sei – so werde ich Ihnen antworten: ich bin ein Kollegienassessor.</sentence>
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<sentence num="50">Ich diente, um nicht zu verhungern (einzig aus diesem Grund), und als im vorigen Jahr ein entfernter Verwandter mir testamentarisch sechstausend Rubel hinterließ, nahm ich sofort meinen Abschied und ließ mich hier in meinem Winkel nieder.</sentence>
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<sentence num="51">Ich habe schon früher in diesem Winkel gelebt, jetzt aber ließ ich mich in diesem Winkel nieder.</sentence>
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<sentence num="52">Mein Zimmer ist ein elendes, scheußliches Loch am Rande der Stadt.</sentence>
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<sentence num="53">Meine Aufwartefrau – ein Bauernweib, alt, vor lauter Dummheit böse, zudem noch ständig unausstehlich riechend.</sentence>
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<sentence num="54">Man sagt mir, das Petersburger Klima sei mir schädlich und Petersburg für meine kümmerlichen Mittel viel zu teuer.</sentence>
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<sentence num="55">Ich weiß das alles ganz genau, besser als diese erfahrenen und überklugen Ratgeber und Kopfnicker.</sentence>
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<sentence num="56">Aber ich bleibe in Petersburg; ich werde Petersburg nicht verlassen.</sentence>
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<sentence num="57">Ich werde es nicht verlassen, weil… ach!</sentence>
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<sentence num="58">Aber es ist doch vollkommen gleichgültig, ob ich es nun verlassen oder nicht verlassen werde.</sentence>
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<sentence num="59">Übrigens: worüber kann ein anständiger Mensch mit dem größten Vergnügen reden?</sentence>
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<sentence num="60">Antwort: über sich selbst.</sentence>
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<sentence num="61">Also werde auch ich über mich selbst reden.</sentence>
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<chapter num="2" name="Erster Teil. Das Kellerloch - Kapitel II">
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<sentence num="1"> Meine Herrschaften, jetzt möchte ich Ihnen erzählen, gleichviel, ob Sie es hören wollen oder nicht, warum ich nicht einmal ein Insekt zu werden verstand.</sentence>
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<sentence num="2">Ich möchte feierlichst erklären, daß ich schon mehrere Male ein Insekt werden wollte.</sentence>
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<sentence num="3">Doch nicht einmal dazu ist es gekommen.</sentence>
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<sentence num="4">Ich schwöre Ihnen, meine Herrschaften, daß zuviel Bewußtsein – eine Krankheit ist, eine richtige, regelrechte Krankheit.</sentence>
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<sentence num="5">Für den alltäglichen menschlichen Bedarf wäre ein gewöhnliches menschliches Bewußtsein mehr als genug, also etwa die Hälfte, ein Viertel jener Portion, die dem entwickelten Menschen unseres unglücklichen neunzehnten Jahrhunderts zukommt, der dazu noch das besondere Unglück hat, in Petersburg zu leben, der abstraktesten und ausgedachtesten Stadt der ganzen Welt.</sentence>
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<sentence num="6">(Es gibt ausgedachte und nicht ausgedachte Städte.)</sentence>
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<sentence num="7">So würde z. B. jenes Bewußtsein, mit dem alle sogenannten unmittelbaren Menschen, die Tatmenschen, leben, vollkommen ausreichen.</sentence>
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<sentence num="8">Ich könnte wetten, Sie glauben jetzt, daß ich dies aus Anmaßung schreibe, um mich über die Tatmenschen lustig zu machen, noch dazu aus einer Anmaßung von allerschlechtestem Geschmack, daß ich mit dem Säbel raßle, wie mein Offizier.</sentence>
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<sentence num="9">Aber meine Herrschaften, wer könnte denn auf seine Krankheit, auf seine Leiden stolz sein?</sentence>
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<sentence num="10">Wer könnte sich mit ihnen brüsten? Übrigens, was sage ich? – Alle tun das. Man prahlt mit seinen Krankheiten und ich – meinetwegen – mehr als alle anderen.</sentence>
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<sentence num="11">Streiten wir nicht darüber: mein Einwand ist absurd.</sentence>
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<sentence num="12">Aber ich bin fest überzeugt, daß nicht nur zuviel Bewußtsein, sondern sogar jedes Bewußtsein eine Krankheit ist.</sentence>
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<sentence num="13">Ich bestehe darauf.</sentence>
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<sentence num="14">Aber lassen wir auch dieses Thema für einen Augenblick fallen.</sentence>
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<sentence num="15">Sagen Sie mir bitte folgendes: Wie kommt es, daß ich ausgerechnet in jenen, ja, ausgerechnet in jenen Augenblicken, in denen ich mir aller Feinheiten ›des Schönen und Erhabenen‹ – so wurde es bei uns genannt – bewußt war, zuweilen derart unansehnlicher Handlungen mir nicht allein nur bewußt war, sondern sie auch begehen konnte, Handlungen, die… nun ja, mit einem Wort, die meinetwegen von allen begangen werden, die aber von mir gerade dann begangen wurden, wenn ich am deutlichsten erkannte, daß man sie überhaupt nie begehen sollte?</sentence>
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<sentence num="16">Je mehr ich von der Erkenntnis des Guten und von all diesem ›Schönen und Erhabenen‹ durchdrungen war, um so tiefer versank ich in meinem Schlamm, um so bereitwilliger war ich, völlig in ihm steckenzubleiben.</sentence>
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<sentence num="17">Doch das wichtigste war, daß all dies gewissermaßen nicht zufällig sich so verhielt, sondern als müßte es geradezu so sein, als sei dies mein allernormalster Zustand, durchaus nicht Krankheit und Makel, so daß mir schließlich die Lust verging, gegen diesen Makel anzukämpfen.</sentence>
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<sentence num="18">Es endete damit, daß ich beinahe glaubte (vielleicht aber habe ich es in der Tat geglaubt), dies sei unter Umständen mein eigentlicher, normaler Zustand.</sentence>
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<sentence num="19">Zuerst aber, am Anfang, wie viele Qualen habe ich in diesem Kampf ausgestanden!</sentence>
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<sentence num="20">Ich glaubte nicht, anderen erginge es ebenso, und verbarg es mein Leben lang wie ein Geheimnis.</sentence>
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<sentence num="21">Ich schämte mich (vielleicht schäme ich mich sogar jetzt noch); es kam so weit, daß ich einen heimlichen, anormalen, gemeinen Genuß empfand, wenn ich in einer der ekelhaftesten Petersburger Nächte in meinen Winkel zurückkehrte und dabei mit aller Deutlichkeit einsah, daß ich heute wieder eine Gemeinheit begangen hatte, daß das Getane auf keine Weise ungeschehen gemacht werden konnte, und mich dafür innerlich, verstohlen zu zerfleischen, zu foltern begann, so lange, bis die Verbitterung sich schließlich in irgendeine schmähliche, verfluchte Süße wandelte – in einen entschiedenen, wirklichen Genuß.</sentence>
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<sentence num="22">Ja, in einen Genuß, in einen Genuß!</sentence>
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<sentence num="23">Ich bestehe darauf.</sentence>
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<sentence num="24">Deswegen habe ich doch überhaupt angefangen zu sprechen, weil ich schon immer ganz genau erfahren wollte: haben die anderen auch solche Genüsse?</sentence>
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<sentence num="25">Ich werde es Ihnen erklären; der Genuß liegt gerade in dem allzu grellen Bewußtsein der eigenen Erniedrigung; in dem Bewußtsein, daß man an der letzten Mauer angelangt ist; daß es zwar schändlich ist, aber auch nicht anders sein kann; daß man keinen Ausweg hat, daß man nie und nimmer ein anderer Mensch werden wird; daß, selbst wenn man noch Zeit und Glauben hätte, sich in etwas anderes zu verändern, man wahrscheinlich selber eine solche Veränderung nicht wollte; wollte man sie aber, so ließe sich auch hier nichts ausrichten, weil es im Grunde genommen vielleicht gar nichts gibt, in das man sich verändern könnte.</sentence>
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<sentence num="26">Aber in der Hauptsache und letzten Endes verläuft das alles nach den normalen und fundamentalen Gesetzen des gesteigerten Bewußtseins und der Trägheit, die sich unmittelbar aus diesen Gesetzen ergibt. Folglich kann man nicht nur sich nicht verändern, sondern man kann überhaupt nichts ändern.</sentence>
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<sentence num="27">Zum Beispiel ergibt sich aus dem gesteigerten Bewußtsein: stimmt, du bist ein Schuft – als ob es für den Schuft ein Trost wäre, wenn er schon selbst empfindet, daß er tatsächlich ein Schuft ist.</sentence>
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<sentence num="28">Aber genug… Ich habe viel geschwatzt, ist aber dadurch etwas geklärt?</sentence>
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<sentence num="29">Wodurch läßt sich dieser Genuß erklären?</sentence>
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<sentence num="30">Aber ich werde es erklären, ich werde es schon zu Ende führen!</sentence>
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<sentence num="31">Deswegen habe ich doch zur Feder gegriffen… Ich bin zum Beispiel ganz furchtbar ehrgeizig.</sentence>
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<sentence num="32">Ich bin argwöhnisch und empfindlich wie ein Buckliger oder ein Zwerg, aber offen gestanden, ich habe auch Augenblicke erlebt, in denen ich mich, wäre ich von jemandem geohrfeigt worden, sogar darüber gefreut hätte.</sentence>
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<sentence num="33">Im Ernst: ich hätte es bestimmt verstanden, auch darin einen Genuß eigener Art zu finden, einen Genuß der Verzweiflung, versteht sich, aber gerade in der Verzweiflung liegen die verzehrendsten Genüsse, besonders, wenn man die Aussichtslosigkeit seiner Lage deutlich erkennt.</sentence>
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<sentence num="34">Und hier, nämlich bei der Ohrfeige, hier wird man ja förmlich von dem Bewußtsein der eigenen Erniedrigung erdrückt.</sentence>
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<sentence num="35">Die Hauptsache aber, wie man es auch dreht und wendet, liegt darin, daß ich als erster an allem schuld bin, und zwar – das ist das kränkendste – schuldlos schuldig, sozusagen gemäß der Natur der Dinge.</sentence>
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<sentence num="36">Erstens deshalb, weil ich klüger bin als alle, die mich umgeben (ich habe mich stets für klüger gehalten als alle, die mich umgaben, und bin manches Mal – glauben Sie mir – deswegen verlegen geworden; wenigstens habe ich mein Leben lang immer irgendwie zur Seite gesehen und niemals den Menschen gerade in die Augen blicken können).</sentence>
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<sentence num="37">Und schließlich bin ich deshalb schuldig, weil ich, selbst wenn ich großmütig gewesen wäre, infolge des Bewußtseins der ganzen Nutzlosigkeit dieser Großmut nur noch mehr gelitten hätte.</sentence>
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<sentence num="38">Ich hätte doch bestimmt nichts mit meiner Großmut anzufangen gewußt; weder zu verzeihen – der Beleidiger hätte mich vielleicht aus einer Naturgesetzmäßigkeit heraus geohrfeigt, und der Naturgesetzmäßigkeit hat man nicht zu verzeihen – noch zu vergessen; denn wenn es auch eine Naturgesetzmäßigkeit ist, so bleibt es doch eine Beleidigung.</sentence>
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<sentence num="39">Und schließlich, hätte ich mich entschlossen, durchaus nicht großmütig zu verfahren, und mich, ganz im Gegenteil, am Beleidiger rächen wollen, so hätte ich mich doch für nichts und an niemandem rächen können, weil ich wahrscheinlich nicht gewagt hätte, etwas zu tun, selbst wenn ich es gekonnt hätte.</sentence>
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<sentence num="40">Warum hätte ich es nicht gewagt?</sentence>
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<sentence num="41">Darauf möchte ich mit einigen Worten eingehen.</sentence>
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</chapter>
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<chapter num="3" name="Erster Teil. Das Kellerloch - Kapitel III">
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<sentence num="1"> Wie ergeht es denn Menschen, die es verstehen, sich zu rächen, und die überhaupt verstehen, sich zu behaupten?</sentence>
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<sentence num="2">Wenn sie von Rachedurst gepackt werden, bleibt von ihrem ganzen Wesen überhaupt nichts mehr übrig außer dem einen Gefühl.</sentence>
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<sentence num="3">Ein Herr von dieser Sorte schießt denn auch sofort wie ein wildgewordener Stier mit gesenkten Hörnern auf das Ziel los, und höchstens eine Mauer kann ihn noch zum Stehen bringen.</sentence>
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<sentence num="4">(Bei dieser Gelegenheit sei noch bemerkt: vor einer Mauer geben sich solche Herrschaften, d. h. die Unmittelbaren und die Tatmenschen, bedenkenlos geschlagen.</sentence>
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<sentence num="5">Für sie ist die Mauer kein Einspruch, wie z. B. für uns denkende und folglich tatenlose Menschen; kein Vorwand, auf dem Wege umzukehren, ein Vorwand, der für unsereinen meistens unglaubwürdig, aber stets willkommen ist.</sentence>
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<sentence num="6">Nein, sie geben sich bedenkenlos geschlagen.</sentence>
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<sentence num="7">Die Mauer ist für sie stets etwas Beruhigendes, moralisch Eindeutiges und Endgültiges, meinetwegen sogar etwas Mystisches… Doch von der Mauer später.)</sentence>
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<sentence num="8">Also gerade diesen unmittelbaren Menschen halte ich für den eigentlichen, den normalen Menschen, wie ihn die zärtliche Mutter Natur selbst wollte, als sie ihn liebenswürdigerweise auf Erden entstehen ließ.</sentence>
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<sentence num="9">Solch einen Menschen beneide ich bis zur grünen Galle.</sentence>
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<sentence num="10">Er ist dumm.</sentence>
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<sentence num="11">Darüber will ich mit Ihnen nicht streiten, vielleicht muß der normale Mensch dumm sein, woher wollen Sie das wissen?</sentence>
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<sentence num="12">Vielleicht ist das sogar ganz schön.</sentence>
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<sentence num="13">Ich bin um so mehr von diesem, sozusagen, Argwohn überzeugt, weil – nehmen wir beispielsweise die Antithese des normalen Menschen, d. h. den überbewußten Menschen, der selbstverständlich nicht dem Schoße der Natur, sondern der Retorte entsprungen ist (das ist schon fast Mystizismus, meine Herrschaften; ich argwöhne auch das) –, weil dieser Retortenmensch zuweilen dermaßen vor seiner Antithese versagt, daß er sich selbst samt seinem Überbewußtsein in aller Aufrichtigkeit für eine Maus hält, nicht aber für einen Menschen.</sentence>
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<sentence num="14">Mag er auch eine überbewußte Maus sein, er ist doch nur eine Maus, jener aber ist ein Mensch, daraus folgt alles andere.</sentence>
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<sentence num="15">Die Hauptsache aber, er selbst hält sich für eine Maus; keiner verlangt es von ihm; und das ist ein wichtiger Umstand.</sentence>
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<sentence num="16">Betrachten wir nun diese Maus in Aktion.</sentence>
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<sentence num="17">Nehmen wir zum Beispiel an, daß sie auch beleidigt ist (und sie ist fast immer beleidigt) und sich gleichfalls rächen will.</sentence>
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<sentence num="18">Bosheit kann sich in ihr noch mehr ansammeln als in dem Ich fahre ruhig fort, über die Menschen mit starken Nerven zu sprechen, denen ein gewisser erlesener Genuß unzugänglich bleibt.</sentence>
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<sentence num="19">Diese Herrschaften brüllen zwar beispielsweise in bestimmten Fällen wie die Ochsen, aus vollem Halse, was ihnen meinetwegen die größte Ehre einbringt, aber, wie ich bereits erwähnte, beruhigen sie sich sofort vor jeder Unmöglichkeit.</sentence>
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<sentence num="20">Eine Unmöglichkeit – also eine Mauer! Was für eine Mauer? Nun, versteht sich, Naturgesetze, naturwissenschaftliche Ergebnisse, Mathematik. Hat man dir einmal zum Beispiel bewiesen, daß du vom Affen abstammst, so darfst du nicht einmal die Nase rümpfen, sondern hast es hinzunehmen, wie es ist.</sentence>
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<sentence num="21">Hat man dir bewiesen, daß ein einziges Tröpfchen deines eigenen Fettes dir teurer sein muß als Hunderttausend deinesgleichen und daß diese Einsicht schließlich alle sogenannten Tugenden und Pflichten und sonstige Spinnereien und Vorurteile aufklärt, so mußt du das ruhig hinnehmen, nichts dagegen zu machen, denn zwei mal zwei – ist Mathematik.</sentence>
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<sentence num="22">Versuchen Sie, es zu widerlegen. »Gestatten Sie«, wird man Ihnen zurufen, »dagegen gibt es keine Auflehnung: das ist Zwei-mal-zwei-gleich-vier! Die Natur wird sich nach Ihnen nicht richten; was gehen die Natur Ihre Wünsche an und ob ihre Gesetze Ihnen gefallen oder mißfallen.</sentence>
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<sentence num="23">Sie müssen die Natur so nehmen, wie sie ist, und folglich auch ihre Resultate. Mauer bleibt also Mauer… usw. usw.« Herrgott, was gehen mich aber die Naturgesetze und die Arithmetik an, wenn mir diese Gesetze und das Zwei-mal-zwei-gleich-vier nicht gefallen?</sentence>
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<sentence num="24">Versteht sich, ich werde in eine solche Mauer mit der Stirn keine Bresche schlagen können, wenn ich tatsächlich die Kraft dazu nicht habe, aber ich werde mich mit ihr auch nicht abfinden, bloß, weil ich vor einer Mauer stehe und meine Kräfte nicht ausreichen. Als ob eine solche Mauer tatsächlich eine Beruhigung wäre, als ob sie den geringsten Trost enthielte, einzig, weil sie Zwei-mal-zwei-gleich-vier ist.</sentence>
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<sentence num="25">Oh, Ungereimtheit aller Ungereimtheiten! Eine ganz andere Sache ist es doch: alles verstehen, alles einsehen, alle Unmöglichkeiten und alle Mauern; mit keiner Unmöglichkeit und mit keiner Mauer sich zufriedengeben, wenn einem das Sich-Zufriedengeben zuwider ist, mittels unausweichlicher logischer Kombinationen zu den allerwiderlichsten Schlüssen gelangen über das ewige Thema, daß man sogar an der Mauer irgendwie selbst schuld ist, obgleich es sich mit größter Klarheit zeigt, daß man durchaus schuldlos ist, infolgedessen schweigend und machtlos zähneknirschend wollüstig in Trägheit verweilen in dem Gedanken, daß es nicht einmal einen Grund gibt, sich über jemanden zu ärgern; daß überhaupt kein Objekt vorhanden ist und sich wahrscheinlich nie eines finden lassen wird, daß hier eine Täuschung vorliegt, eine Falschspielerei, einfach Schlamm – unbekannt was, unbekannt wer, aber ungeachtet all der Unsicherheit und Täuschung leidet man doch, und je mehr einem unbekannt ist, um so mehr leidet man.</sentence>
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</chapter>
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<chapter num="4" name="Erster Teil. Das Kellerloch - Kapitel IV">
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<sentence num="1"> »Ha-ha-ha!</sentence>
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<sentence num="2">Dann werden Sie ja auch an Zahnschmerzen Genuß finden!« werden Sie lachend ausrufen.</sentence>
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<sentence num="3">Warum nicht, auch im Zahnschmerz liegt ein Genuß, antworte ich.</sentence>
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<sentence num="4">Einmal habe ich einen ganzen Monat Zahnschmerzen gehabt; ich weiß, daß es das gibt.</sentence>
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<sentence num="5">Hierbei leidet man natürlich nicht stumm – man stöhnt; aber dieses Gestöhn ist kein aufrichtiges, es ist ein hinterhältiges Gestöhn, und um diese Hinterhältigkeit geht es ja.</sentence>
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<sentence num="6">Gerade in diesem Gestöhn drückt sich der Genuß des Leidenden aus; empfände er keinen Genuß – so würde er auch nicht stöhnen.</sentence>
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<sentence num="7">Das ist ein gutes Beispiel, meine Herrschaften, ich will bei ihm länger verweilen.</sentence>
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<sentence num="8">In diesem Stöhnen drückt sich erstens die ganze für unser Bewußtsein erniedrigende Zwecklosigkeit dieses Schmerzes aus; die ganze Naturgesetzmäßigkeit; die man zwar zutiefst verachtet, durch die man aber trotzdem leiden muß, die Natur aber nicht.</sentence>
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<sentence num="9">Man kommt zu der Einsicht, daß man zwar keinen Feind, aber einen zugefügten Schmerz hat; zu der Einsicht, daß man samt allen diversen Wagenheim s restlos Sklave seiner Zähne ist; daß, falls es ein Jemand wünscht, die Zähne nicht mehr schmerzen, wünscht er es aber nicht, so werden sie noch weitere drei Monate schmerzen; und schließlich, wenn man sich noch immer nicht abfinden und noch immer auflehnen will, bleibt einem zu seiner Beruhigung höchstens noch übrig, sich selbst durchzuprügeln oder mit der Faust möglichst schmerzhaft auf seine Mauer einzuschlagen, sonst aber absolut nichts.</sentence>
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<sentence num="10">Nun, gerade mit diesen Kränkungen bis aufs Blut, mit diesem Hohn, unbekannt von wem, beginnt schließlich der Genuß, der sich zuweilen bis zu höchster Wollust steigern kann.</sentence>
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<sentence num="11">Ich bitte Sie, meine Herrschaften, hören Sie sich doch irgendwann einmal in das Gestöhn eines gebildeten Menschen des neunzehnten Jahrhunderts hinein, wenn er an Zahnschmerzen leidet, etwa am zweiten oder dritten Tag seiner Krankheit, wenn er nicht mehr so stöhnt wie am ersten Tag, das heißt, nicht nur einfach, weil seine Zähne schmerzen; nicht wie irgendein gewöhnlicher Bauer, sondern wie ein Mensch, der der Bildung und der europäischen Zivilisation teilhaft geworden ist, wie ein Mensch, der sich ›von Heimatscholle und Volksgeist getrennt hat‹, wie man sich jetzt auszudrücken pflegt.</sentence>
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<sentence num="12">Sein Gestöhn wird übel, boshaft, gemein und hält Tag und Nacht an.</sentence>
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<sentence num="13">Dabei weiß er ja selbst, daß dieses Stöhnen ihm nicht den geringsten Vorteil bringen kann; er weiß am allerbesten, daß er damit ganz umsonst sich selbst und andere peinigt und reizt; er sieht sogar ein, daß das Publikum, vor dem er sich solche Mühe gibt, seine ganze Familie, bereits Widerwillen empfindet, ihm nicht für eine Kopeke glaubt und bei sich denkt, daß er auch anders, schlichter, stöhnen könnte, ohne Rouladen und Triller, daß er nur aus Bosheit und Hinterhältigkeit Mutwillen treibt. Aber in diesen Einsichten und in dieser Schmach liegt ja gerade die Wollust.</sentence>
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<sentence num="14">»Zugegeben, ich falle euch zur Last, ich zerreiße euch das Herz, gönne keinem im Hause Schlaf.</sentence>
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<sentence num="15">So wacht denn auch, fühlt jeden Augenblick mit, daß ich Zahnschmerzen habe. Jetzt bin ich für euch nicht mehr der Held, der ich früher scheinen wollte, sondern einfach ein Ekel, ein Hanswurst.</sentence>
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<sentence num="16">Um so besser.</sentence>
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<sentence num="17">Freut mich, daß ihr mich durchschaut.</sentence>
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<sentence num="18">Mein niederträchtiges Gestöhn widert euch an? Um so besser; gleich werde ich euch eine noch widerlichere Roulade vorstöhnen… « Können Sie es immer noch nicht begreifen, meine Herrschaften?</sentence>
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<sentence num="19">Nein, es scheint doch, daß man recht weit in seiner Entwicklung und in seinem Bewußtsein fortgeschritten sein muß, um alle Feinheiten dieser Wollust empfinden zu können.</sentence>
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<sentence num="20">Sie lachen?</sentence>
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<sentence num="21">Freut mich.</sentence>
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<sentence num="22">Meine Witze sind selbstverständlich abgeschmackt, niveaulos, verworren, voll von tiefstem Selbstmißtrauen.</sentence>
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<sentence num="23">Dies aber rührt daher, daß ich mich selbst nicht achte.</sentence>
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<sentence num="24">Kann denn ein bewußter Mensch sich überhaupt noch irgendwie achten?</sentence>
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<chapter num="5" name="Erster Teil. Das Kellerloch - Kapitel V">
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<sentence num="1"> Nun, wie ist es denn möglich, wie kann ein Mensch sich auch im geringsten achten, der danach trachtet, gerade in dem Gefühl eigener Erniedrigung einen Genuß zu finden?</sentence>
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<sentence num="2">Ich sage das nicht aus irgendeiner Anwandlung süßlicher Reue.</sentence>
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<sentence num="3">Überhaupt habe ich es nie leiden können, dieses: »Verzeihung, Papachen, ich werde nicht mehr… « – weniger, weil ich nicht fähig gewesen wäre, so etwas zu sagen, sondern im Gegenteil, vielleicht, weil ich gerade eilfertig dazu bereit war, viel zu bereit?</sentence>
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<sentence num="4">Absichtlich ließ ich mich beschuldigen in Fällen, in denen ich völlig unschuldig war.</sentence>
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<sentence num="5">Das war ja gerade das schlimme.</sentence>
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<sentence num="6">Dabei verging ich fast vor Rührung, vor Reue, ich vergoß Tränen und, versteht sich, hielt mich selbst zum besten, wobei ich auch nicht im geringsten heuchelte.</sentence>
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<sentence num="7">Sogar das Herz machte irgendwie mit… Hier ließen sich nicht einmal die Naturgesetze beschuldigen, obwohl gerade die Naturgesetze mich fortwährend und das ganze Leben lang am meisten beleidigten.</sentence>
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<sentence num="8">Es ist widerlich, sich daran zu erinnern, und auch damals schon war es widerlich.</sentence>
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<sentence num="9">Denn bereits nach einer Minute erkannte ich mit Widerwillen, daß das alles Lüge, ekelhafte, vorsätzliche Lüge war, ich meine all diese Reue, all diese Rührung, all diese Gelübde, sich zu bessern.</sentence>
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<sentence num="10">Fragen Sie mich aber, warum ich mich selbst so verunstaltete und peinigte? Antwort: weil es gar zu langweilig war, mit den Händen im Schoß still dazusitzen – so begann ich denn, vor mir selbst Haken zu schlagen.</sentence>
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<sentence num="11">Wahrhaftig, so war es.</sentence>
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<sentence num="12">Beobachten Sie sich selbst, meine Herrschaften, und Sie werden begreifen, daß es so ist.</sentence>
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<sentence num="13">Ich habe mir Abenteuer ausgedacht und das Leben selbst zurechtgedichtet, um wenigstens auf irgendeine Weise zu leben.</sentence>
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<sentence num="14">Wie oft ist es geschehen, daß ich mir, sagen wir, beleidigt vorkam, so, ohne jeden Grund, absichtlich; und obwohl ich selbst wußte, daß ich überhaupt keinen Grund hatte, daß ich mir selbst etwas vormachte, brachte ich mich trotzdem so weit, daß ich mich schließlich tatsächlich tief gekränkt fühlte.</sentence>
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<sentence num="15">Irgendwie neigte ich lebenslang dazu, derartige Kunststücke vorzuführen, bis ich schließlich meiner selbst nicht mehr mächtig war.</sentence>
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<sentence num="16">Einmal wollte ich mich um jeden Preis verlieben, zweimal sogar, ich habe gelitten, meine Herrschaften, seien Sie versichert.</sentence>
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<sentence num="17">Im tiefsten Grund der Seele zwar traut man dem Leiden nicht so ganz, dort regt sich der Hohn. Und dennoch leide ich, und zwar auf die wirkliche, übliche Weise; bin eifersüchtig, gerate außer mir… Und alles aus Langeweile, meine Herrschaften, alles aus Langeweile; die Trägheit erdrückt mich, denn die direkte, legitime, unmittelbare Frucht des Bewußtseins – ist Trägheit, d. h. bewußtes Mit-den-Händen-im-Schoß-Dasitzen.</sentence>
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<sentence num="18">Das habe ich schon früher erwähnt.</sentence>
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<sentence num="19">Ich wiederhole, wiederhole nachdrücklich: alle unmittelbaren und alle Tatmenschen sind ja nur tätig, weil sie stumpfsinnig und beschränkt sind.</sentence>
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<sentence num="20">Wie sich das erklären läßt?</sentence>
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<sentence num="21">Folgendermaßen: Infolge ihrer Beschränktheit nehmen sie die augenscheinlichen und zweitrangigen Ursachen für die primären und lassen sich auf diese Weise rascher und leichter als die anderen überzeugen, daß sie einen unanfechtbaren Grund für ihre Tätigkeit gefunden haben; damit geben sie sich zufrieden, und das ist die Hauptsache.</sentence>
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<sentence num="22">Denn, um eine Tätigkeit zu beginnen, muß man restlos beruhigt und aller Zweifel enthoben sein. Nun, wie soll zum Beispiel ich mich beruhigen?</sentence>
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<sentence num="23">Wo sind meine primären Gründe, auf die ich mich stützen kann, wo meine Ursachen?</sentence>
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<sentence num="24">Woher nehme ich sie? Ich übe mich im Denken, folglich zieht bei mir jeder primäre Grund einen anderen nach sich, der noch primärer ist, und so geht es weiter ins Endlose.</sentence>
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<sentence num="25">Darin besteht das Wesen jeglichen Bewußtseins und Denkens.</sentence>
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<sentence num="26">Somit sind wir schon wieder bei den Naturgesetzen. Und was ist also das Resultat? Dasselbe. Sie erinnern sich: vorhin sprach ich von der Rache (Sie haben es bestimmt nicht verstehen können).</sentence>
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<sentence num="27">Da hieß es: der Mensch rächt sich, weil er es für gerecht hält.</sentence>
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<sentence num="28">Folglich fand er einen primären Grund, nämlich: die Gerechtigkeit.</sentence>
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<sentence num="29">Also ist er rundum beruhigt und rächt sich friedlich und erfolgreich in der tiefen Überzeugung, eine ehrliche und gerechte Tat zu vollbringen.</sentence>
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<sentence num="30">Ich dagegen kann hier keine Gerechtigkeit sehen und schon gar keine Tugend.</sentence>
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<sentence num="31">Wollte ich mich also trotzdem noch rächen, so könnte es allenfalls aus Bosheit geschehen.</sentence>
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<sentence num="32">Die Bosheit könnte, versteht sich, alles übertönen, alle meine Zweifel, und somit mit vollem Erfolg den primären Grund abgeben, gerade weil sie kein Grund sein kann.</sentence>
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<sentence num="33">Aber was soll ich tun, da ich nicht einmal böse bin (davon bin ich vorhin ausgegangen).</sentence>
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<sentence num="34">Auch die Bosheit unterliegt bei mir infolge dieser verwünschten Gesetze des Bewußtseins einer chemischen Zersetzung.</sentence>
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<sentence num="35">Bei näherem Betrachten verflüchtigt sich das Objekt, die Gründe verdunsten, ein Schuldiger ist nicht aufzutreiben, die Beleidigung bleibt nicht Beleidigung, sondern wird Fatum, eine Art Zahnschmerz, an dem keiner schuld ist, und so bleibt wiederum nur ein Ausweg, nämlich die Mauer so schmerzhaft wie möglich zu bearbeiten.</sentence>
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<sentence num="36">Und schließlich zuckt man mit den Schultern, denn der primäre Grund bleibt unauffindbar.</sentence>
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<sentence num="37">Versucht man aber, blindlings, ohne abzuwägen, ohne primären Grund für einen Augenblick das Bewußtsein vertreibend, sich vom Gefühl hinreißen zu lassen; läßt man sich von Haß oder Liebe ergreifen, nur, um nicht mit den Händen im Schoß stillzusitzen – übermorgen, das ist die allerletzte Frist, wirst du dich selbst verachten, weil du dich selbst wissentlich betrogen hast.</sentence>
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<sentence num="38">Resultat: Seifenblase und Trägheit.</sentence>
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<sentence num="39">Oh, meine Herrschaften, vielleicht halte ich mich nur deswegen für einen klugen Menschen, weil ich in meinem ganzen Leben weder etwas habe beginnen noch beenden können.</sentence>
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<sentence num="40">Schon gut, schon gut, ich mag ein Schwätzer sein, ein harmloser, lästiger Schwätzer, wie wir es ja alle sind.</sentence>
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<sentence num="41">Aber was soll man denn tun, wenn die einzige und direkte Bestimmung eines jeglichen klugen Menschen in Schwatzen besteht: das heißt darin, mit Vorsatz leeres Stroh zu dreschen.</sentence>
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</chapter>
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<chapter num="6" name="Erster Teil. Das Kellerloch - Kapitel VI">
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<sentence num="1"> Oh, wenn ich doch nur aus Faulheit untätig wäre.</sentence>
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<sentence num="2">Herrgott, wie würde ich mich dann achten. Ich würde mich gerade deswegen achten, weil ich dann doch fähig wäre, wenigstens faul zu sein; dann besäße ich wenigstens eine gewissermaßen positive Eigenschaft, von der ich dann auch selbst überzeugt sein könnte.</sentence>
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<sentence num="3">Frage: Wer ist das?</sentence>
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<sentence num="4">Antwort: ein Faulpelz; aber ich bitte Sie, das hört sich doch äußerst angenehm an, das heißt, man ist definitiv bestimmt, das heißt, es gibt etwas, was sich über mich sagen läßt.</sentence>
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<sentence num="5">»Ein Faulpelz!« – aber das ist doch Titel und Bestimmung, das ist doch eine Karriere, meine Herrschaften.</sentence>
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<sentence num="6">Scherz beiseite, so ist es!</sentence>
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<sentence num="7">Dann bin ich rechtmäßiges Mitglied eines renommierten Vereins und achte mich unablässig.</sentence>
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<sentence num="8">Ich kannte einen Herrn, der sein Leben lang stolz darauf war, sich auf Lafitte-Weine zu verstehen.</sentence>
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<sentence num="9">Er hielt das für einen ausgesprochenen Vorzug und zweifelte nie an sich selbst. Er starb nicht nur mit ruhigem, sondern mit einem triumphierenden Gewissen und war damit vollkommen im Recht.</sentence>
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<sentence num="10">Denn hätte auch ich Karriere gemacht, ich wäre ein Faulpelz und Vielfraß geworden, doch beileibe kein gewöhnlicher, sondern einer mit Sinn für das Schöne und Erhabene.</sentence>
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<sentence num="11">Was halten Sie davon?</sentence>
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<sentence num="12">Ich träumte schon lange davon.</sentence>
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<sentence num="13">Dieses ›Schöne und Erhabene‹ hat mir doch vierzig Jahre lang schwer im Magen gelegen; das sage ich jetzt, mit meinen vierzig Jahren, damals aber – oh, damals wäre alles ganz anders geworden!</sentence>
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</chapter>
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<chapter num="7" name="Erster Teil. Das Kellerloch - Kapitel VII">
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<sentence num="1"> Doch das sind alles goldene Träume.</sentence>
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<sentence num="2">Oh, sagen Sie bitte, wer hat als erster verkündigt, wer zuerst bekanntgemacht, daß der Mensch nur deswegen Gemeinheiten begehe, weil er seine wahren Interessen nicht kenne; und daß, wollte man ihn aufklären, ihm die Augen für diese wahren, normalen Interessen öffnen, der Mensch sofort aufhören würde, Gemeinheiten zu begehen; er würde gut und edel werden, denn einmal aufgeklärt und seinen eigentlichen Vorteil einsehend, müßte er seinen Vorteil in dem Guten finden, denn bekanntermaßen könne niemand vorsätzlich gegen seinen eigenen Vorteil handeln.</sentence>
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<sentence num="3">Folglich würde der aufgeklärte Mensch gewissermaßen aus Notdurft das Gute tun. O Unschuld! O heilige Unschuld! Wann ist es denn schon vorgekommen im Laufe all dieser verflossenen Jahrtausende, daß der Mensch einzig und allein um des eigenen Vorteils willen gehandelt hätte?</sentence>
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<sentence num="4">Wohin mit den Millionen von Tatsachen, die da bezeugen, daß Menschen »Aber es geht doch wieder um Vorteile!« unterbrechen Sie mich.</sentence>
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<sentence num="5">Erlauben Sie, meine Herrschaften, wir werden uns noch verständigen, mir ist es nicht um ein Wortspiel zu tun, sondern darum, daß dieser Vorteil gerade deswegen bemerkenswert ist, weil er unsere ganzen Klassifikationen zerstört und auch alle Systeme, die von den Menschenfreunden zum Wohl des Menschengeschlechts aufgestellt wurden, immer wieder sprengt.</sentence>
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<sentence num="6">Kurz, er ist ein Hindernis.</sentence>
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<sentence num="7">Aber bevor ich Ihnen diesen Vorteil nennen werde, möchte ich mich persönlich kompromittieren und verkünde darum dreist, daß all diese ausgezeichneten Systeme, diese ganzen Theorien zur Aufklärung der Menschheit über ihre eigentlichen, normalen Interessen, auf daß sie, zwangsläufig diesen Interessen nachgehend, sofort gut und edel werde – zunächst, meiner Meinung nach, nichts als Logistik sind.</sentence>
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<sentence num="8">Jawohl, Logistik. Eine Theorie der Wiedererneuerung des Menschengeschlechts zu vertreten, z.</sentence>
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<sentence num="9">B. durch das System der eigenen Vorteile, das ist meines Erachtens beinahe dasselbe, wie mit Buckle zu behaupten, der Mensch werde durch die Zivilisation sanfter, folglich weniger blutrünstig und weniger kriegslustig.</sentence>
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<sentence num="10">Er kommt zu dieser Schlußfolgerung, glaube ich, gemäß der Logik.</sentence>
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<sentence num="11">Der Mensch hat aber eine solche Vorliebe für Systeme und abstrakte Schlußfolgerungen, daß er bereit ist, die Wahrheit willentlich zu entstellen, sich Augen und Ohren zuzuhalten, nur um seine Logik zu rechtfertigen.</sentence>
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<sentence num="12">Deswegen greife ich auch zu diesem Beispiel, weil es ein viel zu grelles Beispiel ist. Aber sehen Sie sich um: Blut fließt in Strömen, dazu noch auf die fidelste Art und Weise wie Champagner. Da haben Sie unser neunzehntes Jahrhundert, in dem auch Buckle zu Hause ist. Da haben Sie Napoleon, sowohl den Großen als auch den jetzigen.</sentence>
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<sentence num="13">Da haben Sie Nordamerika, die ewige Union. Da haben Sie schließlich die Karikatur Schleswig-Holstein… Und was hat die Zivilisation in uns besänftigt? Die Zivilisation bringt im Menschen nur Differenziertheit der Empfindungen hervor und… nichts weiter. Aber gerade durch die Pflege dieser Differenziertheit wird der Mensch womöglich noch so weit gehen, daß er auch im Blutvergießen einen Genuß finden wird.</sentence>
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<sentence num="14">So etwas ist schon bei ihm vorgekommen.</sentence>
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<sentence num="15">Ist Ihnen nicht aufgefallen, daß die schlimmsten Blutvergießer fast ausnahmslos höchst zivilisierte Herrschaften waren, denen all diese Attilas und Stenka Rasins nicht das Wasser reichen konnten?</sentence>
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<sentence num="16">Und wenn sie nicht so auffallen wie Attila und Stenka Rasin, so rührt das nur daher, daß sie allzu häufig vorkommen, allzu gewöhnlich sind, allzu vertraut.</sentence>
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<sentence num="17">Jedenfalls wurde der Mensch durch die Zivilisation, wo nicht noch blutrünstiger, so doch gewiß blutrünstig auf üblere, gemeinere Art.</sentence>
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<sentence num="18">Früher hielt er das Blutvergießen für Gerechtigkeit und vertilgte mit ruhigem Gewissen, wen er zu vertilgen hatte; jetzt aber halten wir das Blutvergießen zwar für eine Gemeinheit, können aber von dieser Gemeinheit nicht lassen und treiben es ärger denn je.</sentence>
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<sentence num="19">Was ist schlimmer? – Entscheiden Sie selbst.</sentence>
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<sentence num="20">Man erzählt, Kleopatra (ich bitte das Beispiel aus der römischen Geschichte zu entschuldigen) habe besonders gern mit goldenen Nadeln in die Brüste ihrer Sklavinnen gestochen und sich an ihren Schreien und Krämpfen ergötzt.</sentence>
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<sentence num="21">Sie werden einwenden, daß dies in einem relativ barbarischen Zeitalter gewesen sei; daß wir auch jetzt noch in einem barbarischen Zeitalter leben, denn (wiederum relativ gemeint) auch jetzt steche man noch mit Nadeln, und daß der Mensch auch jetzt noch, obwohl er schon gelernt habe, zuweilen klarer zu erkennen als in barbarischen Zeiten, bei weitem nicht</sentence>
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</chapter>
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<chapter num="8" name="Erster Teil. Das Kellerloch - Kapitel VIII">
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<sentence num="1"> »Ha-ha-ha, aber das Wollen gibt es ja eigentlich gar nicht, wenn man es recht besieht!« unterbrechen Sie mich lachend.</sentence>
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<sentence num="2">»Die Wissenschaft hat den Menschen heute schon so weit auseinanderanatomiert, daß bereits bekannt ist, daß der sogenannte freie Wille und das Wollen nichts anderes ist als… « Warten Sie, meine Herrschaften, ich wollte selbst davon anfangen. Offen gestanden, ich bin direkt erschrocken.</sentence>
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<sentence num="3">Ich wollte gerade ausrufen, daß das Wollen weiß der Teufel wovon abhängt und daß wir dafür unter Umständen Gott danken müssen, aber da fiel mir plötzlich die Wissenschaft ein und… und ich hielt den Mund.</sentence>
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<sentence num="4">Da fingen Sie auch schon an.</sentence>
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<sentence num="5">In der Tat, fände man wirklich einmal die Formel unseres Willens und unserer Launen, das heißt ihren Grund und das Gesetz ihrer Entstehung, ihrer Ausbreitung, ihrer Richtung in diesem und in jenem Fall usw. usw., das heißt die richtige mathematische Formel – so würde der Mensch womöglich augenblicklich aufhören zu wollen, ja, er würde sogar mit Sicherheit aufhören. Was ist denn das für ein Vergnügen, nach einer Tabelle zu wollen?</sentence>
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<sentence num="6">Das wäre ja auch noch nicht alles: er verwandelte sich dann augenblicklich aus einem Menschen in einen Drehorgelstift oder etwas Derartiges; was ist denn ein Mensch ohne Wünsche, ohne Willen und ohne Begehren anderes als ein Stiftchen an einer Drehorgelwalze?</sentence>
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<sentence num="7">Was meinen Sie?</sentence>
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<sentence num="8">Rechnen wir doch die Wahrscheinlichkeit durch – kann das geschehen oder nicht?</sentence>
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<sentence num="9">»Hm… !« meinen Sie daraufhin, »unser Begehren ist meistenteils fehlerhaft infolge der fehlerhaften Auffassung von unseren Vorteilen.</sentence>
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<sentence num="10">Darum streben wir zuweilen nach barem Unsinn, weil wir infolge unserer Dummheit in diesem Unsinn den leichtesten Weg zum Erlangen irgendeines vermeintlichen Vorteils sehen.</sentence>
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<sentence num="11">Nun, wenn aber alles erklärt, schwarz auf weiß ausgerechnet sein wird (was durchaus anzunehmen ist, denn es wäre ekelhaft und sinnlos, vorauszusetzen, daß manche Naturgesetze für den Menschen unbegreiflich bleiben werden), dann wird es selbstverständlich dieses sogenannte Wollen nicht mehr geben.</sentence>
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<sentence num="12">Denn wenn das Begehren einmal mit der Vernunft vollständig zusammengefallen ist, so werden wir dann eben urteilen, nicht aber wollen, aus dem einfachen Grunde, weil man doch beispielsweise bei vollem Bewußtsein nichts Sinnloses Jawohl, aber hier sehe ich einen Haken!</sentence>
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<sentence num="13">Meine Herrschaften, Sie werden verzeihen, daß ich mich hinreißen lasse und zu philosophieren anfange; das sind die vierzig Jahre Kellerloch! Gestatten Sie mir zu phantasieren. Mit Verlaub: Verstand, meine Herrschaften, ist eine gute Sache, das wird niemand bestreiten. Aber Verstand bleibt Verstand und genügt lediglich der Verstandesfähigkeit des Menschen.</sentence>
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<sentence num="14">Das Wollen dagegen ist die Offenbarung des ganzen Lebens, das heißt des ganzen menschlichen Lebens, sowohl Verstand als auch alles andere Jucken eingeschlossen. Und wenn sich auch unser Leben in dieser Offenbarung oftmals als rechte Nichtswürdigkeit erweist, ist es doch immerhin Leben und nicht nur Quadratwurzelziehen.</sentence>
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<sentence num="15">Denn ganz selbstverständlich will ich leben, um meine gesamte Lebensfähigkeit zu befriedigen, nicht aber um zum Beispiel meiner Verstandesfähigkeit Genüge zu tun, das heißt irgendeinem zwanzigsten Teil meiner gesamten Lebensfähigkeit.</sentence>
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<sentence num="16">Was weiß der Verstand? Der Verstand weiß nur das, was er schon erfahren hat (manches wird er unter Umständen nie erfahren: das ist zwar kein Trost, aber warum sollte es nicht einmal ausgesprochen werden? ), die menschliche Natur aber wirkt stets als Ganzes, mit allem, was in ihr ist, bewußt und unbewußt, und lügt sie auch, so lebt sie doch. Ich vermute, meine Herrschaften, Sie schauen mitleidig auf mich herab.</sentence>
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<sentence num="17">Sie wiederholen mir von neuem, daß es für einen gebildeten und entwickelten Menschen, kurz, für den künftigen Menschen, unmöglich sein werde, wissentlich etwas für ihn Unvorteilhaftes zu wünschen, daß dies Mathematik sei.</sentence>
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<sentence num="18">Ich stimme mit Ihnen vollkommen überein, das ist wirklich Mathematik. Trotzdem aber sage ich Ihnen zum hundertsten Male: diesen Fall gibt es, einen einzigen Fall, in dem sich der Mensch absichtlich, wissentlich Schädliches, Dummes, ja sogar das Allerdümmste wünscht, und zwar: um das Sie rufen mir zu (wenn Sie mich überhaupt noch des Anschreiens würdigen), daß mir doch niemand den Willen streitig mache; daß man es nur darauf anlege, alles irgendwie so einzurichten, daß mein Wille ganz von selbst, aus eigenem Willen, mit meinen normalen Interessen zusammenfalle, mit den Naturgesetzen und der Arithmetik.</sentence>
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<sentence num="19">Aber meine Herrschaften, was kann es da noch für einen eigenen Willen geben, wenn es schon bis zur Tabelle und bis zur Arithmetik gekommen ist, wenn nur noch zwei mal zwei gleich vier Gültigkeit hat?</sentence>
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<sentence num="20">Zwei mal zwei wird auch ohne meinen Willen vier sein. Sieht denn der eigene Wille etwa so aus?</sentence>
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<chapter num="9" name="Erster Teil. Das Kellerloch - Kapitel IX">
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<sentence num="1"> Meine Herrschaften, natürlich scherze ich, und ich weiß auch, daß ich wenig geistreich scherze, aber Sie dürfen nicht alles für einen Scherz halten.</sentence>
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<sentence num="2">Vielleicht scherze ich zähneknirschend.</sentence>
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<sentence num="3">Meine Herrschaften, ich werde von Fragen gequält; antworten Sie mir darauf.</sentence>
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<sentence num="4">Sie schicken sich beispielsweise an, den Menschen von seinen alten Angewohnheiten abzubringen und seinen Willen auszurichten gemäß den Forderungen der Wissenschaft und des gesunden Menschenverstandes.</sentence>
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<sentence num="5">Woher aber wollen Sie wissen, nicht nur, ob es möglich, sondern ob es überhaupt Mit dem Ameisenhaufen haben die ehrenwerten Ameisen angefangen, mit dem Ameisenhaufen werden sie auch enden, was ihrer Beständigkeit und ihrem Wirklichkeitssinn große Ehre macht.</sentence>
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<sentence num="6">Aber der Mensch ist ein leichtsinniges und unlauteres Wesen und liebt vielleicht, gleich dem Schachspieler, nur den Prozeß des Strebens zum Ziel, nicht aber das Ziel selbst.</sentence>
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<sentence num="7">Und wer weiß (man kann nicht dafür bürgen), vielleicht liegt auch das ganze Erdenziel, dem die Menschheit zustrebt, allein in der Unaufhaltsamkeit des Strebens, mit anderen Worten – im Leben selbst, nicht aber in dem eigentlichen Ziel, das nichts anderes sein kann, versteht sich, als zwei mal zwei gleich vier, das heißt eine Formel; zwei mal zwei gleich vier ist aber nicht mehr Leben, meine Herrschaften, sondern der Anfang des Todes.</sentence>
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<sentence num="8">Wenigstens hat der Mensch dieses Zwei-mal-zwei-gleich-vier immer irgendwie gefürchtet, ich aber fürchte es jetzt auch noch.</sentence>
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<sentence num="9">Freilich, der Mensch tut nichts anderes, als diesem Zwei-mal-zwei-gleich-vier nachzujagen, er durchschwimmt Meere, er opfert das Leben, um es zu suchen; aber es zu finden, es wirklich zu finden – bei Gott, davor fürchtet er sich irgendwie.</sentence>
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<sentence num="10">Denn er spürt, daß ihm nichts mehr zu suchen übrigbleibt, sobald er es gefunden hat. Die Tagelöhner bekommen nach Feierabend wenigstens ihren Lohn, gehen in die Schenke, um sich bald danach auf dem Polizeirevier wiederzufinden – nun, und damit wäre die Woche ausgefüllt.</sentence>
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<sentence num="11">Und wohin soll der Mensch gehen?</sentence>
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<sentence num="12">Jedenfalls kann man immer, sobald er ein ähnliches Ziel erreicht hat, eine gewisse Verlegenheit beobachten.</sentence>
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<sentence num="13">Er liebt das Streben, das Erreichen aber ungleich weniger, und das ist selbstverständlich höchst lächerlich. Kurz, der Mensch ist komisch eingerichtet.</sentence>
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<sentence num="14">Das alles ist offensichtlich ein Calembourg, aber zwei mal zwei gleich vier bleibt unter allen Umständen eine verdammt unerträgliche Sache.</sentence>
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<sentence num="15">Zwei mal zwei gleich vier, das ist doch meiner Meinung nach eine Dreistigkeit, jawohl. Zwei mal zwei gleich vier hat einen unverschämten Blick, stemmt die Hände in die Hüften, stellt sich Ihnen in den Weg und spuckt. Ich gebe zu, daß zwei mal zwei gleich vier eine fabelhafte Sache ist; aber wenn man schon alles lobt, so ist auch zwei mal zwei gleich fünf mitunter ein allerliebstes Sächelchen.</sentence>
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<sentence num="16">Und warum sind Sie so fest, so feierlich davon überzeugt, daß einzig das Normale und Positive, mit einem Wort: nur die Glückseligkeit für den Menschen vorteilhaft sei?</sentence>
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<sentence num="17">Sollte da nicht die Vernunft in der Wahl ihrer Vorteile irren?</sentence>
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<sentence num="18">Denn vielleicht liebt der Mensch nicht allein die Glückseligkeit? Vielleicht liebt er im gleichen Maße auch das Leiden?</sentence>
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<sentence num="19">Vielleicht ist für ihn das Leiden ebenso vorteilhaft wie die Glückseligkeit?</sentence>
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<sentence num="20">Und zuweilen liebt der Mensch das Leiden fürchterlich, bis zur Leidenschaft. Das ist eine Tatsache.</sentence>
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<sentence num="21">Dabei ist man nicht einmal auf die Weltgeschichte angewiesen; fragen Sie sich selbst, falls Sie ein Mensch sind und falls Sie auch nur ein bißchen gelebt haben.</sentence>
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<sentence num="22">Was meine persönliche Meinung betrifft, so ist die Liebe zur puren Glückseligkeit sogar irgendwie unanständig.</sentence>
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<sentence num="23">Mag es gut oder schlecht sein – einmal etwas zu zerbrechen, ist ebenfalls äußerst angenehm.</sentence>
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<sentence num="24">Ich bin eigentlich nicht für das Leiden, aber auch nicht für die Glückseligkeit. Ich bin… für meine Laune und dafür, daß ich sie jederzeit haben kann.</sentence>
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<sentence num="25">Das Leiden wird zum Beispiel in Vaudevilles nicht zugelassen, das weiß ich wohl, im Kristallpalast ist es völlig undenkbar: Leiden ist Zweifel, ist Verneinung; was aber wäre das für ein Kristallpalast, wo man noch zweifeln könnte?</sentence>
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<sentence num="26">Indessen bin ich davon überzeugt, daß der Mensch auf wirkliches Leiden, das heißt auf Zerstörung und Chaos, niemals verzichten wird.</sentence>
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<sentence num="27">Das Leiden – das ist ja der einzige Grund des Bewußtseins.</sentence>
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<sentence num="28">Habe ich auch anfangs behauptet, daß das Bewußtsein meiner Meinung nach für den Menschen das größte Unglück ist, so weiß ich doch, daß der Mensch es liebt und es gegen keinerlei Befriedigungen eintauschen würde.</sentence>
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<sentence num="29">So steht das Bewußtsein beispielsweise unendlich höher als zwei mal zwei. Nach dem Zwei-mal-zwei, versteht sich, bleibt nicht nur nichts mehr zu tun, sondern auch nichts mehr zu erkennen übrig.</sentence>
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<sentence num="30">Alles, was dann noch möglich sein wird, ist – seine fünf Sinne verstopfen und in Kontemplation versinken.</sentence>
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<sentence num="31">Nun, und wenn man für das Bewußtsein auch zum selben Ergebnis kommt, nämlich, daß nichts mehr zu tun sei, so kann man sich wenigstens zuweilen selbst auspeitschen, und das belebt immerhin.</sentence>
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<sentence num="32">Es ist zwar rückständig, aber besser als nichts.</sentence>
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<chapter num="10" name="Erster Teil. Das Kellerloch - Kapitel X">
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<sentence num="1"> Sie glauben an den Kristallpalast, den in alle Ewigkeit unzerstörbaren, also an etwas, dem man weder heimlich die Zunge herausstrecken noch die Faust in der Tasche ballen kann. Nun, und ich fürchte diesen Palast vielleicht gerade deshalb, weil er aus Kristall und in alle Ewigkeit unzerstörbar sein wird und weil man ihm nicht einmal heimlich die Zunge wird herausstrecken können.</sentence>
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<sentence num="2">Sehen Sie einmal: wenn da anstelle des Palastes ein Hühnerstall wäre und es zum Regnen käme, so würde auch ich vielleicht in den Hühnerstall kriechen, um nicht naß zu werden, doch ich würde trotzdem den Hühnerstall nicht für einen Palast halten aus bloßer Dankbarkeit, weil er mich vor dem Regen schützt. Sie lachen?</sentence>
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<sentence num="3">Sie sagen sogar, in diesem Falle wären Hühnerstall und Prachtbau ein und dasselbe. Gewiß, antworte ich, wenn man nur zu dem Zweck lebte, nicht naß zu werden. Was soll ich aber tun, wenn ich es mir nun einmal in den Kopf gesetzt habe, daß man nicht unbedingt nur zu diesem Zweck lebt, und wenn man schon einmal lebt, dann auch in einem schönen Haus leben sollte.</sentence>
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<sentence num="4">Das ist mein Wollen, das ist mein Wunsch. Das können Sie nicht aus mir herauskratzen, ehe Sie nicht mein Wollen ändern. Nun, ändern Sie es, locken Sie mich mit etwas anderem, geben Sie mir ein anderes Ideal.</sentence>
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<sentence num="5">Bis dahin aber werde ich einen Hühnerstall nicht für einen Palast halten.</sentence>
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<sentence num="6">Es mag sogar sein, daß der Kristallpalast ein Schwindel und von den Naturgesetzen überhaupt nicht vorgesehen ist und daß ich ihn mir nur infolge meiner eigenen Dummheit ausgedacht habe, infolge gewisser altertümlicher irrationaler Gewohnheiten unserer Generation. Aber es geht mich nichts an, daß er nicht vorgesehen ist.</sentence>
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<sentence num="7">Ist denn das nicht ganz gleichgültig, wenn er nur in meinen Wünschen vorhanden ist oder, besser gesagt, so lange vorhanden ist, wie auch meine Wünsche vorhanden sind?</sentence>
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<sentence num="8">Vielleicht lachen Sie wieder? Aber bitte; ich nehme jeden Spott auf mich und werde mich auf keinen Fall verleiten lassen zu sagen, ich sei satt, wenn ich hungrig bin; ich weiß, daß ich mich mit einem Kompromiß nicht zufriedengeben werde, mit einer unendlichen periodischen Null, bloß weil sie nach den Naturgesetzen vorhanden, und zwar Solange ich aber lebe und wünsche – mag meine Hand verdorren, wenn ich auch nur einen einzigen Ziegelstein zum Bau eines solchen Mietshauses beitrage!</sentence>
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<sentence num="9">Lassen Sie sich nicht dadurch beirren, daß ich vorhin den Kristallpalast ablehnte, einzig aus dem einen Grunde ablehnte, weil man ihn nicht mit herausgestreckter Zunge wird ärgern können.</sentence>
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<sentence num="10">Ich habe das keineswegs gesagt, weil ich es etwa besonders liebe, die Zunge herauszustrecken. Vielleicht habe ich mich nur deshalb aufgeregt, weil es unter all Ihren Gebäuden bis jetzt noch kein einziges gibt, dem man nicht die Zunge herausstrecken möchte. Im Gegenteil, ich würde mir aus purer Dankbarkeit die Zunge abschneiden lassen, wenn es nur dahin käme, daß ich niemals mehr den Wunsch hätte, sie herauszustrecken.</sentence>
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<sentence num="11">Was kann ich dafür, daß es nicht dahin kommen kann und daß man sich mit Mietwohnungen begnügen muß?</sentence>
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<sentence num="12">Warum bin ich dann mit solchen Wünschen ausgestattet? Sollte ich denn wirklich nur so ausgestattet worden sein, um zu dem Schluß zu kommen, daß meine ganze Ausstattung ein Bluff ist? Sollte das der ganze Sinn sein?</sentence>
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<sentence num="13">Ich glaube nicht. Doch übrigens, wissen Sie: ich bin überzeugt, daß man unsereinen, den Kellerlochmenschen, im Zaume halten muß.</sentence>
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<sentence num="14">Er ist wohl fähig, vierzig Jahre lang stumm in seinem Kellerloch auszuharren, kommt er aber ans Licht, dann geht es mit ihm durch, dann redet er, redet, redet, redet…</sentence>
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</chapter>
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<chapter num="11" name="Erster Teil. Das Kellerloch - Kapitel XI">
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<sentence num="1"> Letztlich und endlich, meine Herrschaften: Lieber gar nichts tun! Lieber bewußte Passivität!</sentence>
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<sentence num="2">Also: es lebe das Kellerloch!</sentence>
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<sentence num="3">Ich habe zwar gesagt, daß ich den normalen Menschen galligst beneide; aber unter den Bedingungen, unter denen ich ihn sehe, möchte ich mit ihm nicht tauschen (obwohl ich nicht aufhören werde, ihn zu beneiden).</sentence>
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<sentence num="4">Nein, nein, das Kellerloch ist unter allen Umständen vorteilhafter!</sentence>
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<sentence num="5">Dort kann man wenigstens… Ach! Sogar jetzt lüge ich!</sentence>
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<sentence num="6">Ich lüge, weil ich selbst weiß wie zwei mal zwei, daß das Beste keineswegs das Kellerloch ist, sondern etwas anderes, etwas ganz anderes, wonach ich mich sehne, das ich aber auf keine Weise finden kann!</sentence>
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<sentence num="7">Zum Teufel mit dem Kellerloch!</sentence>
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<sentence num="8">Sogar Folgendes wäre schon besser: es wäre besser – wenn ich selbst nur an irgend etwas von dem glauben könnte, was ich soeben geschrieben habe.</sentence>
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<sentence num="9">Ich schwöre Ihnen, meine Herrschaften, daß ich kein einziges, aber auch wirklich kein einziges Wörtchen von all dem hier Zusammengeschriebenen glaube!</sentence>
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<sentence num="10">Das heißt, ich glaube schon daran, doch im selben Augenblick, aus einem unbekannten Grund, fühle und argwöhne ich, daß ich lüge wie gedruckt.</sentence>
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<sentence num="11">»Ja, wozu haben Sie denn das alles geschrieben?« fragen Sie mich.</sentence>
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<sentence num="12">»Sitzen Sie mal vierzig Jahre tatenlos in einem Kellerloch! Und warten Sie, bis einer kommt und sich nach vierzig Jahren erkundigt, wie es um Sie steht!</sentence>
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<sentence num="13">Darf man denn einen unbeschäftigten Menschen vierzig Jahre lang allein lassen?« »Das ist doch peinlich! Das ist doch erniedrigend!« werden Sie mir vielleicht mit einem verächtlichen Kopfschütteln sagen.</sentence>
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<sentence num="14">»Sie lechzen nach Leben und wollen Lebensfragen durch logische Konfusion lösen.</sentence>
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<sentence num="15">Und wie zudringlich, wie frech sind Ihre Ausfälle, und wie ängstlich sind Sie dabei!</sentence>
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<sentence num="16">Sie schwatzen Unsinn und sind noch stolz darauf; Sie sagen Frechheiten, derentwegen Sie zittern und um Entschuldigung bitten.</sentence>
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<sentence num="17">Sie versichern, Sie hätten keine Angst, und zu gleicher Zeit versuchen Sie, sich bei uns beliebt zu machen.</sentence>
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<sentence num="18">Sie versichern, Sie knirschten mit den Zähnen, und reißen zu gleicher Zeit Witze, um uns zum Lachen zu bringen.</sentence>
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<sentence num="19">Sie wissen, daß Ihre Witze platt sind, und doch sind Sie mit ihrem literarischen Wert offensichtlich sehr zufrieden.</sentence>
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<sentence num="20">Vielleicht haben Sie wirklich einiges durchgemacht, aber Sie haben vor Ihrem eigenen Leiden nicht die geringste Achtung.</sentence>
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<sentence num="21">Sie haben in manchem recht, aber Ihnen fehlt jedes Schamgefühl.</sentence>
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<sentence num="22">Aus kleinlichster Eitelkeit tragen Sie Ihre Wahrheit zur Schau, zu Schimpf und Schande auf den Markt… Sie haben wirklich irgend etwas zu sagen, doch aus Furcht halten Sie Ihr letztes Wort zurück, denn Sie besitzen nicht die Entschlossenheit, es auszusprechen, sondern nur feige Dreistigkeit.</sentence>
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<sentence num="23">Sie prahlen mit Ihrem Bewußtsein, aber Sie schwanken bloß hin und her, denn wenn Ihr Verstand auch funktioniert, Ihr Herz ist vom Laster verfinstert, und ohne reines Herz kann es kein volles, richtiges Bewußtsein geben. Und wie zudringlich Sie sind!</sentence>
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<sentence num="24">Wie vorlaut! Wie affektiert! Lüge, Lüge und nochmals Lüge!« Selbstverständlich habe ich diese Worte, Ihre Worte, selbst erfunden.</sentence>
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<sentence num="25">Das stammt auch aus dem Kellerloch. Dort habe ich vierzig Jahre lang auf diese Ihre Worte durch ein Spältchen gelauscht.</sentence>
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<sentence num="26">Ich habe sie mir selbst ausgedacht, das war ja das einzige, was sich ausdenken ließ.</sentence>
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<sentence num="27">Kein Wunder, daß ich sie auswendig kann und daß sie eine literarische Form angenommen haben.</sentence>
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<sentence num="28">Ist es denn die Möglichkeit, ist es denn die Möglichkeit, daß Sie tatsächlich so leichtgläubig sind und sich einbilden, ich würde das alles drucken lassen und Ihnen sogar zu lesen geben?</sentence>
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<sentence num="29">Und dann finde ich noch etwas komisch: Warum nenne ich Sie ›meine Herrschaften‹, warum wende ich mich an Sie, ganz, als ob ich mich wirklich an Leser wendete?</sentence>
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<sentence num="30">Geständnisse, wie ich sie zu machen beabsichtige, läßt man nicht drucken und gibt sie keinem zu lesen.</sentence>
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<sentence num="31">Ich wenigstens habe nicht so viel Charakterstärke und halte es auch für überflüssig, sie zu besitzen.</sentence>
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<sentence num="32">Aber sehen Sie: mir ist ein phantastischer Gedanke in den Kopf gekommen, und nun will ich ihn um jeden Preis verwirklichen.</sentence>
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<sentence num="33">Es handelt sich um Folgendes: In den Erinnerungen jedes Menschen gibt es Dinge, die er nicht allen mitteilt, höchstens seinen Freunden.</sentence>
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<sentence num="34">Aber es gibt auch Dinge, die er nicht einmal den Freunden gesteht, sondern höchstens sich selbst und auch das nur unter dem Siegel der Verschwiegenheit.</sentence>
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<sentence num="35">Schließlich gibt es auch solche Dinge, die der Mensch sogar sich selbst zu gestehen fürchtet, und solche Dinge sammeln sich bei jedem anständigen Menschen in ziemlicher Menge an.</sentence>
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<sentence num="36">Es ist sogar so: je anständiger der Mensch ist, desto mehr davon hat er.</sentence>
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<sentence num="37">Jedenfalls habe ich selbst mich erst vor kurzer Zeit entschließen können, mich einiger meiner früheren Abenteuer zu erinnern, bis dahin hatte ich immer einen Bogen um sie gemacht, sogar mit einem gewissen Unbehagen.</sentence>
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<sentence num="38">Jetzt aber, da ich mich nicht nur ihrer erinnere, sondern mich sogar entschlossen habe, sie aufzuschreiben, jetzt will ich es gerade ausprobieren: Kann man denn wenigstens sich selbst gegenüber ganz und gar aufrichtig sein, ohne vor der vollen Wahrheit zurückzuschrecken?</sentence>
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<sentence num="39">Bei dieser Gelegenheit: Heine behauptet, zuverlässige Autobiographien seien etwas Unmögliches, der Mensch werde über sich selbst niemals die Wahrheit sagen.</sentence>
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<sentence num="40">Er meint, Rousseau habe sich in seinen Bekenntnissen zweifellos selbst verleumdet, und sogar aus Eitelkeit bewußt verleumdet.</sentence>
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<sentence num="41">Ich bin überzeugt, daß Heine recht hat; ich begreife vollkommen, wie man sich zuweilen einzig aus Eitelkeit ganze Verbrechen zuschreiben kann, und ich begreife auch vollkommen, welcher Art diese Eitelkeit ist.</sentence>
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<sentence num="42">Aber Heine urteilte über einen Menschen, der vor einem Publikum beichtete.</sentence>
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<sentence num="43">Ich jedoch schreibe nur für mich selbst und erkläre hiermit ein für allemal: Wenn ich auch so schreibe, als wendete ich mich an Leser, so tue ich das doch nur zum Schein, weil es mir leichter fällt, so zu schreiben.</sentence>
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<sentence num="44">Das ist eine Formsache, eine reine Formsache. Leser werde ich niemals haben.</sentence>
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<sentence num="45">Ich habe das schon einmal gesagt… Ich möchte mir beim Niederschreiben meiner Aufzeichnungen keinen Zwang auferlegen lassen.</sentence>
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<sentence num="46">Ich werde mich weder an eine Ordnung noch an ein System halten.</sentence>
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<sentence num="47">Ich werde aufschreiben, was mir gerade einfällt.</sentence>
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<sentence num="48">Nun, da könnte man mich beispielsweise beim Wort nehmen und fragen: Wenn Sie wirklich nicht auf Leser rechnen, warum treffen Sie mit sich selbst, dazu noch schriftlich, solche Abmachungen, daß Sie sich zum Beispiel an keine Ordnung und an kein System halten werden, daß Sie alles so niederschreiben wollen, wie es Ihnen einfällt usw. usw.?</sentence>
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<sentence num="49">Warum entschuldigen Sie sich?</sentence>
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<sentence num="50">Warum entschuldigen Sie sich?</sentence>
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<sentence num="51">»Das ist nun einmal so«, antworte ich.</sentence>
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<sentence num="52">Darin liegt übrigens eine ganze Psychologie.</sentence>
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<sentence num="53">Vielleicht ist es aber auch einfach meine Feigheit.</sentence>
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<sentence num="54">Es kann aber auch sein, daß ich mir absichtlich ein Publikum vorstelle, um mich, solange ich schreibe, manierlicher zu benehmen.</sentence>
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<sentence num="55">Gründe kann es wirklich zu Tausenden geben.</sentence>
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<sentence num="56">Aber noch etwas: Warum eigentlich, wozu will ich schreiben?</sentence>
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<sentence num="57">Wenn es nicht für ein Publikum geschieht, könnte man sich dann nicht auch so, in Gedanken, erinnern, ohne es zu Papier zu bringen?</sentence>
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<sentence num="58">Stimmt; aber auf dem Papier nimmt es sich doch gewissermaßen feierlicher aus.</sentence>
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<sentence num="59">Es ist eindringlicher. Man geht mit sich strenger ins Gericht. Der Stil entwickelt sich.</sentence>
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<sentence num="60">Außerdem: es könnte immerhin sein, daß mir das Niederschreiben wirklich Erleichterung verschaffte.</sentence>
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<sentence num="61">Im Augenblick zum Beispiel bedrückt mich ganz besonders die Erinnerung an ein weit zurückliegendes Ereignis.</sentence>
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<sentence num="62">Vor einigen Tagen tauchte sie in mir auf und will seither nicht weichen, wie eine lästige Melodie, die einem nicht aus dem Sinn gehen will.</sentence>
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<sentence num="63">Solche Erinnerungen gibt es bei mir zu Hunderten; von Zeit zu Zeit steigt eine von ihnen auf und quält mich.</sentence>
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<sentence num="64">Aus irgendeinem Grunde glaube ich, daß ich sie los bin, sobald ich sie niedergeschrieben habe.</sentence>
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<sentence num="65">Warum sollte man es nicht versuchen?</sentence>
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<sentence num="66">Und endlich: ich langweile mich und tue nie etwas.</sentence>
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<sentence num="67">Schreiben ist immerhin so etwas wie eine Arbeit.</sentence>
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<sentence num="68">Man sagt, daß der Mensch durch Arbeit gut und redlich werde.</sentence>
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<sentence num="69">Nun, da hätte man wenigstens eine Chance.</sentence>
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<sentence num="70">Es schneit, naß, gelb, trübe.</sentence>
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<sentence num="71">Gestern schneite es, und auch vor einigen Tagen hat es geschneit.</sentence>
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<sentence num="72">Ich glaube, bei dem nassen Schnee erinnerte ich mich an jenen Vorfall, der mir nun nicht mehr aus dem Sinn gehen will.</sentence>
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<sentence num="73">So mag es denn eine Erzählung bei nassem Schnee werden.</sentence>
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</chapter>
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<chapter num="12" name="Zweiter Teil - Kapitel I">
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<sentence num="1"> Damals war ich erst vierundzwanzig Jahre alt.</sentence>
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<sentence num="2">Mein Leben war auch schon damals düster, ungeordnet und einsam bis zur Menschenscheu.</sentence>
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<sentence num="3">Ich pflegte mit niemandem Umgang, vermied nach Möglichkeit jede Unterhaltung und zog mich immer mehr in meinen Winkel zurück.</sentence>
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<sentence num="4">Im Amt, in der Kanzlei, bemühte ich mich sogar, niemanden anzusehen, und stellte fest, daß meine Amtskollegen mich nicht nur für einen Sonderling hielten, sondern mich – immer wieder glaubte ich es zu beobachten – mit einem gewissen Ekel betrachteten.</sentence>
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<sentence num="5">Immer wieder ging es mir durch den Sinn: Warum glaubt keiner außer mir, daß man ihn mit Ekel betrachtet?</sentence>
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<sentence num="6">Einer unserer Kanzleibeamten hatte ein abscheuliches, pockennarbiges Gesicht, ein Verbrechergesicht, könnte man sagen.</sentence>
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<sentence num="7">Ich glaube, ich hätte es nicht gewagt, mit einem so unanständigen Gesicht irgend jemanden auch nur anzublicken.</sentence>
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<sentence num="8">Ein anderer hatte eine so abgetragene Uniform, daß es in seiner Nähe schon übel roch. Indessen genierte sich kein einziger von diesen Herrschaften – weder seiner Kleider oder seines Gesichts wegen noch aus sonst irgendeinem moralischen Grund.</sentence>
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<sentence num="9">Weder der eine noch der andere hat sich je eingebildet, daß man vor ihm Ekel empfinden könnte; und selbst wenn sie es sich eingebildet hätten, sie hätten sich nichts daraus gemacht, solange nur die Vorgesetzten dies nicht zu tun geruhten.</sentence>
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<sentence num="10">Jetzt ist mir vollkommen klar, daß ich mich selbst, infolge meiner grenzenlosen Eitelkeit, meiner grenzenlosen Ansprüche an mich selbst, ziemlich oft mit rasendem Mißmut betrachtete, einem Mißmut, der sich bis zum Abscheu steigerte, und so schrieb ich denn mein eigenes Empfinden allen anderen zu.</sentence>
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<sentence num="11">Ich haßte beispielsweise mein Gesicht, fand es widerwärtig, vermutete, daß es irgendeinen niederträchtigen Ausdruck habe, und quälte mich deshalb, wenn ich ins Amt kam, immer damit, möglichst ungezwungen zu erscheinen, damit man mich keiner Niedertracht verdächtige, und in meinem Gesicht möglichst viel Edelmut auszudrücken.</sentence>
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<sentence num="12">“Mag es auch ein unschönes Gesicht sein”, dachte ich, “dafür soll es edel, ausdrucksvoll und vor allem Unsere Kanzlisten haßte ich natürlich, vom ersten bis zum letzten, verachtete sie alle, zugleich aber fürchtete ich sie auch gewissermaßen.</sentence>
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<sentence num="13">Es kam vor, daß ich sie sogar plötzlich über mich erhob.</sentence>
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<sentence num="14">Das geschah bei mir damals immer ganz plötzlich, bald verachtete ich sie, bald erhob ich sie über mich.</sentence>
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<sentence num="15">Ein gebildeter und anständiger Mensch kann nicht ehrgeizig sein, ohne dabei grenzenlose Ansprüche an sich selbst zu stellen und sich in manchen Augenblicken glühend zu verachten.</sentence>
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<sentence num="16">Aber ob ich zu ihm hinab- oder hinaufblickte, ich schlug doch vor jedem Menschen die Augen nieder.</sentence>
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<sentence num="17">Ich stellte daraufhin sogar Versuche an: Würde ich den Blick wenigstens dieses Menschen aushalten können?</sentence>
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<sentence num="18">Und jedesmal habe ich als erster die Augen niedergeschlagen.</sentence>
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<sentence num="19">Das quälte mich bis zur Raserei.</sentence>
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<sentence num="20">Außerdem fürchtete ich mich krankhaft, lächerlich zu sein, darum vergötterte ich sklavisch jegliche Routine in allen Äußerlichkeiten; mit Hingabe bewegte ich mich in ausgetretenen Spuren und erschrak aus ganzer Seele vor jeder Exzentrizität in mir.</sentence>
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<sentence num="21">Aber wie sollte ich das aushalten? Ich war entwickelt bis zum Krankhaften, wie es sich für einen Menschen unserer Zeit gehört.</sentence>
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<sentence num="22">Sie aber waren alle stumpfsinnig und glichen einander wie die Hammel einer Herde.</sentence>
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<sentence num="23">Vielleicht schien es mir als einzigem in der ganzen Kanzlei, daß ich ein Feigling und Sklave sei, vielleicht schien es mir gerade deshalb so, weil ich so entwickelt war.</sentence>
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<sentence num="24">Aber es schien mir nicht nur so, sondern es war auch wirklich der Fall: ich war ein Feigling und ein Sklave. Ich sage das ohne jede Verlegenheit. Jeder anständige Mensch unserer Zeit ist ein Feigling oder ein Sklave und muß es sein.</sentence>
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<sentence num="25">Das ist sein normaler Zustand.</sentence>
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<sentence num="26">Davon bin ich tief überzeugt.</sentence>
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<sentence num="27">So ist er beschaffen und dafür ist er geschaffen.</sentence>
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<sentence num="28">Und nicht nur in der Gegenwart, nicht nur infolge irgendwelcher zufälligen Umstände, sondern überhaupt zu allen Zeiten muß ein anständiger Mensch ein Feigling und Sklave sein.</sentence>
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<sentence num="29">Das ist ein Naturgesetz für alle anständigen Menschen auf Erden.</sentence>
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<sentence num="30">Und sollte es einmal vorkommen, daß einer von ihnen sich tapfer zeigt, so braucht er sich deshalb noch nichts einzubilden und sich nicht gleich am eigenen Mut zu berauschen; bei nächster Gelegenheit wird er schon den kürzeren ziehen.</sentence>
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<sentence num="31">Das ist seine einzige und ewige Aussicht.</sentence>
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<sentence num="32">Tapfer sind nur die Esel und ihre Bastarde und selbst die nur bis zu der bewußten Mauer.</sentence>
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<sentence num="33">Aber es lohnt nicht, sie weiter zu beachten, denn sie spielen überhaupt keine Rolle.</sentence>
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<sentence num="34">Und noch ein Umstand quälte mich damals: daß mir niemand glich und auch ich keinem ähnlich war.</sentence>
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<sentence num="35">“Ich bin Einer, und sie sind Daraus ist zu ersehen, daß ich noch ein ganz grüner Junge war.</sentence>
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<sentence num="36">Mitunter geschah aber auch das Entgegengesetzte.</sentence>
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<sentence num="37">Zuweilen widerte mich der Dienst über alle Maßen an; es ging so weit, daß ich häufig ganz krank aus der Kanzlei nach Hause kam.</sentence>
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<sentence num="38">Und plötzlich beginnt dann wiederum, mir nichts, dir nichts, eine Periode der Skepsis und Gleichgültigkeit (bei mir geschah alles in Perioden), und siehe, da lache ich selbst über meine Unduldsamkeit und meinen Ekel und werfe mir Romantizismus vor.</sentence>
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<sentence num="39">Bald will ich überhaupt nicht reden, bald werde ich nicht nur gesprächig, sondern sogar zutraulich. Der ganze Ekel ist im Handumdrehn, mir nichts, dir nichts, verflogen.</sentence>
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<sentence num="40">Wer weiß, vielleicht war ich auch nie von ihm befallen, vielleicht war er nur gespielt, angelesen?</sentence>
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<sentence num="41">Bis jetzt habe ich diese Frage noch nicht lösen können.</sentence>
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<sentence num="42">Einmal hatte ich mich schon ganz mit den Anderen angefreundet, ich machte ihnen meine Aufwartung, spielte Préférence, trank Wodka, unterhielt mich über nationalökonomische Fragen… Aber erlauben Sie mir, hier einige vom Thema abweichende Worte einzuschalten.</sentence>
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<sentence num="43">Bei uns Russen, ganz allgemein gesprochen, hat es niemals jene törichten deutschen und besonders französischen Romantiker gegeben, die über den Sternen thronen und sich durch nichts beirren lassen, mag auch die Erde unter ihnen bersten, mag auch ganz Frankreich auf den Barrikaden zugrunde gehen – sie bleiben immer dieselben, sie werden sich nicht einmal anstandshalber verändern, und sie singen ihre weltentrückten Lieder fort, bis an ihr Lebensende, denn sie sind Toren.</sentence>
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<sentence num="44">Bei uns, das heißt in russischen Landen, gibt es keine Toren; das weiß jeder: eben dadurch unterscheiden wir uns von den übrigen europäischen Ländern.</sentence>
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<sentence num="45">Folglich gibt es bei uns keine weltentrückten Naturen in Reinkultur.</sentence>
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<sentence num="46">Das haben unsere damaligen ›positiven‹ Publizisten und Kritiker auf der Jagd nach Kostanschoglo und Onkelchen Pjotr Iwanowitsch, die sie törichterweise für unser aller Ideal gehalten haben, unseren Romantikern in die Schuhe geschoben, indem sie diese für ebenso weltentrückt hielten wie jene in Deutschland oder in Frankreich.</sentence>
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<sentence num="47">Im Gegenteil, die Eigenschaften unseres Romantikers sind denen des europäisch-weltentrückten gerade entgegengesetzt und lassen sich darum mit keinem europäischen Maß messen.</sentence>
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<sentence num="48">(Sie müssen mir schon gestatten, dieses Wort ›Romantiker‹ zu gebrauchen.</sentence>
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<sentence num="49">Ein althergebrachtes Wörtchen, ehrwürdig, verdient und geläufig.)</sentence>
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<sentence num="50">Die Eigenschaften unseres Romantikers sind: alles verstehen, Diese Vielseitigkeit ist wahrlich erstaunlich, und Gott mag wissen, wozu sie sich unter künftigen Verhältnissen noch entwickeln und was sie dann in folgenden Zeiten uns bescheren wird?</sentence>
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<sentence num="51">Die Aussichten sind wirklich nicht schlecht! Ich sage das nicht etwa aus irgendeinem lächerlichen und hausbackenen Patriotismus.</sentence>
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<sentence num="52">Übrigens bin ich überzeugt, daß Sie wohl wieder glauben, ich scherze.</sentence>
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<sentence num="53">Vielleicht auch umgekehrt, das heißt, vielleicht sind Sie überzeugt, daß ich tatsächlich so denke.</sentence>
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<sentence num="54">Wie dem auch sei, meine Herrschaften, ich werde Ihre beiden Meinungen mir zur Ehre und zum besonderen Vergnügen anrechnen, und meine Abschweifungen wollen Sie mir bitte verzeihen.</sentence>
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<sentence num="55">Die Freundschaft mit meinen Kollegen hielt ich natürlich nicht lange durch, ich überwarf mich sehr bald mit ihnen, und infolge meiner damaligen jugendlichen Unreife hörte ich sogar auf, sie zu grüßen, wie abgeschnitten.</sentence>
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<sentence num="56">Übrigens geschah das nur ein einziges Mal. Im allgemeinen war ich ganz allein.</sentence>
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<sentence num="57">Zu Hause las ich meist, wollte ich doch durch äußere Reize alles in mir unaufhörlich Brodelnde unterdrücken.</sentence>
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<sentence num="58">Und von allen äußeren Reizen gab es für mich nur das Lesen.</sentence>
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<sentence num="59">Das Lesen natürlich hat oft geholfen – es regte auf, erquickte und quälte. Mitunter aber wurde ich seiner entsetzlich überdrüssig.</sentence>
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<sentence num="60">Immerhin wollte man sich bewegen.</sentence>
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<sentence num="61">So ergab ich mich dunklen, kellerhaften, widerlichen – nicht eigentlich Liederlichkeiten, sondern kleinen, schäbigen Liederlichkeiten.</sentence>
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<sentence num="62">In mir steckte eine scharfe, brennende, ständig krankhaft reizbare Leidenschaftlichkeit. Die Ausbrüche waren hysterisch, mit Tränen und Krämpfen.</sentence>
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<sentence num="63">Lesen war die einzige Zuflucht – das heißt, es gab nichts, was ich in meiner ganzen Umgebung hätte achten oder für erstrebenswert halten können.</sentence>
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<sentence num="64">Außerdem stieg die Langeweile auf; hysterisches Verlangen nach Widersprüchen, nach Kontrasten überkam mich, und so stürzte ich mich in Liederlichkeiten.</sentence>
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<sentence num="65">Das sage ich durchaus nicht zu meiner Rechtfertigung… Doch nein, stimmt nicht!</sentence>
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<sentence num="66">Gelogen! Ich habe mich ja gerade rechtfertigen wollen.</sentence>
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<sentence num="67">Diese Bemerkung mache ich nur für mich, meine Herrschaften, für mich allein.</sentence>
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<sentence num="68">Ich will nicht lügen. Ich habe mir das Wort gegeben.</sentence>
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<sentence num="69">Ich trieb mein Unwesen verstohlen, nachts, heimlich, ängstlich, schmutzig, mit einer Scham, die mich selbst in den ekelhaftesten Minuten nicht verließ, ja sogar gerade in solchen Minuten zu einem Fluch wurde.</sentence>
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<sentence num="70">Schon damals trug ich das Kellerloch in meiner Seele. Ich fürchtete mich bis zum Entsetzen, daß man mich vielleicht irgendwie sehen, mir begegnen, mich erkennen könnte.</sentence>
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<sentence num="71">Ich suchte die dunkelsten Gegenden auf.</sentence>
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<sentence num="72">Einmal, als ich nachts an einem schäbigen Restaurant vorüberkam, sah ich durch das Fenster, wie sich einige Herrschaften am Billard mit den Queues prügelten und wie dann jemand durchs Fenster hinausbefördert wurde.</sentence>
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<sentence num="73">Zu jeder anderen Zeit hätte es mich angewidert; damals jedoch kam plötzlich eine solche Stimmung über mich, daß ich diesen hinausgeworfenen Herrn einfach beneidete, dermaßen beneidete, daß ich sofort hineinging und das Billardzimmer betrat: “Vielleicht werde ich mich auch prügeln und auch durch das Fenster hinausfliegen.” Ich war nicht betrunken, aber was soll man machen – die Langeweile kann einen bis zur Hysterie quälen!</sentence>
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<sentence num="74">Es wurde aber nichts daraus.</sentence>
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<sentence num="75">Es hat sich herausgestellt, daß ich nicht einmal zum Fenstersprung befähigt war, ich ging unverprügelt fort. Gleich im ersten Moment wurde ich von einem Offizier abgefertigt.</sentence>
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<sentence num="76">Ich stand am Billard und versperrte ihm ahnungslos den Weg, er aber mußte vorbei; so packte er mich denn an den Schultern – ohne Warnung oder Erklärung –, stellte mich von dem Platz, wo ich stand, auf einen anderen und ging weiter, als hätte er überhaupt nichts bemerkt.</sentence>
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<sentence num="77">Ich hätte sogar Prügel verziehen, doch ich konnte keineswegs verzeihen, daß er mich so einfach beiseite stellte und vollständig übersah.</sentence>
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<sentence num="78">Der Teufel weiß, was ich damals nicht alles für einen wirklichen, richtigen Streit gegeben hätte, für einen anständigeren, für einen – sagen wir – mehr Ich verließ das Restaurant verwirrt und erregt, ging geradewegs nach Hause, am nächsten Tag aber setzte ich meine Ausschweifungen wieder fort, noch zaghafter, noch schüchterner, noch trauriger als zuvor, gleichsam mit Tränen in den Augen – aber ich setzte sie fort.</sentence>
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<sentence num="79">Sie brauchen übrigens nicht zu glauben, daß ich aus Feigheit mich vor dem Offizier feige verzogen habe: in meiner Seele bin ich niemals feige gewesen, wenn ich mich auch im Leben immer feige benommen habe, aber – lachen Sie nicht – dafür gibt es eine Erklärung; ich habe für alles eine Erklärung, seien Sie überzeugt.</sentence>
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<sentence num="80">Oh, wenn dieser Offizier zu denjenigen gehört hätte, die sich zu duellieren pflegen! Aber nein – das war gerade einer von jenen (leider schon längst nicht mehr vorhandenen) Herrschaften, die es vorzogen, mit dem Queue oder, wie der Leutnant Pirogow bei Gogol, vermittels ihres Vorgesetzten zu handeln.</sentence>
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<sentence num="81">Fordern jedoch lassen sie sich nie; und sich mit unsereinem zu schlagen, würden sie unter allen Umständen für ungehörig halten – überhaupt halten sie das Duell für etwas Verrücktes, Freidenkerisches, Französisches, teilen aber selbst nicht selten Beleidigungen aus, besonders wenn sie von hünenhafter Gestalt sind.</sentence>
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<sentence num="82">Ich habe mich nicht aus Feigheit feige verzogen, sondern aus grenzenloser Eitelkeit.</sentence>
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<sentence num="83">Nicht vor der hünenhaften Gestalt schreckte ich zurück und auch nicht vor der Aussicht, schmerzhaft verprügelt und aus dem Fenster geworfen zu werden; physischen Mut hatte ich wahrlich genug; aber der moralische Mut reichte nicht hin.</sentence>
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<sentence num="84">Ich fürchtete, daß die Anwesenden alle – von dem unverschämten Marqueur bis zu dem letzten ranzigen, finnigen kleinen Beamten, der sich dort herumtrieb, mit speckigem Kragen – mich nicht verstehen und mich auslachen würden, sobald ich protestierte und literarisch mit ihnen redete.</sentence>
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<sentence num="85">Denn von dem Ehrenstandpunkt – nicht von der Ehre, sondern eben vom Ehrenstandpunkt Schon damals begann ich auf den Geschmack jener Genüsse zu kommen, die ich bereits im ersten Kapitel erwähnt habe.</sentence>
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<sentence num="86">Nach der Geschichte mit dem Offizier aber zog es mich noch mehr dorthin: gerade auf dem Newskij traf ich ihn am häufigsten, gerade dort konnte ich mich an ihm satt sehen. Auch er ging dort vornehmlich an Feiertagen spazieren.</sentence>
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<sentence num="87">Wenn er auch vor Generälen und Personen von Rang Platz machte und zwischen diesen sich wie ein Aal hindurchschlängelte, so wurde doch unsereiner, ja sogar mancher, der um einiges besser war, von ihm einfach überfahren; auf solche ging er geradewegs los, als sei vor ihm leerer Raum, und machte unter keinen Umständen Platz.</sentence>
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<sentence num="88">Ich berauschte mich an meinem Haß, wenn ich ihn beobachtete, und wich ihm jedesmal voll Haß aus.</sentence>
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<sentence num="89">Es quälte mich, daß ich ihm selbst auf der Straße nicht standhalten konnte.</sentence>
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<sentence num="90">“Warum weichst du unbedingt als erster aus?” fragte ich mich in rasender Erregung, wenn ich zuweilen gegen drei Uhr nachts erwachte, “warum denn gerade du und nicht er?</sentence>
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<sentence num="91">Dafür gibt es doch kein Gesetz, das steht doch nirgends geschrieben.</sentence>
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<sentence num="92">Nun, kann es denn nicht halb und halb sein, wie es zu sein pflegt, wenn höfliche Leute sich begegnen: er gibt halb nach und du gibst halb nach, ihr geht beide einfach aneinander vorbei, in gegenseitiger Hochachtung.” Doch das geschah nie, nach wie vor machte nur ich Platz, er aber bemerkte nicht einmal, daß ich ihm auswich.</sentence>
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<sentence num="93">– Da kam mir plötzlich der allerverblüffendste Gedanke: “Wie aber”, dachte ich, “wie wäre es, wenn ich ihm begegnete und… nicht auswiche?</sentence>
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<sentence num="94">Absichtlich nicht auswiche, und wenn ich ihn auch anstoßen sollte; wie wäre das?” Dieser kühne Gedanke bemächtigte sich meiner allmählich derart, daß ich überhaupt keine Ruhe mehr finden konnte.</sentence>
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<sentence num="95">Ich träumte ununterbrochen davon, es war ganz fürchterlich, und ich ging absichtlich öfters auf den Newskij, um mir noch deutlicher auszumalen, wie ich es machen würde, wenn ich es täte.</sentence>
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<sentence num="96">Ich war entzückt. Immer mehr erschien mir mein Vorhaben ebenso wahrscheinlich wie ausführbar.</sentence>
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<sentence num="97">“Versteht sich, nicht umrennen”, dachte ich, schon im voraus vor Freude wohlwollend gestimmt, “sondern nur einfach nicht ausweichen.</sentence>
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<sentence num="98">Zusammenstoßen, aber nicht schmerzhaft, nur so, Schulter an Schulter, gerade so stark, wie es der Anstand erlaubt; so daß ich ihn ebenso stark stoße, wie er mich stößt.” Endlich entschloß ich mich endgültig.</sentence>
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<sentence num="99">Doch die Vorbereitungen nahmen sehr viel Zeit in Anspruch.</sentence>
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<sentence num="100">Vor allen Dingen mußte man für die Ausführung möglichst respektabel aussehen und sich um seine Kleider kümmern.</sentence>
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<sentence num="101">“Auf alle Fälle, wenn dabei zum Beispiel ein Auflauf entsteht (das Publikum nämlich ist hier superfein: die Gräfin kommt, Fürst D. kommt, die ganze Literatur kommt), muß man doch gut angezogen sein; das imponiert und hebt uns gewissermaßen in den Augen der höheren Gesellschaft auf die gleiche Stufe.” Zu diesem Zweck erbettelte ich mir einen Vorschuß und kaufte dann im besten Herrengeschäft ein Paar schwarze Handschuhe und einen anständigen Hut.</sentence>
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<sentence num="102">Schwarze Handschuhe erschienen mir sowohl seriöser als auch mehr</sentence>
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<chapter num="13" name="Zweiter Teil - Kapitel II">
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<sentence num="1"> Näherte sich aber die Zeit meiner Ausschweifungen ihrem Ende, so wurde mir entsetzlich übel. Es kam die Reue, ich verjagte sie: es war nicht zum Aushalten.</sentence>
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<sentence num="2">Mit der Zeit aber gewöhnte ich mich auch daran. Ich gewöhnte mich ja an alles, das heißt, nicht daß ich mich eigentlich gewöhnte, vielmehr willigte ich gewissermaßen freiwillig ein, alles auszuhalten.</sentence>
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<sentence num="3">Doch hatte ich einen Ausweg, der mich voll und ganz entschädigte, nämlich – in alles ›Schöne und Erhabene‹ zu entfliehen, natürlich nur in meinen Träumen.</sentence>
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<sentence num="4">Ich träumte fürchterlich viel. Ich träumte zuweilen drei Monate lang in einem Zug, in meinen Winkel verkrochen; und Sie können es mir schon glauben, daß ich in diesen Augenblicken durchaus nicht jenem Herrn glich, der in der Verwirrung seines Hühnerherzens einen deutschen Biber an den Kragen seines Mantels nähte.</sentence>
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<sentence num="5">Ich wurde plötzlich ein Held. Ich hätte den hünenhaften Leutnant nicht einmal empfangen, ich konnte ihn mir nicht einmal vorstellen zu dieser Zeit. Welcher Art mein Träumen war und wie es mir genügen konnte – das ist jetzt schwer zu sagen, doch damals genügte es mir vollkommen. Übrigens genügt es mir ja auch teilweise jetzt noch.</sentence>
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<sentence num="6">Die süßesten und farbigsten Träume kamen mir nach meinen jämmerlichen Ausschweifungen.</sentence>
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<sentence num="7">Sie kamen mit Reue und Tränen, mit Fluch und Entzücken.</sentence>
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<sentence num="8">Augenblicke gab es, in denen meine Wonnen und mein Glück so eindeutig waren, daß ich nicht den leisesten Hohn empfand, bei Gott.</sentence>
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<sentence num="9">Nichts als Glaube, Hoffnung, Liebe.</sentence>
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<sentence num="10">Das war es ja, daß ich dann blind daran glaubte, durch irgendein Wunder, durch irgendein äußeres Ereignis, würde dieses alles plötzlich sich dehnen und weiten; und plötzlich würde sich das weite Feld einer mir entsprechenden Tätigkeit eröffnen, einer segensreichen, schönen und vor allen Dingen einer Aber wieviel Liebe, Herrgott, wieviel Liebe erlebte ich zuweilen in diesen meinen Träumen, in dieser ›Zuflucht bei allem Schönen und Erhabenen‹: wenn es auch eine phantastische Liebe war, wenn sie sich auch in Wirklichkeit niemals auf Menschliches richtete, so gab es ihrer so viel, dieser Liebe, daß man später, in Wirklichkeit, gar kein Bedürfnis empfand, sie zu verwenden: das wäre schon ganz überflüssiger Luxus gewesen.</sentence>
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<sentence num="11">Übrigens mündete alles immer überaus glücklich, tatenlos und schwelgend im Reich der Kunst, das heißt in schönen, fix und fertigen Formen des Seins, unverkennbar den Dichtern und Romanschriftstellern entliehen und allen möglichen Anforderungen und Dienstleistungen angepaßt.</sentence>
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<sentence num="12">Ich triumphiere zum Beispiel über alle; selbstverständlich liegen alle im Staube vor mir und sind gezwungen, freiwillig meine sämtlichen Vollkommenheiten anzuerkennen, ich aber vergebe ihnen allen.</sentence>
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<sentence num="13">Ich verliebe mich als berühmter Dichter und Kammerherr; bekomme unzählige Millionen und opfere sie sofort für das Wohl der Menschheit, zu gleicher Zeit aber beichte ich vor dem ganzen Volk alle meine Sünden, die selbstverständlich keine gewöhnlichen Sünden sind, sondern ungemein viel ›Schönes und Erhabenes‹ in sich schließen, irgend etwas à la Manfred. Alle weinen und küssen mich (sie wären doch dumm, wenn sie das nicht täten), ich aber ziehe barfüßig und hungrig von dannen, um neue Ideen zu verkünden, und schlage die Reaktionäre bei Austerlitz.</sentence>
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<sentence num="14">Darauf erklingt ein Marsch, eine Amnestie wird erlassen, der Papst erklärt sich bereit, von Rom nach Brasilien überzusiedeln; darauf ein Ball für ganz Italien in der Villa Borghese, die aber am Comer See liegt, so daß der Comer See einzig zu diesem Zweck nach Rom verlegt ist, darauf eine Szene im Boskett usw. usw. – das kennen Sie doch auch?</sentence>
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<sentence num="15">Sie werden sagen, daß es niedrig und gemein sei, alles das jetzt auf den Markt zu tragen, nach soviel Begeisterung und Tränen, die ich selbst eingestanden hätte. Aber warum soll es denn gemein sein, mit Verlaub?</sentence>
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<sentence num="16">Glauben Sie denn wirklich, daß ich mich all dessen schäme und daß all dies dümmer sei als irgend etwas in Ihrem Leben, meine Herrschaften? Zudem, Sie können mir glauben, war bei mir manches durchaus nicht schlecht komponiert.</sentence>
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<sentence num="17">Es spielte sich nicht alles am Comer See ab. Übrigens haben Sie recht; es ist wirklich niedrig und gemein, aber das gemeinste ist, daß ich mich jetzt vor Ihnen zu rechtfertigen suche. Aber noch gemeiner ist, daß ich jetzt diese Bemerkung mache. Doch genug, sonst käme man überhaupt nie auf einen Grund: immer wird das eine noch gemeiner sein als das andere… Ich war nicht imstande, länger als drei Monate hintereinander zu träumen und empfand dann ein unüberwindliches Bedürfnis, mich in menschliche Gesellschaft zu stürzen.</sentence>
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<sentence num="18">Mich in menschliche Gesellschaft stürzen bedeutete, einen Besuch bei meinem Bürovorsteher Anton Antonytsch Setotschkin machen.</sentence>
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<sentence num="19">Das war der einzige ständige Bekannte in meinem ganzen Leben, und heute wundere ich mich selbst über diesen Umstand. Doch auch zu ihm ging ich erst dann, wenn eine solche Phase anbrach und meine Träume einen solchen Glücksgrad erreichten, daß ich unbedingt und unverzüglich Menschen und die ganze Menschheit umarmen mußte.</sentence>
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<sentence num="20">Zu dem Zweck aber mußte wenigstens ein Mensch vorhanden sein, ein wirklich existierender Mensch.</sentence>
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<sentence num="21">Anton Antonytsch konnte man übrigens nur dienstags besuchen (das war sein Übrigens gab es da noch einen Bekannten, Simonow, meinen ehemaligen Schulkameraden.</sentence>
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<sentence num="22">Solche Schulkameraden hatte ich genaugenommen mehrere in Petersburg, doch verkehrte ich mit ihnen nicht und hörte sogar auf, sie auf der Straße zu grüßen. Vielleicht trat ich nur aus dem einen Grunde in ein anderes Amt ein, um ihnen aus dem Weg zu gehen und sie samt meiner verhaßten Kindheit hinter mir zu lassen. Fluch über diese Schule, über diese furchtbaren Zuchthausjahre! Mit einem Wort, ich wollte von meinen Kameraden nichts mehr wissen, sobald ich in die Freiheit entlassen war.</sentence>
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<sentence num="23">Es blieben höchstens zwei, drei Menschen, die ich, wenn wir uns trafen, noch grüßte. Zu diesen gehörte auch Simonow, der sich in der Schule durch nichts ausgezeichnet hatte, still und ausgeglichen war, in dessen Charakter ich aber eine gewisse Unabhängigkeit und sogar Ehrlichkeit entdeckte. Ich glaube nicht einmal, daß er besonders beschränkt war. Früher hatten wir ziemlich helle Stunden miteinander, aber das hielt nicht lange an, und sie verdüsterten sich plötzlich.</sentence>
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<sentence num="24">Offenbar waren ihm diese Erinnerungen peinlich, und er fürchtete jedesmal, wie es schien, ich könnte in den alten Ton fallen. Ich vermutete, daß ich ihn abstieß, fuhr aber fort, ihn zu besuchen, da ich nicht ganz davon überzeugt war.</sentence>
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<sentence num="25">Und einmal, an einem Donnerstag, als ich meine Einsamkeit nicht mehr ertragen konnte und wußte, daß donnerstags Anton Antonytschs Tür verschlossen war, erinnerte ich mich an Simonow. Während ich zu ihm in den vierten Stock hinaufstieg, dachte ich, daß ich diesem Herrn nur lästig wäre und daher eigentlich nicht zu ihm gehen sollte. Doch da es bei mir immer so endete, daß gerade derartige Überlegungen mich veranlaßten, eine für mich zweideutige Situation heraufzubeschwören, trat ich trotzdem ein. Es war fast ein ganzes Jahr vergangen, seit ich Simonow zum letztenmal gesehen hatte.</sentence>
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<chapter num="14" name="Zweiter Teil - Kapitel III">
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<sentence num="1"> Ich traf bei ihm noch zwei meiner früheren Schulkameraden an.</sentence>
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<sentence num="2">Offensichtlich besprachen sie etwas sehr Wichtiges.</sentence>
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<sentence num="3">Meinem Eintritt schenkte keiner von ihnen sonderliche Aufmerksamkeit, was eigentlich seltsam war, denn wir hatten uns jahrelang nicht gesehen.</sentence>
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<sentence num="4">Augenscheinlich hielt man mich für eine Art ganz gewöhnlicher Fliege.</sentence>
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<sentence num="5">So hat man mich nicht einmal in der Schule behandelt, obgleich mich dort alle haßten.</sentence>
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<sentence num="6">Ich verstand natürlich, daß sie mich jetzt verachten mußten, weil ich keine Karriere machte, weil ich mich gehenließ, wegen der schlechten Kleidung usw. – was in ihren Augen geradezu das Aushängeschild für meine Unfähigkeit und Bedeutungslosigkeit war.</sentence>
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<sentence num="7">Trotzdem hatte ich keine derart tiefe Verachtung erwartet.</sentence>
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<sentence num="8">Simonow staunte sogar über meinen Besuch.</sentence>
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<sentence num="9">Auch früher hatte er sich schon immer über mein Kommen gewundert.</sentence>
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<sentence num="10">Alles das machte mich stutzig; bedrückt setzte ich mich und hörte ihrem Gespräch zu.</sentence>
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<sentence num="11">Man sprach mit Ernst und sogar mit Feuer über das Abschiedsdiner, das diese Herrschaften schon morgen ihrem Freund Swerkow geben wollten, einem Offizier, der sehr weit weg versetzt werden sollte.</sentence>
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<sentence num="12">Monsieur Swerkow war gleichfalls von der ersten Klasse an mein Mitschüler gewesen.</sentence>
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<sentence num="13">In den oberen Klassen hatte ich ihn ganz besonders zu hassen begonnen.</sentence>
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<sentence num="14">In den unteren Klassen war er bloß ein hübscher lustiger Knabe gewesen, den alle liebten.</sentence>
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<sentence num="15">Übrigens haßte ich ihn auch schon in den unteren Klassen eben gerade deshalb, weil er hübsch und lustig war.</sentence>
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<sentence num="16">Er lernte von Anfang an schlecht und im Lauf der Jahre immer schlechter; trotzdem schloß er die Schule erfolgreich ab, denn er hatte Protektion.</sentence>
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<sentence num="17">Im letzten Schuljahr fiel ihm eine Erbschaft zu, zweihundert Seelen, und da wir andern fast alle arm waren, prahlte er sogar vor uns mit seinem Reichtum.</sentence>
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<sentence num="18">Er war ausgesprochen gewöhnlich, doch ein guter Junge, selbst dann, wenn er prahlte.</sentence>
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<sentence num="19">Ungeachtet unserer äußerlichen, phrasenhaften und phantastischen Begriffe von Standesgefühl und Ehre lagen alle, ganz wenige ausgenommen, Swerkow zu Füßen, je mehr er prahlte.</sentence>
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<sentence num="20">Und zwar nicht etwa aus Berechnung, sondern einfach so, weil er ein vom Schicksal favorisierter Mensch war.</sentence>
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<sentence num="21">Zudem war es bei uns üblich, Swerkow für einen Spezialisten in allem zu halten, was Gewandtheit und gute Manieren betraf.</sentence>
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<sentence num="22">Letzteres brachte mich besonders auf.</sentence>
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<sentence num="23">Ich haßte seine scharfe, selbstsichere Stimme, die Bewunderung der eigenen Witze, die bei ihm schrecklich dumm ausfielen, obwohl er eine lockere Zunge hatte; ich haßte sein schönes, aber einfältiges Gesicht (gegen das ich übrigens mit Vergnügen mein Von den beiden Gästen Simonows war der eine Ferfitschkin, ein Deutschrusse – ein Männchen mit einem Affengesicht, ein über alle Welt spottender Dummkopf, mein größter Feind schon aus den untersten Klassen, gemein und frech, ein Aufschneider, und noch dazu mit einem gespielt empfindlichen Ehrgefühl, in Wirklichkeit natürlich ein Hasenfuß.</sentence>
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<sentence num="24">Er gehörte zu jenen Bewunderern Swerkows, die ihn aus Berechnung hofierten und von ihm oft Geld borgten. Der andere Gast Simonows, Trudoljubow, war in keiner Weise bemerkenswert, ein echter Soldat, von hohem Wuchs, mit einer kalten Physiognomie, ziemlich ehrlich, aber jeden Erfolg bewundernd und im übrigen nur fähig, über Beförderung zu reden. Mit Swerkow war er irgendwie entfernt verwandt, und – es ist kaum zu glauben – dieser Umstand verlieh ihm unter uns eine gewisse Bedeutung.</sentence>
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<sentence num="25">Von mir hielt er überhaupt nichts, er behandelte mich zwar nicht sehr höflich, aber immerhin erträglich.</sentence>
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<sentence num="26">»Also«, begann Trudoljubow, »pro Mann sieben Rubel, wir sind zu dritt, macht also einundzwanzig, dafür kann man gut essen. Swerkow zahlt natürlich nichts.« »Selbstverständlich nicht – wir laden ihn doch ein«, entschied Simonow.</sentence>
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<sentence num="27">»Glaubt ihr denn wirklich«, mischte sich Ferfitschkin hochnäsig und eifrig ein – ganz und gar unverschämter Lakai, der mit den Orden seines Herren prahlt –, »glaubt ihr denn wirklich, Swerkow wird uns allein zahlen lassen?</sentence>
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<sentence num="28">Aus Delikatesse wird er es vielleicht annehmen, dafür aber von sich aus ein halbes Dutzend spendieren.« »Nun, sechs Flaschen Champagner sind für uns vier zuviel«, meinte Trudoljubow, dem nur das halbe Dutzend aufgefallen war.</sentence>
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<sentence num="29">»Also wir drei, mit Swerkow vier, einundzwanzig Rubel, im Hôtel de Paris, morgen um fünf«, schloß Simonow, der zum Festordner gewählt worden war.</sentence>
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<sentence num="30">»Wieso einundzwanzig?« sagte ich in einer gewissen Erregung, ja sogar sichtlich gekränkt, »mich mitgerechnet, sind es nicht einundzwanzig, sondern achtundzwanzig Rubel.« Es schien mir, mich so plötzlich und unerwartet anzubieten, würde sich sehr schön ausnehmen, und alle würden augenblicklich besiegt sein und mich voller Hochachtung ansehen.</sentence>
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<sentence num="31">»Wollen Sie denn etwa mit?« sagte Simonow verstimmt, wobei er vermied, mich anzusehen. Er kannte mich durch und durch. Ich war wütend, weil er mich durch und durch kannte. »Aber ich bitte, warum denn nicht?</sentence>
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<sentence num="32">Ich bin doch, glaube ich, auch sein Schulkamerad, und ich fühle mich sogar gekränkt, daß man mich übergangen hat«, begann ich wieder zu grollen.</sentence>
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<sentence num="33">»Wo sollte man Sie denn suchen?« mischte sich Ferfitschkin grob ein. »Sie haben sich mit Swerkow nie gut verstanden«, fügte Trudoljubow stirnrunzelnd hinzu. Aber ich biß mich fest und ließ nicht mehr los.</sentence>
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<sentence num="34">»Ich glaube, keinem steht es zu, darüber zu urteilen«, entgegnete ich mit bebender Stimme, ganz, als ob Gott weiß was geschehen wäre.</sentence>
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<sentence num="35">»Vielleicht will ich es gerade deswegen, weil ich mich früher mit ihm nicht verstanden habe.« »Nun, wer kann das ahnen… diese Feinheiten… «, lächelte Trudoljubow.</sentence>
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<sentence num="36">»Gut, Sie werden eingetragen«, entschied Simonow, sich an mich wendend, »morgen um fünf im Hôtel de Paris; vergessen Sie es nicht.« »Das Geld!« begann Ferfitschkin halblaut, indem er auf mich zeigte, verstummte aber, da sogar Simonow verlegen wurde.</sentence>
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<sentence num="37">»Genug«, sagte Trudoljubow und erhob sich. »Wenn ihm so viel daran liegt, mag er nur kommen.« »Aber wir sind doch im engsten Kreise, ganz unter uns«, giftete Ferfitschkin und griff gleichfalls nach seinem Hut.</sentence>
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<sentence num="38">»Das ist doch keine offizielle Veranstaltung. Vielleicht sind Sie überhaupt unerwünscht.« Sie gingen. Ferfitschkin grüßte mich nicht einmal, Trudoljubow nickte kaum, ohne aufzublicken.</sentence>
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<sentence num="39">Simonow, mit dem ich nun allein blieb, verharrte in ärgerlicher Verwunderung und blickte mich sonderbar an. Er setzte sich nicht und forderte mich auch nicht auf, Platz zu nehmen. »Hm!… Ja… also morgen. Wollen Sie mir das Geld gleich geben?</sentence>
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<sentence num="40">Ich meine der Ordnung halber«, murmelte er verlegen.</sentence>
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<sentence num="41">Ich wurde rot, aber während ich rot wurde, erinnerte ich mich daran, daß ich Simonow seit undenklichen Zeiten fünfzehn Rubel schuldete, was ich übrigens nie vergaß, die ich ihm aber noch immer nicht zurückgegeben hatte.</sentence>
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<sentence num="42">»Geben Sie doch zu, Simonow, daß ich nicht wissen konnte, als ich herkam… und es tut mir sehr leid, daß ich vergaß… « »Schon gut, schon gut, egal, Sie zahlen morgen beim Diner.</sentence>
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<sentence num="43">Ich wollte nur wissen… bitte… « Er verstummte und begann im Zimmer auf und ab zu gehen, noch ungehaltener. Beim Gehen trat er jetzt mit den Absätzen auf und stampfte immer lauter.</sentence>
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<sentence num="44">»Ich halte Sie doch nicht auf?« fragte ich nach einem Schweigen, das zwei Minuten lang angehalten hatte. »O nein«, fuhr er plötzlich auf, »das heißt, im Grunde ja.</sentence>
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<sentence num="45">Sehen Sie, ich hätte noch etwas zu besorgen… hier in der Nähe… «, fügte er mit irgendwie schuldbewußter Stimme hinzu, ein wenig verlegen.</sentence>
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<sentence num="46">»Ach, mein Gott, warum haben Sie das nicht gleich gesagt«, rief ich, indem ich nach meiner Mütze griff, und zwar mit erstaunlicher Ungezwungenheit, die Gott weiß woher über mich kam.</sentence>
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<sentence num="47">»Es ist ja nicht weit… ein paar Schritte… «, wiederholte Simonow, als er mich durch den Flur begleitete, mit einer Geschäftigkeit, die ihm durchaus nicht zu Gesicht stand.</sentence>
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<sentence num="48">»Also morgen Punkt fünf!« rief er mir nach, als ich bereits auf der Treppe stand; er war zu froh, daß ich ging.</sentence>
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<sentence num="49">Ich war rasend vor Wut.</sentence>
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<sentence num="50">“Mußtest du dich einmischen!” knirschte ich mit den Zähnen, indem ich durch die Straßen lief, “ausgerechnet diesem Gauner, diesem Ferkel, diesem Swerkow.</sentence>
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<sentence num="51">Selbstverständlich darf man nicht hingehen; selbstverständlich soll sie der Kuckuck holen: bin ich denn etwa verpflichtet hinzugehen?</sentence>
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<sentence num="52">Morgen werde ich Simonow durch die Stadtpost benachrichtigen… ” Aber ich war gerade deshalb so wütend, weil ich mit Sicherheit wußte, daß ich doch hingehen würde, daß ich absichtlich hingehen würde; und je taktloser, je ungehöriger es wäre hinzugehen, um so eher würde ich es tun.</sentence>
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<sentence num="53">Es gab sogar einen positiven Grund, nicht hinzugehen: ich hatte kein Geld.</sentence>
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<sentence num="54">Alles in allem besaß ich neun Rubel.</sentence>
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<sentence num="55">Aber sieben davon mußte ich bereits morgen Apollon, meinem Diener, als Monatsgehalt auszahlen, der mir für sieben Rubel monatlich, bei eigener Kost, aufwartete.</sentence>
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<sentence num="56">Ihn nicht auszuzahlen war unmöglich, da ich Apollons Charakter nur zu gut kannte. Doch auf diese Kanaille, auf dieses Kreuz werde ich noch ausführlich zu sprechen kommen.</sentence>
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<sentence num="57">Übrigens wußte ich ja, daß ich ihn doch nicht entlohnen, sondern unbedingt hingehen würde. In jener Nacht hatte ich die abscheulichsten Träume.</sentence>
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<sentence num="58">Kein Wunder: den ganzen Abend hatten mich Erinnerungen aus den Zuchthausjahren meiner Schulzeit gequält, und ich konnte sie nicht loswerden.</sentence>
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<sentence num="59">In diese Schule war ich von meinen entfernten Verwandten abgeschoben worden, von denen ich abhängig war und die ich seither völlig aus den Augen verloren habe – ich wurde einfach abgeschoben, eine Waise, durch ihre Vorwürfe schon verschüchtert, schon nachdenklich, schweigsam und scheu um mich blickend.</sentence>
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<sentence num="60">Meine Mitschüler empfingen mich mit boshaftem und unbarmherzigem Spott, weil ich keinem von ihnen ähnlich war. Ich aber konnte keinen Spott ertragen; ich konnte mich nicht so leicht mit ihnen abfinden, wie sie sich miteinander abgefunden hatten.</sentence>
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<sentence num="61">Ich haßte sie vom ersten Tage an und verschanzte mich vor ihnen hinter einem scheuen, tödlich verwundeten und unbändigen Stolz.</sentence>
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<sentence num="62">Ihre Roheit empörte mich.</sentence>
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<sentence num="63">Sie lachten zynisch über mein Gesicht, über meine unbeholfene Gestalt; und was hatten sie selbst für dumme Gesichter!</sentence>
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<sentence num="64">In unserer Schule nahmen die Gesichter mit der Zeit einen irgendwie ganz besonders dummen und veränderten Ausdruck an.</sentence>
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<sentence num="65">Wie viele prächtige Kinder traten bei uns ein! Nach einigen Jahren war es schon widerlich, sie auch nur anzusehen.</sentence>
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<sentence num="66">Mit sechzehn Jahren wunderte ich mich über sie voller Grimm; schon damals wunderte ich mich über die Kleinlichkeit ihres Denkens, die Dummheit ihrer Beschäftigungen, ihrer Spiele, ihrer Reden.</sentence>
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<sentence num="67">Sie hatten so wenig Verständnis für die notwendigsten Dinge, so wenig Interesse für die auffallendsten und erstaunlichsten Gegenstände, daß ich sie unwillkürlich für unter mir stehende Geschöpfe hielt.</sentence>
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<sentence num="68">Nicht etwa beleidigter Ehrgeiz brachte mich dazu, und kommen Sie mir um Gottes willen nicht mit den bis zur Übelkeit bekannten Gemeinplätzen: ich hätte wohl nur in meinen Träumen gelebt, sie aber hätten schon damals das wirkliche Leben begriffen.</sentence>
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<sentence num="69">Nichts hatten sie begriffen, keinerlei wirkliches Leben.</sentence>
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<sentence num="70">Ich schwöre, das war es ja gerade, was mich an ihnen am meisten ärgerte.</sentence>
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<sentence num="71">Im Gegenteil, die offenkundigste, ins Auge springende Wirklichkeit nahmen sie phantastisch dumm auf und huldigten schon damals nur dem Erfolg.</sentence>
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<sentence num="72">Alles, was zwar im Recht, jedoch erniedrigt und eingeschüchtert war, wurde von ihnen hartherzig und schändlich verhöhnt.</sentence>
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<sentence num="73">Rang galt für Verstand; schon mit sechzehn Jahren hatten sie es auf eine fette Pfründe abgesehen. Natürlich mußte man vieles auf Dummheit und schlechtes Beispiel zurückführen, die sie in ihrer Kindheit und Jugend ununterbrochen umgeben hatten.</sentence>
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<sentence num="74">Lasterhaft waren sie bis zur Ungeheuerlichkeit. Auch hier war manches nur äußerlich, manches gespielter Zynismus.</sentence>
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<sentence num="75">Das Junge und eine gewisse Frische brachen auch bei ihnen durch all das Laster hindurch; aber selbst ihre Frische war abstoßend und äußerte sich als Angeberei.</sentence>
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<sentence num="76">Ich haßte sie maßlos, obgleich ich womöglich noch schlechter war als sie.</sentence>
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<sentence num="77">Sie zahlten mir mit derselben Münze heim und machten aus ihrem Ekel kein Hehl.</sentence>
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<sentence num="78">Doch ich habe mir schon damals ihre Liebe nicht mehr gewünscht; im Gegenteil, ich trachtete nur danach, sie zu erniedrigen.</sentence>
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<sentence num="79">Um mich von ihrem Spott zu befreien, begann ich möglichst eifrig zu lernen und gehörte bald zu den Besten.</sentence>
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<sentence num="80">Das imponierte ihnen.</sentence>
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<sentence num="81">Obendrein begannen sie allmählich zu begreifen, daß ich bereits Bücher las, die sie nicht lesen konnten, und daß ich schon Dinge (die nicht zu unserem speziellen Kursus gehörten) begriff, von denen sie nicht einmal etwas gehört hatten.</sentence>
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<sentence num="82">Sie sahen mich verständnislos und höhnisch an, moralisch aber unterwarfen sie sich um so mehr, als sogar die Lehrer mich in dieser Beziehung bereits auszeichneten.</sentence>
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<sentence num="83">Die Hänseleien hörten auf, doch die Feindseligkeit blieb, und es stellten sich kalte und gezwungene Beziehungen ein.</sentence>
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<sentence num="84">Zu guter Letzt hielt ich es nicht mehr aus: mit den Jahren wuchs in mir das Bedürfnis nach Menschen, nach Freunden.</sentence>
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<sentence num="85">Ich versuchte mich manchen zu nähern, aber stets waren die Beziehungen gekünstelt und gingen bald von selbst wieder ein.</sentence>
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<sentence num="86">Einmal hatte ich sogar einen Freund, aber in meinem Herzen war ich schon ein Despot; ich wollte unbeschränkt über seine Seele herrschen; ich wollte ihm Verachtung für seine Umgebung einpflanzen; ich verlangte von ihm einen hochmütigen und endgültigen Bruch mit dieser Umgebung; ich erschreckte ihn mit meiner leidenschaftlichen Freundschaft.</sentence>
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<sentence num="87">Ich brachte ihn bis zu Tränen, zu Krämpfen; er war eine naive und hingebungsvolle Seele, doch als er sich mir ganz ergeben hatte, begann ich ihn sofort zu hassen und verstieß ihn – ganz als ob ich ihn nur gebraucht hätte, um ihn zu besiegen, um ihn mir zu unterwerfen.</sentence>
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<sentence num="88">Alle jedoch konnte ich nicht besiegen; mein Freund glich auch keinem einzigen unter ihnen und war eine seltene Ausnahme.</sentence>
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<sentence num="89">Meine erste Tat nach dem Verlassen der Schule bestand darin, jene Laufbahn, für die ich vorgesehen war, sofort aufzugeben, um alle Fäden zu zerreißen, die Vergangenheit zu verfluchen und Staub und Asche darauf zu streuen… Und der Teufel mag wissen, weshalb ich mich nach all dem zu diesem Simonow schleppte!… Am nächsten Morgen wachte ich mit Schrecken auf und sprang aufgeregt aus dem Bett, ganz als ob das alles sofort beginnen müßte.</sentence>
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<sentence num="90">Aber ich glaubte, daß noch am selben Tag ein radikaler Umbruch in meinem Leben eintreten, unbedingt eintreten werde.</sentence>
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<sentence num="91">Vielleicht lag es an meiner Unerfahrenheit, aber mein ganzes Leben lang, bei jedem äußeren, wenn auch noch so geringfügigen Ereignis, schien es mir immer, daß auf der Stelle irgendein radikaler Umbruch in meinem Leben eintreten würde.</sentence>
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<sentence num="92">Übrigens begab ich mich wie gewöhnlich in die Kanzlei, machte mich aber schon zwei Stunden früher als üblich davon, um mich zu Hause vorzubereiten.</sentence>
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<sentence num="93">Die Hauptsache ist nur, dachte ich, daß ich nicht als erster erscheine, sonst wird man denken, ich freute mich allzusehr. Doch solcher Hauptsachen gab es Tausende, und sie alle regten mich bis zur Erschöpfung auf.</sentence>
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<sentence num="94">Eigenhändig putzte ich mir noch einmal die Stiefel; Apollon hätte sie um nichts in der Welt zweimal am Tage geputzt, denn er fand, daß das gegen die Ordnung sei.</sentence>
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<sentence num="95">Und so putzte ich sie denn selbst, nachdem ich mich mit der Bürste aus dem Flur davongestohlen hatte, damit er nichts merke und mich später nicht verachte.</sentence>
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<sentence num="96">Darauf untersuchte ich meine Kleider und fand, daß alles alt, abgetragen, schäbig war.</sentence>
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<sentence num="97">Ich war schlampig geworden.</sentence>
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<sentence num="98">Die Vizeuniform war noch am ehesten in Ordnung, aber ich konnte doch nicht in Vizeuniform dinieren.</sentence>
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<sentence num="99">Besonders schlimm war ein riesiger gelber Fleck auf der Hose, gerade auf dem Knie.</sentence>
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<sentence num="100">Ich ahnte schon, daß allein dieser Fleck mich neun Zehntel meiner Würde kosten würde.</sentence>
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<sentence num="101">Allerdings wußte ich auch, daß es unter meiner Würde war, so zu denken. ›Aber jetzt geht es nicht mehr ums Denken: jetzt beginnt die Wirklichkeit‹, dachte ich und verlor immer mehr den Mut. Ich wußte im selben Augenblick ganz genau, daß ich alle diese Tatsachen ungeheuer übertrieb; aber was sollte ich machen, ich konnte mich nicht mehr beherrschen und hatte Schüttelfrost.</sentence>
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<sentence num="102">Verzweifelt malte ich mir aus, wie herablassend und kühl mich dieser ›Schuft‹ Swerkow begrüßen würde; mit welch stumpfsinniger, unüberwindlicher Verachtung dieser Schafskopf Trudoljubow mich betrachten, wie niederträchtig und dreist der Kakerlak Ferfitschkin über mich kichern würde, um sich bei Swerkow einzuschmeicheln; wie vorzüglich Simonow das alles überschauen und mich wegen meiner Eitelkeit und Schwäche verachten würde, und die Hauptsache – wie kläglich, wie Endlich zischte meine kleine erbärmliche Wanduhr fünfmal.</sentence>
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<sentence num="103">Ich nahm meine Mütze und schlüpfte dann, bemüht, ihn nicht anzusehen, an Apollon vorbei, der schon seit dem Morgen auf seinen Lohn wartete, mich aber vor lauter Stolz nicht ansprechen wollte, und fuhr in einem guten Schlitten, den ich für meinen letzten Fünfziger nahm, vornehm am Hôtel de Paris vor.</sentence>
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</chapter>
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<chapter num="15" name="Zweiter Teil - Kapitel IV">
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<sentence num="1"> Schon am Vorabend war mir klar, daß ich als erster eintreffen würde.</sentence>
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<sentence num="2">Aber jetzt war das nicht mehr das schlimmste.</sentence>
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<sentence num="3">Nicht nur, daß noch keiner von ihnen erschienen war, ich konnte nicht einmal unser Zimmer finden.</sentence>
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<sentence num="4">Der Tisch war noch nicht fertig gedeckt.</sentence>
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<sentence num="5">Was sollte das bedeuten?</sentence>
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<sentence num="6">Nach langem Hin und Her erfuhr ich endlich von den Kellnern, daß das Essen auf sechs und nicht auf fünf Uhr bestellt war.</sentence>
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<sentence num="7">Das bestätigte man mir auch am Buffet.</sentence>
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<sentence num="8">Es wurde peinlich, weiter nachzuforschen.</sentence>
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<sentence num="9">Es war erst fünfundzwanzig Minuten nach fünf.</sentence>
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<sentence num="10">Wenn sie schon die Zeit geändert hatten, so wäre es in jedem Falle ihre Pflicht gewesen, mich davon zu unterrichten, dazu gab es die Stadtpost, und mich nicht der ›Schande‹ auszusetzen, sowohl vor mir selbst als auch… auch vor dem Personal.</sentence>
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<sentence num="11">Ich setzte mich; ein Kellner deckte den Tisch; in seiner Gegenwart war das Warten noch kränkender.</sentence>
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<sentence num="12">Gegen sechs Uhr wurden zu den bereits brennenden Lampen noch Kerzen gebracht, dem Kellner war es gar nicht eingefallen, sie sofort bei meinem Eintreffen zu holen.</sentence>
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<sentence num="13">Im Nebenzimmer speisten an verschiedenen Tischen zwei verdrießliche Gäste, mürrisch und schweigsam.</sentence>
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<sentence num="14">In einem der entfernteren Zimmer ging es laut her, es wurde sogar gebrüllt. Man hörte das Gelächter einer ganzen Menge Menschen; man hörte ordinäres französisches Gekreisch: ein Essen mit Damen.</sentence>
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<sentence num="15">Kurz, es war widerlich.</sentence>
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<sentence num="16">Selten habe ich scheußlichere Minuten erlebt, und als sie endlich Punkt sechs gemeinsam erschienen, freute ich mich über sie wie über Befreier und vergaß beinahe, daß ich verpflichtet war, den Beleidigten zu spielen.</sentence>
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<sentence num="17">Swerkow trat als erster ein, der unverkennbare Anführer.</sentence>
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<sentence num="18">Er lachte, und alle anderen lachten mit; aber als er mich erblickte, nahm er sofort Haltung an, näherte sich mir langsam, in der Taille ein wenig vorgebeugt, fast kokett, und reichte mir gemessen freundlich die Hand, mit einer gewissen vorsichtigen, beinahe fürstlichen Höflichkeit, ganz, als ob er, indem er mir die Hand reichte, sich gleichzeitig vor irgend etwas zurückziehe.</sentence>
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<sentence num="19">Ich aber hatte erwartet, daß er, sobald er ins Zimmer träte, in seiner gewohnten Art auflachen würde, hoch und glucksend, und bei den ersten Worten mit seinen seichten Späßchen und Witzen beginnen würde.</sentence>
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<sentence num="20">Auf diese hatte ich mich schon seit dem Vorabend eingestellt, doch nie und nimmer hatte ich eine so herablassende, eine so überlegene Freundlichkeit erwartet.</sentence>
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<sentence num="21">Hält er sich also jetzt in jeder Beziehung für unvergleichlich höherstehend?</sentence>
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<sentence num="22">Will er mich mit seiner Generals-Würde nur kränken, so ist das nicht schlimm, dachte ich; ich würde mich irgendwie darüber hinwegsetzen.</sentence>
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<sentence num="23">Wie aber, wenn dieser Schafskopf tatsächlich von der blödsinnigen Idee besessen ist, er stehe hoch über mir und könne mich gar nicht anders als gönnerhaft behandeln, ohne die geringste Absicht, mich irgendwie zu kränken?</sentence>
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<sentence num="24">Bei der bloßen Vorstellung einer solchen Möglichkeit kam ich in Atemnot.</sentence>
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<sentence num="25">»Ich hörte mit Erstaunen von Ihrem Wunsch, an unserem Abend teilzunehmen«, begann er affektiert, die Worte in die Länge ziehend, was er früher nie getan hatte.</sentence>
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<sentence num="26">Nun, jedenfalls erfreut, unsere Bekanntschaft zu… « Und schon wandte er sich achtlos ab, um seinen Hut auf das Fensterbrett zu legen.</sentence>
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<sentence num="27">»Warten Sie schon lange?« fragte Trudoljubow.</sentence>
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<sentence num="28">»Ich kam Punkt fünf, wie gestern abgesprochen«, antwortete ich laut und mit einer Gereiztheit, die einen baldigen Ausbruch ankündigte.</sentence>
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<sentence num="29">»Hast du ihn denn nicht benachrichtigt, daß wir umdisponiert haben?« wandte sich Trudoljubow an Simonow.</sentence>
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<sentence num="30">»Nein, ich habe es vergessen«, antwortete dieser ohne die geringste Verlegenheit und ging, sogar ohne sich bei mir zur entschuldigen, zum Buffet, um die »So sitzen Sie hier schon eine ganze Stunde?</sentence>
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<sentence num="31">Ach, Sie Ärmster!« rief Swerkow spöttisch, denn nach seinen Begriffen mußte das allerdings ungemein komisch sein.</sentence>
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<sentence num="32">Und der Schuft Ferfitschkin sekundierte mit seiner schuftigen kläffenden Stimme wie ein Schoßhündchen.</sentence>
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<sentence num="33">Auch er fand meine Lage außerordentlich komisch und peinlich.</sentence>
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<sentence num="34">»Das ist durchaus nicht komisch«, schrie ich Ferfitschkin plötzlich an, ich wurde immer gereizter, »die andern sind schuld und nicht ich.</sentence>
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<sentence num="35">Man hat es nicht für nötig befunden, mich zu benachrichtigen.</sentence>
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<sentence num="36">Das ist, das ist… das ist… einfach unmöglich.« »Nicht nur unmöglich, sondern noch etwas ganz anderes«, brummte Trudoljubow, mich naiv verteidigend.</sentence>
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<sentence num="37">»Sie sind zu weich. Das ist einfach eine Unhöflichkeit.</sentence>
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<sentence num="38">Selbstverständlich ohne Absicht.</sentence>
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<sentence num="39">Wie hat aber Simonow nur… hm!« »Wenn man sich mir gegenüber so etwas erlaubt hätte… «, mischte sich Ferfitschkin ein, »ich hätte… « »Ja, aber Sie hätten sich etwas bestellen sollen«, unterbrach ihn Swerkow, »oder das Essen auftragen lassen, ohne auf uns zu warten.« »Sie müssen zugeben, daß ich das ohne weiteres hätte tun können«, bemerkte ich kurz.</sentence>
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<sentence num="40">»Wenn ich gewartet habe, so geschah es nur… « »Zu Tisch, meine Herren«, rief der eintretende Simonow.</sentence>
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<sentence num="41">»Alles ist bereit; für den Champagner garantiere ich, er ist vortrefflich gekühlt… Ich wußte doch nicht, wo Sie wohnen, wo sollte man denn nach Ihnen suchen?« wandte er sich plötzlich an mich, vermied es jedoch wiederum, mich anzusehen.</sentence>
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<sentence num="42">Offensichtlich hatte er etwas gegen mich.</sentence>
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<sentence num="43">Der gestrige Abend steckte ihm noch in den Knochen.</sentence>
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<sentence num="44">Alle nahmen Platz; ich setzte mich auch.</sentence>
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<sentence num="45">Der Tisch war rund.</sentence>
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<sentence num="46">Links von mir saß Trudoljubow, rechts Simonow, Swerkow mir gegenüber; Ferfitschkin an seiner Seite, zwischen ihm und Trudoljubow.</sentence>
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<sentence num="47">»Saaagen Sie… sind Sie im Departement?« setzte Swerkow seine Unterhaltung mit mir fort; da er sah, daß ich verlegen war, glaubte er allen Ernstes, man müsse mich freundlich behandeln und sozusagen ein wenig ermutigen.</sentence>
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<sentence num="48">“Will er eigentlich, daß ich ihm eine Flasche an den Kopf werfe?” dachte ich aufgebracht.</sentence>
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<sentence num="49">Ungeübt im Umgang mit Menschen, war ich übertrieben reizbar.</sentence>
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<sentence num="50">»In der… schen Kanzlei«, antwortete ich schroff, den Blick auf den Teller gesenkt.</sentence>
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<sentence num="51">»Und… !… siiind Siiie zufrieden?</sentence>
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<sentence num="52">Saaagen Siiie, was veraaanlaßte Siiie, Ihre frühere Stellung zu verlaaassen?« »Mich veraaanlaßte, daß ich meine frühere Stellung verlassen wollte«, ich dehnte dreimal so lange.</sentence>
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<sentence num="53">Ich konnte mich beinahe nicht mehr beherrschen.</sentence>
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<sentence num="54">Ferfitschkin prustete; Simonow sah mich ironisch an; Trudoljubow hielt mitten im Essen inne und begann mich neugierig zu betrachten.</sentence>
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<sentence num="55">Swerkow verzog das Gesicht, wollte aber nichts gehört haben.</sentence>
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<sentence num="56">»Nuuun, und wie ist Ihr Auskommen?« »Welches Auskommen?« »Ich meine Ihr Gehaaalt?« »Wieso examinieren Sie mich?« Übrigens sagte ich gleich darauf, wieviel ich bekam.</sentence>
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<sentence num="57">Ich lief dunkelrot an.</sentence>
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<sentence num="58">»Nicht allzuviel«, bemerkte Swerkow gravitätisch.</sentence>
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<sentence num="59">»Jawohl, damit kann man nicht in Café-Restaurants dinieren«, fügte Ferfitschkin unverschämt hinzu.</sentence>
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<sentence num="60">»Ich finde das einfach ärmlich«, meinte Trudoljubow ernst.</sentence>
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<sentence num="61">»Und wie mager Sie geworden sind, wie Sie sich verändert haben… seitdem… «, fuhr Swerkow, schon nicht mehr ganz ohne Gift, mit einem gewissen herausfordernden Bedauern fort, während er mich und meinen Anzug eingehend musterte.</sentence>
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<sentence num="62">»Sie machen ihn ja vollends konfus«, rief kichernd Ferfitschkin. »Mein Herr, machen Sie sich klar, daß ich durchaus nicht konfus bin«, brauste ich schließlich auf.</sentence>
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<sentence num="63">»Hören Sie! Ich speise hier im ›Café-Restaurant‹ für mein Geld, für meines, und nicht auf fremde Kosten, merken Sie sich das, Monsieur Ferfitschkin.« »Wieso?</sentence>
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<sentence num="64">Wer speist denn hier nicht für sein Geld?</sentence>
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<sentence num="65">Sie tun wirklich so, als ob… «, fuhr Ferfitschkin auf, krebsrot im Gesicht, und starrte mich wütend an. »Wieso?</sentence>
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<sentence num="66">Ganz einfach«, sagte ich, weil ich fühlte, daß ich schon zu weit gegangen war. »Ich glaube, wir täten besser, ein vernünftigeres Gespräch zu beginnen.« »Es scheint, Sie haben die Absicht, Ihren Verstand glänzen zu lassen?« »Machen Sie sich keine Sorgen, das wäre hier durchaus nicht am Platze.« »Aber, mein Verehrtester, warum gackern Sie so?</sentence>
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<sentence num="67">Oder haben Sie den Verstand in Ihrem Departement liegengelassen?« »Genug, meine Herrschaften, genug!« rief gebieterisch Swerkow.</sentence>
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<sentence num="68">»Wie dumm«, murmelte Simonow. »Wirklich dumm.</sentence>
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<sentence num="69">Wir haben uns im vertrauten Kreise versammelt, um unseren guten Freund zu verabschieden, Sie aber wollen hier alte Rechnungen begleichen«, sagte Trudoljubow, wobei er sich grob an mich allein wandte.</sentence>
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<sentence num="70">»Sie haben sich uns gestern ja selbst aufgedrängt, also stören Sie jetzt nicht die allgemeine Harmonie… « »Genug, genug«, rief Swerkow.</sentence>
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<sentence num="71">»Halten Sie ein, meine Herrschaften, so geht es nicht weiter.</sentence>
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<sentence num="72">Ich will Ihnen lieber erzählen, wie ich vor drei Tagen beinahe geheiratet hätte… « Und so begann eine Geschichte, wie dieser Herr vor drei Tagen beinahe geheiratet hätte.</sentence>
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<sentence num="73">Von der Heirat selbst war eigentlich gar nicht die Rede, aber ständig kamen in der Erzählung Generäle, Obristen, sogar Kammerjunker vor, und Swerkow – ständig in ihrer Mitte, ja fast an der Spitze.</sentence>
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<sentence num="74">Beifälliges Lachen erscholl; Ferfitschkin winselte sogar vor Vergnügen.</sentence>
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<sentence num="75">Alle vergaßen mich, und ich saß zertreten und vernichtet da.</sentence>
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<sentence num="76">“Herrgott, ist denn das ein Umgang für dich!” dachte ich.</sentence>
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<sentence num="77">“Welche Blöße habe ich mir vor ihnen gegeben!</sentence>
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<sentence num="78">Ich habe Ferfitschkin allerdings viel durchgehen lassen.</sentence>
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<sentence num="79">Diese Dummköpfe glauben, mir eine große Ehre zu erweisen, wenn sie mir an ihrem Tisch einen Platz einräumen, weil sie nicht begreifen, daß ich, ich es bin, der ihnen die Ehre erweist und nicht etwa sie mir!</sentence>
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<sentence num="80">‹Abgemagert!</sentence>
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<sentence num="81">Anzug!› Oh, diese verfluchte Hose.</sentence>
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<sentence num="82">Swerkow hat schon vorhin den gelben Fleck auf dem Knie bemerkt… Ach was – man sollte sich sofort, auf der Stelle, vom Tisch erheben, den Hut nehmen, einfach weggehen, ohne ein Wort zu sagen… Aus Verachtung!</sentence>
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<sentence num="83">Und morgen meinetwegen Duell. Schufte!</sentence>
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<sentence num="84">Es geht mir nicht um die sieben Rubel.</sentence>
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<sentence num="85">Es geht mir nicht um die sieben Rubel!</sentence>
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<sentence num="86">Ich gehe sofort!” Selbstverständlich blieb ich.</sentence>
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<sentence num="87">Vor Kummer trank ich ein Glas Lafitte und Cherry nach dem anderen.</sentence>
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<sentence num="88">Des Trinkens ungewohnt, war ich bald betrunken, und mit dem Rausch stieg auch der Ärger.</sentence>
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<sentence num="89">Plötzlich kam mich Lust an, sie alle in der ausfallendsten Weise zu beleidigen und erst dann wegzugehen.</sentence>
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<sentence num="90">Den günstigsten Augenblick abwarten und sich im rechten Lichte zeigen: Sie sollen sagen: mag er auch komisch sein, auf jeden Fall ist er gescheit… und… kurz, hol’ sie der Teufel!</sentence>
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<sentence num="91">Ich betrachtete sie der Reihe nach herausfordernd mit glasigen Augen.</sentence>
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<sentence num="92">Sie hatten mich überhaupt vergessen.</sentence>
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<sentence num="93">Bei »Indessen ist dieser Kolja, der dreitausend Seelen besitzt, eigentümlicherweise nicht hier, um Ihren Abschied zu feiern«, mischte ich mich plötzlich in das Gespräch.</sentence>
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<sentence num="94">Alle verstummten für einen Augenblick. »Sie sind ja schon betrunken«, Trudoljubow war endlich bereit, mich zu bemerken, und schielte verächtlich herüber. Swerkow musterte mich schweigend wie ein winziges Insekt. Ich senkte den Blick.</sentence>
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<sentence num="95">Simonow beeilte sich, Champagner einzuschenken.</sentence>
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<sentence num="96">Trudoljubow erhob das Glas, seinem Beispiel folgten alle außer mir.</sentence>
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<sentence num="97">»Auf dein Wohl und Glück auf den Weg!« rief er Swerkow zu, »auf unsere Vergangenheit, meine Herren, auf unsere Zukunft, hurra!« Alle tranken und schickten sich an, Swerkow zu küssen.</sentence>
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<sentence num="98">Ich rührte mich nicht. Das volle Glas stand unberührt vor mir.</sentence>
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<sentence num="99">»Wollen Sie etwa nicht trinken?« brüllte Trudoljubow, der schließlich die Geduld verlor, und wandte sich drohend zu mir.</sentence>
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<sentence num="100">»Ich möchte meinerseits auch einen Speech halten, einen speziellen… und dann trinken, Herr Trudoljubow.« »Widerlicher Giftpilz!« murmelte Simonow.</sentence>
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<sentence num="101">Ich richtete mich auf meinem Stuhl auf, hob das Glas wie im Fieber und bereitete mich auf etwas Außerordentliches vor, ohne selbst zu wissen, was ich eigentlich sagen wollte.</sentence>
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<sentence num="102">»Silence«, rief Ferfitschkin.</sentence>
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<sentence num="103">»Jetzt kommt der Verstand!« Swerkow blieb sehr ernst, denn er begriff, worum es ging.</sentence>
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<sentence num="104">»Herr Leutnant Swerkow«, begann ich, »Sie müssen wissen, ich hasse Phrasen, Phraseure und betonte Taillen… Das ist Punkt eins.</sentence>
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<sentence num="105">Und hierauf folgt Punkt zwei.« Man wurde unruhig.</sentence>
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<sentence num="106">»Punkt zwei: Ich hasse Erdbeeren und Erdbeergenießer, besonders die letzteren!</sentence>
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<sentence num="107">Punkt drei: Ich liebe Wahrheit, Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit«, fuhr ich fast mechanisch fort, denn ich erstarrte selbst vor Entsetzen, ohne begreifen zu können, wie ich das alles hervorbrachte.</sentence>
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<sentence num="108">»Ich liebe Ideen, Monsieur Swerkow, ich liebe wahre Kameradschaft, auf gleichem Fuß, ohne… hm… Ich liebe… Aber warum auch nicht?</sentence>
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<sentence num="109">Auch ich werde auf Ihr Wohl trinken, Monsieur Swerkow.</sentence>
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<sentence num="110">Verführen Sie Tscherkessinnen, schießen Sie auf die Feinde des Vaterlandes und… und… auf Ihr Wohl, Monsieur Swerkow!« Swerkow erhob sich von seinem Stuhl, verbeugte sich und sagte: »Sehr verbunden.« Er war furchtbar gekränkt und sogar blaß geworden.</sentence>
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<sentence num="111">»Verdammt!« brüllte Trudoljubow und schlug mit der Faust auf den Tisch.</sentence>
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<sentence num="112">»Nein, dafür kriegt man doch eins in die Fresse!« kreischte Ferfitschkin.</sentence>
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<sentence num="113">»Einfach rausschmeißen!« murmelte Simonow.</sentence>
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<sentence num="114">»Kein Wort, meine Herren, keine Bewegung!« rief Swerkow feierlich, der allgemeinen Empörung Einhalt gebietend.</sentence>
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<sentence num="115">»Ich danke Ihnen allen, aber ich werde selbst imstande sein, ihm zu beweisen, wie sehr ich seine Worte schätze.« »Herr Ferfitschkin, morgen schon werden Sie mir für Ihre Worte Satisfaktion geben!« sagte ich laut und wandte mich gravitätisch Ferfitschkin zu.</sentence>
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<sentence num="116">»Sie meinen ein Duell?</sentence>
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<sentence num="117">Ganz nach Belieben!« antwortete jener, doch muß ich in dem Augenblick, als ich ihn forderte, wahrscheinlich so komisch gewirkt haben, die große Geste stand mir so wenig, daß alle, und endlich auch Ferfitschkin, in schallendes Gelächter ausbrachen.</sentence>
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<sentence num="118">Er ist ja total besoffen!« sagte Trudoljubow angeekelt.</sentence>
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<sentence num="119">»Nie werde ich mir verzeihen, daß ich ihn eingetragen habe«, murmelte wieder Simonow.</sentence>
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<sentence num="120">“Jetzt sollte man ihnen allen eine Flasche an den Kopf werfen”, dachte ich, griff nach der Flasche und… schenkte mir das Glas bis zum Rand voll.</sentence>
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<sentence num="121">“Nein, lieber werde ich bis zum Schluß ausharren!” dachte ich weiter, “Sie wären hocherfreut, meine Herren, wenn ich jetzt ginge.</sentence>
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<sentence num="122">Um keinen Preis.</sentence>
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<sentence num="123">Ihnen zum Trotz werde ich bis zum Schluß bleiben und bis zum Schluß trinken, zum Zeichen, daß ich Ihnen nicht die geringste Wichtigkeit beimesse.</sentence>
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<sentence num="124">Ich werde sitzen und trinken, denn wir sind in einer Kneipe, und ich habe meine Zeche bezahlt.</sentence>
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<sentence num="125">Ich werde sitzen und trinken, weil ich euch alle für Nullen halte, für nichtexistierende Nullen.</sentence>
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<sentence num="126">Ich werde sitzen und trinken… und singen, wenn es mir einfällt, jawohl, auch singen, denn ich habe das Recht… zu singen… !” Aber ich habe nicht gesungen.</sentence>
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<sentence num="127">Ich bemühte mich bloß, keinen von ihnen anzusehen.</sentence>
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<sentence num="128">Ich nahm die unabhängigsten Posen an und wartete ungeduldig darauf, daß sie, Ich lächelte verächtlich vor mich hin und ging in der anderen Hälfte des Zimmers auf und ab, direkt dem Sofa gegenüber, die Wand entlang, vom Tisch bis zum Ofen und zurück.</sentence>
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<sentence num="129">Mit allen Kräften bemühte ich mich zu beweisen, daß ich auch ohne sie auskommen könne; unterdessen aber polterte ich absichtlich mit den Stiefeln, hart mit den Absätzen auftretend.</sentence>
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<sentence num="130">Aber alles war vergeblich.</sentence>
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<sentence num="131">“Oh, wenn ihr nur wüßtet, welcher Gefühle und welcher Gedanken ich fähig, wie hoch ich entwickelt bin!” dachte ich zuweilen und wandte mich in Gedanken an das Sofa, auf dem meine Feinde saßen.</sentence>
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<sentence num="132">Aber meine Feinde taten, als gäbe es mich überhaupt nicht.</sentence>
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<sentence num="133">Einmal, ein einziges Mal blickten sie sich nach mir um, nämlich als Swerkow von Shakespeare anfing, ich aber plötzlich höhnisch auflachte. Ich lachte so gewollt und gemein, daß sie auf einmal alle verstummten und beinahe zwei Minuten lang schweigend, ernst, ohne zu lachen, zusahen, wie ich die Wand entlangwanderte, zwischen Tisch und Ofen, und wie ich »Meine Herren!« rief Swerkow, sich vom Sofa erhebend.</sentence>
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<sentence num="134">»Und jetzt alle »Aber klar, aber klar!« schrien die anderen. Ich drehte mich hastig um und trat auf Swerkow zu.</sentence>
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<sentence num="135">Ich war dermaßen zerquält, dermaßen zermartert, daß ich, koste es auch mein Leben, auf irgendeine Weise Schluß machen wollte.</sentence>
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<sentence num="136">Ich fieberte; die Haare klebten an Stirn und Schläfen.</sentence>
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<sentence num="137">»Swerkow! Ich bitte Sie um Verzeihung«, sagte ich schroff und entschlossen. »Ferfitschkin, Sie auch, und alle, alle. Ich habe alle beleidigt!« »Aha!</sentence>
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<sentence num="138">Das Duellieren scheint nicht so einfach zu sein!« zischte Ferfitschkin giftig. Das schnitt mir ins Herz. »Nein, ich habe keine Angst vor dem Duell, Ferfitschkin!</sentence>
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<sentence num="139">Ich bin bereit, mich gleich morgen mit Ihnen zu duellieren, aber erst nach der Versöhnung.</sentence>
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<sentence num="140">Ich bestehe sogar darauf, und Sie dürfen es mir nicht abschlagen.</sentence>
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<sentence num="141">Ich werde Ihnen beweisen, daß ich das Duell nicht fürchte. Sie haben den ersten Schuß, ich aber werde in die Luft schießen.« »Er spielt vor sich selbst Theater«, meinte Simonow. »Einfach übergeschnappt«, bemerkte Trudoljubow. »So lassen Sie mich doch bitte vorbei, Sie stehen ja im Weg… Was wünschen Sie?« antwortete Swerkow verächtlich.</sentence>
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<sentence num="142">Sie hatten alle rote Gesichter; ihre Augen glänzten: sie hatten viel getrunken. »Ich bitte um Ihre Freundschaft, Swerkow. Ich habe Sie beleidigt, aber… « »Beleidigt? Siiie!</sentence>
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<sentence num="143">Miiich! Merken Sie sich, mein Verehrtester, daß Sie »Jetzt aber genug! Fort!« bekräftigte Trudoljubow. »Fahren wir.« »Olympia gehört mir, meine Herren, abgemacht!« rief Swerkow.</sentence>
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<sentence num="144">»Einverstanden! Einverstanden!« antworteten sie lachend.</sentence>
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<sentence num="145">Ich stand da wie angespuckt. Die Bande verließ lärmend das Zimmer, Trudoljubow stimmte irgendein albernes Lied an.</sentence>
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<sentence num="146">Simonow blieb einen Augenblick zurück, um den Kellnern das Trinkgeld zu geben. Plötzlich trat ich auf ihn zu. »Simonow! Geben Sie mir sechs Rubel!« sagte ich entschlossen und verzweifelt.</sentence>
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<sentence num="147">Er sah mich über die Maßen verwundert und irgendwie stumpfsinnig an. Er war ebenfalls betrunken.</sentence>
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<sentence num="148">»Ja, wollen Sie etwa auch mit?« »Ja!« »Ich habe kein Geld«, versetzte er kurz, lächelte verächtlich und wollte schon das Zimmer verlassen.</sentence>
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<sentence num="149">Ich hielt ihn am Rock fest.</sentence>
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<sentence num="150">Es war ein Alpdruck. »Simonow! Ich habe bei Ihnen Geld gesehen, warum schlagen Sie es mir ab?</sentence>
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<sentence num="151">Bin ich denn ein Schuft? Hüten Sie sich, es mir abzuschlagen. Wenn Sie wüßten, wenn Sie nur wüßten, weshalb ich darum bitte!</sentence>
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<sentence num="152">Alles hängt davon ab, meine ganze Zukunft, alle meine Pläne… « Simonow holte das Geld heraus und warf es mir beinahe ins Gesicht.</sentence>
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<sentence num="153">»Nehmen Sie, wenn Sie schon so unverschämt sind!« sagte er mitleidlos und eilte den anderen nach.</sentence>
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<sentence num="154">Für einen Augenblick blieb ich allein zurück.</sentence>
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<sentence num="155">Unordnung, Speisereste, ein zerschlagenes Glas auf dem Fußboden, verschütteter Wein, Zigarettenstummel, Rausch und Fieber im Kopf, quälender Schmerz in der Seele; und dann der Kellner, der alles gesehen, alles gehört hatte und mir neugierig in die Augen blickte.</sentence>
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</chapter>
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<chapter num="16" name="Zweiter Teil - Kapitel V">
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<sentence num="1"> “So sieht er aus, so sieht er aus, dieser Zusammenstoß mit der Wirklichkeit!” murmelte ich, während ich Hals über Kopf die Treppe hinunterlief.</sentence>
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<sentence num="2">“Das ist nicht mehr der Papst, der Rom aufgibt und nach Brasilien auswandert, das ist nicht mehr der Ball am Comer See!” “Du bist ein Schuft”, fuhr es mir durch den Kopf, “wenn du jetzt darüber spottest.” “Und wenn!” gab ich mir selbst zur Antwort.</sentence>
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<sentence num="3">“Jetzt ist sowieso alles verloren.” Von ihnen war nichts mehr zu sehen; aber das machte nichts; ich wußte, wohin sie fuhren.</sentence>
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<sentence num="4">Vor dem Eingang stand ein einsamer Schlitten, ein Nachtkutscher im groben Bauernmantel, ganz eingeschneit von den noch immer dicht fallenden nassen und gleichsam warmen Flocken.</sentence>
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<sentence num="5">Die Luft war dunstig und drückend.</sentence>
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<sentence num="6">Sein kleiner zottiger Schecke war auch eingeschneit und hustete. Daran erinnere ich mich genau.</sentence>
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<sentence num="7">Ich stürzte auf den Schlitten zu; aber kaum hatte ich den Fuß gehoben, um einzusteigen, als mich plötzlich die Erinnerung, wie Simonow mir eben die sechs Rubel gegeben hatte, umwarf und ich wie ein Sack in den Schlitten fiel.</sentence>
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<sentence num="8">»Nein, ich muß viel tun, um das alles wieder gutzumachen!« rief ich aus.</sentence>
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<sentence num="9">»Aber ich werde es gutmachen oder diese Nacht nicht überleben.</sentence>
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<sentence num="10">Fahr zu!« Wir fuhren los.</sentence>
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<sentence num="11">Die Kutsche setzte sich in Bewegung.</sentence>
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<sentence num="12">“Sie werden niemals auf Knien um meine Freundschaft betteln.</sentence>
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<sentence num="13">Das ist ja eine Fata Morgana, eine triviale Fata Morgana, widerwärtig, romantisch und phantastisch; das ist wieder der Ball am Comer See.</sentence>
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<sentence num="14">Darum Der Kutscher zog die Zügel an.</sentence>
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<sentence num="15">“Sowie ich drin bin, gebe ich sie ihm.</sentence>
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<sentence num="16">Soll man vor einer Ohrfeige etwas sagen, gewissermaßen als Vorwort? Nein!</sentence>
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<sentence num="17">Ich werde einfach reinkommen und sie ihm geben.</sentence>
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<sentence num="18">Sie werden alle im Salon sitzen, er mit Olympia auf dem Sofa.</sentence>
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<sentence num="19">Verwünschte Olympia! Sie hat sich einmal über mein Gesicht lustig gemacht und mich verschmäht.</sentence>
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<sentence num="20">Ich werde Olympia an den Haaren packen und Swerkow an den Ohren!</sentence>
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<sentence num="21">Nein, besser an einem Ohr, und so an diesem Ohr werde ich ihn dann durch das ganze Zimmer hinter mir herziehen.</sentence>
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<sentence num="22">Sie werden sich vielleicht alle auf mich stürzen, mich prügeln und hinauswerfen.</sentence>
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<sentence num="23">Bestimmt sogar. Sollen sie nur.</sentence>
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<sentence num="24">Immerhin habe ich ihm die Ohrfeige zuerst gegeben, also ist die Initiative bei mir; und nach dem Ehrenkodex bedeutet das: er ist gebrandmarkt und kann sich mit keiner Prügelei von der Ohrfeige reinwaschen, nur durch ein Duell.</sentence>
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<sentence num="25">Er wird sich duellieren müssen, und mögen sie mich jetzt nur prügeln. Sollen sie nur, diese Undankbaren! Am heftigsten wird Trudoljubow prügeln: er ist so stark; Ferfitschkin wird von der Seite angreifen und unbedingt an den Haaren ziehen, bestimmt sogar.</sentence>
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<sentence num="26">Sollen sie nur, immer zu! Ich nehme es auf mich.</sentence>
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<sentence num="27">Endlich werden diese Schafsköpfe gezwungen sein, das Tragische darin zu begreifen!</sentence>
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<sentence num="28">Und wenn sie mich zur Tür schleppen, so werde ich ihnen zurufen, daß sie im Grunde nicht einmal meinen kleinen Finger wert sind.” »Fahr zu, fahr zu!« schrie ich meinen Kutscher an.</sentence>
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<sentence num="29">Er fuhr zusammen und holte mit der Peitsche aus.</sentence>
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<sentence num="30">Ich hatte gar zu wild geschrien. “Wir schlagen uns beim Morgengrauen, das steht fest.</sentence>
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<sentence num="31">Mit der Kanzlei ist es aus. Wo soll man die Pistolen hernehmen? Unsinn! Ich lasse mir einen Vorschuß geben und werde welche kaufen.</sentence>
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<sentence num="32">Aber das Pulver, aber die Kugeln? Das ist Sache der Sekundanten.</sentence>
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<sentence num="33">Wie soll das alles vor Morgengrauen fertig sein? Woher soll ich einen Sekundanten nehmen?</sentence>
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<sentence num="34">Ich kenne ja keinen Menschen… ” »Unsinn!« rief ich, immer erregter.</sentence>
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<sentence num="35">“Unsinn!</sentence>
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<sentence num="36">Der erste beste, den ich auf der Straße treffe und den ich darum angehe, ist verpflichtet, mein Sekundant zu werden, genauso wie er verpflichtet wäre, einen Ertrinkenden aus dem Wasser zu ziehen.</sentence>
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<sentence num="37">Die allerexzentrischsten Fälle können dabei eintreten!</sentence>
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<sentence num="38">Sogar wenn ich morgen den Direktor höchstpersönlich bitten würde, mein Sekundant zu sein, so müßte er sich dazu bereit erklären, schon allein aus Ritterlichkeit, und mein Geheimnis wahren!</sentence>
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<sentence num="39">Anton Antonytsch… ” Es war an dem, daß ich im selben Augenblick deutlicher und klarer als irgend jemand anderer auf der ganzen Welt die widerliche Unsinnigkeit meiner Absichten und auch die Kehrseite der Medaille überschaute, aber… »Fahr zu, Kutscher, fahr zu, du Gauner, fahr zu!« »Ach, Herr!« sagte der Bauernmantel.</sentence>
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<sentence num="40">Kälte durchschauerte mich plötzlich.</sentence>
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<sentence num="41">»Aber wäre es nicht besser… wäre es nicht besser… sofort, geradewegs nach Hause?</sentence>
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<sentence num="42">Oh, mein Gott! warum, warum drängte ich mich gestern zu diesem Essen!</sentence>
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<sentence num="43">Nein, nein, unmöglich!</sentence>
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<sentence num="44">Und der dreistündige Spaziergang zwischen Tisch und Ofen?</sentence>
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<sentence num="45">Nein, sie, sie müssen für diesen Spaziergang büßen, und niemand anders!</sentence>
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<sentence num="46">Sie müssen diese Schmach tilgen!« »Fahr zu!« “Und wenn man mich auf die Polizeiwache bringt!</sentence>
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<sentence num="47">Das werden sie nicht wagen!</sentence>
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<sentence num="48">Sie werden vor einem Skandal zurückschrecken.</sentence>
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<sentence num="49">Wenn aber Swerkow aus Verachtung das Duell verweigert?</sentence>
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<sentence num="50">Das ist beinahe sicher; aber dann werde ich ihnen beweisen, daß… dann werde ich morgen, wenn er abreisen will, auf den Posthof gehen, ihn am Bein packen, ihm den Mantel herunterreißen, wenn er in die Postkutsche steigen will.</sentence>
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<sentence num="51">Ich werde mich mit Zähnen an seiner Hand festbeißen, ja, ich werde beißen.</sentence>
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<sentence num="52">Alle sollen sehen, wie weit man einen verzweifelten Menschen bringen kann! Mag er mich auf den Kopf schlagen, und mögen alle anderen von hinten auf mich losprügeln.</sentence>
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<sentence num="53">Ich werde dem ganzen Publikum zurufen: ‹Seht diesen jungen Hund, der auszieht, Tscherkessinnen zu verführen, mit meiner Spucke im Gesicht!› Selbstverständlich ist dann alles aus! Das Departement ist vom Angesicht der Welt verschwunden.</sentence>
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<sentence num="54">Ich werde verhaftet, verurteilt, aus dem Dienst gejagt, ich komme ins Zuchthaus, nach Sibirien, zu den Siedlern.</sentence>
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<sentence num="55">Was kümmert’s mich! Nach fünfzehn Jahren mache ich mich zu ihm auf den Weg, in Lumpen, als Bettler, sobald man mich aus dem Zuchthaus entlassen hat.</sentence>
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<sentence num="56">Ich werde ihn irgendwo in einer Gouvernementsstadt finden.</sentence>
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<sentence num="57">Er ist dann verheiratet und glücklich.</sentence>
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<sentence num="58">Er hat eine erwachsene Tochter… Ich werde sagen: ‹Sieh, du Unmensch, sieh meine eingefallenen Wangen, und sieh meine Lumpen!</sentence>
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<sentence num="59">Ich habe alles verloren: Karriere, Glück, Kunst, Wissenschaft, Mir kamen sogar Tränen, obwohl ich ganz genau wußte, im selben Augenblick, daß das alles aus Silvio und »Der Maskenball« von Lermontow war.</sentence>
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<sentence num="60">Und plötzlich schämte ich mich furchtbar, ich schämte mich dermaßen, daß ich das Pferd anhalten ließ, aus dem Schlitten stieg und mitten auf der Straße im Schnee stehen blieb.</sentence>
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<sentence num="61">Der Kutscher sah mich verwundert an und seufzte. Was sollte ich tun? Ich konnte unmöglich dorthin – das war Unsinn – aber ebensowenig die Sache auf sich beruhen lassen, denn dann würde… »Herrgott!</sentence>
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<sentence num="62">Wie könnte man so etwas auf sich beruhen lassen?</sentence>
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<sentence num="63">Nach solchen Beleidigungen!</sentence>
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<sentence num="64">Nein!« rief ich aus und warf mich wieder in den Schlitten, »das ist vorbestimmt, das ist Schicksal! Fahr zu, fahr zu, dorthin!« Und vor Ungeduld hieb ich dem Kutscher mit der Faust ins Genick.</sentence>
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<sentence num="65">»Was hast du, warum schlägst du mich?« schrie das Bäuerlein erschrocken, peitschte jedoch auf seine Mähre los, so daß sie mit den Hinterbeinen ausschlug.</sentence>
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<sentence num="66">Der nasse Schnee fiel in dichten großen Flocken; ich machte den Mantel auf, ich kümmerte mich nicht um den Schnee.</sentence>
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<sentence num="67">Ich vergaß alles, weil ich mich endgültig zu der Ohrfeige entschlossen hatte und mit Grauen fühlte, daß es nun »Wo sind sie denn?« fragte ich irgend jemand.</sentence>
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<sentence num="68">Selbstverständlich waren sie bereits auf die Zimmer gegangen… Vor mir stand eine töricht lächelnde Person, es war die Wirtin selbst, die mich bereits kannte.</sentence>
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<sentence num="69">Einen Augenblick später ging eine Tür, und eine andere Person trat ein. Ohne irgend etwas zu beachten, lief ich im Raum auf und ab und redete, glaube ich, laut mit mir selber.</sentence>
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<sentence num="70">Es war mir, als sei ich vom Tode errettet, ich fühlte es freudig mit meiner ganzen Seele: denn ich hätte ihn geohrfeigt, ich hätte ihn unbedingt geohrfeigt!</sentence>
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<sentence num="71">Doch jetzt waren sie fort und… alles war verflogen, alles war verändert!… Ich blickte immer wieder umher.</sentence>
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<sentence num="72">Ich konnte noch nicht recht begreifen.</sentence>
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<sentence num="73">Mechanisch sah ich das eintretende Mädchen an: ein frisches junges, etwas blasses Gesicht tauchte vor mir auf, mit geraden dunklen Augenbrauen, mit ernstem und fast ein wenig verwundertem Blick.</sentence>
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<sentence num="74">Das gefiel mir sofort; ich hätte sie gehaßt, wenn sie gelächelt hätte.</sentence>
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<sentence num="75">Ich begann, sie aufmerksamer, gleichsam angestrengt, zu betrachten: ich hatte meine Gedanken noch immer nicht beisammen. Etwas Treuherziges und Gutes lag in diesem Gesicht, doch war es geradezu seltsam ernst.</sentence>
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<sentence num="76">Ich bin überzeugt, daß das hier als Mangel galt und daß sie keinem von diesen Tölpeln gefallen hätte.</sentence>
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<sentence num="77">Übrigens war sie nicht gerade eine Schönheit, wenn auch groß, kräftig und gut gebaut. Sie war äußerst schlicht gekleidet.</sentence>
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<sentence num="78">Etwas Häßliches stach mich; ich trat direkt auf sie zu. Zufällig sah ich mich in einem Spiegel. Mein erregtes Gesicht erschien mir ganz besonders ekelhaft: bleich, böse, gemein, mit wirrem Haar.</sentence>
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<sentence num="79">“Das macht nichts, um so besser”, dachte ich; “es freut mich gerade, daß ich ihr ekelhaft erscheinen muß; das ist mir angenehm… ”</sentence>
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</chapter>
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<chapter num="17" name="Zweiter Teil - Kapitel VI">
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<sentence num="1">… Irgendwo hinter der Zwischenwand begann plötzlich wie gewürgt, wie in Atemnot, eine Uhr heiser zu ächzen.</sentence>
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<sentence num="2">Dem widernatürlich langen Ächzen folgte ein dünner, abscheulicher und irgendwie überraschend hastiger Schlag – ganz als dränge sich jemand vor.</sentence>
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<sentence num="3">Es schlug zwei.</sentence>
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<sentence num="4">Ich kam zu mir, wenn ich auch vorher nicht geschlafen, sondern nur vor mich hingedämmert hatte.</sentence>
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<sentence num="5">In diesem Zimmer, schmal, eng und niedrig, von einem riesigen Kleiderschrank ausgefüllt und mit Schachteln, Lumpen und alten Kleidern vollgestopft, war es fast ganz dunkel.</sentence>
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<sentence num="6">Der Kerzenstumpf, der auf einem Tisch am anderen Ende des Zimmers brannte, drohte schon auszulöschen und flackerte nur ab und zu auf.</sentence>
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<sentence num="7">Nach wenigen Minuten mußte vollkommenes Dunkel herrschen.</sentence>
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<sentence num="8">Es dauerte nicht lange, bis ich ganz zu mir kam; mit einemmal, ohne mein Zutun, fiel mir sofort alles ein, als ob es nur gelauert hätte, um mich plötzlich wieder zu überfallen.</sentence>
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<sentence num="9">Ja, selbst im Dahindämmern war in meinem Gedächtnis irgendein Punkt geblieben, der sich durchaus nicht vergessen ließ, um den meine Träume sich lastend bewegten.</sentence>
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<sentence num="10">Aber sonderbar: alles, was mit mir an diesem Tage geschehen war, schien mir jetzt beim Erwachen lange, lange vergangen zu sein, als ob ich das alles schon längst, längst überstanden hätte.</sentence>
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<sentence num="11">Mein Kopf war benommen.</sentence>
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<sentence num="12">Irgend etwas schwebte über mir und beunruhigte mich, erregte und verstimmte.</sentence>
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<sentence num="13">Sehnsucht und Galle wallten wieder auf und suchten einen Ausweg.</sentence>
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<sentence num="14">Plötzlich, dicht neben mir, sah ich zwei offene Augen, die mich neugierig und beharrlich betrachteten.</sentence>
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<sentence num="15">Der Blick war kalt und teilnahmslos, düster und so völlig fremd – es wurde einem schwer ums Herz.</sentence>
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<sentence num="16">Ein düsterer Gedanke entstand in meinem Kopf und durchzuckte den ganzen Körper als scheußliches Gefühl, wie etwa jenes, das einen überkommt, wenn man in einen Keller steigt, der feucht und dumpf ist.</sentence>
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<sentence num="17">Es war irgendwie unnatürlich, daß es diesen zwei Augen jetzt erst einfiel, mich zu betrachten. Es kam mir in den Sinn, daß ich in den ganzen zwei Stunden mit diesem Wesen kein einziges Wort gewechselt und das auch gar nicht für nötig gehalten hatte; aus irgendeinem Grund hatte mir das Schweigen vorhin sogar gefallen.</sentence>
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<sentence num="18">Jetzt jedoch erkannte ich deutlich die Idee des Lasters, widersinnig, scheußlich wie eine Spinne, das ohne Liebe, roh und schamlos damit beginnt, womit wahre Liebe sich krönt.</sentence>
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<sentence num="19">Lange sahen wir uns an, aber sie senkte ihre Augen nicht und veränderte auch nicht ihren Blick, so daß es mir schließlich aus irgendeinem Grunde unheimlich wurde.</sentence>
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<sentence num="20">»Wie heißt du?« fragte ich kurz, um schneller ein Ende zu machen.</sentence>
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<sentence num="21">»Lisa«, antwortete sie fast flüsternd, aber seltsam unfreundlich, und wandte die Augen ab.</sentence>
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<sentence num="22">Ich schwieg eine Weile.</sentence>
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<sentence num="23">»Das Wetter heute… Schnee… scheußlich!« sagte ich wie vor mich hin, schob gelangweilt die Hand unter den Kopf und blickte zur Decke hinauf.</sentence>
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<sentence num="24">Sie antwortete nicht.</sentence>
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<sentence num="25">Abscheulich war das alles.</sentence>
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<sentence num="26">»Bist du von hier?« fragte ich nach einer Minute beinahe ärgerlich und wandte mich ein wenig ihr zu.</sentence>
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<sentence num="27">»Nein.« »Woher?« »Aus Riga«, sagte sie unwillig.</sentence>
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<sentence num="28">»Deutsche?« »Russin.« »Bist du schon lange hier?« »Wo?« »Hier im Haus?« »Zwei Wochen.« Sie antwortete immer schroffer und schroffer.</sentence>
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<sentence num="29">Die Kerze war erloschen; ich konnte ihr Gesicht nicht mehr erkennen.</sentence>
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<sentence num="30">»Hast du Vater und Mutter?« »Ja… nein… doch.« »Wo sind sie?« »Dort… in Riga.« »Was sind sie?« »So… « »Was heißt: so?</sentence>
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<sentence num="31">Was sind sie, von welchem Stande?« »Kleinbürger.« »Hast du immer bei ihnen gelebt?« »Ja.« »Wie alt bist du?« »Zwanzig.« »Warum bist du denn von ihnen weggegangen?« »So… « Dieses Gott weiß, warum ich blieb.</sentence>
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<sentence num="32">Es wurde mir immer schwerer und elender zumute.</sentence>
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<sentence num="33">Die Bilder des vergangenen Tages begannen irgendwie von selbst, ohne mein Zutun, wirr durch mein Gedächtnis zu ziehen.</sentence>
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<sentence num="34">Plötzlich fiel mir die Szene ein, die ich am Morgen, als ich in Gedanken versunken zur Kanzlei trabte, auf der Straße beobachtet hatte.</sentence>
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<sentence num="35">»Heute wurde ein Sarg hinausgetragen, und beinahe haben sie ihn fallen lassen«, sagte ich plötzlich, ohne jede Absicht, ein Gespräch zu beginnen, sondern nur so, beinahe unwillkürlich.</sentence>
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<sentence num="36">»Den Sarg?« »Ja, auf der Sennaja; aus einem Keller.« »Aus einem Keller?« »Nicht aus dem Keller, sondern aus der Kellerwohnung: du weißt schon… dort unten… aus dem liederlichen Haus… Dreckig war es überall… Eierschalen, Kehricht… Gestank… Widerlich.« Schweigen.</sentence>
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<sentence num="37">»Heute ist schlecht beerdigen!« begann ich von neuem, nur um nicht schweigen zu müssen.</sentence>
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<sentence num="38">»Wieso schlecht?« »Schnee, Nässe… « (ich gähnte).</sentence>
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<sentence num="39">»Das ist doch egal«, sagte sie plötzlich, nach längerem Schweigen.</sentence>
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<sentence num="40">»Nein, häßlich… « (ich gähnte wieder).</sentence>
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<sentence num="41">»Die Totengräber haben sicher geflucht, weil sie im Schnee naß wurden.</sentence>
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<sentence num="42">Und im Grab stand sicher Wasser.« »Woher kommt das Wasser im Grab?« fragte sie mit einer gewissen Neugierde, aber noch gröber und unfreundlicher als vorhin.</sentence>
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<sentence num="43">Plötzlich war mir, als stachelte mich jemand auf.</sentence>
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<sentence num="44">»Wieso denn, da steht eben Wasser drin, sechs Werschki.</sentence>
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<sentence num="45">Hier auf dem Wolkowo-Friedhof kannst du kein einziges trockenes Grab finden.« »Warum?« »Was heißt warum?</sentence>
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<sentence num="46">Sumpf. Hier ist überall Sumpf.</sentence>
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<sentence num="47">So wird man einfach ins Wasser gelegt. Ich habe es selbst gesehen… mehrere Male… « (Kein einziges Mal hatte ich es gesehen und war überhaupt noch nie auf dem Wolkowo-Friedhof gewesen.</sentence>
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<sentence num="48">Ich hatte nur andere davon sprechen gehört.) »Ist es dir denn wirklich ganz egal, daß du stirbst?« »Warum soll ich denn sterben?« fragte sie, wie wenn sie sich verteidigen wollte.</sentence>
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<sentence num="49">»Einmal wirst auch du sterben, und zwar wirst du genauso sterben wie die Frau von heute morgen.</sentence>
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<sentence num="50">Das war… auch so ein Mädchen… Sie hatte Schwindsucht.« »Eine Dirne wäre doch im Krankenhaus gestorben… « (Sie weiß also schon, wie das ist, dachte ich, und sie sagte auch: Dirne.)</sentence>
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<sentence num="51">»Sie war bei der Wirtin verschuldet«, entgegnete ich, zunehmend schadenfroh, »und mußte fast bis zum Tode bei ihr bleiben, obwohl sie schwindsüchtig war.</sentence>
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<sentence num="52">Die Droschkenkutscher unterhielten sich mit den Soldaten, die dabeistanden, und sprachen davon.</sentence>
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<sentence num="53">Wahrscheinlich ihre einstigen Kunden.</sentence>
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<sentence num="54">Sie lachten.</sentence>
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<sentence num="55">Und nahmen sich vor, in der Schenke ihrer zu gedenken.</sentence>
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<sentence num="56">(Auch hier habe ich manches hinzugedichtet.)</sentence>
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<sentence num="57">Schweigen, tiefes Schweigen. Sie rührte sich nicht.</sentence>
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<sentence num="58">»Ist denn das Sterben im Krankenhaus etwa leichter?« »Ist das denn nicht gleich?… Und warum soll ich denn sterben?« fügte sie gereizt hinzu.</sentence>
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<sentence num="59">»Wenn nicht jetzt, dann später?« »Nun, und später… « »Von wegen! Jetzt bist du jung, hübsch, frisch – dafür schätzt man dich auch.</sentence>
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<sentence num="60">Nach einem Jahr solchen Lebens aber bist du nicht mehr die gleiche, dann bist du verwelkt.« »Nach einem Jahr?« »Jedenfalls bist du in einem Jahr weniger wert«, fuhr ich schadenfroh fort.</sentence>
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<sentence num="61">»Und dann wirst du aus diesem Haus in ein anderes, schlechteres kommen.</sentence>
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<sentence num="62">Nach einem zweiten Jahr – in ein drittes Haus, immer schlechter und schlechter, und etwa nach sieben Jahren wirst du im Keller auf der Sennaja angelangt sein.</sentence>
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<sentence num="63">Das ginge noch.</sentence>
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<sentence num="64">Schlimm wäre es, wenn du außerdem krank würdest, nun, sagen wir, schwach auf der Brust… oder du erkältest dich, oder sonst irgendwas.</sentence>
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<sentence num="65">Bei so einem Leben wird man die Krankheit nicht so leicht los.</sentence>
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<sentence num="66">Hat man sie sich einmal zugezogen, wird man sie nicht mehr los.</sentence>
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<sentence num="67">Nun, und dann wirst du eben sterben.« »Dann werde ich eben sterben!« antwortete sie, nun ganz böse, und machte eine heftige Bewegung.</sentence>
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<sentence num="68">»Es ist aber doch schade.« »Um was?« »Um das Leben.« Schweigen.</sentence>
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<sentence num="69">»Hast du einen Bräutigam gehabt? Ja?« »Was geht das Sie an?« »Ich will dich ja nicht ausfragen.</sentence>
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<sentence num="70">Mir kann es ja egal sein. Warum ärgerst du dich?</sentence>
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<sentence num="71">Natürlich kannst du deinen eigenen Kummer haben.</sentence>
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<sentence num="72">Was es mich angeht? Nur so, es tut mir einfach leid.« »Was?« »Du tust mir leid.« »Kein Grund… «, flüsterte sie kaum hörbar und bewegte sich wieder.</sentence>
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<sentence num="73">Das ärgerte mich sofort. Wie!</sentence>
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<sentence num="74">Ich war so sanft zu ihr, sie aber… »Aber was denkst du denn eigentlich?</sentence>
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<sentence num="75">Bist du etwa auf einem guten Wege?« »Nichts denke ich.« »Das ist ja das schlimme, daß du nichts denkst.</sentence>
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<sentence num="76">Besinne dich, solange es nicht zu spät ist.</sentence>
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<sentence num="77">Jetzt geht es noch.</sentence>
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<sentence num="78">Du bist noch jung, du bist hübsch; du könntest dich verlieben, heiraten, glücklich sein… « »Nicht alle Verheirateten sind glücklich«, unterbrach sie mich in ihrer immer noch groben Art.</sentence>
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<sentence num="79">»Natürlich nicht alle, und dennoch ist es besser als das hier.</sentence>
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<sentence num="80">Unvergleichlich besser. Mit Liebe kann man ohne Glück auskommen.</sentence>
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<sentence num="81">Auch im Leid ist dann das Leben schön.</sentence>
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<sentence num="82">Überhaupt ist es dann schön, auf der Welt zu leben, wie das Leben auch sein mag.</sentence>
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<sentence num="83">Und hier, was ist hier außer… Gestank. Pfui!« Ich wandte mich angeekelt ab; ich räsonierte nicht mehr mit kühler Überlegenheit.</sentence>
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<sentence num="84">Ich fühlte bereits selbst, was ich gerade sagte, und geriet in Feuer.</sentence>
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<sentence num="85">Ich dürstete danach, meine heiligsten »Du denkst wohl, daß ich ja auch hier bin, aber an mir darfst du dir kein Beispiel nehmen.</sentence>
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<sentence num="86">Vielleicht bin ich noch schlechter als du. Übrigens war ich betrunken, als ich hierher kam«, ich hatte es eilig, mich zu rechtfertigen.</sentence>
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<sentence num="87">»Zudem kann ein Mann einem Weibe niemals Beispiel sein.</sentence>
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<sentence num="88">Das ist zweierlei; wenn ich mich auch ruiniere und mich besudele, so bin ich doch niemandes Sklave, ich komme und gehe wieder, und fort bin ich.</sentence>
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<sentence num="89">Ich schüttle alles ab und bin wieder der alte.</sentence>
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<sentence num="90">Du aber, du bist gleich von Anfang an eine Sklavin, ja, eine Sklavin!</sentence>
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<sentence num="91">Du lieferst dich ganz aus, mit deinem ganzen Willen. Willst du später diese Ketten zerreißen, so wird es nicht mehr gehen: immer tiefer und tiefer wirst du dich verstricken.</sentence>
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<sentence num="92">Das ist schon eine verfluchte Kette.</sentence>
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<sentence num="93">Ich kenne sie. Alles übrige will ich erst gar nicht erwähnen, du würdest es auch nicht verstehen.</sentence>
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<sentence num="94">Aber sag mir nur noch eins: du bist doch sicher schon bei deiner Wirtin verschuldet? Aha, siehst du!« fügte ich hinzu, obwohl sie nicht geantwortet hatte, sondern nur schweigend mit ihrem ganzen Wesen zuhörte, »da hast du die Kette!</sentence>
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<sentence num="95">Du wirst dich nie mehr loskaufen können, dafür wird man schon sorgen.</sentence>
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<sentence num="96">Wie wenn man dem Teufel die Seele… … Außerdem bin ich… vielleicht, genauso unglücklich, woher willst du das wissen, und will absichtlich im Schmutz versinken, weil es mir genauso schlecht geht.</sentence>
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<sentence num="97">Andere trinken aus Kummer: nun, und ich komme hierher – aus Kummer.</sentence>
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<sentence num="98">Sag doch selbst, was ist daran gut: wir beide sind… vorhin zusammengekommen und haben doch kein Wort miteinander gesprochen, und erst hinterher hast du angefangen, mich wie eine Wilde anzustarren; und ich dich ebenso.</sentence>
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<sentence num="99">Liebt man denn etwa so? Soll denn der Mensch mit dem Menschen auf diese Weise zusammenkommen?</sentence>
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<sentence num="100">Das ist doch eine einzige Widerwärtigkeit und weiter nichts!« »Ja!« bestätigte sie hastig und schroff.</sentence>
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<sentence num="101">Mich wunderte sogar die Hastigkeit dieses Am meisten lockte mich das Spiel.</sentence>
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<sentence num="102">Sie rückte näher und stützte, so kam es mir in der Dunkelheit vor, den Kopf auf ihrem Arm.</sentence>
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<sentence num="103">Vielleicht betrachtete sie mich wieder.</sentence>
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<sentence num="104">Wie bedauerte ich, daß ich ihre Augen nicht erkennen konnte.</sentence>
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<sentence num="105">Ich hörte sie tief atmen. »Warum bist du hierher gekommen?« begann ich bereits mit einer gewissen Macht.</sentence>
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<sentence num="106">»So… « »Aber wie gut könnte man es im Elternhaus haben!</sentence>
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<sentence num="107">Warm, frei; ein eigenes Nest.« »Wenn es aber schlimmer ist als hier?« “Man muß den richtigen Ton treffen”, zuckte es mir durch den Kopf, “mit Sentimentalität wird man wahrscheinlich wenig erreichen.” Allerdings huschte das nur flüchtig vorüber.</sentence>
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<sentence num="108">Ich schwöre, sie interessierte mich wirklich.</sentence>
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<sentence num="109">Dazu kam, daß ich irgendwie abgespannt und eigentümlich empfindsam war.</sentence>
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<sentence num="110">Das Schwindeln aber verträgt sich ja so gut mit Gefühl. »Wer will darüber etwas sagen!« beeilte ich mich ihr beizupflichten, »alles kommt vor.</sentence>
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<sentence num="111">Ich für mein Teil bin überzeugt, daß irgend jemand dich beleidigt hat, daß man eher vor dir schuldig ist als du vor »Was für ein Mädchen bin ich denn?« flüsterte sie kaum hörbar, aber ich hörte es doch.</sentence>
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<sentence num="112">“Hol’s der Teufel, ich schmeichle ja. Das ist schändlich. Vielleicht ist es auch gut… ” Sie schwieg. »Siehst du, Lisa, ich spreche von mir!</sentence>
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<sentence num="113">Wäre ich als Kind in einer Familie aufgewachsen, so würde ich anders sein, als ich jetzt bin.</sentence>
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<sentence num="114">Ich denke oft darüber nach.</sentence>
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<sentence num="115">Denn wie schlecht es in einer Familie auch sein mag – es sind doch immerhin Vater und Mutter und keine Feinde, keine Fremden.</sentence>
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<sentence num="116">Und sollten sie nur einmal im Jahr ihre Liebe beweisen, so weißt du immerhin, daß du zu Hause bist.</sentence>
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<sentence num="117">Ich aber bin ohne Familie aufgewachsen; deshalb bin ich wahrscheinlich auch so geworden… gefühllos.« Ich wartete wieder eine Weile.</sentence>
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<sentence num="118">“Wahrscheinlich versteht sie das überhaupt nicht”, dachte ich. “Es ist ja auch lächerlich: Moral.” »Wenn ich Vater wäre und eine Tochter hätte, so würde ich, glaube ich, meine Tochter mehr als meine Söhne lieben, wirklich«, begann ich beiläufig, als wollte ich sie zerstreuen.</sentence>
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<sentence num="119">Ich muß gestehen, ich errötete. »Warum denn das?« fragte sie.</sentence>
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<sentence num="120">“Aha, sie hört also doch zu!” »Einfach so, ich weiß nicht warum.</sentence>
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<sentence num="121">Siehst du, ich kannte einen Vater, einen strengen und harten Mann, vor seiner Tochter aber lag er auf den Knien, küßte ihre Hände und Füße und konnte sich nicht an ihr satt sehen.</sentence>
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<sentence num="122">Wirklich. Wenn sie auf einem Ball tanzte, blieb er fünf Stunden auf einem Fleck stehen und ließ kein Auge von ihr.</sentence>
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<sentence num="123">Ganz närrisch ist er gewesen: ich kann das verstehen! Nachts, wenn sie schlief, wachte er bei ihr, küßte sie im Schlaf und bekreuzte sie fortwährend.</sentence>
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<sentence num="124">Selbst ging er in einem schäbigen Rock, war geizig, für sie aber war ihm nichts zu teuer, er beschenkte sie fürstlich und hatte keine größere Freude, als wenn das Geschenk ihr gefiel.</sentence>
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<sentence num="125">Der Vater liebt die Töchter immer mehr als die Mutter, viele Töchter haben es gut im Elternhause!</sentence>
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<sentence num="126">Und ich würde meine Tochter wahrscheinlich überhaupt nicht heiraten lassen.« »Wieso nicht?« fragte sie mit dem Anflug eines Lächelns. »Aus Eifersucht, bei Gott.</sentence>
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<sentence num="127">Sie soll einen Fremden küssen? Einen Fremden mehr als den Vater lieben?</sentence>
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<sentence num="128">Man kann sich das kaum vorstellen. Natürlich ist das alles Unsinn; natürlich wird jeder schließlich zur Vernunft kommen.</sentence>
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<sentence num="129">Allerdings hätte ich mich vor ihrer Heirat schon zu Tode gesorgt: ich hätte jeden Bräutigam schlechtgemacht; zu guter Letzt aber sie dem gegeben, den sie liebt!</sentence>
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<sentence num="130">Derjenige, den die Tochter liebgewinnt, scheint dem Vater immer der Schlimmste zu sein.</sentence>
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<sentence num="131">Das ist nun einmal so. Deswegen kommt es in manchen Familien zu großem Unglück.« »Manchen aber ist es lieber, ihre Tochter zu verkaufen, statt sie in Ehren aus dem Haus zu geben«, sagte sie plötzlich.</sentence>
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<sentence num="132">“Aha! Das ist es also!” »Das, Lisa, kommt in jenen verruchten Familien vor, die weder Gott noch Liebe kennen«, griff ich mit Feuer ihre Worte auf, »wo es aber keine Liebe gibt, gibt es auch keine Vernunft.</sentence>
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<sentence num="133">Solche Familien gibt es, das stimmt, aber nicht von ihnen spreche ich.</sentence>
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<sentence num="134">Du mußt wohl in deiner Familie wenig Gutes gesehen haben, wenn du so sprichst.</sentence>
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<sentence num="135">Ganz bestimmt bist du unglücklich. Hm… ! Meistens ist die Armut daran schuld.« »Geht es denn bei den Herrschaften etwa besser zu?</sentence>
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<sentence num="136">Auch in Armut leben ehrliche Menschen, wie es sich gehört.« »Hm… ja.</sentence>
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<sentence num="137">Vielleicht. Eins kommt noch dazu, Lisa: Der Mensch liebt es, nur sein Unglück zu beachten, sein Glück aber zu übersehen.</sentence>
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<sentence num="138">Würde er aber richtig sehen, so würde er erkennen, daß ihm beides beschert ist.</sentence>
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<sentence num="139">Wie schön ist es doch, wenn die Familie wohlgeraten ist, wenn Gottes Segen auf ihr ruht, wenn du einen guten Mann hast, der dich liebt, dich schont, keinen Schritt von dir weicht!</sentence>
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<sentence num="140">In einer solchen Familie ist gut leben!</sentence>
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<sentence num="141">Selbst das Unglück läßt sich dann ertragen; wo gibt es denn kein Unglück? Solltest du einmal heiraten – “Mit Bildern, gerade mit solchen Bildern muß man dir kommen!” dachte ich im stillen, obwohl ich bei Gott mit Gefühl gesprochen hatte, und errötete plötzlich: “Und wenn sie jetzt lacht, was dann?” Dieser Gedanke machte mich rasend.</sentence>
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<sentence num="142">Gegen Schluß meiner Rede war ich wirklich in Feuer geraten und war jetzt in meinem Ehrgeiz gewissermaßen getroffen.</sentence>
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<sentence num="143">Das Schweigen dauerte an. Ich wollte sie schon anstoßen. »Aber, Sie… «, begann sie plötzlich und stockte.</sentence>
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<sentence num="144">Doch ich hatte schon alles begriffen: in ihrer Stimme zitterte bereits etwas anderes, nicht das Schroffe, Rauhe und Unansprechbare wie vorher, sondern etwas Weiches und Verschämtes, dermaßen Verschämtes, daß ich mich plötzlich selbst vor ihr schämte und mich vor ihr schuldig fühlte.</sentence>
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<sentence num="145">»Was denn?« fragte ich mit zarter Neugier.</sentence>
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<sentence num="146">»Aber Sie… « »Was denn?« »Aber Sie sprechen… genau wie nach dem Buch«, sagte sie, und plötzlich glaubte ich wieder etwas Spöttisches in ihrer Stimme zu hören.</sentence>
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<sentence num="147">Diese Bemerkung versetzte mir einen schmerzhaften Stich. Ich hatte etwas anderes erwartet.</sentence>
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<sentence num="148">Ich hatte nicht begriffen, daß sie sich absichtlich hinter dem Spott versteckte, daß dies gewöhnlich der letzte Zug aller verschämten und in ihrem Herzen keuschen Menschen ist, wenn man ihre Seele roh und aufdringlich bestürmt, die bis zum letzten Augenblick aus Stolz sich nicht ergeben und fürchten, ihr Gefühl zu zeigen.</sentence>
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<sentence num="149">Schon aus der Schüchternheit, mit der sie nach mehreren Ansätzen ihren Spott endlich vorbrachte, hätte ich alles erraten müssen.</sentence>
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<sentence num="150">Ich aber erriet nichts, und ein ungutes Gefühl stieg in mir auf. “Warte nur”, dachte ich.</sentence>
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</chapter>
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<chapter num="18" name="Zweiter Teil - Kapitel VII">
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<sentence num="1"> »Hör auf, Lisa, was heißt hier ›wie nach dem Buch‹, wenn das alles mich schon als Unbeteiligten anekelt.</sentence>
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<sentence num="2">Dabei bin ich ja nicht unbeteiligt. Alles erwacht jetzt in meiner Seele… Sollte dieses Haus dich wirklich, wirklich nicht anekeln?</sentence>
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<sentence num="3">Nein, das ist also die Gewohnheit! Weiß der Teufel, was die Gewohnheit alles aus einem Menschen machen kann.</sentence>
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<sentence num="4">Solltest du denn im Ernst denken, daß du nicht alt wirst, ewig hübsch bleibst und daß man dich bis in alle Ewigkeit hierbehält?</sentence>
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<sentence num="5">Ich rede nicht einmal davon, daß hier nichts als Widerwärtigkeiten… Übrigens, weißt du, was ich dir darüber, über dein jetziges Leben nämlich, sagen werde: Jetzt bist du immerhin noch jung, hübsch, gut, du hast Gefühl und Herz; weißt du eigentlich, daß ich vorhin, als ich wieder zu mir kam, mich sofort vor dir ekelte!</sentence>
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<sentence num="6">Man kann ja doch nur in betrunkenem Zustand hierhergeraten.</sentence>
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<sentence num="7">Wärest du aber an einem anderen Ort, lebtest du, wie gute Menschen leben, so würde ich dir vielleicht nicht nur den Hof machen, sondern mich einfach in dich verlieben und über jeden deiner Blicke, nicht nur über jedes Wort, glücklich sein. Am Haustor würde ich dich erwarten, auf den Knien vor dir liegen; würde zu dir wie zu meiner Braut emporschauen und es mir zur Ehre anrechnen.</sentence>
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<sentence num="8">Ich würde nicht wagen, etwas Unsauberes von dir auch nur zu denken.</sentence>
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<sentence num="9">Hier aber weiß ich doch, daß ich nur zu pfeifen brauche, und du mußt kommen, ob du willst oder nicht, und nicht ich habe mich nach deinem, sondern du hast dich nach meinem Willen zu richten.</sentence>
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<sentence num="10">Selbst der letzte Bauer, wenn er auf Tagelohn geht, ist nicht mit Leib und Seele verdingt und weiß darüber hinaus, daß es nur eine gewisse Zeit dauert.</sentence>
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<sentence num="11">Wann aber ist deine Zeit um?</sentence>
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<sentence num="12">Besinne dich doch: Was gibst du hin?</sentence>
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<sentence num="13">Was hast du hier verkauft?</sentence>
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<sentence num="14">Die Seele, die Seele, die nicht dir gehört, hast du hier zusammen mit deinem Leibe verkauft.</sentence>
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<sentence num="15">Deine Liebe gibst du jedem Trunkenbold zu Schimpf und Schande preis.</sentence>
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<sentence num="16">Liebe!</sentence>
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<sentence num="17">Das ist ja das Ein und Alles, das ist ja der Diamant, der Schatz eines Mädchens, die Liebe. Um sie zu erringen, ist doch manch einer bereit, seine Seele hinzugeben, in den Tod zu gehen.</sentence>
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<sentence num="18">Und wie hoch wird deine Liebe hier geschätzt?</sentence>
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<sentence num="19">Man kauft dich ja ganz, mit Leib und Seele, wozu sich da noch besonders um Liebe bemühen, wenn auch ohne Liebe alles zu haben ist!</sentence>
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<sentence num="20">Eine größere Kränkung kann es für ein Mädchen nicht geben, begreifst du das auch?</sentence>
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<sentence num="21">Ich habe gehört, daß man euch Närrinnen hier Liebhaber erlaubt, um euch zu trösten; das ist doch aber nur Gaukelei, Betrug, Spott, ihr aber nehmt es ernst.</sentence>
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<sentence num="22">Soll er dich etwa wirklich lieben, dieser Liebhaber?</sentence>
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<sentence num="23">Das glaube ich nicht.</sentence>
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<sentence num="24">Wie soll er dich lieben, wenn er weiß, daß man dich zu jeder Zeit von ihm wegrufen kann.</sentence>
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<sentence num="25">Ein Schweinekerl ist er.</sentence>
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<sentence num="26">Achtet er dich denn auch nur ein wenig?</sentence>
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<sentence num="27">Was hast du mit ihm Gemeinsames?</sentence>
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<sentence num="28">Er lacht ja nur über dich und bestiehlt dich obendrein – das ist seine ganze Liebe!</sentence>
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<sentence num="29">Man kann noch froh sein, wenn er dich nicht prügelt.</sentence>
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<sentence num="30">Vielleicht prügelt er dich auch.</sentence>
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<sentence num="31">Frag ihn doch, wenn du einen hast, ob er dich heiraten würde.</sentence>
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<sentence num="32">Er wird dir ins Gesicht lachen, wenn er dir nicht ins Gesicht spuckt oder dich verprügelt. Er selbst aber ist keine halbe Kopeke wert.</sentence>
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<sentence num="33">Und wofür, besinne dich, wofür richtest du dein Leben zugrunde?</sentence>
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<sentence num="34">Weil du hier Kaffee zu trinken bekommst und dich hier satt essen kannst?</sentence>
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<sentence num="35">Wofür aber wirst du hier gefüttert?</sentence>
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<sentence num="36">Eine andere, eine Anständige, würde einen solchen Bissen nicht herunterkriegen, weil sie weiß, wofür man ihr zu essen gibt.</sentence>
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<sentence num="37">Du bist hier verschuldet, und du bleibst hier verschuldet bis an das letzte Ende, bis zu dem Tage, an dem die Gäste sich vor dir ekeln werden.</sentence>
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<sentence num="38">Das aber wird bald sein, verlaß dich ja nicht auf deine Jugend. Hier geht es ja wie mit der Post. Man wirft dich hinaus.</sentence>
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<sentence num="39">Aber man wird dich nicht einfach hinauswerfen, sondern lange vorher wird man dich schikanieren, dir Vorwürfe machen, dich beschimpfen – als ob du ihr nicht deine Gesundheit hingegeben, deine Jugend und deine Seele umsonst ihr geopfert, als ob du deine Wirtin zugrunde gerichtet, ruiniert, bestohlen hättest.</sentence>
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<sentence num="40">Erwarte keine Hilfe. Die anderen, deine Freundinnen, werden gleichfalls über dich herfallen, um sich bei der Wirtin einzuschmeicheln, denn hier sind alle Sklaven und haben längst Mitleid und Gewissen eingebüßt.</sentence>
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<sentence num="41">Durch und durch gemein sind sie geworden, und es gibt auf der ganzen Welt nichts Widerlicheres, Kränkenderes und Gemeineres als ihre Flüche.</sentence>
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<sentence num="42">Alles wirst du hier opfern, alles, ohne Rest – Gesundheit, Jugend, Schönheit, Hoffnungen, mit zweiundzwanzig Jahren wirst du aussehen wie eine Fünfunddreißigjährige und wirst noch Glück haben, wenn du bis dahin noch nicht krank bist, und Gott dafür danken müssen.</sentence>
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<sentence num="43">Du denkst jetzt sicher noch, daß du hier nicht zu arbeiten brauchst und dich vergnügen kannst!</sentence>
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<sentence num="44">Aber es gibt auf der ganzen Welt keine Arbeit, die schwerer und gemeiner wäre.</sentence>
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<sentence num="45">Das Herz zerfließt förmlich in Tränen.</sentence>
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<sentence num="46">Aber kein Wort wirst du sagen dürfen, kein halbes Wörtchen, wenn man dich hier hinauswirft, du schleichst dich wie eine Schuldige davon.</sentence>
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<sentence num="47">Du kommst in ein anderes Haus, dann in ein drittes, dann wieder in ein anderes und wirst schließlich auf der Sennaja landen.</sentence>
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<sentence num="48">Dort aber ist das Prügeln an der Tagesordnung; es ist die dort übliche Zärtlichkeit. Dort kann der Gast ohne Prügel nicht zärtlich sein.</sentence>
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<sentence num="49">Du glaubst nicht, daß es dort so zugeht?</sentence>
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<sentence num="50">Geh mal hin, dann wirst du’s mit eigenen Augen sehen.</sentence>
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<sentence num="51">Ich habe dort einmal am Neujahrstage eine vor der Tür gesehen.</sentence>
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<sentence num="52">Ihre eigenen Genossinnen hatten sie hinausgesetzt und hinter ihr die Tür zugeschlagen; sie sollte sich ein wenig abkühlen, weil sie allzu laut geheult hatte.</sentence>
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<sentence num="53">Schon um neun Uhr morgens war sie völlig betrunken, zerzaust, halb nackt und blaugeschlagen. Das Gesicht geschminkt, aber unter den Augen blaue Flecke; blutende Nase und Lippen; irgendein Droschkenkutscher mußte sie gerade gehörig bearbeitet haben.</sentence>
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<sentence num="54">Sie ließ sich auf die steinernen Stufen nieder, in der Hand hielt sie irgendeinen gesalzenen Fisch; sie heulte, beklagte ihr Los und schlug dabei mit dem Fisch gegen die Stufen. Kutscher und betrunkene Soldaten versammelten sich um die Treppe und neckten sie.</sentence>
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<sentence num="55">Du kannst dir wohl nicht denken, daß es auch dir so gehen wird.</sentence>
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<sentence num="56">Auch ich möchte lieber nicht daran denken; aber woher willst du es wissen, vielleicht kam gerade diese mit dem gesalzenen Fisch vor etwa zehn oder acht Jahren hierher – sie kam frisch, wie ein kleiner Engel, unschuldig und rein; sie ahnte nichts Böses und errötete bei jedem Wort.</sentence>
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<sentence num="57">Vielleicht war sie genauso wie du, stolz und empfindlich, den anderen unähnlich, sah vielleicht wie eine Königin drein und wußte selbst, welches Glück jenen erwartet, der sie lieben und den sie wiederlieben würde.</sentence>
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<sentence num="58">Und siehst du nun, welches Ende es genommen hat?</sentence>
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<sentence num="59">Und wenn sie im selben Augenblick, als sie dort mit diesem Fisch auf die schmutzigen Stufen klopfte, betrunken und zerzaust, wenn sie sich gerade in diesem Augenblick ihrer früheren reinen Jahre im Elternhaus erinnerte, als sie noch in die Schule ging und der Nachbarssohn sie auf dem Heimweg erwartete und ihr beteuerte, daß er sie sein ganzes Leben lang lieben werde, daß er nur für sie leben möchte, und wie sie dann zusammen beschlossen, sich ewig zu lieben und zu heiraten, wenn sie groß wären!</sentence>
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<sentence num="60">Nein, Lisa, du kannst von Glück, wirklich von Glück sagen, wenn du irgendwo dort in der Ecke, in einem Keller, so bald wie möglich an Schwindsucht stirbst.</sentence>
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<sentence num="61">Du sprachst vorhin vom Krankenhaus.</sentence>
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<sentence num="62">Wenn man dich hinbringt, ist alles gut, wenn aber die Wirtin dich noch brauchen kann?</sentence>
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<sentence num="63">Schwindsucht ist etwas anderes als Influenza.</sentence>
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<sentence num="64">Ein Schwindsüchtiger hofft bis zum letzten Augenblick und behauptet, er sei gesund, er macht sich das selbst vor.</sentence>
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<sentence num="65">Für die Wirtin aber ist das vorteilhaft. Glaub mir, das ist so; du hast dich verkauft, du bist Geld schuldig, also darfst du keinen Muckser tun.</sentence>
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<sentence num="66">Wenn’s aber ans Sterben geht, werden alle dich verlassen, alle dir den Rücken zukehren, denn dann ist bei dir nichts mehr zu holen.</sentence>
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<sentence num="67">Dann wird man dir auch noch vorwerfen, daß du unnütz Platz wegnimmst und nicht schnell genug stirbst.</sentence>
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<sentence num="68">Du wirst sie um einen Schluck Wasser anflehen, aber auch den bekommst du nur unter Verwünschungen: ›Wann krepierst du endlich, du Aas, du läßt uns nicht schlafen, stöhnst in der Nacht, die Gäste nehmen daran Anstoß.‹ Das wird bestimmt so kommen; ich selbst habe solche Reden einmal gehört.</sentence>
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<sentence num="69">Man steckt dich, wenn du mit dem Tode ringst, in den schmutzigsten Kellerwinkel – in Dunkelheit und Moder; was für Gedanken werden dir durch den Kopf gehen, wenn du dort allein liegst?</sentence>
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<sentence num="70">Bist du gestorben, so packt man dich hastig, lieblos, mürrisch und ungeduldig in den Sarg – keiner segnet dich, keinem entringt sich auch nur ein Seufzer, alles geschieht in größter Eile. Man kauft einen billigen Sarg und trägt dich dann hinaus, so wie man heute diese Arme hinausgetragen hat, und dann gedenkt man deiner in der Schenke.</sentence>
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<sentence num="71">Im Grabe Schlamm, Moder, nasser Schnee – sollte man denn deinetwegen Umstände machen? ›Runter mit ihr, Wanka; siehst du – auch hier streckt sie noch die Beine hoch, so eine war das.</sentence>
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<sentence num="72">Zieh den Strick an, du Gauner.‹ – ›Ist schon recht.‹ – ›Wieso recht?</sentence>
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<sentence num="73">Siehst du denn nicht, daß sie auf der Seite liegt?</sentence>
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<sentence num="74">Immerhin ist sie doch auch ein Mensch gewesen, oder nicht? Ist schon recht, schütt zu.‹ Deinetwegen lohnt es sich nicht zu streiten.</sentence>
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<sentence num="75">Eilig schütten sie das Grab mit nassem, blauem Lehm zu und gehen in die Schenke… Und damit hat die Erinnerung an dich auf Erden ein Ende; andere Gräber werden von den Kindern, den Vätern oder Gatten besucht, über dir aber – keine Träne, kein Seufzer, keine Erinnerung, und niemand, niemand auf der ganzen Welt wird je an dein Grab kommen; dein Name verschwindet auf ewig vom Angesicht der Erde, als ob es dich nie gegeben hätte, als ob du nie geboren wärest!</sentence>
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<sentence num="76">Schlamm und Sumpf, und es bleibt dir nichts anderes übrig, als nachts, wenn die Toten sich erheben, gegen den Sargdeckel zu klopfen und zu rufen: ›Laßt mich noch einmal leben, ihr guten Menschen!</sentence>
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<sentence num="77">Ich lebte – ohne das Leben zu kennen, mein Leben wurde zu einem Wischlumpen gemacht; in einer Schenke auf der Sennaja wurde es versoffen, laßt mich, ihr guten Menschen, noch einmal leben!‹« Ich geriet in Pathos, so sehr, daß ich einen Weinkrampf nahen spürte und… plötzlich hielt ich inne, erhob mich erschrocken und horchte mit ängstlich eingezogenem Kopf und pochendem Herzen.</sentence>
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<sentence num="78">Ich hatte wahrlich genügend Grund, verlegen zu werden.</sentence>
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<sentence num="79">Schon lange hatte ich gespürt, daß ich ihre ganze Seele aufgewühlt und ihr Herz zerbrochen hatte; und je mehr ich mich davon überzeugte, desto mehr drängte es mich, so schnell wie möglich und so stark wie möglich das Ziel zu erreichen.</sentence>
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<sentence num="80">Das Spiel, das Spiel riß mich mit. Übrigens war es nicht nur Spiel… Ich wußte, daß ich gespreizt und steif gesprochen hatte, mit einem Wort, ›literarisch‹, ich konnte ja gar nicht anders sprechen als eben ›wie nach dem Buch‹.</sentence>
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<sentence num="81">Das aber störte mich nicht: ich wußte, ich ahnte, daß ich verstanden wurde und daß dieses Literarische die Wirkung womöglich noch steigerte. Jetzt aber, angesichts des Erfolges, bekam ich plötzlich Angst. Nein, niemals, niemals war ich Zeuge einer solchen Verzweiflung gewesen!</sentence>
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<sentence num="82">Sie hatte das Gesicht tief in die Kissen vergraben, die sie mit beiden Händen umklammert hielt.</sentence>
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<sentence num="83">Ihre Brust drohte zu zerspringen.</sentence>
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<sentence num="84">Der ganze junge Körper bebte und zuckte wie in Krämpfen.</sentence>
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<sentence num="85">Das unterdrückte Schluchzen ballte sich in ihrer Brust, würgte sie und brach in Schreien und Stöhnen aus ihr heraus. Dann preßte sie sich noch fester an das Kissen: sie wollte vermeiden, daß irgend jemand hier in diesem Hause, auch nicht eine einzige Seele, von ihren Qualen und ihren Tränen erführe.</sentence>
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<sentence num="86">Sie biß in das Kissen, sie biß sich die Hand blutig (das sah ich später), sie krallte die Finger in ihre aufgelösten Zöpfe und erstarb förmlich, mit angehaltenem Atem und zusammengebissenen Zähnen.</sentence>
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<sentence num="87">Ich begann auf sie einzureden, ich bat sie, sich zu beruhigen, doch schon fühlte ich, daß ich es nicht durfte, stürzte plötzlich, selbst fiebernd, beinahe von Sinnen aus dem Bett und begann hastig, meine Sachen tastend zusammenzusuchen.</sentence>
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<sentence num="88">Es war vollkommen dunkel: wie sehr ich mich auch bemühte, es dauerte mir viel zu lange.</sentence>
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<sentence num="89">Plötzlich hatte ich eine Streichholzschachtel und einen Leuchter mit einer neuen, noch nicht angebrannten Kerze.</sentence>
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<sentence num="90">Kaum flackerte die Kerze auf, erhob sich Lisa plötzlich, setzte sich hin und starrte mich an, mit verzerrtem Gesicht, verstört lächelnd, wie von Sinnen.</sentence>
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<sentence num="91">Ich setzte mich neben sie und ergriff ihre Hände; sie kam zu sich, wandte sich mir heftig zu, als wollte sie mich umarmen, doch wagte sie es nicht und senkte still den Kopf.</sentence>
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<sentence num="92">»Lisa, meine Freundin, ich durfte nicht… vergib mir«, begann ich, sie aber preßte meine Hände so stark mit ihren Fingern, daß ich erriet, wie unpassend meine Worte waren, und verstummte.</sentence>
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<sentence num="93">»Hier ist meine Adresse, Lisa, du sollst zu mir kommen.« »Ich werde kommen… «, flüsterte sie entschlossen, immer noch ohne aufzublicken.</sentence>
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<sentence num="94">»Und jetzt werde ich gehen, leb wohl… auf Wiedersehen.« Ich erhob mich, und auch sie stand auf, wurde plötzlich über und über rot, fuhr zusammen, griff nach einem auf dem Stuhl liegenden Schal, warf ihn über die Schultern und hüllte sich bis zum Kinn ein.</sentence>
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<sentence num="95">Dann lächelte sie wieder schmerzlich, errötete und sah mich mit einem sonderbaren Blick an.</sentence>
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<sentence num="96">Es tat mir weh; ich wollte so schnell wie möglich hinaus, verschwinden.</sentence>
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<sentence num="97">»Warten Sie«, sagte sie plötzlich, als wir schon im Flur an der Tür angelangt waren, wobei sie mich am Mantel zupfte, stellte dann das Licht irgendwo ab und stürzte davon –, offensichtlich war ihr etwas eingefallen oder sie wollte mir etwas zeigen.</sentence>
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<sentence num="98">Im Weglaufen errötete sie wieder, ihre Augen glänzten, ein Lächeln spielte um ihren Mund – was mochte es sein?</sentence>
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<sentence num="99">Ich wartete: sie kam sofort zurück mit einem Blick, der gleichsam um Vergebung bat.</sentence>
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<sentence num="100">Überhaupt war es nicht mehr dasselbe Gesicht, nicht mehr derselbe Blick wie vorhin – düster, mißtrauisch und starr.</sentence>
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<sentence num="101">Ihre Augen waren jetzt bittend, weich und zutraulich, zärtlich und schüchtern zugleich.</sentence>
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<sentence num="102">So pflegen Kinder diejenigen anzusehen, die sie sehr lieben und von denen sie etwas erbitten möchten.</sentence>
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<sentence num="103">Sie hatte hellbraune Augen, wundervolle, lebendige Augen, die sowohl Liebe als auch düsteren Haß widerzuspiegeln vermochten.</sentence>
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<sentence num="104">Ohne mir etwas zu erklären, als ob ich wie ein höheres Wesen alles auch ohne Erklärung wissen müßte, hielt sie mir ein Blatt hin.</sentence>
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<sentence num="105">Ihr ganzes Gesicht erstrahlte in diesem Augenblick in einem naiven, beinahe kindlichen Triumph.</sentence>
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<sentence num="106">Ich entfaltete das Blatt.</sentence>
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<sentence num="107">Es war ein Brief an sie, von irgendeinem Medizinstudenten oder so etwas – eine hochtrabende, blumenreiche, doch außerordentlich ehrerbietige Liebeserklärung.</sentence>
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<sentence num="108">Ich habe die Einzelheiten vergessen, aber ich kann mich noch sehr gut erinnern, daß durch den verschnörkelten Stil ein aufrichtiges Gefühl hindurchleuchtete, das man nicht vortäuschen kann.</sentence>
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<sentence num="109">Als ich zu Ende gelesen hatte, begegnete ich ihrem heißen, neugierigen und kindlich ungeduldigen Blick.</sentence>
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<sentence num="110">Ihre Augen hingen an meinem Gesicht, und sie wartete ungeduldig, was ich sagen würde.</sentence>
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<sentence num="111">In kurzen Worten, eilig, aber irgendwie freudig und voll Stolz, erklärte sie mir, daß sie auf einem Tanzabend in einer Familie gewesen wäre, bei »sehr, sehr guten Menschen, in einer Irgendwie verschämt senkte sie ihre funkelnden Augen, als sie ihre Erzählung beendet hatte.</sentence>
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<sentence num="112">Die Ärmste, sie bewahrte diesen Brief wie eine Kostbarkeit und holte diese einzige Kostbarkeit eilig hervor, weil sie nicht wollte, daß ich fortginge, ohne zu erfahren, daß auch sie in Ehren und aufrichtig geliebt wurde, daß man auch zu ihr ehrerbietig sprach.</sentence>
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<sentence num="113">Vermutlich war es wohl diesem Brief beschieden, ohne alle Folgen in einem Kästchen liegenzubleiben.</sentence>
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<sentence num="114">Aber das hatte nichts zu sagen; ich bin überzeugt, daß sie ihn ihr Leben lang wie eine Kostbarkeit bewahren würde, als ihren Stolz und ihre Rechtfertigung. Jetzt, in diesem Augenblick, fiel ihr der Brief ein, und sie holte ihn hervor, um ihn mir mit naivem Stolz zu zeigen, um in meinen Augen wieder zu steigen, auch ich sollte ihn sehen, auch ich sollte ihn bewundern.</sentence>
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<sentence num="115">Ich sagte kein Wort, drückte ihr die Hand und ging hinaus.</sentence>
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<sentence num="116">Ich wollte fort… Ich legte den ganzen Weg zu Fuß zurück, obwohl der nasse Schnee immer noch in dichten schweren Flocken fiel.</sentence>
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<sentence num="117">Ich war zerquält, vernichtet, fassungslos.</sentence>
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<sentence num="118">Doch die Wahrheit schimmerte bereits durch die Fassungslosigkeit hindurch.</sentence>
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</chapter>
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<chapter num="19" name="Zweiter Teil - Kapitel VIII">
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<sentence num="1"> Ich habe mich übrigens mit dieser Wahrheit nicht so bald einverstanden erklärt.</sentence>
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<sentence num="2">Als ich am Morgen nach einigen Stunden schweren, bleiernen Schlafes erwachte und mich sofort an den ganzen vergangenen Tag erinnerte, wunderte ich mich sogar über meine gestrige “Was für eine weibische Nervosität einen doch manchmal überfallen kann!” entschied ich.</sentence>
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<sentence num="3">“Und wozu habe ich ihr eigentlich meine Adresse aufgedrängt?</sentence>
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<sentence num="4">Und wenn sie nun jetzt kommt?</sentence>
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<sentence num="5">Und übrigens mag sie nur kommen; egal… ” Die Hauptsache war, Simonow die gestrige Schuld zurückzuzahlen.</sentence>
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<sentence num="6">Ich entschloß mich zu einem gewagten Schritt: Anton Antonytsch um ganze fünfzehn Rubel anzugehen.</sentence>
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<sentence num="7">Ausgerechnet an diesem Morgen war er bei bester Laune und erfüllte meine Bitte ohne weiteres, nach den ersten Worten.</sentence>
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<sentence num="8">Ich war darüber so froh, daß ich ihm beim Unterschreiben der Quittung mit verwegener Miene Nach Hause zurückgekehrt, schrieb ich sofort an Simonow.</sentence>
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<sentence num="9">Bis auf den heutigen Tag habe ich meine Freude daran, wenn ich an den wahrhaft weltmännischen, gutmütigen und offenherzigen Ton meines Briefes zurückdenke. Gewandt, vornehm und vor allen Dingen ohne jedes überflüssige Wort nahm ich alle Schuld auf mich. Ich rechtfertigte mich, »wenn es mir überhaupt noch zusteht, mich zu rechtfertigen«, mit der Erklärung, daß ich, an Alkohol nicht gewöhnt, bereits nach dem ersten Gläschen betrunken war, welches ich (angeblich) vor ihrer Ankunft getrunken hatte, als ich von fünf bis sechs im Hôtel de Paris auf sie wartete.</sentence>
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<sentence num="10">Ich entschuldigte mich eigentlich nur bei Simonow; ich bat ihn lediglich, meine Erklärungen auch allen anderen zu übermitteln, besonders Swerkow, den ich, »ich glaube mich wie im Traum zu erinnern«, vielleicht beleidigt hätte.</sentence>
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<sentence num="11">Ich fügte hinzu, daß ich gerne persönlich bei allen vorgesprochen hätte, wenn nicht die Kopfschmerzen wären und ich mich nicht so sehr schämte.</sentence>
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<sentence num="12">Besonders gefiel mir diese ›gewisse Leichtigkeit‹, beinahe eine Lässigkeit (übrigens eine durch und durch vornehme), die sich plötzlich in jeder Zeile spiegelte und besser als alle Beweise zu verstehen geben mußte, daß ich dieser »ganzen gestrigen Scheußlichkeit« ziemlich überlegen gegenüberstehe, daß ich durchaus nicht zerknirscht bin, wie Sie, meine Herrschaften, wahrscheinlich glauben, keineswegs, sondern ganz im Gegenteile die Sache so auffasse, wie ein Gentleman mit ruhigem Selbstbewußtsein sie eben auffassen muß.</sentence>
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<sentence num="13">»Die Wahrheit bringt dem Helden keinen Vorwurf.« “Ist das nicht einfach galant und spielerisch?” staunte ich, den Brief noch einmal überfliegend.</sentence>
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<sentence num="14">“Und das alles, weil ich ein entwickelter und gebildeter Mensch bin!</sentence>
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<sentence num="15">Jeder andere würde an meiner Stelle nicht wissen, wie er sich aus dieser Affäre ziehen soll, ich aber bin schon wieder obenauf und lebe drauflos, und das nur, weil ich eben ein ‹gebildeter und entwickelter Mensch unserer Zeit› bin.</sentence>
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<sentence num="16">Vielleicht lag es wirklich gestern nur am Wein?</sentence>
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<sentence num="17">Hm, das stimmt ja nun nicht, das lag nicht am Wein.</sentence>
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<sentence num="18">Und Wodka hatte ich ja überhaupt nicht getrunken zwischen fünf und sechs, als ich auf sie wartete.</sentence>
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<sentence num="19">Da habe ich Simonow belogen; gewissenlos belogen; aber auch jetzt macht es mir nichts aus… Bah, übrigens, Schwamm drüber!</sentence>
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<sentence num="20">Als er erfuhr, daß das Kuvert Geld enthielt, wurde er ehrerbietiger und erklärte sich bereit hinzugehen.</sentence>
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<sentence num="21">Gegen Abend ging ich spazieren.</sentence>
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<sentence num="22">Mein Kopf tat immer noch weh, und mir schwindelte.</sentence>
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<sentence num="23">Doch je näher der Abend heranrückte und je dichter die Dämmerung wurde, desto schneller und verwirrender wechselten meine Empfindungen und auch meine Gedanken.</sentence>
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<sentence num="24">Irgend etwas in mir, in der Tiefe des Herzens, wollte nicht sterben, es wollte nicht sterben und blieb als brennende Sehnsucht.</sentence>
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<sentence num="25">Ich suchte die belebtesten Geschäftsstraßen, die Meschtschanskije, die Sadowaja, entlang dem Jusupow-Park.</sentence>
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<sentence num="26">Ich liebte es besonders, in der Dämmerung durch diese Straßen zu gehen, wenn dort die Menge der Fußgänger dichter wurde, wenn Handwerker und Arbeiter mit ihren bis zur Boshaftigkeit sorgenvollen Gesichtern von ihrer Arbeit nach Hause strebten.</sentence>
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<sentence num="27">Mir gefiel gerade dieses Hasten nach der Kopeke, diese unverfrorene Prosa. An jenem Abend wirkte das Straßengedränge ganz besonders aufreizend auf mich. Ich konnte mit mir nicht fertig werden, ich konnte die Enden nicht finden.</sentence>
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<sentence num="28">Irgend etwas stieg in mir auf, ununterbrochen stieg es in meiner Seele auf, unter Schmerzen, und ließ sich nicht abweisen.</sentence>
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<sentence num="29">Gänzlich zerschlagen kehrte ich schließlich heim. Es war mir, als laste auf meiner Seele irgendein Verbrechen.</sentence>
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<sentence num="30">Es quälte mich beständig der Gedanke, daß Lisa kommen würde. Mich wunderte, daß von allen gestrigen Erinnerungen die Erinnerung an sie mich irgendwie besonders, von allem anderen irgendwie unabhängig quälte.</sentence>
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<sentence num="31">Es gelang mir, alles andere bis zum Abend zu vergessen, einen Schlußstrich zu ziehen, und ich war immer noch mit meinem Brief an Simonow völlig zufrieden.</sentence>
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<sentence num="32">Aber mit dem einen war ich nicht zufrieden, Es war geradezu, als quälte mich nur Lisa allein.</sentence>
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<sentence num="33">“Wenn sie aber jetzt kommt?” dachte ich ununterbrochen. “Nun, dann wird sie eben kommen.</sentence>
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<sentence num="34">Hm! Allein schon, daß sie zum Beispiel sehen wird, wie ich wohne.</sentence>
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<sentence num="35">Gestern trat ich als Held auf… Und jetzt, hm!</sentence>
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<sentence num="36">Eigentlich ist es doch schändlich, daß ich so heruntergekommen bin. Die Wohnung ist richtig armselig.</sentence>
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<sentence num="37">Und gestern konnte ich mich entschließen, in solchen Kleidern zum Essen zu gehen!</sentence>
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<sentence num="38">Und mein Wachstuchsofa, aus dem das Seegras herausquillt! Und mein Schlafrock, der vorne nicht zugeht! Lauter Fetzen… Und sie wird das alles sehen; und auch Apollon wird sie sehen.</sentence>
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<sentence num="39">Dieses Rindvieh wird sie bestimmt beleidigen.</sentence>
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<sentence num="40">Er wird sie beleidigen, um mich zu ärgern.</sentence>
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<sentence num="41">Ich aber werde selbstverständlich nach alter Gewohnheit verlegen werden, vor ihr tänzeln, die Schlafrockschöße übereinanderschlagen, werde lächeln, lügen.</sentence>
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<sentence num="42">Oh, diese Schändlichkeit!</sentence>
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<sentence num="43">Aber das ist noch nicht die größte Schändlichkeit!</sentence>
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<sentence num="44">Hier gibt es etwas noch Tieferes, Widerlicheres, Gemeineres!</sentence>
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<sentence num="45">Ja, Gemeineres! Und wieder, wieder diese ehrlose, verlogene Maske!” Bei diesem Gedanken angelangt, fuhr ich förmlich hoch: “Warum denn ehrlos?</sentence>
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<sentence num="46">Wieso ehrlos? Ich habe doch gestern aufrichtig gesprochen. Ich erinnere mich doch noch, daß auch in mir ein echtes Gefühl war.</sentence>
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<sentence num="47">Ich wollte ja gerade in ihr edle Gefühle wecken… Und wenn sie ein wenig weinte, so ist das gut, es wird eine heilsame Wirkung haben.” Und dennoch konnte ich mich nicht beruhigen.</sentence>
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<sentence num="48">Diesen ganzen Abend, auch nachdem ich zurückgekehrt war, bereits nach neun, also zu einer Zeit, da Lisa wohl nicht mehr kommen konnte, sah ich sie immer wieder vor mir, und zwar in ein und derselben Stellung.</sentence>
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<sentence num="49">Es war ein Bild, das von allem Gestrigen sich besonders deutlich mir eingeprägt hatte: wie ich mit dem Streichholz plötzlich das Zimmer erhellte und ihr bleiches, verzerrtes Gesicht mit dem leidenden Blick vor mir sah.</sentence>
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<sentence num="50">Und was für ein klägliches, was für ein gezwungenes, verzerrtes Lächeln hatte sie in diesem Augenblick!</sentence>
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<sentence num="51">Dabei wußte ich damals noch nicht, daß ich auch nach fünfzehn Jahren Lisa noch immer mit diesem kläglichen, verzerrten, unnötigen Lächeln von damals vor mir sehen würde.</sentence>
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<sentence num="52">Am folgenden Tage war ich wieder bereit, das Ganze für Unsinn, Nervosität und vor allen Dingen übertrieben zu halten.</sentence>
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<sentence num="53">Ich war mir dieser Schwäche immer bewußt und habe mich zuweilen sehr vor ihr gefürchtet: “Das ist es ja, daß ich alles übertreibe, das ist nun einmal mein Elend”, wiederholte ich mir stündlich.</sentence>
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<sentence num="54">Aber übrigens, “übrigens wird Lisa wahrscheinlich trotzdem kommen” – das war der Refrain, mit dem alle meine Gedanken damals endeten.</sentence>
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<sentence num="55">Ich war dermaßen aufgeregt, daß ich zuweilen in größte Wut geriet: “Sie wird kommen! Sie wird unbedingt kommen!” rief ich aus, im Zimmer auf und ab laufend.</sentence>
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<sentence num="56">“Wenn nicht heute, dann morgen, sie wird mich schon finden!</sentence>
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<sentence num="57">Das ist die verfluchte Romantik all dieser “Und wie wenige, wenige Worte waren erforderlich”, dachte ich flüchtig, “wie wenige Worte, wie wenig Idyll (und dazu noch gespreiztes, erdachtes, literarisches Idyll), um sofort ein ganzes Leben nach eigenem Willen in eine andere Bahn zu lenken.</sentence>
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<sentence num="58">Das ist Jungfräulichkeit!</sentence>
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<sentence num="59">Das ist Neuland!” Zuweilen kam mir auch der Gedanke, selbst zu ihr zu gehen, “ihr alles zu gestehen” und sie anzuflehen, nicht zu mir zu kommen.</sentence>
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<sentence num="60">Aber in diesem Augenblick, bei diesem Gedanken stieg in mir eine solche Wut auf, daß ich diese “verfluchte” Lisa einfach vernichtet hätte, wäre sie zufällig in meiner Nähe gewesen, daß ich sie beleidigt, angespuckt, hinausgeworfen, geschlagen hätte!</sentence>
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<sentence num="61">Inzwischen verging der erste Tag, ein zweiter und ein dritter – sie kam immer noch nicht, und ich begann mich zu beruhigen.</sentence>
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<sentence num="62">Ich faßte Mut und wurde wieder munter, besonders nach neun, ja ich begann sogar wieder zu träumen, und zwar recht hübsch: “Ich rette Lisa zum Beispiel gerade dadurch, daß sie mich besucht und ich zu ihr spreche… Ich erziehe, ich bilde sie.</sentence>
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<sentence num="63">Ich sehe schließlich, daß sie mich liebt, daß sie mich leidenschaftlich liebt.</sentence>
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<sentence num="64">Ich tue, als merke ich nichts (warum ich das tue, weiß ich übrigens selbst nicht, wahrscheinlich weil es schöner ist).</sentence>
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<sentence num="65">Schließlich stürzt sie, verwirrt und schön, bebend und schluchzend mir zu Füßen und sagt mir, daß ich ihr Retter sei, daß sie mich mehr als alles auf der Welt liebe.</sentence>
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<sentence num="66">Ich bin erstaunt, aber… Lisa, sage ich, glaubst du wirklich, daß ich deine Liebe nicht bemerkt hätte?</sentence>
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<sentence num="67">Alles habe ich gesehen, alles habe ich erraten, aber ich habe es nicht gewagt, als erster um dein Herz zu werben, weil ich von meinem Einfluß auf dich wußte und deshalb fürchtete, daß du dich vielleicht nur aus Dankbarkeit, um meine Liebe zu erwidern, mit Gewalt zu einem Gefühl zwingen würdest, das du vielleicht gar nicht hast, das aber wollte ich vermeiden, denn das ist… despotisch… Das wäre unzart (kurz, ich verlor hier den Boden unter den Füßen vor lauter europäischer George-Sandscher unaussprechlich edler Feinheit).</sentence>
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<sentence num="68">Aber jetzt, jetzt bist du mein, mein Geschöpf, du bist rein, schön, du bist mein wundervolles Weib.</sentence>
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<sentence num="69">Dann leben wir in aller Herrlichkeit los, fahren ins Ausland usw. usw.” Mit einem Wort, es wurde selbst mir zuwider, und ich schloß damit, daß ich mir selbst die Zunge herausstreckte.</sentence>
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<sentence num="70">“Man läßt sie ja überhaupt nicht gehen, die Hure!” dachte ich, “man läßt sie nicht besonders gerne aus dem Haus, glaube ich, abends schon gar nicht (aus irgendeinem Grunde glaubte ich, daß sie bestimmt am Abend kommen würde, und zwar gerade um sieben Uhr).</sentence>
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<sentence num="71">Allerdings hat sie mir gesagt, daß sie sich dort noch nicht endgültig verkauft hat und besondere Vorrechte genießt; hm!</sentence>
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<sentence num="72">Hol’s der Teufel, dann wird sie kommen, dann wird sie unbedingt kommen!” Es war noch ein Glück, daß Apollon mich während dieser Zeit durch seine Dreistigkeit ablenkte.</sentence>
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<sentence num="73">Er brachte mich um meine letzte Fassung! Er war mein Verderben, eine Geißel Gottes, die von der Vorsehung geschwungen wurde.</sentence>
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<sentence num="74">Wir lagen dauernd im Krieg miteinander, schon seit mehreren Jahren, und ich haßte ihn.</sentence>
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<sentence num="75">Mein Gott, wie ich ihn haßte! Niemand habe ich in meinem Leben so gehaßt wie ihn, besonders in gewissen Augenblicken.</sentence>
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<sentence num="76">Er war ein älterer gravitätischer Mensch, der nebenher ein wenig schneiderte.</sentence>
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<sentence num="77">Aber aus einem unbekannten Grund verachtete er mich über alle Maßen und sah unerträglich hochmütig auf mich herab. Übrigens sah er auf alle herab.</sentence>
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<sentence num="78">Man brauchte nur einen Blick auf diesen weißblonden, gestriegelten Kopf zu werfen, auf die sorgfältig gedrehte Tolle, die er mit Sonnenblumenöl salbte, auf diesen seriösen, stets tugendhaft geschürzten Mund – und man merkte sofort, daß man ein Wesen vor sich hatte, das keinerlei Zweifel an sich selbst empfand.</sentence>
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<sentence num="79">Er war ein Pedant höchsten Grades, der größte Pedant von allen, denen ich je begegnet bin, und dazu noch von einer Eitelkeit, die sich höchstens ein Alexander von Mazedonien hätte leisten dürfen.</sentence>
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<sentence num="80">Er war in jeden seiner Knöpfe verliebt, in jeden seiner Fingernägel – eben verliebt. Diese Verliebtheit sah man ihm sofort an!</sentence>
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<sentence num="81">Mich behandelte er ausgesprochen despotisch, sprach mit mir äußerst selten, und wenn er mich eines Blickes würdigte, so geschah das mit einem sicheren, würdevoll-selbstbewußten und stets spöttischen Ausdruck, der mich bisweilen zur Raserei brachte.</sentence>
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<sentence num="82">Seinen Dienst versah er mit einem Gesicht, als erweise er mir die größte Gnade. Übrigens tat er so gut wie gar nichts für mich und hielt sich auch nicht für verpflichtet, etwas zu tun. Es bestand keinerlei Zweifel, daß er mich als den letzten Trottel der ganzen Welt betrachtete, und er ›duldete mich nur deshalb in seiner Nähe‹, weil er von mir seinen monatlichen Lohn fordern konnte.</sentence>
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<sentence num="83">Er war bereit, bei mir für diese sieben Rubel monatlich ›nichts zu tun‹.</sentence>
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<sentence num="84">Seinetwegen werden mir bestimmt viele Sünden vergeben. Zuweilen war mein Haß auf ihn so groß, daß mir schon sein Gang Krämpfe verursachte. Doch ganz besonders widerlich war mir sein Lispeln.</sentence>
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<sentence num="85">Seine Zunge war etwas länger, als es sich gehört, oder was weiß ich, jedenfalls lispelte er beständig und war auch noch stolz darauf, weil er sich einbildete, daß es ihm eine gewisse Vornehmheit verleihe.</sentence>
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<sentence num="86">Er sprach immer leise, gesetzt, die Hände auf dem Rücken und die Augen zu Boden gesenkt. Ganz besonders brachte er mich auf, wenn er in seiner Kammer Psalmen zu lesen begann. Dieser Psalmen wegen habe ich die härtesten Kämpfe mit ihm ausgefochten.</sentence>
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<sentence num="87">Aber er liebte es sehr, allabendlich zu lesen, mit leiser gleichmäßiger Stimme in singendem Tonfall, ganz wie über einem Toten. Es ist bemerkenswert, daß er dabei blieb: jetzt liest er Psalmen bei den Toten, nebenbei vertilgt er Ratten und stellt Schuhwichse her.</sentence>
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<sentence num="88">Damals jedoch konnte ich mich von ihm nicht trennen, ganz, als wäre er mit meiner Existenz irgendwie chemisch verbunden.</sentence>
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<sentence num="89">Außerdem wäre er nie bereit gewesen zu gehen. Ich konnte niemals in möblierten Zimmern wohnen: meine winzige Wohnung war mein Haus, meine Schale, mein Futteral, in das ich mich vor aller Menschheit verkroch, Apollon aber, der Teufel weiß warum, schien mir zu dieser Wohnung zu gehören, und so brachte ich es ganze sieben Jahre lang nicht fertig, mich seiner zu entledigen.</sentence>
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<sentence num="90">Sein Gehalt auch nur zwei, drei Tage lang zurückzuhalten war ausgeschlossen. Er hätte sich so aufgeführt, daß ich weder aus noch ein gewußt hätte.</sentence>
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<sentence num="91">In diesen Tagen aber war ich dermaßen mit allem zerfallen, daß ich mich aus irgendeinem Grund und zu irgendeinem Zweck entschloß, Apollon Aber wie aufgebracht ich auch war, gesiegt hat er doch. Ich habe keine vier Tage durchgehalten.</sentence>
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<sentence num="92">Er begann, womit er schon immer in ähnlichen Fällen zu beginnen pflegte, denn ähnliche Fälle hatte es schon gegeben, ähnliche Fälle waren schon herbeigeführt worden (und ich möchte gleich hinzufügen, daß ich das alles im voraus wußte, daß ich seine ganze niederträchtige Taktik auswendig kannte); nämlich: er begann damit, daß er einen ungemein strengen Blick auf mich richtete und einige Minuten lang auf mir ruhen ließ, insbesondere, wenn er mich an der Tür empfing oder hinausbegleitete.</sentence>
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<sentence num="93">Hielt ich dann zum Beispiel stand und tat, als bemerke ich diese Blicke überhaupt nicht, so ging er, immer noch schweigend, zu der nächsten Folter über.</sentence>
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<sentence num="94">Plötzlich, mir nichts, dir nichts, kommt er mit leisen und gemessenen Schritten in mein Zimmer, wenn ich auf und ab gehe oder lese, bleibt an der Tür stehen, legt eine Hand auf den Rücken, stellt ein Bein vor und richtet den Blick auf mich – einen nicht mehr bloß strengen, sondern vollends verächtlichen Blick.</sentence>
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<sentence num="95">Wenn ich ihn dann frage, was er wolle, antwortet er mit keiner Silbe, fährt fort, mich noch einige Sekunden lang anzustarren, um sich dann mit seltsam zusammengekniffenen Lippen und bedeutsamer Miene langsam umzudrehen und sich langsam in seine Kammer zurückzuziehen.</sentence>
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<sentence num="96">Nach etwa zwei Stunden kommt er wieder heraus und pflanzt sich wieder vor mir auf.</sentence>
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<sentence num="97">Es kam vor, daß ich ihn vor Zorn überhaupt nicht mehr fragte, was er wolle, sondern mich entschlossen und gebieterisch aufrichtete und ihn gleichfalls unbeweglich ansah. So starrten wir einander etwa zwei Minuten lang an; schließlich drehte er sich wieder langsam und gravitätisch um und verließ mich auf weitere zwei Stunden.</sentence>
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<sentence num="98">Ließ ich mich auch dadurch nicht zur Vernunft bringen und fuhr in meiner Rebellion fort, so begann er, während er mich ansah, zu seufzen, lange und tief zu seufzen, als wolle er mit diesem einen Seufzer den ganzen Abgrund meiner moralischen Verkommenheit ausmessen; und das Ganze, versteht sich, endete schließlich damit, daß er vollständig die Übermacht gewann: ich tobte, ich schrie, aber ich wurde trotzdem gezwungen, in allem nachzugeben.</sentence>
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<sentence num="99">Dieses Mal aber, sobald das übliche Manöver der ›strengen Blicke‹ begann, geriet ich sofort außer mir und fuhr ihn wütend an. Ich war ohnedies schon gereizt.</sentence>
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<sentence num="100">»Bleib!« schrie ich wie rasend, als er sich langsam und schweigend, die eine Hand auf dem Rücken, wieder umdrehen wollte, um sich in sein Zimmer zurückzuziehen, »bleib, zurück, zurück, sag ich!« Und ich muß wohl so unnatürlich gebrüllt haben, daß er sich wieder umdrehte und mich sogar gewissermaßen erstaunt betrachtete.</sentence>
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<sentence num="101">Übrigens sprach er kein Wort, aber das war es ja, was mich am meisten reizte. »Was unterstehst du dich, hier ohne Erlaubnis einzutreten und mich so anzustarren?</sentence>
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<sentence num="102">Antworte!« Aber nachdem er mich in aller Seelenruhe etwa eine halbe Minute lang betrachtet hatte, schickte er sich wieder an kehrtzumachen.</sentence>
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<sentence num="103">»Bleib!« brüllte ich und stürzte auf ihn zu, »nicht vom Fleck!</sentence>
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<sentence num="104">So. Antworte jetzt: Warum kommst du und guckst?« »Wenn Sie mir jetzt etwas zu befehlen haben, so ist es an mir, es auszuführen«, antwortete er nach einigem Schweigen, leise und umständlich lispelnd, wobei er die Augenbrauen hochzog und den Kopf von einer Schulter zur anderen wiegte – und das alles wiederum mit der grauenhaftesten Gelassenheit.</sentence>
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<sentence num="105">»Es geht nicht darum, nicht darum, du Henker«, schrie ich zornbebend.</sentence>
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<sentence num="106">»Ich werde dir sagen, du Henker, ich, warum du herkommst: du siehst, daß ich dir deinen Lohn nicht auszahle, willst aber aus Stolz nicht darum bitten, willst dich nicht erniedrigen und schleichst dann mit deinen dummen Blicken herum, um mich zu bestrafen, zu quälen, ohne zu begreifen, du Henker, wie dumm das ist: Dumm, dumm, dumm, dumm, dumm!« Wieder schickte er sich schweigend an kehrtzumachen, ich aber hielt ihn fest.</sentence>
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<sentence num="107">»Höre!« schrie ich ihn an.</sentence>
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<sentence num="108">»Hier ist Geld, siehst du, hier ist es (ich riß das Geld aus der Schublade), die ganzen sieben Rubel, aber du bekommst sie nicht, du bekommst sie nicht, so lange, bis du kommst und mich ehrerbietig, reumütig um Verzeihung bittest!</sentence>
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<chapter num="20" name="Zweiter Teil - Kapitel IX">
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<sentence num="1"> Und in mein Haus zieh stolz und frei,Du, seine rechte Herrin, ein! Ich stand vor ihr, erschlagen, überführt, widerlich verlegen und lächelte, glaube ich, wobei ich mir die größte Mühe gab, die Schöße meines zottigen wattierten Schlafröckchens übereinanderzuschlagen – genauso, wie ich es mir noch kurz vorher in meiner Verzagtheit ausgemalt hatte.</sentence>
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<sentence num="2">Apollon, nachdem er etwa zwei Minuten neben uns gestanden hatte, war nun fort, aber mir ging es nicht besser.</sentence>
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<sentence num="3">Das schlimmste war, daß auch sie plötzlich verlegen wurde, und zwar so, wie ich es nie erwartet hätte.</sentence>
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<sentence num="4">Bei meinem Anblick, versteht sich.</sentence>
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<sentence num="5">»Setz dich«, sagte ich mechanisch und rückte für sie einen Stuhl an den Tisch, nahm aber selbst auf dem Sofa Platz.</sentence>
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<sentence num="6">Sie setzte sich augenblicklich und gehorsam, blickte mich mit weit aufgerissenen Augen an, offensichtlich etwas Besonderes von mir erwartend.</sentence>
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<sentence num="7">Eben diese naive Erwartung machte mich rasend, aber ich beherrschte mich.</sentence>
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<sentence num="8">Gerade jetzt hätte man tun sollen, als gäbe es nichts Auffallendes, als sei alles so, wie es sein müsse, sie aber… Und ich ahnte dunkel, daß sie mir »Du hast mich in einer sonderbaren Lage angetroffen, Lisa«, begann ich stotternd und mit dem Bewußtsein, daß man gerade so nicht hätte anfangen sollen.</sentence>
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<sentence num="9">»Nein, nein, du sollst nicht irgend etwas denken!« rief ich aus, als ich bemerkte, daß sie plötzlich errötete.</sentence>
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<sentence num="10">»Ich schäme mich nicht meiner Armut.</sentence>
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<sentence num="11">Im Gegenteil, ich bin stolz auf meine Armut, ich bin arm, aber edel… Man kann arm und edel sein«, murmelte ich.</sentence>
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<sentence num="12">»Übrigens… möchtest du Tee?« »Nein… «, begann sie und stockte.</sentence>
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<sentence num="13">»Warte!« Ich sprang auf und lief zu Apollon.</sentence>
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<sentence num="14">Ich mußte doch irgendwie in die Erde versinken.</sentence>
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<sentence num="15">»Apollon«, flüsterte ich in fieberhafter Eile und warf die sieben Rubel, die ich die ganze Zeit in der Faust gehalten hatte, vor ihn auf den Tisch. »Hier ist dein Lohn, siehst du, du bekommst ihn; aber dafür mußt du mich retten: bring mir sofort aus dem nächsten Restaurant Tee und zehn Stück Gebäck. Wenn du dich weigerst, stürzt du einen Menschen ins Unglück!</sentence>
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<sentence num="16">Du weißt nicht, was das für eine Frau ist… Sie ist – alles!</sentence>
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<sentence num="17">Vielleicht denkst du irgend etwas… Aber du weißt nicht, was das für eine Frau ist!… « Apollon, der schon wieder bei seiner Näharbeit war und sich schon wieder die Brille aufgesetzt hatte, schielte zuerst, ohne die Nadel aus der Hand zu legen, schweigend nach dem Geld; dann aber fuhr er fort, ohne mir die geringste Aufmerksamkeit zu schenken und mich einer Antwort zu würdigen, sich mit seinem Faden zu beschäftigen, den er immer noch einfädelte.</sentence>
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<sentence num="18">Ich wartete ungefähr drei Minuten, vor ihm stehend, mit verschränkten Armen à la Napoleon.</sentence>
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<sentence num="19">Auf meinen Schläfen perlte Schweiß; ich war blaß, ich spürte es selbst.</sentence>
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<sentence num="20">Aber Gott sei Dank, offensichtlich bekam er doch noch Mitleid mit mir.</sentence>
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<sentence num="21">Nachdem er mit seinem Faden fertig war, erhob er sich langsam, schob langsam den Stuhl zurück, nahm langsam die Brille ab, zählte langsam das Geld nach, und nachdem er mich über die Schulter gefragt hatte, ob er eine ganze Portion holen solle, verließ er langsam das Zimmer.</sentence>
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<sentence num="22">Während ich zu Lisa zurückging, kam mir unterwegs ein Gedanke: einfach, so wie ich dastehe, in dem schäbigen Schlafröckchen, Reißaus zu nehmen, und dann komme, was kommen mag.</sentence>
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<sentence num="23">Ich setzte mich wieder hin.</sentence>
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<sentence num="24">Sie sah mich voll Unruhe an.</sentence>
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<sentence num="25">Einige Minuten schwiegen wir.</sentence>
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<sentence num="26">»Ich bringe ihn um!« schrie ich plötzlich auf und schlug dabei mit der Faust auf den Tisch, daß die Tinte aus dem Tintenfaß schwappte.</sentence>
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<sentence num="27">»Ach, was haben Sie?« rief sie zusammenfahrend.</sentence>
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<sentence num="28">»Ich bringe ihn um, ich bringe ihn um«, kreischte ich und fuhr fort, in völliger Raserei auf den Tisch zu trommeln, in dem deutlichen Bewußtsein, daß es dumm war, derart die Fassung zu verlieren.</sentence>
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<sentence num="29">»Du weißt nicht, Lisa, was dieser Henker für mich bedeutet.</sentence>
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<sentence num="30">Er ist mein Henker… Jetzt holt er Gebäck; er… « Und plötzlich brach ich in Tränen aus.</sentence>
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<sentence num="31">Das war ein Anfall.</sentence>
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<sentence num="32">Beim Schluchzen fühlte ich mich äußerst unbehaglich; aber ich konnte es nicht mehr unterdrücken.</sentence>
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<sentence num="33">Sie erschrak.</sentence>
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<sentence num="34">»Was haben Sie nur!« rief sie immer wieder erregt aus, indem sie sich um mich bemühte.</sentence>
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<sentence num="35">»Wasser, gib mir Wasser, da!« murmelte ich mit schwacher Stimme, wobei ich mir allerdings durchaus bewußt war, daß ich auch sehr gut ohne Wasser auskommen konnte und nicht mit versagender Stimme zu sprechen brauchte.</sentence>
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<sentence num="36">Aber ich Sie reichte mir Wasser, indem sie mich ratlos ansah. In diesem Augenblick brachte Apollon den Tee.</sentence>
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<sentence num="37">Und plötzlich schien mir, daß dieser gewöhnliche und prosaische Tee nach allem Vorgefallenen furchtbar unanständig und kläglich war, und ich errötete.</sentence>
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<sentence num="38">Lisa betrachtete Apollon sogar ängstlich. Er ging wieder hinaus, ohne uns eines Blickes zu würdigen. »Lisa, verachtest du mich?« fragte ich. Ich starrte sie an, zitternd vor Ungeduld zu erfahren, was sie dachte.</sentence>
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<sentence num="39">Sie wurde verlegen und wußte nichts zu antworten.</sentence>
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<sentence num="40">»Trink den Tee«, sagte ich böse. Ich wütete gegen mich, aber natürlich mußte sie dafür herhalten.</sentence>
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<sentence num="41">Ein schrecklicher Zorn auf sie kochte plötzlich in meinem Herzen; am liebsten hätte ich sie totgeschlagen, glaube ich.</sentence>
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<sentence num="42">Um mich an ihr zu rächen, schwor ich mir in Gedanken, die ganze Zeit über kein Wort mit ihr zu sprechen.</sentence>
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<sentence num="43">“Sie ist doch an allem schuld”, dachte ich. Unser Schweigen hielt schon etwa fünf Minuten an.</sentence>
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<sentence num="44">Der Tee stand auf dem Tisch; wir hatten noch nichts getrunken: ich war schon so weit, daß ich absichtlich nicht anfangen wollte, um sie noch mehr in Verlegenheit zu bringen; sie aber konnte sich doch nicht zuerst einschenken.</sentence>
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<sentence num="45">Sie sah mich einige Male traurig und verständnislos an.</sentence>
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<sentence num="46">Ich schwieg unnachgiebig.</sentence>
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<sentence num="47">Natürlich war ich selbst der größte Märtyrer, denn ich war mir der widerlichen Niedertracht meiner boshaften Dummheit vollkommen bewußt, zugleich aber konnte ich mich nicht beherrschen.</sentence>
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<sentence num="48">»Ich will… dort… ganz fortgehen«, begann sie schließlich, um das Schweigen irgendwie zu brechen.</sentence>
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<sentence num="49">Die Arme! Gerade davon hätte man in einem ohnehin schon so dummen Augenblick, zu einem ohnehin so dummen Menschen, wie ich es war, nicht anfangen sollen. Sogar mein Herz zog sich zusammen vor Mitleid mit ihrer Unbeholfenheit und überflüssigen Offenheit.</sentence>
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<sentence num="50">Aber etwas Scheußliches erwürgte in mir sofort das ganze Mitleid, ja, es reizte mich noch mehr auf; mag doch die ganze Welt untergehen! Es vergingen weitere fünf Minuten. »Habe ich Sie vielleicht gestört?« fragte sie schüchtern, kaum hörbar, und wollte sich erheben.</sentence>
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<sentence num="51">Kaum aber sah ich diesen ersten Funken gekränkter Würde, als ich vor Bosheit förmlich zu zittern begann und es sofort mit mir durchging.</sentence>
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<sentence num="52">»Wozu bist du eigentlich zu mir gekommen, kannst du es mir bitte sagen?« begann ich keuchend und ohne auf die logische Ordnung in meinen Reden zu achten.</sentence>
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<sentence num="53">Ich wollte alles mit einem Mal aussprechen, in einem Zug; da war es egal, womit ich anfing.</sentence>
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<sentence num="54">»Warum bist du gekommen? Kannst du mir das bitte sagen!« rief ich wie von Sinnen. »Ich werde dir sagen, Mütterchen, warum du gekommen bist.</sentence>
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<sentence num="55">Du bist gekommen, weil ich damals zu dir Ich wußte, daß sie vielleicht nicht alles erfassen und die Einzelheiten nicht verstehen würde, gleichzeitig wußte ich, daß sie das Wesentliche vorzüglich verstehen würde.</sentence>
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<sentence num="56">So kam es auch.</sentence>
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<sentence num="57">Sie wurde kreideweiß, wollte etwas sagen, ihre Lippen verzogen sich schmerzlich; plötzlich sank sie wie von einem Schlag getroffen auf den Stuhl zurück.</sentence>
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<sentence num="58">Und die ganze Zeit darauf hörte sie mir mit offenem Mund zu, mit weit aufgerissenen Augen, zitternd vor Angst.</sentence>
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<sentence num="59">Der Zynismus, der Zynismus meiner Worte erdrückte sie… »Retten!« fuhr ich fort, indem ich aufsprang und vor ihr im Zimmer auf und ab rannte.</sentence>
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<sentence num="60">»Wovor denn retten?</sentence>
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<sentence num="61">Ich bin ja selbst vielleicht schlimmer als du.</sentence>
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<sentence num="62">Warum bist du mir denn nicht übers Maul gefahren, als ich dir die Leviten las: ›Wozu bist du denn zu uns gekommen, etwa um uns Moral zu predigen?‹ – Nach Macht gelüstete es mich damals, nach Macht, nach Spiel, deine Tränen wollte ich, deine Erniedrigung, die Hysterie – das brauchte ich damals!</sentence>
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<sentence num="63">Ich bin ja damals selbst weich geworden, denn ich bin ein Schlappschwanz. Ich bekam Angst und gab dir aus Dummheit, weiß der Teufel wozu, meine Adresse.</sentence>
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<sentence num="64">Später aber, noch unterwegs, bedachte ich dich wegen dieser Adresse mit allen Flüchen der Welt.</sentence>
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<sentence num="65">Schon damals begann ich dich zu hassen, denn ich hatte dich belogen.</sentence>
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<sentence num="66">Ich will nämlich nur in Worten spielen, nur im Kopf träumen, in Wirklichkeit aber brauche ich, weißt du was: daß euch der Teufel holt, das brauche ich! Ich will meine Ruhe haben.</sentence>
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<sentence num="67">Ich würde ja dafür, daß man mich nicht belästigt, die ganze Welt sofort für eine Kopeke verkaufen.</sentence>
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<sentence num="68">Soll die Welt untergehen, oder soll ich jetzt keinen Tee trinken? Ich sage, die Welt mag untergehen, ich aber will immer meinen Tee trinken. Wußtest du das oder nicht?</sentence>
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<sentence num="69">Nun, ich aber weiß, daß ich ein gemeiner Kerl bin, ein Schuft, ein Egoist, ein Faulpelz.</sentence>
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<sentence num="70">Diese drei Tage habe ich vor Angst gezittert, du könntest kommen. Weißt du aber auch, was mich in diesen drei Tagen am meisten beunruhigt hat?</sentence>
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<sentence num="71">Am meisten, daß ich mich damals vor dir wie ein Held aufgeführt habe, du mich aber hier in meinem schäbigen Schlafröckchen sehen würdest, bettelarm und ekelhaft.</sentence>
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<sentence num="72">Ich sagte dir vorhin, daß ich mich meiner Armut nicht schäme; du sollst wissen, daß ich mich schäme, mich ihrer am meisten schäme, mich ihretwegen am meisten fürchte, mehr, als wenn ich ein Dieb wäre, denn ich bin so eitel, als hätte man mir die Haut abgezogen, und schon der bloße Luftzug verursacht mir Schmerz.</sentence>
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<sentence num="73">Solltest du wirklich auch jetzt noch nicht auf den Gedanken kommen, daß ich dir niemals verzeihen werde, daß du mich in diesem Schlafröckchen angetroffen hast, als ich mich wie ein bösartiger Kläffer auf Apollon stürzte?</sentence>
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<sentence num="74">Der Erlöser, der einstige Held, stürzt sich wie ein räudiger, zottiger Kläffer auf seinen Diener, und der lacht ihn aus!</sentence>
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<sentence num="75">Und die Tränen vorhin, die ich vor dir wie ein beschämtes Weib nicht verbergen konnte, die werde ich dir niemals verzeihen!</sentence>
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<sentence num="76">Und alles das, was ich dir jetzt gestehe, werde ich Und da geschah plötzlich etwas Sonderbares.</sentence>
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<sentence num="77">Ich war dermaßen gewöhnt, wie nach dem Buch zu denken und zu träumen und mir die ganze Welt so vorzustellen, wie ich sie mir in meiner Phantasie vorher zurechtgelegt hatte, daß ich damals dieses Sonderbare zunächst gar nicht begriff.</sentence>
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<sentence num="78">Es geschah aber folgendes: Lisa, diese von mir gekränkte und verwundete Lisa, begriff weit mehr, als ich mir eingebildet hatte.</sentence>
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<sentence num="79">Sie begriff trotz allem, was eine Frau, wenn sie nur aufrichtig liebt, immer als erstes begreift, nämlich: daß ich selbst unglücklich war.</sentence>
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<sentence num="80">Der Ausdruck des Schreckens und der Kränkung in ihrem Gesicht war zunächst einem schmerzlichen Staunen gewichen.</sentence>
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<sentence num="81">Als ich mich aber einen Schuft und Schurken nannte und mir die Tränen kamen (diese ganze Tirade brachte ich unter Tränen hervor), da zuckte ihr Gesicht wie in einem Krampf. Sie wollte aufstehen, mich unterbrechen; als ich verstummte, dachte sie nicht an mein Schreien: »Warum hockst du hier, warum gehst du nicht?«, sondern sah nur, daß es mir selbst sehr schwerfallen mußte, das alles auszusprechen.</sentence>
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<sentence num="82">Zudem war sie so eingeschüchtert, die Arme; sie hielt sich für unendlich tief unter mir stehend; wie sollte sie sich erbosen, sich beleidigt fühlen?</sentence>
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<sentence num="83">Plötzlich, wie von einem unbezwinglichen Gefühl getrieben, zu mir hindrängend, sprang sie vom Stuhl auf, aber immer noch unsicher und ohne sich von der Stelle zu wagen, und streckte mir ihre Hände entgegen… Da drehte sich auch mir das Herz um.</sentence>
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<sentence num="84">Dann stürzte sie plötzlich auf mich zu, schlang ihre Arme um meinen Hals und brach in Tränen aus.</sentence>
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<sentence num="85">Auch ich hielt es nicht mehr aus und schluchzte, wie ich noch nie geschluchzt hatte. »Man läßt mich nicht… ich kann nicht… gut sein!« stammelte ich, ging zum Sofa, warf mich nieder und schluchzte eine Viertelstunde in einem wirklichen hysterischen Anfall. Sie schmiegte sich an mich, umfaßte mich und erstarb in dieser Umarmung. Der Witz dabei aber war, daß das Weinen doch einmal ein Ende nehmen mußte.</sentence>
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<sentence num="86">Und nun (ich will die ekelhafte Wahrheit niederschreiben), als ich noch schluchzend auf dem Sofa lag, das Gesicht fest an mein schäbiges Lederkissen gepreßt, begann ich allmählich, zuerst ganz von ferne, unwillkürlich, aber unaufhaltsam zu fühlen, daß es mir jetzt doch peinlich sein würde, den Kopf zu erheben und Lisa direkt in die Augen zu sehen.</sentence>
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<sentence num="87">Weswegen schämte ich mich? – Ich weiß es nicht, aber ich schämte mich.</sentence>
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<sentence num="88">Und dann tauchte in meiner Erregung auch noch der Gedanke auf, daß die Rollen nun endgültig vertauscht waren, daß sie jetzt die Heldin war, ich aber ein ebenso erniedrigtes und zerstörtes Geschöpf wie sie in jener Nacht – vor vier Tagen… Und dies alles ging mir bereits in jenen Minuten durch den Sinn, während ich mit dem Gesicht auf dem Sofa lag!</sentence>
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<sentence num="89">Mein Gott, sollte ich sie denn wirklich damals beneidet haben? Ich weiß es nicht, bis heute kann ich es noch nicht entscheiden, damals aber begriff ich es noch weniger als jetzt.</sentence>
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<sentence num="90">Ohne Macht und ohne Tyrannei über einen Anderen kann ich nicht leben… Aber… aber durch Überlegungen läßt sich ja nichts erklären, folglich sollte man auch weiter nicht überlegen.</sentence>
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<sentence num="91">Ich überwand mich schließlich doch und hob den Kopf; einmal mußte es ja geschehen… Und da, ich bin heute noch fest davon überzeugt, daß es so kam, gerade weil ich mich vor ihr schämte, regte sich in meinem Herzen plötzlich ein anderes Gefühl… die Gier nach Macht und Besitz.</sentence>
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<sentence num="92">In meinen Augen flackerte die Leidenschaft, und ich drückte fest ihre Hände. Wie haßte ich sie, und wie zog es mich in diesem Augenblick zu ihr hin! Die eine Empfindung steigerte die andere. Es war fast wie Rache!… Auf ihrem Gesicht zeigte sich zuerst Verblüffung, beinahe sogar Angst, doch nur für einen Augenblick.</sentence>
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<sentence num="93">Sie umarmte mich voller Hingabe und Leidenschaft.</sentence>
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</chapter>
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<chapter num="21" name="Zweiter Teil - Kapitel X">
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<sentence num="1"> Eine Viertelstunde später rannte ich in wütender Ungeduld im Zimmer auf und ab, lief immer wieder zum Wandschirm und spähte durch einen Spalt nach Lisa.</sentence>
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<sentence num="2">Sie saß auf dem Fußboden, den Kopf an den Bettrand gelehnt und weinte, wie es schien.</sentence>
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<sentence num="3">Aber sie ging nicht, und das war es, was mich so reizte.</sentence>
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<sentence num="4">Nun wußte sie alles.</sentence>
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<sentence num="5">Ich hatte sie im Tiefsten beleidigt, aber… dazu ist nichts mehr zu sagen.</sentence>
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<sentence num="6">Sie hatte erraten, daß der Ausbruch meiner Leidenschaft Rache war, eine neue Erniedrigung ihrer Person, und daß zu meinem ursprünglichen, beinahe grundlosen Haß jetzt ein persönlicher, neidischer Haß hinzugekommen war… Übrigens will ich nicht behaupten, sie hätte das alles vollkommen klar verstanden; dafür aber hatte sie verstanden, daß ich ein ekelhafter Mensch war und vor allem nicht fähig, sie zu lieben.</sentence>
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<sentence num="7">Ich weiß, man wird mir einwenden, das sei unwahrscheinlich – es sei unwahrscheinlich, so böse, so dumm zu sein, wie ich es war; man wird vielleicht auch hinzufügen, es sei doch unmöglich gewesen, sie nicht zu lieben oder eine solche Liebe nicht wenigstens zu würdigen.</sentence>
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<sentence num="8">Warum sollte es unwahrscheinlich sein?</sentence>
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<sentence num="9">Erstens konnte ich schon gar nicht mehr lieben, denn, ich wiederhole, Liebe bedeutet für mich Tyrannei und moralische Überlegenheit.</sentence>
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<sentence num="10">Mein ganzes Leben lang habe ich mir keine andere Liebe vorstellen können und bin so weit gekommen, daß ich jetzt zuweilen denke, die Liebe bestehe gerade in einem von dem geliebten Wesen freiwillig zugestandenen Recht, es zu beherrschen.</sentence>
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<sentence num="11">Auch in meinen Kellerlochträumen habe ich mir die Liebe nie anders als einen Kampf vorgestellt, habe sie stets mit Haß begonnen und mit moralischer Unterwerfung gekrönt; dann aber war es mir unmöglich, mir auch nur im entferntesten vorzustellen, was man mit dem besiegten Wesen noch hätte anfangen können.</sentence>
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<sentence num="12">Und was kann denn da unwahrscheinlich sein, wenn es mir schon gelungen war, mich so weit mit mir zu entzweien, mich so weit des ›lebendigen Lebens‹ zu entwöhnen, daß ich sie mit dem Vorwurf beschämen wollte, sie sei gekommen, um von ›Gefühlen‹ zu hören; ich selbst kam nicht auf den Gedanken, daß sie überhaupt nicht der Gefühle wegen gekommen war, sondern um mich zu lieben, denn für die Frau liegt die ganze Auferstehung in der Liebe, die ganze Rettung, einerlei von welchem Verderben, und die ganze Wiedergeburt, die sich ja auch in nichts anderem offenbaren kann als gerade in ihr.</sentence>
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<sentence num="13">Übrigens haßte ich sie gar nicht so sehr, als ich im Zimmer auf und ab lief und durch die Spalte des Wandschirms spähte.</sentence>
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<sentence num="14">Es war mir nur unerträglich, daß sie hier war.</sentence>
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<sentence num="15">Ich wollte sie fort haben.</sentence>
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<sentence num="16">Ich wünschte ›Ruhe‹, ich wünschte das Alleinsein im Kellerloch.</sentence>
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<sentence num="17">Das ungewohnte ›lebendige Leben‹ erdrückte mich dermaßen, daß mir sogar das Atmen schwerfiel.</sentence>
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<sentence num="18">Aber es vergingen noch etliche Minuten, sie erhob sich immer noch nicht, als hätte sie alles um sich vergessen.</sentence>
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<sentence num="19">Ich besaß die Gewissenlosigkeit, leicht an den Wandschirm zu klopfen, um sie zu erinnern… Sie fuhr erschrocken zusammen, sprang hastig auf und suchte eilig ihr Tuch, ihr Hütchen, ihren Pelz zusammen, als wollte sie vor mir fliehen… Nach zwei Minuten trat sie langsam hinter dem Schirm hervor und sah mich mit einem schweren Blick an.</sentence>
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<sentence num="20">Ich grinste boshaft, übrigens absichtlich, »Leben Sie wohl«, sagte sie und ging zur Tür.</sentence>
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<sentence num="21">Da lief ich auf sie zu, nahm ihre Hand, öffnete sie, drückte etwas hinein… und schloß dann die Finger wieder.</sentence>
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<sentence num="22">Darauf wandte ich mich sofort um und floh in die andere Ecke des Zimmers, um wenigstens nichts zu sehen… Soeben, in dieser Minute, wollte ich lügen – ich wollte schreiben, daß ich dies aus Versehen, halb bewußtlos, in Verwirrung, aus Kopflosigkeit getan hätte; ich will aber nicht lügen, und darum sage ich jetzt offen, daß ich ihre Hand geöffnet und etwas hineingesteckt habe… aus Bosheit.</sentence>
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<sentence num="23">Ich kam darauf, als ich im Zimmer auf und ab lief und sie hinter dem Wandschirm saß.</sentence>
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<sentence num="24">Eines jedoch kann ich mit Bestimmtheit sagen: ich beging diese Grausamkeit, wenn auch absichtlich, doch nicht mit dem Herzen, sondern mit dem Kopf.</sentence>
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<sentence num="25">Diese Grausamkeit war dermaßen gekünstelt, dermaßen ausgeklügelt, willkürlich ausgedacht, »Lisa, Lisa!« rief ich durchs Treppenhaus, aber zaghaft, halblaut. Es kam keine Antwort, ich glaubte, daß ich ihre Schritte unten auf der Treppe hörte. »Lisa!« rief ich lauter. Keine Antwort.</sentence>
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<sentence num="26">Aber im gleichen Augenblick hörte ich von unten, daß die schwere verglaste Haustür sich quietschend öffnete und mit dumpfem Krach zuschlug.</sentence>
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<sentence num="27">Das Treppenhaus dröhnte. Sie war fort. Nachdenklich kehrte ich in mein Zimmer zurück.</sentence>
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<sentence num="28">Furchtbar schwer war mir zumute.</sentence>
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<sentence num="29">Ich blieb am Tisch stehen, neben dem Stuhl, auf dem sie gesessen hatte, und starrte gedankenverloren vor mich hin.</sentence>
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<sentence num="30">Es war ungefähr eine Minute vergangen, als ich plötzlich zusammenfuhr: gerade vor mir auf dem Tisch sah ich… kurz, ich sah einen zerknitterten blauen Fünfrubelschein, denselben, den ich ihr vor einer Minute in die Hand gedrückt hatte.</sentence>
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<sentence num="31">Es war Und nun? Ich hätte ja erwarten können, daß sie es tun würde. Hätte ich es erwarten können?</sentence>
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<sentence num="32">Nein. Ich war so sehr Egoist, achtete die Menschen im Grunde so gering, daß ich nie darauf gekommen wäre, sie könnte so handeln.</sentence>
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<sentence num="33">Das ertrug ich nicht. Im nächsten Augenblick fuhr ich wie ein Wahnsinniger in meine Kleider, warf mir das erste beste über, was mir unter die Hände kam, und stürzte atemlos ihr nach.</sentence>
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<sentence num="34">Sie konnte noch keine zweihundert Schritte gegangen sein, als ich auf die Straße hinauslief.</sentence>
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<sentence num="35">Es war ganz still, schwere dichte Schneeflocken fielen fast senkrecht zur Erde und legten das Trottoir und die leere Straße mit einem Polster aus.</sentence>
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<sentence num="36">Kein Mensch, kein Laut. Traurig und unnütz flimmerten die Laternen. Ich lief etwa zweihundert Schritte bis zur Kreuzung und blieb dann stehen.</sentence>
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<sentence num="37">– Wohin ist sie gegangen?</sentence>
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<sentence num="38">Und wozu laufe ich ihr nach? Wozu? Um vor ihr niederzuknien, in Reue zu weinen, ihre Füße zu küssen, Vergebung zu erflehen!</sentence>
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<sentence num="39">Das wollte ich: meine Brust drohte zu zerspringen, und niemals, niemals werde ich dieses Augenblicks gleichgültig gedenken können.</sentence>
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<sentence num="40">Aber – wozu? dachte ich. Werde ich sie denn nicht vielleicht morgen schon hassen, gerade deshalb, weil ich ihr heute die Füße geküßt habe? Werde ich ihr denn das Glück bringen?</sentence>
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<sentence num="41">Habe ich heute nicht wieder zum hundertsten Male gesehen, was ich wert bin?</sentence>
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<sentence num="42">Werde ich sie nicht zugrunde richten? Ich stand im Schnee, spähte in die trübe Dunkelheit und dachte darüber nach.</sentence>
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<sentence num="43">“Und ist es nicht besser, ist es nicht besser”, grübelte ich, wieder zu Hause, später, indem ich mit Phantasien den lebendigen inneren Schmerz zu betäuben suchte, “ist es nicht besser, daß sie nun die Kränkung ewig mit sich trägt?</sentence>
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<sentence num="44">Kränkung – das ist doch Läuterung; das ist das ätzendste und schmerzendste Bewußtsein!</sentence>
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<sentence num="45">Morgen schon würde ich ihre Seele durch mich verunreinigt und ihr Herz ermüdet haben.</sentence>
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<sentence num="46">Die Beleidigung aber wird niemals in ihr erlöschen, und wie ekelhaft auch der Sumpf sein mag, der sie erwartet, die Beleidigung wird sie erheben und läutern… durch den Haß… hm!… vielleicht auch durch die Vergebung… Aber übrigens, wird ihr denn davon leichter?” In der Tat: jetzt möchte ich eine müßige Frage stellen: was ist besser – billiges Glück oder erhabenes Leid?</sentence>
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<sentence num="47">Nun also, was ist besser? So war es mir, als ich an jenem Abend bei mir zu Hause saß, halb tot vor seelischem Schmerz.</sentence>
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<sentence num="48">Niemals noch hatte ich so viel Leid und Reue durchgestanden; aber hätte der geringste Zweifel bestehen können, als ich aus der Wohnung stürzte, daß ich nicht auf halbem Wege umkehren und zurückkommen würde?</sentence>
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<sentence num="49">Lisa habe ich nie mehr wiedergesehen und auch nie mehr etwas von ihr gehört.</sentence>
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<sentence num="50">Ich möchte noch hinzufügen, daß ich mich mit der Selbst heute noch, nach so vielen Jahren, kommt mir dies alles irgendwie Übrigens sind hier die Aufzeichnungen dieses paradoxen Menschen noch nicht zu Ende.</sentence>
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<sentence num="51">Er konnte es nicht lassen und setzte sie fort. Aber auch uns will scheinen, daß man hier ohne weiteres aufhören kann.</sentence>
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